„Und in dem ‚Wie‘, da liegt der ganze Unterschied“: Camilla Nylund singt Richard Strauss in Essen

Camilla Nylund. Foto: Markus Hoffmann

Camilla Nylund. Foto: Markus Hoffmann

So etwas nennt sich Pech: Zum zweiten Mal musste Anja Harteros, „Residence“-Künstlerin der Philharmonie Essen, ein Konzert absagen. Eine hartnäckige Krankheit hat ihren Auftritt unmöglich gemacht. Als Einspringerin kam Camilla Nylund an die Ruhr – und die blonde Finnin als „Ersatz“ anzusprechen, wäre mehr als ungerecht.

Im Gegenteil: Häufiger als Harteros, die sich auf das italienische Fach und 2013 fast ausschließlich auf Verdi konzentriert hat, singt Nylund seit Jahren Strauss: Ariadne in Frankfurt, Salome und Feldmarschallin in Wien, Chrysothemis in Amsterdam, Daphne in Dresden. In der Region war Nylund 2010 in Köln im „Rosenkavalier“ zu erleben; demnächst singt sie Salome in Philadelphia und Arabella in Hamburg – unter Essens Ex-GMD Stefan Soltesz.

An ihn musste bei dem Konzert öfter denken, auch wer keine Nostalgie pflegt: Unter Friedrich Haider waren die Essener Philharmoniker ziemlich weit weg von den raffiniert polierten Klängen, die Soltesz bei Strauss zu modellieren pflegte. Schon in der Szene der Ariadne „Ach, wo war ich? … Es gibt ein Reich, wo alles rein ist…“ nahm Haider wenig Rücksicht auf die eher mit lyrischer Innigkeit als mit dramatischer Attacke agierende Sängerin, ließ sie mit expansiver Energie zudecken.

Das Orchesterzwischenspiel aus der leider auch im Strauss-Jahr 2014 nicht gespielten launigen Miniatur „Intermezzo“ mag in dem verschmolzenen Klangbild, das Haider pflegt, noch hingehen. Aber im Schlussmonolog der Gräfin aus „Capriccio“ gewinnt das Orchester kein Profil, erstickt die leuchtende Finesse der Instrumentation in dickem Schwall, treten die harmonischen Spannungen nicht hervor, die Strauss vor allem durch die Holzbläser erzeugen will. Und Camila Nylund scheint sich im Konversationston dieser Partie auch nicht wohl zu fühlen: die Artikulation ist unscharf, der Stimme fehlen die Farben, um dieses Selbstgespräch plausibel und beredt zu gestalten.

Auch nach der Pause bleibt’s eher wuchtig als elegant. Die „Rosenkavalier“-Walzer poltern lieber lerchenauisch aufgebläht als in silbriger Eleganz zu schweben. In den Finalszenen aus „Arabella“ bleiben die Holzbläser wieder unterbelichtet. Und unter den Ausschnitten aus Opern von Ermanno Wolf-Ferrari erreicht nur das Vorspiel zu den „Vier Grobianen“ diskrete Eleganz; die Suite aus der Oper „Der Schmuck der Madonna“ – die man auch gerne einmal auf der Bühne kennenlernen würde – war weniger in die glühende Schärfe des italienischen Verismo gekleidet als in einen breiig aufgetriebenen Klang.

Camilla Nylund präsentiert sich vor allem im Lyrischen als exquisite Strauss-Sängerin. Ihre Stimme gebietet nicht über die klangliche Expansion, die für dramatische Zuspitzung nötig wäre, aber sie hat eine leuchtende Mittellage, eine natürlich wirkende Noblesse im Ton und eine funkelnde Höhe. So singt Nylund eine beredte Feldmarschallin und eine jugendlich strahlende Arabella, der man abnimmt, dass ihre Liebe über alle spießigen Niederungen ihrer Umgebung erhaben ist.




Der kleine kluge Mann – Erinnerung an Gerard Mortier

Wir beklagen den Tod von Gerard Mortier. In den meisten Nachrufen wird davon gesprochen, dass er die Oper zu neuem Erwachen geführt habe,  die Salzburger Festspiele nachhaltig geprägt habe. Alles richtig. Nur – sein Wirken als erster Intendant der RuhrTriennale hat zumindest hier eine viel umfassendere Bedeutung. Leider sind und waren die Entscheidungsträger für das Festival nicht auf seiner Erkenntnisstufe. Sie hatten nicht mit seiner Widerspenstigkeit gerechnet und waren am Ende froh, dass er weg war. Welch ein grandioser Fehler!

Als ich ihn 2001 in einem Szenecafé im Dortmunder Norden kennenlernte, traf ich auf einen offenen, charmanten und witzigen Mann, mit dem ich über die Eigenart der Belgier diskutiert habe, über das Publikum im Ruhrgebiet und die Unterschätzung desselben.  Später – bei einem Besuch in Salzburg – sprachen wir über die Dekadenz des dortigen Publikums und die Sehnsucht nach dem Einfachen im scheinbar Komplizierten. Die zahlreichen Gespräche mit ihm – vor allem während seiner Zeit im Ruhrgebiet – gehören zu den prägendsten meines Lebens.

Der Jurist Dr. Mortier, dessen Namen manche flämisch, andere französisch aussprachen, war allzeit auskunftsbereit, sprach und warb für die erste RuhrTriennale an jedem nur denkbaren Ort. Seine Gespräche mit Politikern oder Vertretern der Wirtschaft kosteten ihn Nerven. Er sei „oft von Dummheit“ umgeben gewesen,  sagte er. Nach einer Anlaufzeit mochten ihn die Menschen hier, so wie er die Ruhrgebietler ins Herz schloss. Er machte aus dem Stand das Festival zu einem Highlight, indem er Kreationen entwerfen ließ, die unvergesslich sind, allen voran vielleicht das Werk „Sentimenti“, dass damals vom zukünftigen Triennale-Intendanten Johan Simons in Sezen gesetzt wurde.

Damals in Salzburg engagierte er Markus Hinterhäuser und Thomas Zierhofer, um für kleines Geld ein erstes „Festival im Festival“ zu etablieren, genannt „Zeitfluss“, für ein junges, neues Publikum. So förderte er das Festival „Off limits“, dessen Leiter ich habe sein dürfen, als Off-Triennale, eine bis dato einmalige Kooperation. Wiederstände gab es auch damals, aber  er setzte es durch.

Er sah sich nie als Künstler, sondern als Ermöglicher und Vermittler. Er überredete u.a. Alain Platel, für die RuhrTriennale ein Werk zu Mozart zu inszenieren, das danach weltweit Erfolge feierte: „Wolf, oder wie Mozart auf den Hund kam“.  Er verstand es, Menschen zu überzeugen, Publikum wie Künstler.

Als der agile Intendant ging, folgte der joviale Jürgen Flimm und die RuhrTriennale setzte umgehend Staub an, der sich erst wieder mit Heiner Goebbels zart auflöste. Als Mortier sich später anbot, noch einmal eine Intendanz zu übernehmen, winkte man ab. Der kleine Mann ging den Politikern offenbar auf die Nerven.

Überall, wo er war, hat er Eindruck und Nachhaltigkeit hinterlassen. Viele seiner Weggefährten folgten seinen Ideen und sind erfolgreiche Intendanten oder Vermittler. Leider hat das Wirken hier im Revier nur wenig hinterlassen – außer Erinnerung. Man müsste ihm ein Denkmal schaffen.  Ich werde ihn trauernd weiter schätzen.