Wie neue Lebensmittel kreiert werden

Produktentwicklerin Karin Tischler mit einer neuen Muffin-Kreation. (© ZDF/SWR/Lothar Zimmermann)

Produktentwicklerin Karin Tischler mit einer neuen Muffin-Kreation. (© ZDF/SWR/Lothar Zimmermann)

Gibt es nicht schon mehr als genug verschiedene Lebensmittel? Dieser Überfluss allüberall! Doch die Industrie muss mit immer neuen Sorten und Einfällen aufwarten. Eine Systemfrage. Wer rastet, der rostet. Sonst springt der Verbraucher womöglich ab. Um das zu verhindern, gibt es „Die Lebensmittel-Erfinder“ (3Sat).

TV-Reporter Lothar Zimmermann brachte sich leider selbst über Gebühr in seinen Bericht ein. Er spielte gleichsam den Fragesteller und Vorkoster der Nation. Auch gab er sich gern den Anschein, exklusiv Geheimnisse zu enthüllen. Oft genug war er im Bild. Oft genug klangen seine Sätze ebenso auswendig gelernt wie banal.

Das perfekte Knack-Geräusch für Kekse

Allzu viele Hintergründe konnte er freilich nicht beleuchten. Der durchweg abgesprochen und gestellt wirkende Beitrag erschöpfte sich eher im begriffslosen Staunen und Stirnrunzeln über einige Phänomene der Lebensmittel-Branche. Mit welchem Aufwand Ton-Designer allein das perfekte Knack-Geräusch für Kekse modellieren!

Im Mittelpunkt der Sendung stand die Produktentwicklerin Karin Tischler, die sich mit dem Team ihrer bei Düsseldorf angesiedelten Firma ständig neue Lebensmittel ausdenkt und auf Verbrauchergeschmack wie Zeitgeist zuschneidet. Auch nationale und regionale Vorlieben müssen bedient werden. Und den Chefs der Lebensmittel-Firmen muss es natürlich auch zusagen.

Die Inszenierung eines Minikuchens

Frau Tischler genoss es sichtlich, ihr Ideenlabor im Fernsehen vorführen zu dürfen. Bei Geschmacksproben war „lecker“ das häufigste Wort. Aber hinter den Kulissen geht es sicherlich professionell zu. Da werden trendgerechte Minikuchen nach US-Vorbild inszeniert, auf dass die kalorienreiche Versuchung gar groß werde.

Man sah also, wie in langwierigen Versuchsreihen neue Cupcakes (Muffins mit Cremehäubchen) entstanden – im Auftrag einer Großbäckerei. Wirkliche Geheimnisse wurden dabei selbstverständlich nicht verraten; auch nicht bei Abstechern zum Schoko-Hersteller Ritter Sport, wo Lebensmittel-Ingenieure eine neue Kokos-Sorte entwarfen, und zu Pulmoll, wo man Stevia statt Zucker als Süßungsmittel erprobte. Keine leichten Jobs. Die Floprate für neue Lebensmittel liegt bei über 75 Prozent…

Die Wurst, in der der Senf schon drin ist

Der Reporter verfolgte auch einen kreationswilligen Stuttgarter Metzger bei seinem Bemühen, neue Sachen auf den Markt zu bringen, beispielsweise eine Wurst („Stuggi“), in der der Senf schon drin ist, und frittierte Maultaschen („Schwaben-Chips“). Der liebenswerte Tüftler hat wahrscheinlich kaum eine Chance gegen Konzerne und ihre Forschungsabteilungen. Geradezu rührend war es zu sehen, wie er seine Ideen bei der Münchner Backmesse anpreisen wollte. Aber vielleicht gelingt ihm ja noch der große Glücksgriff.




Märchenhafter Realismus: T.C. Boyles Roman „Wassermusik“ in Neuübersetzung

Boyle_24324_MR.inddMit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks veröffentlicht T. C. Boyle seit 30 Jahren in kurzen Abständen seine Romane und Erzählungen.

Bei diesem Schreibrausch des US-Autors ist sein 1982 in einem Kleinverlag erschienenes Debüt „Wassermusik“ fast in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht, wie jetzt eine Neuübersetzung belegt.

Boyle reist mit dem Afrika-Forscher Mungo Park ins Herz der Finsternis und beutet dessen Aufzeichnungen poetisch aus. Weil Mungo Park von seiner zweiten Niger-Expedition (1806) nie wieder zurückgekehrt ist, kann Boyle das im Dunkeln der Geschichte liegende Scheitern nach Belieben ausschmücken.

Ein parallel verlaufender Handlungsstrang spielt in England. Im Mittelpunkt: Ned Rise, der stets Glück im Unglück hat, sogar seine eigene Hinrichtung am Strick überlebt und im Leichenschauhaus zu neuem, frechem Leben erwacht. Ned Rise ist eine ins Groteske gewendete Oliver-Twist-Figur, ein Satiriker der sozialen Verwerfungen.

Wie es Boyle es gelingt, den (frei erfundenen) Überlebenskünstler Ned Rise und den (historisch verbürgten) Afrika-Forscher Mungo Park literarisch zusammenzubringen, das ist ganz großes Erzähl-Kino, komisch, abenteuerlich, berührend und unvergesslich. Eine wild wuchernde Geschichte, die zwischen märchenhafter „Tausend-und-einer Nacht“-Fantasie und sozialkritischem Charles-Dickens-Realismus angesiedelt ist. Großartig.

T.C. Boyle: „Wassermusik“. Roman. Neuübersetzung: Aus dem amerikanischen Wnglisch von Dirk van Gunsteren. Carl Hanser Verlag, München 2014, 576 Seiten, 24,90 Euro.