Bedrohlich flackernder Faschismus: Dortmunder „Tatort“ zur Neonazi-Szene

Das dürfte jetzt feststehen: Dortmund ist – glaubt man den Fernsehbildern – derzeit die abgefuckteste und desolateste „Tatort“-Stadt. Doch zugleich entstehen hier mit die stärksten und dringlichsten Krimis der Reihe.

Der heutige Fall (Untertitel: „Hydra“) rankte sich um den Mord an einem stadtbekannten Rechtsradikalen, somit auch um die örtliche Neonazi-Szene und deren fatale Querverbindungen ins Polizeipräsidium und zu anderen staatlichen Stellen.

Kommissar Faber (Jörg Hartmann, li.) befragt im früheren Stahlwerk einen Obdachlosen (Michael Witte). (Foto: WDR/Thomas Kost)

Kommissar Faber (Jörg Hartmann, li.) befragt im früheren Stahlwerk einen Obdachlosen (Michael Witte). (Foto: WDR/Thomas Kost)

Im Kern ging es nicht zuletzt um die latente oder gar manifeste Nähe des Faschismus zur so genannten „Normalität“ und Alltäglichkeit. Springerstiefel und Baseballschläger sind nur ein kleiner Ausschnitt der Wirklichkeit. Man muss viel genauer hinsehen. Eben dies versuchte dieser „Tatort“ auf beklemmende Weise. Sichtbar wie Wunden wurden einige flackernde Ambilvalenzen und Widersprüche des Themas.

Dabei kamen etliche, vielfach mehrdeutige Nuancen in den Blick: Ein Anfangsverdacht richtete sich gegen eine Antifa-Beraterin jüdischen Glaubens. Ein Rechtsextremer zeigte sich juristisch und sprachlich gewieft. Einige Fußball-„Fans“ bewegten sich in bedenklichen Grauzonenen oder übleren Gefilden. Und immer wieder dieses gleichgültige Wegsehen…

All das drohte bisweilen unübersichtlich zu werden – ganz wie im richtigen Leben. Fast nichts wurde ausgespart, also blieb den Zuschauern kaum etwas erspart; auch nicht der feige, demütigende Überfall auf die deutsch-türkische Polizistin Dalay (Aylin Tezel).

Natürlich war das Ganze dramaturgisch modelliert, doch es bewegte sich überwiegend wohl auch verflucht nah an der Realität.

Kommissar Faber (Jörg Hartmann) hat sich unterdessen längst zur Fachkraft für allerlei Abgründigkeiten entwickelt, er genießt eine Art Autorität bei allen Verzweifelten, bei „denen da unten“. Er selbst ist ja so eine arme Seele.

Man kann es nur mit drastischen Worten sagen: Ansonsten bleibt Faber der Kotzbrocken (wahlweise: das Arschloch), dem auch und gerade die Kolleg(inn)en am liebsten mal die Fresse polieren würden. In seiner Abteilung herrscht ein Scheißklima. Doch gerade, weil sie sich keinerlei Illusionen machen, sind sie dem Verbrechen ebenbürtig. Mindestens.




Hintersinn und Abgründe des Lebens – gesammelte Kurzerzählungen von Franz Hohler

Gesucht: eine Stadt mit X. Die Lösung Xanten wäre wohl zu leicht. Da dem Autor aber kein weiterer Name für sein Städte-Alphabet einfallen will, erzählt er einfach eine ganz andere Geschichte, die jedoch in einem Zusammenhang mit dem genannten Anfangsbuchstaben steht. Willkommen bei Franz Hohler, dessen Erzählungen in kein Schema passen.

Skurril, schräg, hintersinnig, abgründig: Die Geschichten des Schweizer Schriftstellers leben von der ungewöhnlichen Perspektive auf den Alltag, das Zeitgeschehen, den Zeitgeist oder das Miteinander. Dabei greift der Schriftsteller gern die kleinen Begebenheiten am Rande heraus, um auf das Große und Ganze zu kommen. Oft überlässt Hohler es auch dem Leser selbst, sich ein Urteil über Geschehnisse und Entwicklungen zu bilden, wenn er beispielsweise beschreibt, dass die Suche nach einem speziellen Buch per Internet ins Leere läuft, ein altgedienter Buchhändler mit einem Griff den Band jedoch sofort zur Hand hat.

hohler

Franz Hohlers Buch, das jetzt im Luchterhand-Verlag erschienen ist, enthält sämtliche kurzen Erzählungen des Autors, Jahrgang 1943, und damit eine Zusammenfassung von acht Büchern, von denen das erste 1970 veröffentlicht wurde. Wenn die Geschichten sieben oder gar acht Seiten umfassen, dann sind sie schon lang, viele füllen gerade mal eine Seite. Hohler, der 2002 den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor erhielt, tritt sogar den Beweis an, dass gerade mal drei Zeilen für eine Handlung reichen. Andererseits: Manche Sätze geraten dem Autor aus gutem Grund etwas länger. Sie verhindern, dass der Leser über den Text oberflächlich hinweggeht.

Mit seinen Geschichten erweist sich Hohler als ein feinsinniger Beobachter, der ungewöhnliche Zusammenhänge herzustellen vermag und dabei einen ironischen Unterton mitschwingen lässt. So muss er zwangsläufig bei einem Werbeschreiben der Gesellschaft für bedrohte Völker weniger an Papua-Neuguinea denken als ein älteres Ehepaar, das seinen gewohnten Lebensrhythmus über Jahrzehnte beibehalten hat. Hohlers Erzählungen sind auch immer wieder für eine Überraschung gut, wenn er unter anderem Ereignisse in ein ganz anderes Umfeld transformiert. Wie lässt sich ein Autounfall, bei dem ein Mensch stirbt, beschreiben, wenn man ihn als Hinrichtung sieht?

Da der Autor viel in der Welt herumgekommen ist, handeln einige Geschichten von fernen Ländern und Kontinenten. Dass eine mongolische Hochzeit ganz anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegt als hierzulande und es auch mal ein bisschen heftiger zur Sache gehen kann, ist eine lehrreiche Episode über andere Kulturkreise. In seinen Beschreibungen über Guatemala oder Paraguay lässt er das Groteske beiseite und das aus gutem Grund. Er will an dunkle Kapitel lateinamerikanischer Geschichte erinnern: Regime, die ihr Volk unterdrückt haben. Wortmächtig beschreibt er, welche Qualen Gefangene erleiden mussten. Die Opfer sollen nicht in Vergessenheit geraten.

Welche Pein Tiere zu ertragen haben, die man zur Schlachtbank führt oder zu Versuchszwecken (miss)braucht, kann man mitfühlen, wenn Franz Hohler sich in die Situation dieser Tiere hineinversetzt. Seine Empathie gegen den Krieg, in diesem Fall ist es der Waffengang im ehemaligen Jugoslawien, bringt er auf bemerkenswerte Weise zum Ausdruck, indem er einen Brief an Kain und Abel formuliert (die er irgendwo auf den Schlachtfeldern vermutet) und sie an ihre engen familiären Bande erinnert.

Mit seinen Vergleichen und seiner Bildersprache gelingt es dem Schriftsteller, Verwerfungen und Missstände anzusprechen, ohne gleich den moralischen Zeigefinger zu erheben. Da steht eines Tages der Frieden vor der Tür der Obdachlosenunterkunft oder eine blau gefärbte Amsel stößt bei ihren vermeintlichen Artgenossen auf Ablehnung, denn schwarz muss das Gefieder sein.

Zu den Themen, die Franz Hohler bewegen, gehören zweifellos auch religiöse und kirchliche Fragen. Wie das wohl mit der Schöpfung abgelaufen sein könnte, dazu findet man in dem Buch gleich zwei amüsante Versionen. In der Geschichte, die dem Buch den Namen gibt, kommt es zu einem eigenwilligen Aufbegehren gegen den Stellvertreter Christi auf Erden.

Franz Hohler: „Der Autostopper“. Die kurzen Erzählungen. Mit einem Nachwort von Beatrice von Matt. Luchterhand-Verlag, 764 Seiten, 19,99 €.