Niemals fertig ist die Kunst: Bilder von Arnulf Rainer in Ahlen

Arnulf Rainer in Ahlen? Da möchte man beinahe im kernigen Wildwest-Tonfall sagen: „Dieser Name ist zu groß für diese Stadt“.

Doch tatsächlich: Der Künstler von einigem Weltruhm (documenta- und Biennale-Teilnahmen, Retrospektive im New Yorker Guggenheim Museum usw.) ist jetzt mit fast 100 Arbeiten in der westfälischen Kunstprovinz zwischen Ruhrgebiet und Münsterland gegenwärtig. Das ist durchaus wörtlich zu verstehen – im Sinne einer erhöhten Präsenz.

Arnulf Rainer: Rosa Übermalung, 1959/60 (© Atelier Arnulf Rainer Foto: Robert Zahornicky © VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Arnulf Rainer: Rosa Übermalung, 1959/60
(© Atelier Arnulf Rainer
Foto: Robert Zahornicky © VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Manchmal gibt es solche glückhaften äußeren Umstände: Da stammt mit Andreas Dombret ein veritabler Bundesbank-Vorstand und engagierter Kunstsammler just aus Ahlen. Er wiederum kennt Rüdiger Andorfer, den Geschäftsführer des Arnulf Rainer Museums in des Künstlers Geburtsort Baden bei Wien. Also werden Kontakte kreuz und quer geknüpft. Und so kann Ahlens Museumsleiter Burkhard Leismann jetzt eine Ausstellung präsentieren, die auch Anreisen lohnt.

Der konzentrierte Querschnitt durchs riesenhaft angewachsene Lebenswerk lässt einige wesentliche Merkmale dieses speziellen Schaffens hervortreten. Der mittlerweile 85jährige Österreicher Arnulf Rainer, der Kunstakademien zumeist schon nach wenigen Tagen fluchtartig verließ, wurde im Lauf der vielen Jahre besonders mit zahllosen Übermalungen bekannt. Er hat eigene und fremde Bilder übermalt, aber auch wertvolle Bücher. Kleingeister haben ihm das ankreiden wollen. Doch das ist lange her.

Arnulf Rainer: GRABES FURCHT, 1973 ( Tusche, Ölkreide, Öl auf Fotografie) (© Atelier Arnulf Rainer Foto: Robert Zahornicky © VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Arnulf Rainer: GRABES FURCHT, 1973 ( Tusche, Ölkreide, Öl auf Fotografie)
(© Atelier Arnulf Rainer
Foto: Robert Zahornicky © VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Arnulf Rainer ist ein Künstler, der im Grunde kein „fertiges“ Werk kennt. Immer weiter und weiter geht der Schaffensprozess – oftmals eben durch die Negation (oder erneute Anverwandlung) vorhandener Arbeiten hindurch. Fast schon wieder erstaunlich, dass dabei doch etliche abgeschlossene Werke entstanden sind, und zwar so zahlreich, dass preisbewusste Galeristen ob der Fülle schon wieder unruhig werden…

Ein Katalog kann schwerlich wiedergeben, was hier geschieht. Die Bilder (malerische Werke, Arbeiten auf Papier, Foto-Bearbeitungen) sind so ersichtlich den lebendig sich fortzeugenden Augenblicken abgewonnen und abgerungen, dass sich dies alles letztlich nicht stillstellen lässt. Hier fließen energetische Ströme noch und noch. Zuweilen umwölken die Liniengespinste Gesichter, als nähmen geheimste Gedanken und Gefühle Form an.

Arnulf Rainer: Teneriffa Kreuz, 2009, Acryl auf Papier (© Atelier Arnulf Rainer. Foto: Robert Zahornicky © VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Arnulf Rainer: Teneriffa Kreuz, 2009, Acryl auf Papier (© Atelier Arnulf Rainer. Foto: Robert Zahornicky © VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Ja, wer weiß: Vielleicht kommt der immer noch wie besessen produktive Arnulf Rainer – trotz gesundheitlicher Begrenzungen des Alters – eines Tages abermals auf frühere Bilder zurück, um sie noch einmal von Grund auf neu zu schaffen. Zumindest ist es denkbar. Hingegen mag man sich gar nicht ausmalen, wie es aussähe, wenn etwa deutlich minder begnadete Künstler seine Verfahrensweisen nachahmen wollten.

Zu Beginn des Ahlener Rundgangs sieht man Arbeiten aus den späten 40er und frühen 50er Jahren, die noch von surrealistischen Anwandlungen geprägt sind. 1951 hatte Rainer, gemeinsam mit Maria Lassnig, den Surrealisten-Altvorderen André Breton in Paris besucht, war allerdings enttäuscht von dessen gedanklicher Erstarrung. Eigene Wege waren ratsam.

Die surrealistischen Impulse ließ er also hinter sich. Phasenweise geradezu explosiv, setzt eine entschiedene, radikale Reduzierung der Formensprache ein, die bis ins feinste Geäder einzelner Linien reicht oder schwärze Flächen gebiert. Man mag das dem zeitgenössischen Informel zurechnen, doch geht es nicht in derlei Bezeichnungen auf. Aber natürlich gehört Arnulf Rainer trotz aller Einzelkönnerschaft mit einigen Fasern auch zur bewegten Kunstszene Österreichs, die sich zumal in den 60ern in wildwüchsigen Trieben erging.

Arnulf Rainer: Ohne Titel, 2009. Leimfarbe auf Leinwand auf Holz (© Atelier Arnulf Rainer - Foto: Robert Zahornicky © VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Arnulf Rainer: Ohne Titel, 2009. Leimfarbe auf Leinwand auf Holz (© Atelier Arnulf Rainer – Foto: Robert Zahornicky © VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Arnulf Rainer arbeitet vorwiegend seriell. Nie stellt er nur ein einziges Bild auf die Staffelei. Gleichzeitig sind dreißig, vierzig oder mehr Schöpfungen in Arbeit, in fortwährender Umformung, Verwandlung und Verdichtung begriffen.

Es ist, als arbeite dieser Künstler vollends „aus sich selbst heraus“, so nah am Ursprung der Empfindungen scheinen seine Kreationen zu sein. Hier walten keine Konzepte, hier geht es sogleich ins Einzelne – und niemand weiß, wohin das alles führen kann. Solche Bilder können auch schon mal roh wirken, naturhaft schrundig im Geiste der Art brut, die Rainer schon früh gesammelt hat.

Die Bilder aus seinem Hiroshima-Zyklus lassen den atomaren Schrecken Gestalt annehmen wie nur irgend möglich. Es sind mahnende Bilder, die freilich keine Mahnung im Sinn haben. Und somit umso dringlicher.

Ebenfalls ungemein intensiv geraten die aus Büchern entnommenen und übermalten Künstlerbildnisse, beispielsweise ausschnitthafte Porträts von Rembrandt und Van Gogh. Hier kommt das (nicht selten düstere) Seherische im Künstlerischen auf einen visuellen Begriff.

Grandios auch die Kreuzbilder, ein weiterer Schwerpunkt in Rainers Oeuvre. Bis in die jüngste Werkphase führen einige „Teneriffa-Kreuze“, wie sie Rainer in seinem Winteratelier auf den Kanaren geschaffen hat. Die Kreuze nehmen – nach menschlichem Maß – Kraft- und Energielinien derart feinfühlig auf, dass sie zu flirren scheinen wie eine sonst unsichtbare vitale Urkraft. Eigentlich kein Wunder, dass Rainer auch Ehrungen theologischer Fakultäten zuteil wurden. Man könnte ja gläubig werden vor solchen Schöpfungen.

Arnulf Rainer. Malerei, Arbeiten auf Papier. Sonntag, 15. Februar (Eröffnung 11 Uhr), bis zum 26. April 2015. Kunstmuseum Ahlen, Museumsplatz 1/Weststraße 98. Di-Fr 14-18 Uhr, Sa/So, Feiertage 11-18 Uhr. Tageskarte 6 (ermäßigt 4,50) Euro. Katalog 29 Euro. Weitere Infos: www.kunstmuseum-ahlen.de




Die Neue Philharmonie Westfalen auf den Spuren der Farbenpracht ungarischer Musik

Guter Einstand: Rasmus Baumann und die Neue Philharmonie Westfalen. Foto: Pedro Malinowski/NPW

Rasmus Baumann und die Neue Philharmonie Westfalen. Foto: Pedro Malinowski/NPW

Der stilisierte Notenschlüssel, gleich einer eilig dahingeworfenen Kritzelei, ist so etwas wie ein Markenzeichen der Neuen Philharmonie Westfalen (NPW). Symbolisch steht er vor allem für Dynamik.

Das dürfte ganz im Sinne von Rasmus Baumann sein, Chefdirigent des Orchesters. Denn sein Stil auf dem Podium ist von viel Elan geprägt. Mag ihm auch das große Charisma fehlen, versteht er es doch, Freude an der Musik zu vermitteln. Darüberhinaus aber scheint das gemeinsame Spiel eine Frage von Genauigkeit, Strukturbewusstsein, mithin von gehöriger Konzentration zu sein.

Neun Sinfoniekonzerte bestreitet das Orchester in dieser Spielzeit, sieben davon dirigiert Baumann selbst. Diese Präsenz, diese Kontinuität ist von eminenter Bedeutung. Gilt es doch, einen Klangkörper zu formen, dessen Qualität sich mit anderen Formationen der Region messen kann. Die NPW scheint dabei auf einem guten Weg. Manche Entwicklung ist überaus achtbar.

Das zu erleben, hat nun das 6. Sinfoniekonzert alle Gelegenheit geboten. Das Programm mit Musik ungarischer Komponisten ist nämlich bestens dazu geeignet, in Klängen zu schwelgen, solistisch zu glänzen, oder rhythmische Kraft zu entwickeln. Wie etwa in Zoltán Kodálys „Tänze aus Galánta“. Hier paaren sich Schwermut und ungebremste Lebensfreude. Hier besticht das homogene, süffig-leidenschaftliche Spiel der Streicher ebenso wie das melancholische Klarinettensolo. Dank Baumanns exakten Dirigats gelingen die Tempowechsel, spielt das Orchester rhythmisch überwiegend à point.

Partituren sind für Rasmus Baumann sein "wichtigster Reichtum". Foto: NPW

Ein Mann mit Herz für Partituren: Rasmus Baumann, Dirigent. Foto: NPW

Problematisch aber bleibt, dass Dirigent und Orchester offenbar viel in Struktur denken, in klarer Gliederung, und so holzschnittartiges Musizieren nicht immer vermeiden können.

Die Präsenz mancher Instrumente geht zudem einher mit der Blässe anderer. Evident wird dies in Béla Bartóks „Konzert für Orchester“. Denn hier wird, in Anlehnung an das barocke „Concerto grosso“-Prinzip, das Zusammenspiel verschiedener Instrumente oder Instrumentengruppen zwar plastisch herausgeschält, doch die Fallhöhe des Werks an sich, die große Idee, bleiben unterbelichtet.

Baumann lässt kontrolliert musizieren, zu Lasten interpretatorischer Spontaneität. Der grell parodistische Einwurf im „Intermezzo interrotto“ etwa wirkt allzu handzahm. Die düstere „Blaubart“-Atmosphäre des 3. Satzes aber, das unheimliche Flirren, die sich steigernde Emphase illustrieren gehörige Dramatik. Bartók, mit allem Herzblut ein Ungar, krank und unglücklich im amerikanischen Exil, spiegelt mit diesem Konzert eben auch seine Seele. Dies allerdings vermittelt die Neue Philharmonie Westfalen nur bedingt.

Besser aufgestellt ist das Orchester indes, wenn es um die Deutung von Franz Liszts 2. Klavierkonzert geht. Glanz und Heroik bestimmen das Klangbild. Nur schade, das Solist Bernd Glemser ein wenig angestrengt wirkt, um den hochvirtuosen Klavierpart zu meistern. Auch was das Spiel mit Farben angeht, hat das Orchester mehr zu bieten denn der Solist. Glemser spielt souverän, aber etwas statisch – und im übrigen sehr auf den Dirigenten fixiert. So bleibt alles im Gleichgewicht, und der Liszt’sche Brocken wird zur schwer verdaulichen Angelegenheit. Es ist aber, das sei hier kühn behauptet, ohnehin nicht das beste Stück des Komponisten.