„Das mechanische Corps“ – Technik der Jules-Verne-Romane inspiriert Kunst von heute

Ausstellungsansicht, Ausstellung "Das Mechanische Corps", HMKV i

Die Kiste kann wandern, die Lokomotive fahren; bewegliche Kunst auf den Spuren von Jules Verne (Bild: David Brandt, HMKV im Dortmunder U)

Ein Messingobjekt, das in seiner kardanischen Aufhängung einem Schiffskompaß ähnelt, zeigt muntere Bewegung; ebenso sein Gegenüber, dessen Vorbild nicht so ohne Weiteres zu deuten ist, in dem sich etwas dreht, klassisch geradezu angetrieben von einer Technik, die lineare Schub- und Zugbewegungen einer Treibstange in Rotation überführt.

An der Decke bewegen sich rhyhthmisch die Paddel einer Luft-Galeere, weiter hinten hebt und senkt eine verrottete Nähmaschine in völliger Nutzlosigkeit den Nadelschaft. Mit aufgesetzter, zweckentfremdeter Miniaturskulptur der New Yorker Freiheitsstaue fräst eine Kernbohrmaschine ein Loch in die Museumswand, über Monitore laufen Sequenzen aus Filmen, die den Menschen vor rund 100 Jahren stumm erzählten, wie die Zukunft sein würde. All dies, und noch manches mehr, ist jetzt im Dortmunder U zu sehen.

Wenn man der Unterzeile des Ausstellungstitels glauben darf, wandeln die hier vorgestellten, überwiegend noch recht jungen Künstlerinnen und Künstler „auf den Spuren von Jules Verne“. Als „mechanisches Corps“ werden sie vom Kurator Christoph Tannert bezeichnet, der die Ausstellung zusammen mit dem vestorbenen Peter Lang für das Künstlerhaus Bethanien in Berlin realisierte.

Extraschicht zur Ausstellung "Das Mechanische Corps", HMKV im Do

Bild: Stephanie Brysch, HMKV im Dortmunder U

Die Zukunft wird militärisch

„Das mechanische Corps“ ist auch der Titel der Ausstellung, und natürlich geschieht die Verwendung des eigentlich ja militärischen Begriffes Corps mit Hintersinn. Fortschritt, der utopische zumal, nahm in den Phantasien der Schriftsteller des 19. Jahrhunderts oft paramilitärtische Formen an. Zukünftige Gesellschaftsordnungen fußten auf militärischer Disziplin, Maschinen, mit denen Unmögliches möglich werden könnte – in Sonderheit die Reise zum Mond – waren Kanonen, Granaten, Torpedos und Raketen.

Gleichwohl wäre es vermessen, im Kollektiv der ausstellenden Künstler militärisch-elitäre Trends zu suchen. Der Titel der Ausstellung, anders gesagt, greift ein wenig ins Leere. Am ehesten noch eint die Ausstellenden doch die Freude an der (motorisch generierten) Bewegung, an der Nachvollziehbarkeit mechanischer, uhrwerkhafter, sichtbarer Abläufe.

Zwar ist in unserer Zeit fast alles in Bewegung, die Bewegungen der Maschinen indes sind fast unsichtbar geworden. Was bewegt sich noch in einem Kraftwerk, an einer Elektrolok? Bewegung findet im Alltag vieler Menschen größtenteils virtuell auf dem Computerbildschirm statt, ein unbefriedigender Zustand, der die ausstellenden „Retrofuturisten“ (O-Ton Tannert) beflügelt haben mag.

Ausstellungsansicht, Ausstellung "Das Mechanische Corps", HMKV i

Hier darf die Nähmaschine sein, was sie immer schon war: ein kinetisches Objekt (Foto: David Brandt/ HMKV im Dortmunder U)

Dampf verändert alles

Zudem war die quasi-militärische Organisation der Industriearbeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die die Zukunftsphantasien vieler Autoren prägte, den immer komplexeren Produktionsabläufen geschuldet. Sie ließen sich seinerzeit nur in militärgleich gestalteten Befehlsstrukturen meistern, denn die computergestützte Meß- und Regeltechnik, die heutzutage oft auch Robotern die Arbeit zuteilt und mit ihnen plaudert (Stichwort Industrie 4.0), gab es noch nicht. Leider bleibt dieser Aspekt in der Schau weitgehend unbeachtet.

Aber vielleicht greift das schon zu hoch. Wenn Kurator Tannert die jungen Künstler auf Jules Vernes Spuren wandeln sieht, so auch deshalb, weil dessen Bücher reich bebildert waren und die wunderbar bewegliche Technik des 19. Jahrhunderts so eindrucksvoll in Szene setzten, daß uns das noch heute zu inspirieren vermag.

Neben den Raketen war natürlich der Dampf das Faszinosum jener Zeit, der in immer größeren Kolbenmaschinen mit viel rhythmischer Bewegung arbeitete und die menschliche Zukunft radikaler und ungleich schneller verändern würde als alle Erfindungen zuvor. Auch Reisen, Messen, Berechnen und Beobachten – Letzteres vor allem mit starken Teleskopen – waren andächtige Handlungen in den Illustrationen. Eine sorgfältig zusammengestellte Diaprojektion, übrigens noch mit museumstypischen Karussell-Projektoren und richtigen Dias, zeigt dafür etliche Beispiele.

Florian Mertens, Turbine, 2013, Ausstellung "Das Mechanische Cor

Turbine von Florian Mertens (Foto: David Brandt, HMKV im Dortmunder U)

Steam-Punker lieben es rüschig

Übrigens findet die Science-Fiction-Ästhetik des 19. Jahrhunderts heute ihren jugendkulturellen Ausdruck im düsteren, viktorianisch-rüschigen Steam-Punk, dem einige der Ausstellenden huldigen und der sich als Designvariante in recht kommerziellen Produkten findet, in Armbanduhren im Kapitän-Nemo-Look zum Beispiel oder in hochgradig retromäßigen Computertastaturen mit messingglänzender Registrierkassenoptik. Auch solche Objekte hat Kurator Tannert in die Ausstellung genommen, weil sie das Gesamtbild ergänzen.

Hingegen wirken die kindlich-ungelenken, bunten Bilder von Fluggeräten und Fliegern, die an einer Wand hängen, auf den ersten Blick deplaziert. Sie stammen von Karl Hans Janke, 1909 geboren, 1988 gestorben und bei Wikipedia als Vertreter der „Outsider-Art“ gelistet. Einen Großteil seines Lebens verbrachte er in der Psychiatrie, nachdem man ihm im Krieg Schizophrenie attestiert hatte. Janke hat vor seiner Erkrankung einige patentierte Erfindungen gemacht, sich später an der Konstruktion eines „Schwingenflugzeuges“ erfolglos abgearbeitet. Erfunden hat er bis zuletzt, weshalb man ihm in der Psychiatrie „Erfinderwahn“ bescheinigte. Doch hat er auch zeitlebens den Traum vom Fliegen geträumt, vielleicht, wie verschwommen auch immer, vom Flug in eine bessere Zukunft.

„Das mechanische Corps – Auf den Spuren von Jules Verne“. Hartware Medienkunstverein (HMKV) im Dortmunder U, Leonie-Reygers-Terrasse, Dortmund. Bis 12. Juli 2015. Geöffnet Di+Mi+Sa+So 11-18 Uhr, Do+Fr 11-20 Uhr. Eintritt 5 €. Katalog des Berliner Künstlerhauses Bethanien 29 €. Infos: www.hmkv.de




Die Welt der Pilger – Ausstellung im Museum für religiöse Kultur in Telgte

Auf der Falkenburg bei Detmold gefunden: Ein "vera icon", ein Pilgerzeichen aus Rom aus dem 13./14. Jahrhundert mit dem Antlitz Christi. Leihgabe und Foto: Lippisches Landesmuseum Detmold.

Auf der Falkenburg bei Detmold gefunden: Ein „vera icon“, ein Pilgerzeichen aus Rom aus dem 13./14. Jahrhundert mit dem Antlitz Christi. Leihgabe und Foto: Lippisches Landesmuseum Detmold.

Was Telgte und seine Marienkapelle schon sind, kann das „Religio“ in diesem Jahr werden: eine Pilgerstätte. Jetzt ist im Westfälischen Museum für religiöse Kultur in Telgte die Ausstellung „Pilgerwelten“ zu sehen.

Die Ausstellung begleitet die Eröffnung eines neuen Teilstücks des Jakobswegs von Bielefeld bis Wesel. Die Federführung dieses Projekts hat die Altertumskommission des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Die Deutsche St. Jakobus-Gesellschaft e.V. firmiert als Schirmherrin für die „Pilgerwelten“.

Für die Kuratorinnen Anja Schöne und Lena Mengers ist das Pilgern auch eine Reise zu sich selbst. Dementsprechend haben sie nicht nur Leihgaben aus dem Stiftungsbestand Preußischer Kulturbesitz, dem Jüdischen Museum Berlin, dem Kölner und dem Essener Domschatz zusammengetragen, wie etwa eine Handschrift mit dem Pilgerbericht des Ritters Arnold von Harff vom Ende des 15. Jahrhunderts aus dem Kloster Maria Laach.

Arnold von Harff kniet vor den Heiligen Drei Königen. Aus dem Pilgertagebuch des Arnold von Harff, Niederrhein, Handschrift von 1554. Leihgabe und Foto: Bibliothek der Abtei Maria Laach.

Arnold von Harff kniet vor den Heiligen Drei Königen. Aus dem Pilgertagebuch des Arnold von Harff, Niederrhein, Handschrift von 1554. Leihgabe und Foto: Bibliothek der Abtei Maria Laach.

Die Ausstellung fragt auch nach den Motiven, warum sich Menschen auf Pilgerfahrt begeben – weltweit sind es jährlich 350 Millionen –, wie sie pilgern und was das Pilgern mit ihrem Körper und ihrer seelischen Verfassung macht.

Für den umfangreichen Katalog haben die beiden Ausstellungsmacherinnen Pilger aller Weltreligionen nach ihren Motiven, Erfahrungen und Erlebnissen befragt. „Dabei lag der Fokus stets auf Westfalen“, unterstreicht Mengers.

Der Schwerpunkt liegt auf der Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela. Diese Reise zum Grab des Apostels Jakobus in den äußersten Westen der iberischen Halbinsel entwickelte sich seit dem 9. Jahrhundert und zog bereits zwei Jahrhunderte später viele Pilger aus ganz Europa an. Die Ausstellung folgt ihren Spuren. Zudem beleuchtet sie die praktische Seite des Pilgerns, so dass man sich anschließend gleich auf den Weg machen könnte. Denn: Zur besseren Anschaulichkeit ist der Herdfeuerraum im alten Teil des Museums zu einer echten Pilgerherberge mit echten Stockbetten umfunktioniert.

Der Weg der Jakobspilger von Bielefeld nach Wesel wird mit einer ökumenischen Andacht und einer gemeinsamen Begehung am Freitag, 8. Mai, ab 14 Uhr, eröffnet. Info: www.jakobspilger.lwl.org

Info zur Ausstellung und zum umfangreichen Rahmenprogramm, u. a. mit Radpilgern und einem Musical: www.museum-telgte.de

 




Verkannte Moderne: Essener Philharmoniker mit spannendem Programm

Seltsame Wege geht die Geschichte manchmal: Was bleibt? Was wird vergessen? Von der spannenden Zeit der anbrechenden musikalischen Moderne im deutschen Sprachraum bis zum Ersten Weltkrieg, auch von der Vielfalt in den Zwanziger Jahren, ist wenig geblieben: Richard Strauss vor allem; auch der erst seit wenigen Jahrzehnten wiederentdeckte Gustav Mahler. Und natürlich die Wiener Schule, gehätschelt von den „Fortschrittlichen“ nach dem Krieg, wenig geschätzt von einem auf Genuss und Wiedererkennungswert fixierten Publikum.

Entsprechend abgemagert war, was Dirigenten und Orchester für ihre Abo-Reihen – manchmal bis heute – auswählen. Und so war das Schönste am Neunten Sinfoniekonzert der Essener Philharmoniker das ungewöhnliche Programm mit drei Aspekten der Moderne, das sich nicht wieder in den Göttern des Genres erschöpfte.

Der erste verbindet sich mit Max Regers „Lustspiel-Ouvertüre“ von 1911, das Werk eines einst gefeierten Sonderlings, dem die technische Brillanz des Komponierens über alles ging. Man wagt nicht sich vorzustellen, welches „Lustspiel“ die Musik hätte einleiten sollen. Reger führt in dem dicht gewebten Satz alles vor, was ein Meisterkomponist zu beherrschen hat: Sonatenform, Haupt-, Neben- und Seitenthema, kunstfertige Kontrapunktik, Abwandlung, Kombination und Verarbeitung des thematischen Materials, rasante Modulationen. Man staunt, was in knapp zehn Minuten alles an formaler Kreativität möglich ist.

Hyeyoon Park. Foto: Giorgia Bertazzi

Hyeyoon Park. Foto: Giorgia Bertazzi

Aber die Lust ist – mit Verlaub – die eines geschickten Handwerkers: Taucht einmal ein melodischer Gedanke, eine rhythmische Figur auf, gehen sie sogleich im Mahlstrom der Polyphonie unter. Das mag alles mit intellektuellem Gewinn zu lesen sein; mit sinnlicher Lust zu hören ist es nicht.

Gastdirigent Patrick Lange tat nichts, um Regers artifizielles Geflecht durchsichtig zu machen. Die Philharmoniker produzierten einen Klang so fett wie die Braten, die der Ur-Oberpfälzer zu verschlingen pflegte. Die Bruchstücke Mendelssohnscher Pianissimo-Fragilität oder Nicolaischen Rhythmus-Charmes reichen nicht, um die üppige Zubereitung leichter zu machen.

Im atonalen Frost verwelkt

Ein zweiter Aspekt der Moderne: Erich Wolfgang Korngolds Violinkonzert, eine 1947 uraufgeführte romantische Spätblüte, schnell verwelkt im atonalen Frost der Nachkriegszeit. Das Gegenteil von Reger: süffige Melodielinien, schmeichlerische Harmonik, statt inneren symphonischen Zusammenhangs ein rhapsodisches Zitieren aus Korngolds Filmmusiken. Kein Wunder, dass eine technikverliebte musikalische Epoche diese kunstvoll assoziativ verknüpfte Musik nicht würdigen konnte. Korngold galt als Edel-Kitsch mit dem sentimental-süßlichen Odeur der Operette.

Dass dem nicht so ist, dass Korngold, das „Wunderkind“ des Wiener Fin de Siècle, sein „Handwerk“ souverän beherrschte, ist auch im Violinkonzert ablesbar. Die Überleitungs- und Durchführungspassagen des ersten Satzes verlangen Musikalität und Formgespür – bloßer üppiger Ton reicht da nicht. Auch nicht für das Seitenthema: Es erinnert an den Opernkomponisten Korngold, dessen „Tote Stadt“ mittlerweile wieder zum Repertoire gehört.

Hyeyoon Park spielt mit leuchtendem Ton und angemessener Aufmerksamkeit für den Gehalt jenseits sinnlicher Vordergründigkeit. Aber für die erotisch glühende Melodik ist der Porzellanton der 1992 geborenen Koreanerin zu kühl – auch wenn sie mit siebzehn Jahren mit diesem Konzert den ARD-Wettbewerb gewonnen, auch wenn die Kritik die natürliche Süße ihres Tons gepriesen hatte.

Den schwelgerischen Überschwang einer Anne-Sophie Mutter braucht es nicht, aber die Kantilene darf blühen, der Ton hin zu befreiender Fülle drängen. Der transparente zweite Satz überzeugt eher: Hyeyoon Park gestaltet die Phrasierung manchmal verletzlich filigran, findet dezentes lyrisches Schimmern. Hier zeigt sie, wie sie mit Tönen modelliert.

In den spieltechnischen Raffinessen des dritten Satzes ist sie in ihrem Element: leichtfüßige Staccati, ein pfeffriger Tarantella-Rhythmus, mit souveränem Schwung durchformulierte Melodik, Temperament in der Stretta. Der Beifall war begeistert – sicher auch, weil das Orchester bemüht war, Korngold vom Klischee der Filmmusik – mit der er höchst erfolgreich war – wegzurücken. Das bei der Uraufführung heftig getadelte Vibraphon jedenfalls bringt wie andere Instrumente des reichen Schlagwerks wunderbare Schattierungen in die Farbpalette des klassischen Instrumentariums.

Musikalische Meisterschaft und philosophischer Tiefgang

Zum Dritten schließlich Alexander Zemlinskys „Lyrische Sinfonie“ von 1924. Sie verbindet technische Meisterschaft, formale Reflexion, sinnliche Unmittelbarkeit und philosophischen Tiefgang. Die sieben Liebesgedichte von Rabindranath Tagore spiegeln die unnennbare Sehnsucht, das abgründige Verlangen, das ruhe- und ziellose Begehren der Zeit wider, spielen mit bedeutungsvollen Naturmotiven und symbolträchtigen Bildern. Zemlinsky findet dafür einen hochdifferenzierten Ton, nutzt den Reichtum des Orchester-Instrumentariums gedankenvoll und virtuos aus, kennt die rhythmische Schärfe, das raunende Piano, die Majestät des Blechs.

Wieder lassen es die Essener Philharmoniker an subtiler Modellierung des Klangs fehlen. Dirigent Patrick Lange dämpft nicht ab, daher ist das Orchester oft zu laut, zu wenig atmosphärisch im Klang. Der Bariton Heiko Trinsinger schöpft in der Deutung der Worte aus seiner Erfahrung, setzt seine große, nach wie vor flexible Stimme ein. Katrin Kapplusch ringt ihrem Sopran gestoßene Töne, ein hartes Vibrato und schrille Höhen ab. Zemlinskys raffinierte Klangwelten wurden umrundet, aber nicht erobert.

Informationen: http://www.essener-philharmoniker.de/sinfoniekonzerte/9-sinfoniekonzert-der-essener-philharmoniker-lyrisch.htm