Udo Jürgens lebt nicht mehr – doch so vieles klingt noch nach

Udo Jürgens singt "Siebzehn Jahr', blondes Haar"... (Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=2-g7bDHHEnA)

Udo Jürgens singt „Siebzehn Jahr‘, blondes Haar“… (Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=2-g7bDHHEnA)

Irgendwie teilten wir uns allerlei im Leben. Obwohl er mir stets mit 15 Jahre voraus ging. Obwohl er „meine Musik“ nie machte, mochte ich vieles von dem, was er mit seiner Musik verbreiten wollte.

Udo Jürgens, der ewig jugendliche Musikant, der als Udo Jürgen Bockelmann zur Welt kam, der Mann, den ein glühender Antifaschismus befeuerte, der „sich für die Schweiz schämte“, als deren Bürger sich Anfang des Jahres 2014 mit knapper Mehrheit für die Vorstellungen der Eidgenössischen Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“ aussprachen, er starb jetzt, am 21. Dezember des selben Jahres: Im Alter von 80 Jahren wollte sein Herz nicht mehr schlagen.

Ich höre noch, wie Robert Lembke ihn grantelnd fragte, nachdem das Schweinderl schwerer geworden war und der Ratetrupp Udo Jürgens Namen lauthals ins Studio posaunt hatte: Er möge ihm doch verraten, warum er diese entsetzlich langen Haare trüge, er sei doch sonst ein richtig netter Kerl. Udo begann freundlich und geduldig dem älteren Robert zu erläutern, dass es nun mal Mode der Zeit sei und es ihm zudem wirklich gefiele. Er konnte Lembke nicht nachhaltig überzeugen, aber für einen netten Kerl hielt er ihn doch.

Ich höre noch, wie er zum ungeteilten Entzücken des Publikums in der Theateraula zu Kamen „Siebzehn Jahr‘, blondes Haar“ schmetterte und ich in einem Ausbruch von Leidenschaft den Takt mit dem rechten Fuß stampfte. Zurück in der Redaktion tippte ich als erstes die Überschrift: „Spät kam er nach Kamen, aber er kam und kam nicht zu spät“. Tags drauf maulte mein damaliger Chef Günter Schaumann, dass in Überschriften Satzzeichen nichts zu suchen hätten. Er sollte in den folgenden Jahren nicht der Letzte sein, der sich darüber mokierte.

Ich höre noch, wie es an meinem 50. Geburtstag aus den Disko-Lautsprechern bedauernd scholl: „Ich war noch niemals in New York …“ Noch ahnte ich nicht, dass ich ein paar Stunden später genau dorthin abheben sollte.

Ich höre noch Bing Crosby, wie er für den Titel „Come Share the Wine“ bejubelt wurde, der als „Griechischer Wein“ europäische Charts in Serie stürmte und den damaligen Oberhellenen Karamanlis bewegte, Udo Jürgens und seinen Texter Michael Kunze mit rotem Teppich zu empfangen, weil sie so schön emotional gespiegelt hätten, was Gastarbeiter aus ihrer Heimat in deutscher Ferne so bewegte.

Ich höre noch das „Ehrenwerte Haus“ oder „Rot blüht der Mohn“, nur zwei Beispiel-Melodien dafür, dass Udo Jürgens und seine Texter (u.a. Eckart Hachfeld) Politik und gesellschaftliche Probleme nicht aus ihrer Form der populären Musik heraushalten wollten.

Und ich höre noch heute gern „Viel Dank für die Blumen“, das Lied, das eine jede Folge „Tom und Jerry“ einleitete und dessen unübertroffene Fröhlichkeit das vorweg nahm, was kurz darauf an einem Feuerwerk des gezeichneten Slapsticks abgebrannt wurde.

Der unverwüstlich wirkende Udo Jürgens, dessen Bruder Manfred ein ungemein begabter Fotograf war, zu dessen Familie mütterlicherseits der Dadaist Hans Arp zählte, der mehr als 1000 Titel schrieb und gleich mehrere Generationen in seinen Bann zog; nun ist sein schöpferisches Leben beendet. Und vor wenigen Wochen schrieb mein Freund Lars Reckermann noch, wie sehr es sich gelohnt habe, sein letztes Konzert in diesem Jahr besucht zu haben.

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Für die Revierpassagen hat Britta Langhoff im November eines der letzten Konzerte von Udo Jürgens besucht – in Oberhausen.




Borussia Dortmund und die Sehnsucht nach dem gefestigten Mittelmaß

Hält man es mit Borussia Dortmund, so leidet man seit Wochen und Monaten – wie eigentlich noch nie in den letzten Jahrzehnten. Und das nach all den Freuden und Erfolgen der vorherigen Spielzeiten…

Gewiss, es gibt weitaus Wichtigeres als den Fußball. Geschenkt. Und klar, man kann das alles – vor allem von außen her – hochkomisch, süffisant oder hämisch betrachten. Doch verkennt man dann, was Fußball in Dortmund bedeutet, nämlich mehr als in jeder anderen deutschen Stadt, Gelsenkirchen wohl inbegriffen. Dort kommen, schon geographisch bedingt, prozentual mehr Fans aus angrenzenden Städten. Egal.

Bayerns onanistische Meisterschaft

Hat man anfangs noch meinen können, die Misere der Borussia liege vor allem an der mangelnden Chancenverwertung, also am Glücksfaktor, so muss man sich längst eingestehen, dass derzeit beim BVB richtig schlechter, ja zuweilen schon erbärmlicher und wahrhaftig abstiegswürdiger Fußball praktiziert wird, und zwar schlimmstenfalls vom gesamten Team. Sind das wirklich dieselben Spieler, die vor nicht allzu langer Zeit als Rivalen der Bayern gegolten haben? Die Münchner werden diesmal auf geradezu onanistische Weise die Meisterschaft einfahren.

Alles Krisengerede "für umme"? Schön wär's ja. (Foto: Bernd Berke)

Alles Krisengerede „für umme“? Schön wär’s ja. (Foto: Bernd Berke)

Nach und nach sind die vormals Verletzten zurückgekehrt, Nationalspieler zuhauf und auch ein paar – nun ja – „Weltmeister“. Doch die damit verbundene Hoffnung hat getrogen. Es hat sich nichts Grundlegendes geändert. Hie und da ein paar lichte Momente. Dann wieder Finsternis. Da kenne sich noch einer aus. Selbst die Fachleute in den Sportredaktionen rätseln hin und her.

Willkommene Winterpause

Wie gut, dass jetzt wenigstens Winterpause ist. Endlich Erholung vom wirkungslosen Gekicke. Heute haben die Dortmunder sogar noch Dusel gehabt, dass die Freiburger nur remis gespielt haben. So liegt der BVB „lediglich“ auf dem Abstiegsplatz 17 – mit hauchdünnem Ein-Tores-Vorsprung auf den allerletzten Rang. Doch wird man ab Ende Januar erleben, dass der BVB plötzlich wie Phoenix aus der Asche steigt? Man wagt es zu bezweifeln. Die psychologischen Nachteile sind nicht gering.

Bei etlichen Spielen hatte man den Eindruck, die jeweiligen Widersacher könnten jederzeit einen Treffer erzielen, der BVB hingegen sei nie mehr wieder dazu in der Lage. Vielfach fallen die Gegentore auf derart surreale, groteske und absurde Weise, als sei da ein teuflisches Verhängnis im Spiel. Auch in der Champions League, deren Verlauf zunächst Auftrieb verhieß, ging es nach und nach bergab. Die Krise kristallisiert und verfestigt sich.

Sie haben die „Seuche“

Sie haben die „Seuche“, wie man so sagt. Liegt die Mannschaft einmal hinten, bleibt es in aller Regel auch dabei. Die Angst vor Fehlern bringt Fehler hervor. Es scheint den unbegreiflich Verzagten schier unmöglich zu sein, sich einmal entscheidend aufzuraffen und ein Spiel in der Tendenz umzudrehen. In manchen Partien stimmt auch der bloße Einsatz nicht mehr durchweg, also das Mindestmaß dessen, was die Zuschauer erwarten dürfen. Die meisten von ihnen stehen dennoch nibelungentreu zum Verein. Noch immer kommen rund 80.000 zu den Heimspielen im Westfalenstadion. Eigentlich unglaublich.

Doch allmählich könnte die Stimmung kippen. Manche ertappen sich bei vielleicht gar nicht mehr so ketzerischen Gedankenspielen, die jetzt auch zunehmend in Online-Kommentarspalten Platz greifen: Demnach müsste jetzt schleunigst Trainer Jürgen Klopp das Feld räumen und in nobler Einsicht einem Nachfolger Platz machen. Aber wem nur? Mit Thomas Tuchel, dessen Name häufiger genannt wird, käme womöglich abermals einer, der vorher in Mainz war. Und was hieße das?

Wer glaubt noch an die Wende?

Tatsächlich nervt Klopps allwöchentlich neu angesetzte Mixtur aus Zerknirschung und Kampfansage. Erreicht er denn mit seinen Appellen die Spieler noch? Im Vergleich zu früher wirkt er an der Seitenlinie in gewissen Momenten hilflos und zuweilen resigniert, ja fast erloschen. Glaubt er wirklich selbst noch an eine Wende?

Doch was kann ein Trainer schon ausrichten, wenn die Spieler wieder und wieder so agieren wie seit Saisonbeginn? Es ist, als herrsche da eine ansteckende Bräsigkeit, die gar zu viele Mitstreiter erfasst. Wäre es da nicht besser, den einen oder anderen „Star“ (mit deutlich gesunkenem Marktwert) leichten Herzens ziehen zu lassen und auf einen Neubeginn mit Nachwuchsleuten zu setzen? Wollen wir über die Neueinkäufe der jüngeren Zeit reden? Nein, lieber nicht. Wollten sie uns nur eines Besseren belehren…

Kampfschweine für schmutzige Siege

Unterdessen wird hie und da der Zukauf weiterer Kräfte in der Winterpause gefordert. Ohne Anführungsstriche kommt man hier nicht aus: Die vom Erfolg verwöhnten, nicht mehr „hungrigen“, angeblichen „Schönwetter-Spieler“ sollen vorzugsweise durch „Arbeitstiere“ oder sogenannte „Kampfschweine“ ersetzt werden, die notfalls brachial zu Werke gehen, was man ja im Revier eh am meisten zu schätzen wisse.

Ach, ach! Und dabei hat der BVB in den letzten Jahren immer wieder just durch schönes, einfallsreiches Spiel begeistert. Und nun sollen, ja müssen statt der Ästhetik „schmutzige Siege“ her. Das tut schon sprachlich weh.

Die Leute mit (bislang) glanzvollen Namen werden ohnehin rasch das Weite suchen, wenn der BVB nicht mehr in der Champions League vertreten sein wird. Fast sehnt man sich schon nach ganz normalen Zeiten soliden, gefestigten Mittelmaßes mit Steigerungs-Potenzial. Wenn’s geht, dann aber bitte noch in der ersten Liga.

In diesem Sinne: Frohes Fest & Guten Rutsch – nur nicht zu tief!




Beinahe-Schönheitskönigin mit Schwächen: Nick Hornbys Roman „Miss Blackpool“

MissBlackpool Es sind die bewegten 60er Jahre und kurz bevor Barbara, ein junges ehrgeiziges Mädchen, sich zur „Miss Blackpool“ krönen läßt, wird ihr klar, dass es nicht das ist, was sie will.

Ihr größter Traum ist es, in die Fußstapfen der bewunderten Komödien-Schauspielerin Lucille Ball zu treten. Kurzentschlossen verlässt sie das vom Arbeitermilieu geprägte Nord-England, geht ins swinging London, ändert ihren Namen in Sophie Straw und schon nach kurzer Zeit entzückt sie die britische Fernsehnation als frischer Stern am Comedy-Himmel in einer Sitcom, die in ihrem Herkunftsmilieu spielt und ausgerechnet Barbara (and Jim) heisst.

Diese Zeit, vor allem die hinter den Kulissen verbrachte Zeit mit allen Mitwirkenden, wird die beste Zeit ihres Lebens werden. Doch irgendwann lassen sie alle das Skript zu nahe an sich heran und sie beginnen, die Dramen aus der Serie auf ihr eigenes Leben zu übertragen.

Plötzlich sehen sie sich alle vor eine Wahl gestellt. Die Drehbuchautoren Tony und Bill, von Haus aus Comedy-Besesssene, verbergen beide ein Geheimnis. Doch während der eine Frau und Kind zu versorgen hat, fühlt der andere sich zu Höherem berufen. Regisseur Dennis hasst seine Ehe, aber er liebt seinen Job (und scheinbar aussichtslos Barbara/Sophie). Der männliche Co-Star Clive steht sich vor allem selbst im Weg. Sie alle müssen entscheiden, ob und wie sie weitermachen wollen oder ob sie sich für ein anderes Programm entscheiden.

Soweit der Inhalt von „Miss Blackpool“, den neuen Roman des britischen Kultautors Nick Hornby. Hätte man mir dieses Buch als „blind audition“ in die Hand gedrückt und mich gebeten: „Rate den Autor. Kleiner Hinweis: Du hast auch sonst jede Zeile von ihm gelesen“ – ich hätte mich schwer getan, dieses Buch einwandfrei als „einen Hornby“ zu identifizieren. Was an sich ja so schlecht gar nicht sein muss. Jeder Autor will sich weiterentwickeln, muss es sicher auch. Aber – was sich schon bei seinen letzt erschienenen Short Stories andeutete, ist jetzt zur Gewissheit geworden: Nick Hornby weiß ganz offensichtlich nicht, wohin er sich entwickeln soll oder (schwerwiegender) entwickeln kann.

Aber auch so war mein erster Gedanke: Was bitte gibt das jetzt? Mad Men für die englische Landbevölkerung? Muss jetzt unbedingt der Nächste auf den gerade so beliebten Zug der Sechziger-Jahre-Nostalgie aufspringen? Das Ganze dann auch noch gegossen in eine Gemengelage aus selbstmitleidigem Gejammere, möglicherweise autobiographisch gefärbten Problemen (die zerrissenen Drehbuchautoren Bill und Tony!) und Milieustudie. Nicht nur die titelgebende Beinahe-Miss-Blackpool gerät seltsam blutleer. Dass weibliche Figuren in Hornby Romanen oft zu holzschnittartig geraten, ist nichts Neues, aber dass das ganze Buch einem eigenartig fremd bleibt, schon.

Es ist auch das erste Mal, dass mit der Tradition gebrochen wird, einen Nick-Hornby-Roman in Deutschland mit demselben Titel zu veröffentlichen wie im Original. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, aber man kommt nicht umhin zu bemerken, dass es in diesem Fall angebracht war. Denn was Barbara/Sophie zum „Funny Girl“ (so der Originaltitel) macht, bleibt tatsächlich unklar. Der Autor erzählt uns unermüdlich von ihrem außergewöhnlichen komischen Talent, aber nicht ein einziges Mal kann man mit ihr oder über sie lachen.

Es ist wohl so, dass Dinge, die auf der Bühne oder auf einem Bildschirm lustig wirken, in einem Buch nicht witzig rüberkommen. Außerdem bleibt Hornby nicht bei seiner Hauptperson. Er mäandert von einem Charakter, von einer Nebenlinie zur anderen und Barbara/ Sophie wird eher zum Rahmen für die männlichen Psychodramen.

Die frische, leichte Überzeichnung und die daraus resultierenden Schrulligkeiten der handelnden Personen, für die Nick Hornby berühmt und geliebt wurde, fehlen fast völlig. Während Hornby das Buch erkennbar dazu nutzen möchte, sogenannte leichte und gut gemachte Unterhaltung zu verteidigen, geht ihm selber jegliche Leichtigkeit verloren. Ganz klar nutzt er seine eigentlichen Stärken nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ihm die gewählte Zeit nicht vertraut ist und er zuviel Energie auf originalgetreue Darstellung verwendet hat. In seinen bisherigen Büchern schöpfte er im wesentlichen aus eigenen Erfahrungen und schrieb über Dinge und Zeiten, die ihm vertraut waren. Möglicherweise sind es deswegen auch die Figuren der Drehbuchautoren, die dem Leser am vertrautesten werden und mit denen er am meisten mitfiebert.

Seine schönsten Geschichten schrieb Hornby immer, wenn er von den Überraschungen erzählte, die das Leben für jeden von uns bereithält. Das zeigt auch der wehmütige, aber liebevolle und schöne Epilog. Man mag bemängeln, dass der eigentlichen Thematik des Buches ein richtiges Ende fehlt und es nur ein Kunstgriff ist, das Buch mit einem Epilog zu beenden, der in der Gegenwart spielt. Doch so gibt der Epilog dem Buch ein zwar melancholisches, aber versöhnliches Ende.

Miss Blackpool ist Hornby erster Roman nach 5 Jahren, in denen er hauptsächlich als Drehbuchautor gearbeitet hat. Bleibt die Hoffnung, dass er damit nicht einen weiteren Schritt „a long way down“ macht. Dennoch: Enttäuscht werden eher die eingefleischten Hornby-Fans sein, deren Erwartungen zugegebenermaßen sehr hoch hängen. Wer zu „Miss Blackpool“ greift und leichte, gut gemachte Unterhaltung sucht, wird sich mit diesem Buch nicht schlecht bedient finden.

Nick Hornby: „Miss Blackpool“. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln. 429 Seiten, € 19,99.