Drama in Damaskus: „Kuss“ am Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt

Aktuelle politische Konflikte auf die Bühne zu bringen, ist immer ein Risiko: Kann man dem Schrecken des Krieges und dem Leid der Opfer im fiktionalen Raum wirklich gerecht werden? Kann man den jeweiligen Konflikt überhaupt verstehen, wenn er sich in einem völlig anderen Kulturkreis und Machtgefüge abspielt? Wie entgeht man der Gefahr des herablassenden europäischen Blickes, der den betroffenen Gesellschaften zuerst mangelndes Demokratieverständnis attestiert und sich dann ratlos abwendet?

Die Uraufführung „Kuss“ von Guillermo Calderón am Schauspielhaus Düsseldorf entgeht dieser Gefahr auf bestmöglichem Wege, indem sie sokratisch zugesteht: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Diese Erkenntnis verknüpft sie zudem mit einem Überraschungseffekt, der aus einer klugen Dramaturgie erwächst: Denn zunächst wirkt das Kammerspiel zwischen zwei befreundeten Paaren in Damaskus wie eine konventionelle Soap-Opera. Sie ist angesiedelt in dem naturalistisch nachgebautem Wohnzimmer von Hadeel (Simin Soraya) mit Perserteppichen, Sofas und Couchtisch. Hadeel wartet auf ihre Freunde, um gemeinsam Fernsehen zu schauen. Denn, und darauf fußt laut Programmheft das Konzept von „Kuss“, in Syrien erfreuen sich eben jene Fernseh-Soaps großer Beliebtheit. Sie sind Kult und jeder fiebert mit den Helden mit.

Doch zum gemütlichen Fernsehabend kommt es diesmal nicht, weil sich die Protagonisten so sehr in ihre eigenen Liebes- und Beziehungsprobleme verstricken, dass die Freundschaft am Ende zerbricht. Es beginnt schon damit, dass Youssif (Marian Kindermann) viel zu früh auftaucht und Hadeel seine Liebe gesteht. Das Problem: Sie ist eigentlich mit Ahmed (Gregor Löbel) verlobt und er mit Bana (Anna Kubin) zusammen, die wiederum die beste Freundin von Hadeel ist. Trotzdem wird Hadeel beinahe schwach, doch da betritt ihr Verlobter Ahmed die Szene und verkompliziert die Angelegenheit, indem er ihr einen Heiratsantrag macht. Bana, die als zuletzt dazu stößt, wird als erste eifersüchtig und klagt Liebesverrat und Betrug durch die beste Freundin an.

Gerade als sich die Zuschauer fragen, wo denn nun die politische Relevanz eines Stückes liegen soll, in dem es hauptsächlich um gebrochene Herzen geht und der Spielort Damaskus offensichtlich überhaupt keine Bedeutung hat, dreht sich der Plot. Hadeel fällt um und liegt tot auf dem Teppich. Bana fällt aus der Rolle, entpuppt sich als Regisseurin des Spiels im Spiel und will nun per Skype Kontakt mit der angeblichen Autorin des Stückes aufnehmen, die in den Libanon geflohen sein soll.

Der sich nun entspinnende Skype-Dialog (über eine Leinwand auf die Bühne projiziert) ist derart von Missverständnissen durchsetzt und zeigt die Diskrepanz des Lebens hier und des Lebens als Kriegsflüchtling mit solcher Deutlichkeit, dass dies die eigentlich Botschaft transportiert: Wir haben trotz medialer Berichterstattung einfach keine Ahnung, was Menschen im syrischen Krieg wirklich widerfährt und welche Konsequenzen das für ihr Leben hat.

Als Beispiel genügt schon die Diskussion um die Todesursache von Hadeel: Während die Schauspieler der festen Überzeugung sind, Hadeel sei an gebrochenem Herzen gestorben, stellt die syrische Autorin klar: „Habt ihr denn nicht die Regieanweisung gelesen, dass Hadeel die ganze Zeit hustet?“ – „Ja, natürlich, sie hustet ja auch ab und zu, aber wo ist das Problem?“ – „Hadeel ist Opfer eines Giftgasangriffs in Damaskus geworden, daran stirbt sie. Ihr Geist ist verwirrt und benebelt, deswegen kommt sie mit ihren Liebhabern durcheinander.“

Nicht zuletzt entpuppt sich die vermeintliche Autorin als Hadeels Schwester. Die Schöpferin des Stückes ist bereits tot. Auch der titelgebende Kuss bezeichnet keinen Austausch von Zärtlichkeiten, sondern einen Kontakt mit dem Geheimdienst, erfährt man. Betroffen inszeniert die Schauspielertruppe einige Szenen noch einmal neu: Kitschig sind sie nun nicht mehr.

Infos: http://duesseldorfer-schauspielhaus.de/de_DE/Premieren/Kuss.954851




Immer der Geige nach: Auf den Spuren der wunderbaren Hilary Hahn

Hilary Hahn (Foto: Michael Patrick OLeary)

Hilary Hahn (Foto: Michael Patrick OLeary)

Menschen, die ihrem Star hinterher reisen, jedes Konzert besuchen oder die Tourdaten ihres Lieblingspianisten auf Jahre im Kopf haben, sind mir bisher immer etwas seltsam vorgekommen. Die haben wohl zu viel Zeit, habe ich gedacht, wenn sie Konzertsäle in ganz Europa aufsuchten, nur um ihren angebeteten Musiker zu hören.

Bei der Geigerin Hilary Hahn könnte ich selbst fast schwach werden. Vor Jahren begleitete ich eine Freundin zu einem ihrer Auftritte und er kam mir irgendwie überirdisch vor. Ich weiß nicht mehr, was gespielt wurde, ich weiß nur noch, dass ich dachte: Diese zierliche, fast scheue Person produziert Töne, die nicht mehr von dieser Welt sind. Als nun ein Konzert von Hilary Hahn in meiner Heimatstadt Düsseldorf angekündigt wurde, wusste ich gleich: Da muss ich unbedingt hin. Dabei war mir völlig gleichgültig, welches Programm Hilary Hahn in der Tonhalle beim Konzert der Freunde und Förderer spielen wollte, eine „Sternstunde“ würde es für mich bestimmt werden.

Ich bin keine Musikkritikerin und möchte hier auch keine Rezension verfassen. Ich konnte auch gar nicht mitschreiben, weil ich bereits nach drei Takten mit den Tränen kämpfte, da Hilary die Geige so hoch und klar und sehnsüchtig singen ließ. Dabei weine ich nicht einmal bei Kitschfilmen, höchstens bei „Vom Winde verweht“.

Es sei allerdings verraten, dass Hahn das Konzert für Violine und Orchester von Johannes Brahms spielte begleitet vom HR-Sinfonieorchester unter Paavo Järvi. Das Stück dauerte 38 Minuten. Hilary Hahn und ihre Geige verschmolzen zu einem Wesen. Ihr Oberteil glitzerte und ihr Rock schwang mit der Melodie. In all ihrer musikalischen Perfektion wirkte sie unprätentiös, vergnügt und beinahe sportlich. Dort, wo Brahms „Zigeunermusik“ zitierte, hüpfte sie ein paar Schritte über die Bühne und man spürte ihr Temperament, das durch Disziplin geformt, eine zielgerichtete Kraft in den Saal verströmte. Die Geige sang, die Geige tanzte. Energie und Gefühl befanden sich genau im richtigen Mischungsverhältnis. Das Publikum war äußerst gespannt und still, es gab Momente, da blieben sogar die sonst unvermeidlichen Huster aus.

Doch plötzlich, viel zu schnell, war der Spuk wieder vorbei, die Tonhalle jubelte bravo und die Teufelsgeigerin bekam einen Blumenstrauß. Pause und Signierstunde. Im zweiten Teil brauste dann Bruckners dritte Symphonie (Ich habe nicht ganz verstanden, in welcher Fassung) über die Köpfe hinweg und die Bläser machten sich deutlich bemerkbar. Aber das übertönte nur die Leere vorne auf der Bühne, wo die Geigerin gestanden hatte. Denn Hilary war schon weg.

Aber zum Glück kann ich am 13. Mai ins Dortmunder Konzerthaus reisen: Dort gastiert Hilary Hahn, begleitet von dem Pianisten Cory Smythe, u.a. mit Werken von Schönberg, Schubert, Telemann.