Herzig und zuversichtlich: Wie der Kulturkanal arte über Dortmund berichtet

Auf den Kulturkanal arte halte ich größere Stücke. Wenn man sich denn aufs Medium Fernsehen einlässt, finden sich hier und bei 3Sat Inseln im Meer der Verdummung. Also habe ich mich jetzt gefreut, dass dort ein Film über Dortmund auf dem Programm stand.

Tatsächlich wurde da gelobhudelt, dass es nur so seine Art hatte und dem Lokalpatrioten schmeichelte. Die hauptsächliche Botschaft des 25 Minuten langen Films: Es gebe in ganz Deutschland wohl keine andere Stadt, die nach Krisen und Katastrophen so oft wieder aufgestanden ist wie Dortmund. Ein idealer Ort also für den Fünfteiler „Eutopia“ über Zukunftsvisionen in Europa, der außerdem nach Krakau, Toulouse, Maastricht und Tallinn führt.

Sarah Schill spricht mit dem Dortmunder Filmemacher Adolf Winkelmann (© Kick Film GmbH / Foto: SR)

Sarah Schill spricht mit dem Dortmunder Filmemacher Adolf Winkelmann (© Kick Film GmbH / Foto: SR)

Gewiss, es wurden auch kurz ein paar Probleme benannt. Schwieriger Strukturwandel, hohe Arbeitslosenzahlen, gesellschaftliche Verwerfungen in der Nordstadt, rechtsradikale Umtriebe. Doch der Grundtenor des Films war ungemein zuversichtlich, so dass der seit jeher hier wohnende Filmemacher Adolf Winkelmann in diesem Rahmen schon als kritischste Stimme gelten musste. Er findet seine Heimatstadt spannend, weil man hier so viel Wirklichkeit spüre wie kaum anderswo im Land, er zweifelt aber am Erfolg der gängigen Zukunftskonzepte.

Der Oberbürgermeister – wer hätte das gedacht?

Geradezu herzig wurde der Film durch die immer und immer wieder ins Bild gerückte Protagonistin: Sarah Schill, in den arte-Pressetexten meist nur liebevoll beim Vornamen genannt, hat alle fünf erwähnten Städte bereist und erzählt in der Ich-Form. Sie wird nicht müde zu betonen, wie sehr Dortmund sie interessiert und wie sie sich auf alle neuen Eindrücke einlassen will. Gefühlte 10 von 25 Filmminuten sieht man ihr allzeit neugieriges und frohgemutes Gesicht.

Sarah Schill radelt mit Dortmund Oberbürgermeister Ullrich Sierau am Phoenix-See (© Kick Film GmbH / Foto: SR)

Sarah Schill radelt mit Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau am Phoenix-See. (© Kick Film GmbH / Foto: SR)

Kaum ist sie in der Stadt angekommen, begibt sich Sarah Schill schnurstracks zum Kulturzentrum „Dortmunder U“ und umarmt zur Begrüßung die Sprecherin des Hauses wie eine alte Freundin. Es ist eine Kronzeugin für Dortmunds Aufbruch zu neuen Ufern. Hingegen kommt kein Kritiker des finanziell ins Schlingern geratenen Großprojekts zu Wort. War’s etwa ein Bericht am Gängelband der Stadtpressestelle?

Nun gut, der Beitrag wurde im arte-Nachmittagsprogramm (Mittwoch ab 15.55 Uhr) versendet, da verlangt man vielleicht keine Höchstleistungen. Man möchte aber auch nicht für dumm verkauft werden. Sarah Schill begegnet beim Radeln rund um den neu angelegten Phoenix-See (der auch nicht nur Befürworter hat) einem Herrn in den mittleren Jahren, der offenbar recht kundig für das Renommier-Gewässer wirbt. Woher er sich denn so gut auskenne, möchte Sarah Schill wissen. Nun, er sei einmal Planungsdezernent gewesen und jetzt sei er Oberbürgermeister. Gestatten, Ullrich Sierau, SPD. Nein, wie überrascht sich Sarah Schill da zeigt. Der Oberbürgermeister! Ja, wer hätte das gedacht? Vielleicht die Redaktion, die das Radlertreffen doch wohl von langer Hand vorbereitet hat?

Übrigens: Am kommenden Sonntag ist in Dortmund nicht nur Europawahl, sondern es werden auch Kommunalwahlen abgehalten – und Ullrich Sierau bewirbt sich erneut um den OB-Posten. Ein Schelm, wer sich dabei was denkt.




Die Landkarte der wechselnden Launen – „Deutschlandreisen“ von Helmut Krausser

Was erwartet man, wenn ein Schriftsteller vier Lesetourneen absolviert hat und dann ein Buch „Deutschlandreisen“ nennt? Wahrscheinlich doch Anmerkungen über den oder jenen Landstrich und seine Bewohner, womöglich auch Sticheleien oder gar vernichtende Urteile über gewisse Gemeinden.

Diese Erwartungen enttäuscht Helmut Krausser gründlich. Die Städte, in denen der Autor zwischen 2006 und 2012 zu Gast war, stiften ihn nur selten zu substanziellen Bemerkungen an. Und so wird Augsburg kurz abgefertigt, gibt es einen Ulk über Ulm, wird Stuttgart achtlos gestreift, Heidelberg en passant behandelt, Freiburg kurzerhand als belanglos abgetan. Köln ist hässlich, die Leute dort sind aber freundlich und bei Lesungen allzeit lachbereit. In Nürnberg läuft nichts Vernünftiges im Kino, Dresden findet der Autor kulissenhaft, Flensburg zauberhaft, Lübeck ist recht schön, weckt aber den Unmut über Thomas Mann. Und so weiter. Die Schönheitstrophäe trägt übrigens Potsdam davon. Und auch Wismar ist schmuck.

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Oft fällt Krausser zu den Städten lediglich ein, ob sie mit seiner eigenen Publikations- oder Aufführungsgeschichte zu tun haben. Beispiel: „Eisenach: Hier wurde nie etwas von mir aufgeführt, und es regnet. Wartburg durcheilt, Bachhaus gegrüßt, Lutherhaus links liegengelassen…“ Ein passender Titel für weite Strecken des Textes wäre gewesen: „Auf Ego-Trip durch Deutschland“. Nach der Lektüre ließe sich eine Landkarte der wechselnden Launen zeichnen. Der Klappentext erweist sich jedenfalls als Geflunker: „Krausser charakterisiert Städte aufmerksamer und sensibler als andere Autoren ihre Romanfiguren.“ Es sei denn, wir redeten von Heftchenromanen.

Doch natürlich erschöpft sich das Buch nicht darin. Krausser streut Kapitel aus seinen Münchner Poetik-Vorlesungen ein, die vom Pathos-Begriff handeln. Arg verkürzt gesagt: Angesichts grassierender Ironie solle man ruhig wieder mehr Pathos riskieren. Nicht zu viel nachdenken, keine Angst vor Kitsch haben, in allen Künsten lieber tonal, narrativ und figürlich schaffen als abstrakt. Darüber ließe sich immerhin debattieren.

Zwischendurch gibt’s häufig wohlfeile Rezensentenschelte, vor allem gegen die – so Kraussers Sicht – Dilettanten der landläufigen Opernkritik. Oder gleich ganz pauschal: „Im Journalismus sucht man gereifte Menschen leider oft vergeblich. Man gerät an böse, frustrierte, tyrannische Kinder, die glauben, ihnen gehöre die Welt.“

Vor allem nimmt es Krausser der Kulturjournaille übel, dass sie von seinem Buch über den nahezu vergessenen Komponisten und Puccini-Zeitgenossen Alberto Franchetti kaum Notiz nimmt oder es nicht als Entdeckertat würdigt. Furor auch auf diesem Felde. Über „Florian I.“ (Illies) heißt es: „Wie winzig er ist. Ich könnte auf ihn treten und sagen, es war ein Versehen.“ Und die „Zeit“ gilt ihm sowieso in Bausch und Bogen als pesudointellektuelles Revolverblatt.

Krausser selbst erlaubt sich steile Thesen und grässlich ignorante Urteile etwa über Brahms, Claude Chabrol, Bob Dylan oder Thomas Bernhard („Kaum ein Satz von diesem Homunculus, der nicht nach Scheiße schmeckt. Ein unglaublich dummer, ekelhafter Proll.“) und versteigt sich zu einem derartigen Satz ohne jede historische Rücksicht: „Irgendwann wird dieses von Schönberg und Konsorten ausgehende Intermezzo der Musikkultur von der Zukunft als gewissermaßen geisteskranke Zeit bezeichnet werden.“ Gewissermaßen. Geisteskrank. Der Ton macht die Musik.

Wir müssen uns aber wohl nicht darüber grämen, dass Ernst Jünger und Céline zu Kraussers literarischen Leitsternen zählen. Das politisch gegen ihn zu wenden, wäre sicherlich ungerecht. Auch Hemingway, Bukowski, Fallada, Friedo Lampe und Robert Gernhardt gehören ja erklärtermaßen in diese Reihe. Dass Krausser im Faschismus eine revolutionäre Idee sieht, die „nicht einfach als Biertischhybris sadistischer Idioten abgetan werden kann“, könnte allerdings schon Widerworte auslösen. Über Grass’ „Blechtrommel“ und deren Hauptfigur Oskar heißt es sodann: „Unerträglich. Heute geht dieses Gör wohl jedem auf die Nerven in seinem angemaßten Gutmenschentum.“ Dieses diffamierende Wort hat noch gefehlt. Und nach all dem fragt sich Krausser: „Warum polarisiert mein Werk?“ Ja, warum nur?

Aber hören wir auf damit, bevor Krausser auch hier gleich wieder eine Gedankenpolizei am Werk sieht, die seine schöpferischen Energien verkennt. Sein Buch enthält – neben mancherlei Ressentiments – denn auch durchaus anregende Passagen und Gedanken, die einem nachgehen. Hier eines von etlichen Beispielen, in denen Wahrheit und Weisheit walten und bei denen er sich nicht auf der Klaviatur vergreift: „…jeder macht, sofern er kann, mehr aus sich, als er ist, das ist begreiflich vor dem Nichts, das uns erwartet.“ Wo Krausser so ruhig und abgeklärt spricht, überzeugt er mehr als mit allem Geschrei.

Helmut Krausser: „Deutschlandreisen“. DuMont Verlag, 302 Seiten, 19,99 Euro.