Festspiel-Passagen X: „Tannhäuser“ in Bayreuth – Keine Erlösung aus dem System

Wichtig für das Funktionieren der Wartburg-Gesellschaft im Bayreuther "Tannhäuser": der "Alkoholator" in Joep van Lieshouts Bühnen-Installation. Für das Publikum eine Provokation. Foto: Enrico Nawrath

Wichtig für das Funktionieren der Wartburg-Gesellschaft im Bayreuther „Tannhäuser“: der „Alkoholator“ in Joep van Lieshouts Bühnen-Installation. Für das Publikum eine Provokation. Foto: Enrico Nawrath

Wieder einmal funktioniert die „Werkstatt Bayreuth“. So war die Erwartung 2011, als Sebastian Baumgartens neue „Tannhäuser“- Inszenierung den „Grünen Hügel“ und die Wagner-Welt in Aufregung versetzte. Immerhin ist Baumgarten einer der Vordenker des (Musik-)Theaters in Deutschland.

Und der Dirigent der damaligen Premiere, Thomas Hengelbrock, steht für eine kompromisslose Sicht auf die Musik, nicht nur in ihrem von den Schlacken der Interpretationsgeschichte gesäuberten Text, sondern auch in den aufführungstechnischen Bedingungen ihrer Entstehungszeit. Dazu kommt die Bühne von Joep van Lieshout, der mit seinem „AVL“-Atelier in Rotterdam und seinem utopischen Kunstprojekt „AVL-Ville“ alles andere als einen exklusiven zeitgenössischen Formalismus oder Ästhetizismus vertritt.

Dass es dann ganz anders kam und drei Jahre nach dem Premieren-Aufreger ein müder Abschied von dieser „Tannhäuser“-Episode ansteht, ist bedauerlich, aber zu erklären. Der Grund ist nicht das Publikum, auch wenn die „Buh“-Rufer nach wie vor eine starke Fraktion stellen. Die Bayreuther Wagner-Pilger haben schon ganz andere Provokationen weggesteckt und – von Wieland Wagner über Patrice Chéreau bis Christoph Schlingensief – sogar zu bewundern gelernt. Der Grund liegt darin, dass Sebastian Baumgarten der „Hölle des Interpretationstheaters“ entkommen wollte und im Orkus des postdramatischen Erklärtheaters gelandet ist.

Dabei war die Idee brillant: Ganz im Sinne Joep van Lieshouts eine hermetische Gesellschaft agieren zu lassen, die inmitten ihrer alltäglichen Lebensverläufe ein rituelles Stück namens „Tannhäuser“ aufführt. Daher die offene Bühne und die Aktionen vor „Beginn“ des Stücks und während der Pausen, zu denen auch die Parodie einer heiligen Messe gehörte – mit Heine-Texten aufs Deutschlandlied, einem persiflierten „O Haupt voll Blut und Wunden“ und einem Lob auf „Apoll und Dionysos“. Passend auch der Raum van Lieshouts: eine Halle voller Tanks und Maschinen, bestimmt zur autarken Selbstversorgung der Wartburg-Gesellschaft. Ein in sich geschlossenes System, zu dem auch der Venusberg gehört.

Monochrom: der "Venusberg" im Bayreuther "Tannhäuser". Foto: Enrico Nawrath

Monochrom: der „Venusberg“ im Bayreuther „Tannhäuser“. Foto: Enrico Nawrath

Im Keller der rationalen Bewirtschaftungsräume hausen vorgeschichtliche, äffische Triebwesen in monochromem Rotlicht, das alle Farben erstickt. Und Frau Venus ist die mütterliche Verwalterin. Sie sieht ein bisschen aus wie Mathilde Wesendonck, die sich auf eine Party der Gesellschaft der Freunde Bayreuths verirrt hat (Kostüme: Nina von Mechow). Dass sie am Ende ein Kind kriegt, das zum Erlösungs-Preisgesang des Schlusschores herumgereicht wird, ist kein Bruch. „Ein Kind ist uns geboren …“ möchte man unwillkürlich die weihnachtliche Weise auf die Lippen nehmen.

Nur: Trotz der Video-Maria, die in der Inszenierung immer wieder in den Hintergrund projiziert wird, glaubt niemand, wohl am allerwenigsten das Regieteam, an einen Erlöser. Sondern eher an ein (irreguläres?) Produkt der biologistischen Reproduktionsmaschinerie, die in Christopher Kondecks Videos – mit Spermienangriffen, Bakterien-Fressattacken und Zellteilungen – von innen ausgeleuchtet wird.

Gang ins Gas als Rückzug aus der Gesellschaft

Keine Erlösung, auch nicht durch oder für Elisabeth, die eigentliche Außenseiterin in diesem „Tannhäuser“. Camilla Nylund muss sich händeringend auf einem Steg über oder mit großen Stummfilmgesten in die Schar der Wartburg-Hörigen werfen. Dass sie am Ende ins Biogas geht, hat 2011 ungeheuer provoziert, liegt aber genau in der Konsequenz dieser hermetischen, menschlichkeitsentkleideten Welt.

Schon Vera Nemirova realisierte in ihrem durchdachten Frankfurter „Tannhäuser“ einen von Wolfram von Eschenbach assistierten Suizid. In Bayreuth entzieht sich Elisabeth mit dem Gang in den Gastank – und Wolfram drückt den Sicherungshebel herab und macht ihre Entscheidung unumkehrbar: Auch er teilt das Konzept Elisabeths einer Liebe jenseits venerischer Niederungen und wartburgischer Erhebung nicht; er besingt lieber den Abendstern als entferntes Objekt entsagungswilligen Schmachtens.

Auch wenn es nicht so scheint: Baumgartens Inszenierung trifft Grundintentionen Wagners und versucht, sie über das Konfliktfeld des christlichen Manichäismus hinaus zu aktualisieren. Dass der kühne Wurf nicht gelungen ist, liegt jedenfalls nicht an der gedanklichen Vorarbeit. Es liegt vor allem an der hermetischen Art des postdramatischen Theaters. Mit ungeheurem Einsatz von Gehirnschmalz von Dramaturgen und Regisseuren zu reibungslosem Lauf geschmiert, gleitet es dennoch an den rezeptiven Organen auch des aufgeschlossenen Mitakteurs im Publikum vorbei. Mit gewaltigem Aufwand von Signalen, Chiffren und Bildern versucht es die Synthese von Vorlage, kreativem Zugriff und aktiver Rezeption – und scheitert oft genug an der fragilen inhaltlichen Gespinst von nachvollziehbaren Mustern und privaten Mythologien und Obsessionen der „Macher“, an ihren biografisch verschlüsselten Bildwelten oder ihrer assoziativen Fantasie.

Bayreuth: Torsten Kerl als Tannhäuser. Der Tenor stammt aus Gelsenkirchen. Foto: Jörg Schulze

Bayreuth: Torsten Kerl als Tannhäuser. Der Tenor stammt aus Gelsenkirchen. Foto: Jörg Schulze

Mit Frank Castorfs „Ring“ ist derzeit in Bayreuth ein Beispiel dafür zu erdulden. Und Sebastian Baumgartens „Tannhäuser“ ist – im Verbund mit van Lieshouts „Technokrat“-Landschaft – an seinem Erklärungsbedarf zerschellt. Genau das ist auch der Unterschied zu Castorfs Arbeit: Die geniert sich nicht einmal mehr, die Streifzüge assoziativer Fantasie auszustellen und mit einem Zug ins Wollüstig-Zynische dem Zuschauer zum Fraß vorzuwerfen.

Baumgarten arbeitet strenger, stringenter, deswegen aber nicht theatralischer. Denn an der Frage nach der Funktion und den Grenzen von Theater entscheidet sich, ob Baumgartens Entwurf als „gescheitert“ anzusehen ist. Aber vielleicht ist angesichts der ökonomischen Zwänge des Theaters heute und der damit verbundenen Rückkehr zum widerstandslosen Konsumangebot eine solche Debatte nur noch in elitären Kreisen relevant?

Gebrochen ist auch der Wille zur klangsinnlichen Neuentdeckung der „Tannhäuser“-Partitur: Hengelbrock am Hügel, das ist Geschichte, nicht zuletzt, weil es nicht funktionierte. Axel Kober, GMD der Deutschen Oper am Rhein, macht im Abgrund keinen mystischen, sondern einen sehr klar strukturierten Job. Auch er durchleuchtet Wagners Webmuster auf relevante Einzelstimmen hin, will durch feinnervigen Klang und gemäßigte Dynamik den Bezug Wagners zur deutschen romantischen Oper, aber auch das innovative Potenzial der Komposition freilegen. Das gelingt, weil Kober auf übertriebene Tempi verzichtet und dem Mischklang kein Kainszeichen aufdrückt. Dass es mit der Balance zwischen Bühne und Graben im zweiten Aufzug hapert, das Finale zu zerfallen droht, mag auch mit der  Aufstellung der – wie stets ausgezeichneten – Chöre Eberhard Friedrichs zu tun haben.

Camilla Nylund als Elisabeth. Foto: Jörg Schulze

Camilla Nylund als Elisabeth. Foto: Jörg Schulze

Bei den Sängern verteilen sich Licht und Schatten gleichmäßig: Auch Torsten Kerl, der untadelige Tannhäuser, hat seine Probleme, wenn er die Höhe mit einem druckvollen Ansatz in präsent und hell klingender Maske bildet, aber den Klang damit raumlos eng beschneidet. Markus Eiche singt einen freien, im Piano allerdings fragwürdig verflachenden Wolfram. Kwangchul Youn ist ein stimmgewaltiger Landgraf ohne Noblesse. Camilla Nylund ist nach wie vor eine engagierte, berührende Elisabeth mit subtil abgeschatteten Piano-Momenten, in der jubelnden Emphase etwa der „Hallen-Arie“ diesmal mit einem aufgerauten Vibrato, das vielleicht der Tagesform geschuldet ist. Michelle Breedt kann als Venus mit ihren eng geführten Tönen nach wie vor nicht überzeugen; Katja Stuber bringt die wenigen Sätze des Hirten mit sympathischem Leuchten über die Rampe.

Wenn wir eines aus dieser unglücklichen Inszenierung mitnehmen, dann dies: Baumgarten hat in seiner in sich geschlossenen Wartburg das Ende innergesellschaftlicher Perspektiven gespiegelt. Erlösung kann nur von außen kommen: Eine Erkenntnis, die auch Wagner von den „Feen“ bis zum „Parsifal“ umgetrieben hat.




Lars Vilks „Nimis“: Kunstwerk aus Treibholz reizt seit Jahrzehnten die Staatsmacht

Wer kann schon von sich erzählen, dass er während einer Reise durch den Norden Europas in vier Ländern und vier Hauptstädten gewesen sei, er sich aber nur in zwei staatlichen, vollorganisierten Gebilden aufgehalten habe. Ja, das geht!

Man reist durch Schweden, besucht Stockholm, durchfährt Schonen und trifft am Kullaberg auf Ladonien und Nimis, dehnt die Fahrt auf Dänemark und Kopenhagen aus und streift dort durch ein Lebensquartier mit Namen „Christiania“ mit der Hauptstadt gleichen Namens.

Schweden und Dänemark sind ja den meisten durchaus ein Begriff, „Christiania“ ist jedem ein solcher, der Hippies, Hanf und Hausbesetzer noch in die ihnen zugeordneten Schubladen einsortieren kann. Ladonien hingegen kennen nur Kenner – und seit einer ausgedehnten Fahrt durchs schwedische Schonen auch ich. 1980 begann dort im Naturschutzgebiet Kullaberg in einer vom Festland aus schwer zugänglichen (oh ja) Bucht der Künstler Lars Vilks Treibholz zu sammeln und es mit unzähligen Nägeln zu einer bekletterbaren Monsterskulptur zu zimmern.

Sehr zur ungnädigen Wahrnehmung der örtlichen Behörden, die in dem artifiziellen Hammerschlag-Puzzle ein Gebäude witterten, was in einem naturgeschützten Gelände nicht sein darf. Das dem Gotte Thor vorbehaltene Schlaginstrument senkte sich also büokratischerseits über Lars Vilk, dem nun das zuteil wurde, was er vermutlich billigend in Kauf nahm: eine allerseits wachsende Aufmerksamkeit.

Behördlich wurden nun salvenweise Abrissverfügungen auf den Freiluftildhämmerer abgefeuert, die er mit wachsendem Fleiß und ständig neuen Ausbauten seiner Kunst, der inzwischen der Name „Nimis“ gegeben worden war, was aus dem Lateinischen hergeleitet wird und so viel wie „zu viel“ bedeutet.

Zwischenzeitlich, als Lars Vilks Fleißarbeit 15 Tonnen wog, hatte ein behördentreuer Stifter einen Brand gelegt, der große Teile von „Nimis“ einäscherte, was Lars Vilks Eifer aber zusätzlich befeuerte und ihn antrieb, beim Wiederaufbau die ursprüngliche Tonnage noch zu übertreffen. Um es vor dem unmittelbar bevorstehenden amtlichen Zugriff zu schützen, verkaufte er „Nimis“ an seinen Freund Joseph Beuys und nach dessen Tod an die Weltverhüller Christo und Jeanne Claude.

1996 trieb Lars Vilk den Kampf gegen Schonen und Schweden auf die Spitze, rief den Microstaat Ladonien aus, abgeleitet von Ladon (griechisch), einem mythologischen Drachen. Zuvor hatte er mit der Arbeit an „Arx“ (Festung) begonnen, einer wuchtigen Steinskulptur, zu der sich 1999 der 1,61 Meter hohe „Omphalos“ gesellen sollte.

Nun mussten sich Polizei und Ämter nicht nur mit „Nimis“ herum plagen, sondern auch noch „Arx“ (Das ist ein weiteres, nennenswertes Kunstwerk in der Nähe von Nimis in Form einer Skulptur aus mit Beton zusammengehaltenen Steinen, die ein abstraktes Buch verkörpern. Es wiegt 150 Tonnen, hat 352 Seiten und wurde sogar 1993 im schwedischen Verlag Nya Doxa veröffentlicht. Arx bildet den zweiten Teil der Verfassung Ladoniens.) und „Omphalos“ gesetzlich zu bekämpfen. Lars Vilk wurde schließlich verdonnert, „Omphalos“ in geeigneter Weise zu beseitigen, die beiden anderen Kunstwerke blieben allerdings verschont, bei denen hatte der Staat aufgegeben.

Zum 100. Geburtstag des Friedensnobelpreises am 10. Dezember 2001, so schlug Lars Vilk in der Folge vor, könne er ja „Omphalos“ in die naturgeschützte Luft der Skagerag-Küste jagen (natürlich mit Nobel’schem Dynamit), was amtlicherseits wenig Beifall fand. Dafür wurde ein Beschluss gefasst, der strengstens geheim gehalten wurde – und „Omphalos“ von staatssicherheitlichen Einheiten am 9. Dezember 2001 entfernt. Dabei nahm die Skulptur, die inzwischen an den Künstler Ernst Billgren verkauft war, Schaden, was den neuen Besitzer gehörig empörte. Er schenkte die vernarbte Kunst aber postwendend dem Moderna Museet, wo sie noch heute ausgestellt wird.

Der listige Lars Vilk ersuchte nun um die Erlaubnis, dem verlorenen Kunstwerk ein Denkmal setzen zu dürfen, die er auch erhielt, nur dürfe dieses Denkmal nicht höher als 8 Zentimeter groß sein. Das Kunstwerk-Denkmal wurde am 27. Februar 2002 seiner Bestimmung feierlich übergeben. Und der ungleiche Kampf endete mit der stöhnenden Aufgabe von Seiten der staatlichen Gewalt.

Ladonien existiert nach wie vor. Es fand seine Hauptstadt in „Wotan“, einem separat stehenden Turm des Gesamtkunstwerkes. 15.000 Einwohner ergab der jüngste Micozensus, allesamt Nomaden und nicht in Ladonien sesshaft. Die Landesflagge ist gekennzeichnet durch ein grünes Kreuz auf grünem Grund (für Grün-Fehlsichtige wird bisweilen auch das Kreuz mit zarten Weißstrichen in lybische Grün gemalt. Für 12 US-Dollar kann man sich einen Adelstitel beschaffen, Ministerien gibt es auch, Steuern werden in Form von Kreativität erhoben.

Ich könnte ja jetzt angeben und sagen: „Muss man gesehen haben!“ Hab‘ ich aber nicht, jedenfalls nicht mit eigenen Augen. Yannic, jung und enorm behende, kraxelte für mich durch „Nimis“, bestaunte den ungewöhnlichen Mut schwedischer Eltern, die es zuließen, dass geschätzte 12-Jährige Türme erklommen, die nicht einmal er bezwang und schwärmte noch lange von dem Kunstwerk, das über Jahrzehnte Heerscharen von Amtsgewaltigen beschäftigte.




TV-Nostalgie (25): „Am laufenden Band“ – Als Rudi Carrell das Fernsehen in Schwung brachte

Rudi Carrell in der Sendung vom 25. April 1976. (Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=zgADLE9zduU)

Rudi Carrell in der Sendung vom 25. April 1976. (Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=zgADLE9zduU)

Dass Rudi Carrells phänomenaler ARD-Fernseherfolg „Am laufenden Band“ ein Produkt der 70er Jahre war, merkt man an manchen Einzelheiten sehr deutlich.

Dies alles war beispielsweise in der Ausgabe vom 25. April 1976 zu erleben, die jetzt noch komplett im Internet zu besichtigen ist: Showmaster Rudi Carrell trägt zeittypische Schlaghosen. Bei einem Kreativspielchen wird die arabische Sprache derart wüst parodiert, wie dies heute kaum noch öffentlich-rechtlich denkbar wäre.

Spiel mit den Geschlechterrollen

Und weiter: An etlichen Stellen der Sendung wird klar, wie festgelegt die männlichen und weiblichen Rollenmuster immer noch gewesen sind. Ein neckisches Rollentausch-Spiel, bei dem die Frauen in die Kneipe und die Männer in die Küche gehen, bezieht sich direkt darauf. Jetzt ebenfalls nicht mehr im Fernsehen denkbar: Um Männlichkeit zu markieren, sollen die Frauen beim selben Spiel Zigarren paffen. Und die Kandidaten müssen dressierte Elefanten dazu bringen, auf die Knie zu gehen. Heute gäb’s in solchem Falle heftige Tierschützerproteste.

Lockerer als die Kollegen

Nun gut. Das alles ist rund 40 Jahre her, die Show mit Rudi Carrell (1934-2006) startete am 27. April 1974 und lief (in 51 Folgen à 90 Minuten) bis 1979. Der Holländer brachte damals frischen Wind in die deutsche TV-Unterhaltung. Carrell war ungleich lockerer als fast alle Kollegen hierzulande. Er wusste wahrlich, wie man eine große Live-Sendung über die Runden schaukelt, der langjährig erfahrene Entertainer beherrschte alle Kniffe.

Was hat denn nur das Häschen zu bedeuten? Die möglichen Gewinne ziehen am 25. April 1976 am siegreichen Kandidaten auf dem Fließband vorüber. (Screenshot aus: Rudi Carrell in der Sendung vom 25. April 1976. (Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=zgADLE9zduU)

Was hat denn nur das Häschen zu bedeuten? Die möglichen Gewinne ziehen am 25. April 1976 am siegreichen Kandidaten auf dem Fließband vorüber. (Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=zgADLE9zduU)

Allerdings soll der Perfektionist die Mitarbeiter hinter den Kulissen oft ziemlich geschurigelt haben. Da hat wohl auch der an sich liebenswerte Akzent des Mannes aus Alkmaar schon mal etwas anders geklungen.

Improvisation war gefragt

Von Quiz und sonstiger Wissensabfrage hielt Rudi Carrell überhaupt nichts. Er zog Spiele vor, bei denen die Kandidaten Improvisationstalent beweisen mussten. Damals war das nicht gerade die auffallendste „deutschen Tugend“. Körperlicher Einsatz bis zur Slapstick-Grenze kam oft hinzu. In manchen Momenten kann man sich heute noch vor Lachen kringeln. Es ist wie ein munterer Kindergeburtstag.

So mussten in der erwähnten Sendung von 1976 aus dem Stegreif Reden eines Standesbeamten gehalten werden. Vorgabe-Motto: „Die Ehe ist wie eine Reise“. Oder wie ein Märchen. Auch galt es, in amüsanten Spielszenen spontan den Klang verschiedener Sprachen nachzuahmen – etwa beim „Witzeerzählen auf Chinesisch“.

Wer kann sich die Gewinne merken?

Fabelhaft übrigens, wie natürlich Rudi Carrell mit den Kandidaten umgeht – niemals von oben herab, stets entspannt. Da gibt es, wenn er die Leute von sich erzählen lässt, immer wieder ganz anrührende, authentische Momente – und das vor einem Multimillionenpublikum.

Der abschließende Clou der Sendung kommt schon im Titel vor. Am Ende sitzt der siegreiche Kandidat (oder die Kandidatin) vor dem Fließband, auf dem wirkliche und symbolische Gewinne rasch vorüberziehen. Er kriegt nachher nur das, was er sich so schnell merken und dann binnen 30 Sekunden aufsagen kann. Oje, oje: Da hat die Aufregung so manches Mal den Lohn der vorherigen Mühe verringert.

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“Man braucht zum Neuen, das überall an einem zerrt, viele alte Gegengewichte.” (Elias Canetti)