Die Sinnlichkeit der Moderne – ein Konzert ehrt den Triennale-Begründer Gerard Mortier

Große Geste: Sylvain Cambreling dirigiert das Klangforum Wien. Foto: Marcus Simaitis/Triennale

Große Geste: Sylvain Cambreling dirigiert das Klangforum Wien. Foto: Marcus Simaitis/Triennale

Johan Simons, der neue Intendant der Triennale, weiß, wem er zu Dank verpflichtet ist. Dem „Freund und Vorbild“ Gerard Mortier, der, nicht zu vergessen, auch entscheidender Wegbereiter war.

Mortier, Gründungsintendant des Ruhrgebietsfestivals (2002 bis 2004), hat den Jüngeren von Beginn an ins Regieboot geholt, auch und gerade, wenn es um die Inszenierung der neu erdachten „Kreationen“ ging. 2014 starb Mortier; ihm hat Simons nun das erste Konzert der Triennale gewidmet, mit Werken der Moderne, für die sich der Geehrte zu Lebzeiten stets eingesetzt hatte.

Moderne heißt in diesem Fall Musik des 20. Jahrhunderts, der Bogen spannt sich von Ferruccio Busoni über die Zwölftöner Berg und Webern, hin zu Messiaen und Giacinto Scelsi. Überwiegend kammermusikalisch besetzt, erweist sich dabei das Klangforum Wien als Meister farbenprächtiger Vielseitigkeit. In der Duisburger Gebläsehalle tönt es schroff und geschmeidig, dramatisch und bisweilen auch ein wenig kühl. Denn das Orchester mag das Sinnliche hervorheben, kann indes den analytischen Zugang zu dieser Musik nicht überspielen.

Das liegt nicht zuletzt an den beiden Dirigenten, die im Wechsel am Pult stehen. Sylvain Cambreling und Emilio Pomàrico bringen Klarheit ins Notengeflecht, setzen exakte Akzente. Lineare Verläufe können atmen, rhythmische Passagen sind kraftvolle Kontrapunkte, Klangfelder öffnen sich in aller Transparenz.

Entsprechend gelingt es nur bedingt, sich dem klingenden Geschehen ganz und gar hinzugeben. Am liebsten noch lassen wir uns von den süffig morbiden „Altenberg Liedern“ Alban Bergs umspülen. Rausch und Exaltation, aber auch sanfte Elegie inbegriffen. Zumal die Sopranistin Sarah Wegener mit wunderbar warmer Stimme oder geheimnisvollem Flüsterton die Texte Peter Altenbergs interpretiert. Und wenn sie die höchsten Höhen erklimmt, wähnen wir uns ohnehin ins Sphärische katapultiert.

Nicht minder engagiert: Hier steht Emilio Pomàrico am Pult des Orchesters.  Foto: Marcus Simaitis/Triennale

Nicht minder engagiert: Hier steht Emilio Pomàrico am Pult des Orchesters. Foto: Marcus Simaitis/Triennale

Anderes wirkt bodenständiger, dafür mutet es fremd an. Was Wunder, wenn etwa Busoni in seiner Studie für Streicher, sechs Bläser und Pauke indianisches Melos einflicht. „Gesang vom Reigen der Geister“ nennt er dies, 1915 komponiert, eine Musik, die zwischen Exotismus, einem Rest Romantik und neuer Sachlichkeit pendelt. Indisches Couleur wiederum lässt Scelsi knapp 60 Jahre später in „Pranam I“ erklingen, in Form einer virtuosen Lautmalerei, die Natalia Pschenitschnikova gekonnt umsetzt, während ein Tonband percussive Akzente liefert, alles eingebettet in große Klangflächen.

Als Meister der Farbe aber erweist sich zum Schluss der große französische Mystiker Olivier Messiaen, dessen Werk Gerard Mortier immer wieder in den Mittelpunkt der Triennale stellte. In den „Couleurs de la Cité Céleste“ will der Komponist nichts weniger als die Farben des Himmels in Klang umsetzen. Mit Flöten, Trompeten, Posaunen und Tuba, mit Xylophonen und Gongs, Glocken und Klavier. Orchester und Dirigent Cambreling loten sorgsam das dynamische Spektrum aus, arbeiten rhythmisch genau. Die Musik mit ihren stilisierten Vogelgesängen und riesenhaften Spreizklängen ist überwältigend. Großer Beifall.




Klugheit und Kraft bei der RuhrTriennale

Dass der Gründungsintendant Gerard Mortier nicht vergessen wird, dafür sorgte endlich eine Hommage in der Gebläsehalle Duisburg. Der jetzige Intendant Johan Simons hat diesen Abend zu Ehren seines verstorbenen Freundes eingerichtet. Das Klangforum Wien musizierte Werke von Scelsi, Busoni, Berg, Webern und Messiaen, Lieblingskomponisten von Mortier. Es dirigierten Emilio Pomàrico und Sylvain Cambreling.

Simons betonte in seiner kurzen Einführungsrede die Klugheit des ersten Triennale-Intendanten, seine umfassenden Kenntnisse in der Musik, der Architektur, der Literatur und auf vielen anderen Gebieten. Er sei ihm immer ein Freund gewesen und einmal sogar Dramaturg bei der Umsetzung des Buches „Milch und Kohle“ von Ralf Rothmann, unterfüttert mit dreizehn Arien von Verdi. „Sentimenti“ ist bis heute in Erinnerung. Es war ein würdevoller Abend und man hatte das Gefühl, gleich käme Mortier, der Meister der Vermittlung, auf die Bühne, um sich bei Künstlern und Publikum zu bedanken.

Tanz-Kreationen im Salzlager

Am Samstagabend kam die Tanzproduktion „Model“ zur Premiere. Richard Siegal bereist die Welt und schöpft daraus. Er konfrontiert das Publikum mit seinen unterschiedlichen und kraftvollen Tanz-Kreationen, dieses Mal im Salzlager auf Zollverein in Essen. Partner ist das Bayrische Staatsballett. Ballett? Ja genau, hier bewegt sich der klassische Tanz in neuen Welten, abseits der Schwäne und ohne Dornröschen.

Model

Szene aus der Produktion „Model“ (Foto: Ursula Kaufmann/RuhrTriennale)

Es ist ein formaler Kraftakt, sieht nach Arbeit aus an einem Ort, der (wie fast alle der RuhrTriennale) dafür einmal vorgesehen war. Es war laut und grell und Schweiß wurde ohne Sonneneinstrahlung produziert.

Zehn Tänzerinnen und Tänzer, naturgemäß eine Verbindung von Grazie und Kraft, machen die Bühne zu einem Exerzierfeld für Bewegungen. Das Publikum ist im Zustand freudiger Erregung, von freudig erregter Zustimmung. Ich bin weniger enthusiasmiert.

Teil zwei warnt vor dem Einsatz von Stroboskop-Licht. Ohrstöpsel kann man sich zum Schutz gegen zu viel Lärm mitnehmen. Es ist aber kein Lärm, sondern eine Puls steigernde Musik, ein Sound, der an Krieg und Zerstörung, an Schwerindustrie und Herzschlag erinnert. Lichteinsätze fliegen durch den Raum und über die Gesichter des Publikums. Es geht zur Sache. Es werden LED-Texte eingeblendet: „For the rejected inferno and for the elected paradise.” Daneben sieht man das Angesicht eines Säuglings. Die Worte „nice“ und „easy“ werden kurz durch die Halle gejagt. Gnadenlos und zornreich geben die Tänzer alles.

Draußen regnet es wie Bindfäden. Die Nacht bricht herein. Das Leben geht weiter, sanft und hässlich, schön und böse – wie immer.

Erstmals ein Festivalzentrum

Zum ersten Mal hat die RuhrTriennale ein Festivalzentrum eingerichtet, das täglich Besucher empfängt. Die Großinstallation vor der Jahrhunderthalle wurde vom Atelier Van Lieshout aus Rotterdam konzipiert und eingerichtet. Verschiedene Skulpturen laden zur Besichtigung.

WCs im Festivalzentrum

WCs im Festivalzentrum (Foto: Rolf Dennemann)

Das Refektorium lädt zu Musik, Film und Performance. „The good, the bad and the ugly“ heißt diese komische und gleichzeitig ernste Installation im Kunstdorf. Sogar die Toiletten haben industrielles Flair. So schnell ist die Vergangenheit Vergangenheit – Schwerindustrie als Folie für modernes Design.