Klug und beschwingt: „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ in Bochum

Hier droht ein Nervenzusammenbruch. Szene mit (v.l.) Sabine Osthoff (Candela), Anna Döing (Marisa), Bettina Engelhardt (Pepa) und Matthias Eberle (Carlos). Im Hintergrund Katharina Linder (Lucia). (Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum)

Hier droht ein Nervenzusammenbruch. Szene mit (v.l.) Sabine Osthoff (Candela), Anna Döing (Marisa), Bettina Engelhardt (Pepa) und Matthias Eberle (Carlos). Im Hintergrund Katharina Linder (Lucia). (Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum)

Der langjährige Lebenspartner hat sich per Anrufbeantworter verabschiedet und das gemeinsame Apartment verlassen. Außerdem stellt sich heraus, dass er vorher verheiratet war und Vater ist. Und die Neue ist die Anwältin seiner Ex und nach eigenem Bekunden Feministin. Hemmungslos nutzt Iván, dieser Lump, die Frauen aus, mit ein paar belanglosen Worten – „Blablabla“ – bricht er scheinbar Mal für Mal mühelos ihren Willen.

Das wäre in Kürze die Grundkonstellation des Stücks, einer Beziehungskomödie ganz offenbar mit Neigungen zum politisch Unkorrekten und zu gewissen Schlüpfrigkeiten. Oder doch eher eine Tragödie? Gegeben wird im Bochumer Schauspielhaus das Musical „Frauen am Rande des Nervenbruchs“ nach dem gleichnamigen Film von Pedro Almodóvar aus dem Jahr 1987.

Wie dem spanischen Filmemacher, so ist auch Regisseurin Barbara Hauck vor kräftigen Klischees nicht bange. Den Hauptpersonen begegnen wir deshalb gleich zu Beginn natürlich beim Friseur, wo sie unter Trockenhauben sitzend bunte Magazine lesen und geziert Espresso trinken. Lucía (Katharina Linder), Candela (Sabine Osthoff) und Marisa (Anna Döing) entsprechen den gängigen Weibchen-Mustern voll und ganz, wackeln beim Gehen heftig mit dem Hintern und tratschen alles in Grund und Boden.

Pepa (Bettina Engelhardt), die aktuell Verlassene, lernen wir ein wenig später kennen, wenn sie das gemeinsame Apartment (weiter hinten, weiter oben auf der Bühne) verlassen vorfindet. Und an wieder anderer Stelle sehen wir bald schon das junges Paar Marisa und Carlos (Matthias Eberle), das endlich eine eigene Wohnung haben will und deshalb seine „klammernde“ Mutter (Lucía) samt gemeinsamer Wohnstätte loswerden muss.

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Stefan Hartmann (Ambite), Katharina Linder (Lucia), Bettina Engelhardt (Pepa), Lou Zöllkau (Ana Cristina), Nicola Mastroberardino (Taxifahrer). (Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum)

Die häufigen Wechsel der Handlungsstränge und Spielorte bewältigt diese Inszenierung mit einem Bühnenbild aus Plattformen, die sich nach Bedarf heben und senken und auf denen die Szenen spielen. Treppen verbinden sie (Bühne: Mara Henni Klimek).

Auch die Musiker sitzen auf einer Plattform und verschwinden deshalb ab und zu im Untergrund. Requisiten schweben bei Bedarf vom Schnürboden herab, Telefonhörer vor allem, zudem Verkehrsschilder und Ampeln, wenn als Spielort die Stadt Madrid gemeint ist. Dann kommt auch einige Male der launige Taxifahrer (Nicola Mastroberardino) ins Spiel, ein großer Kundinnenversteher mit gut sortiertem Notfallsortiment.

Das Auf und Ab der Ebenen strukturiert die aufgekratzte Handlung sinnvoll, ohne deshalb dem Tempo zu schaden. Einige Male ergeben sich dabei zudem so erstaunliche Perspektivwechsel, dass man vermeint, dreidimensionalen Kamerafahrten beizuwohnen.

Kinofilme auf die Theaterbühne zu bringen, ist in den letzten Jahren Mode geworden, die Qualität der Resultate schwankt. Diese „Frauen am Rande des Nervenbruchs“ allerdings wurden nicht in Bochum adaptiert, sondern stammen von den Amerikanern Jeffrey Lane (Buch) und David Yazbek (Musik und Liedtexte). Sie machten aus Almodóvars Film ein veritables Broadway-Musical, das 2010 in New York seine Uraufführung erlebte. Deutschsprachige Erstaufführung war 2012 in Graz. Aber natürlich verleugnet dieses Bühnenstück seine filmische Vorlage keineswegs, und in Bochum pointiert es sie sogar.

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Veronika Nickl (Paulina), Michael Schütz (Ivan). (Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum)

Der weltweite Erfolg von Amodóvars wahrscheinlich bedeutendstem Film liegt gewiss weniger im Gang der Handlung als in einer ungewöhnlichen Empathie und im Perspektivwechsel. Almodóvar hält zu den Frauen, zu allen, die hier vorkommen, er spielt sie nicht dramaturgisch gegeneinander aus. Und er zeigt, dass sie nicht wehrlos sind.

Wahrscheinlich stimmt es ja, dass das treulose und zynische Gebaren Iváns (Michael Schütz) sie eher an den Rand des Nervenzusammenbruchs als zum Griff nach dem Revolver treibt. Doch einerseits, das demonstriert die in die Handlung eingebaute Terroristenfahndung mit schusswaffenfuchtelnden Fahnderdeppen, wären Pistolen wohl auch keine Lösung. Andererseits entwickeln die von Iván betrogenen Frauen schließlich doch ein gewisses gemeinsames Selbstverständnis, aus dem Stärke erwächst, ein zartes Pflänzlein, für das das Wort Solidarität noch zu stark wäre. Aber immerhin.

Die Gesangsdarbietungen vermögen nur begrenzt zu überzeugen. Trotz Mikroports bleibt viel Text unverständlich, und angesiedelt irgendwo zwischen 60er-Jahre-Kino und Webber-Musical strotzen die Melodien nicht unbedingt vor Originalität. Immerhin jedoch singen Bochumer Theaterschauspieler besser als viele Kollegen anderer Revierbühnen.

Musiziert indes wird exzellent von einer (offenbar namenlosen) siebenköpfigen Kombo unter der Leitung von Tobias Cosler. Sie bringt eindrucksvoll auch die Ouvertüren vor und nach der Pause zu Gehör, die mit ihren manchmal schrillen Tönen auf moderat swingender Unterlage an das Weillsche Intro zur Dreigroschenoper denken lassen, die – ein Zufall? – sich dem Motiv der sexuellen Hörigkeit kaum weniger hingebungsvoll widmete als nun das Bochumer Almodóvar-Musical.

Anders als zum Beispiel Dortmund wählt Bochum zum Spielzeit-Auftakt die sichere Seite und verzichtet auf inszenatorische Experimente. Das ist nicht verwerflich. Diese „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ kommen erfrischend leicht daher, sind unterhaltsam, ohne seicht zu werden. Die gleichermaßen kluge wie beschwingte Einrichtung des Stoffs blendet tragische Valeurs keineswegs aus, ohne jedoch dem Publikum die Freude am Theaterbesuch zu nehmen. Wenn Pedro Almodóvar im Parkett gesessen hätte, wäre er wohl zufrieden gewesen.

Nächste Termine: 1. und 19. Oktober, 21. und 22. November 2014

http://www.schauspielhausbochum.de/spielplan/frauen-am-rande-des-nervenzusammenbruchs/




Vom Grauen des Krieges: Gelsenkirchen zeigt „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss

Gudrun Pelker (Amme) und die Kaiserin (Yamina Maamar (Foto: Karl Forster/MiR)

Gudrun Pelker (Amme,l.) und die Kaiserin (Yamina Maamar (Foto: Karl Forster/MiR)

Diese Oper ist eine in Töne gegossene Überforderung. „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss verlangt ein mit rund 100 Musikern besetztes Orchester samt Orgel, Glasharmonika, chinesischen Gongs, TamTams, Wind- und Donnermaschine, einem Bläserseptett hinter der Szene und zwölf Blechfanfaren.

Hinzu kommen fünf stimmgewaltige Solisten für die Hauptpartien, Chöre und Kinderchöre sowie zahlreiche Statisten. Maßlos auch in ihren musikalischen Anforderungen, wurde die Märchenoper zu Strauss’ Lebzeiten öfter abgesagt als aufgeführt. Jetzt hat Gelsenkirchens Musiktheater das Renommierstück auf seinen Spielplan gehoben. Mit einer zuvor bereits in Kassel gezeigten Inszenierung seines Intendanten Michael Schulz startet das Haus höchst ambitioniert in die neue Spielzeit.

In der Region war „Die Frau ohne Schatten“ zuletzt am Essener Aalto-Theater zu sehen. Fred Berndt ließ sie dort auf einer zeitlosen Drehscheibe im Zeichen des Yin und Yang spielen. Bei Michael Schulz wird der monumentale Dreiakter zum düsteren Kriegsstück, überschattet von seiner Entstehungszeit zwischen 1913 und 1917. Der Kaiser ist ein ganz realer Herrscher: Zu Stein wird er nicht so sehr deshalb, weil die Kaiserin keinen Schatten wirft – also keine Kinder bekommen kann – sondern durch die fortschreitende Brutalität, mit der er seinen Machtanspruch behauptet. Der Färber Barak und seine Frau mühen sich mit einem Berg von Militärmänteln ab. Der Hurra-Patriotismus des Volkes, das im ersten Akt noch fleißig Fahnen schwenkt, wird alsbald von deprimierender Not gedämpft.

Die Färberin (Sabine Hogrefe) träumt von einem besseren Leben (Foto: Karl Forster/MiR)

Die Färberin (Sabine Hogrefe) träumt von einem besseren Leben (Foto: Karl Forster/MiR)

Wer diesen Regie-Ansatz als Trittbrettfahrerei im aktuellen Gedenkjahr abtun möchte, hat indes Unrecht, denn die faszinierend enigmatische Parabel von der Menschwerdung gewinnt aus dieser Perspektive neue Bedeutung. Sie berührt Fragen, die aktuell geblieben sind: Wie sehr und aus welchen Gründen werden Kinder eigentlich gewünscht? In welcher Welt werden künftige Generationen groß? Die pazifistische Botschaft des Stücks wirkt durch diesen Ansatz nicht wie sonst wolkig und lebensfern, sondern quälend und dringlich.

Das lähmende Grauen, das von dem unsichtbaren Geisterfürsten Keikobad ausgeht, entspricht den Monstrositäten eines Krieges, der dem Verstand ähnlich unbegreiflich bleibt. Mag die Inszenierung auch ein paar Schwachstellen haben, wenn allzu ausgiebig an Wunden gelitten wird oder ein eher sinnfreies Stühlerücken anhebt, entlockt sie der Partitur Bilder, die mal tief berühren, mal mächtig an den Nerven rütteln. Ohne sich in der rätselhaften Symbolik des Werks zu verstricken, zeichnet sie den Weg zweier Paare nach, die wie in der „Zauberflöte“ harte Prüfungen bestehen müssen, um (wieder) zueinander zu finden.

Mit Bezug auf Mozart zitiert die Bühne von Dirk Becker zunächst den berühmten Schinkel-Sternenhimmel, der von einem zeltartigen Vorhang freilich recht lieblos verunstaltet wirkt. Dafür wird das zweite Bild zum großen Wurf: eine Halle aus Glas und Metall, in der Arbeit und Elend nahe beieinander liegen. Düster und transparent zugleich, birgt sie Türen, Treppen und eine Brücke. Geister- und Menschenwelt treffen hier aufeinander, und es fragt sich nicht selten, welche von beiden gruseliger ist.

Im Orchestergraben, es ist kaum zu glauben, schafft die Neue Philharmonie Westfalen tatsächlich die große Synthese, die Strauss in „Die Frau ohne Schatten“ anstrebte. Die unbarmherzige Wucht der Elektra, das schillernde Farbenspiel der Salome, die kammermusikalische Feinheit der Ariadne und sogar der melodische Reichtum des Rosenkavaliers entfalten sich unter dem verblüffend ruhigen, gestisch eher sparsamen Dirigat von Rasmus Baumann, der seiner Lieblingsoper selbst in den wuchtigsten Klangeruptionen eine Aura der Transparenz lässt. Die klangliche Überfrachtung der Partitur wird so zum vielschichtigen, aufregenden Erlebnis.

Die zunehmende Brutalität des Kaisers (Martin Homrich) führt schließlich zu seiner Versteinerung (Foto: Karl Forster/MiR)

Die zunehmende Brutalität des Kaisers (Martin Homrich) führt schließlich zu seiner Versteinerung (Foto: Karl Forster/MiR)

Von den fünf kapitalen Hauptpartien sind die männlichen etwas schwächer besetzt als die weiblichen. Martin Homrich gibt dem Kaiser einen hellen, häufig unfokussiert flackernden Tenor mit einigen Intonationsproblemen. Urban Malmberg lässt seinen Bariton in der Rolle des Färbers Barak durchaus balsamisch strömen, kann im finalen Jubel aber keine Reserven mehr aktivieren. Das sieht bei den Sängerinnen anders aus: So keifend Sabine Hogrefe als Färberin auch ihrer Frustration Luft macht, so besitzt sie am Ende noch genug Kraft für den Wandel zu glühender Reue. Gudrun Pelker lässt die Stimme der Amme zwischen diabolischen Tiefen und schneidendem Kommandoton flackern, dass es manche Gänsehaut garantiert.

Und dann ist da noch Yamina Maamar: eine würdige Kaiserin, die von den erdenfernen Höhen des ersten Aktes an zu Tönen einer wachsenden Empathie für alles Menschliche findet. Da setzt sich eine Wärme durch, ein mitfühlendes Wissen, aus dem heraus die Kaiserin lieber auf ihr persönliches Streben nach Glück verzichtet, als zwei ohnehin geschundenen Menschen die letzte Chance darauf zu nehmen. Unerwartet, wahrscheinlich für sie selbst überraschend, schüttet diese große Frau das vermeintlich rettende Wasser des Lebens weg. „Ich will nicht“: Diese drei leisen Worte des Verzichts führen letztlich zur Erlösung.

Es gibt noch fünf Folgetermine: 5. und 19. Oktober, 2. und 14. November, 13. Dezember. Informationen: http://www.musiktheater-im-revier.de/Spielplan/Oper/FrauOhneSchatten/