Aseptische Ereignislosigkeit: Die „Orfeo-Installation“ der Ruhrtriennale

Eurydike in der Unterwelt. Der Teppichboden hat einen sichtlich hohen Synthetik-Anteil. Von Orpheus keine Spur. (Foto: Julian Röder/Ruhrtriennale)

Eurydike in der Unterwelt. Der Teppichboden hat einen sichtlich hohen Synthetik-Anteil. Von Orpheus keine Spur. (Foto: Julian Röder/Ruhrtriennale)

Die arme Eurydike. Isoliert hockt sie in Zimmern herum, die wie eine Vorhölle aus Plastik anmuten, wie ein aseptischer Albtraum zwischen Disneyland und Reha-Klinik. Sprechen kann sie nicht, denn eine Gummimaske mit wulstigen Lippen nimmt ihr Gesicht und Alter.

Geklont wurde sie offenbar auch, denn wir, die Besucher der Ruhrtriennale, begegnen auf unserem Gang durch das Labyrinth neongrell erleuchteter Zellen rund einem Dutzend Eurydikes mit wasserstoffblonden Perücken, die hier ein ebenso rätselhaftes wie freudloses Dasein fristen.

Von Orpheus weit und breit keine Spur. Aber die Musik, die der Komponist Claudio Monteverdi dem sagenumwobenen Sänger der griechischen Mythologie auf den Leib schrieb, begleitet uns als Soundtrack auf dem Weg. Sein Meisterwerk „Orfeo“, das als erste Oper der Musikgeschichte gilt, hallt durch die Weiten der Mischanlage der Essener Zeche Zollverein, wenn auch nur auszugsweise und häufig von elektronischen Klängen überlagert. Gespielt vom 2006 in Berlin gegründeten Solistenensemble Kaleidoskop, lassen die himmlisch reinen Harmonien uns andere Sphären ahnen, gewissermaßen Luft von anderen Planeten, ohne die wir in der seelenlosen Banalität dieser Umgebung womöglich erstickten.

Für die 1977 geborene deutsche Regisseurin Susanne Kennedy, die für die jüngste Produktion der Ruhrtriennale erneut mit dem niederländischen Performance-Duo Suzan Boogaerdt und Bianca van der Schoot zusammen gearbeitet hat, bildet Monteverdis Meisterwerk die Folie für eine Installation, die gut und gerne auch für die Kasseler Documenta taugen könnte. Mit Monteverdi als Stichwortgeber schuf sie eine rund 80-minütige „Sterbeübung“, die von den Besuchern in Gruppen zu maximal acht Personen zu absolvieren ist. Bewusst lässt sie die Figur des Orpheus links liegen, um sich auf die vermeintlich vernachlässigte Eurydike zu konzentrieren und uns so zum Nachdenken über Leben und Tod zu bringen.

Ein bisschen geht es dabei zu wie im Yoga-Unterricht, denn vieles dreht sich um die Kunst des Loslassens, die Orpheus bekanntermaßen nicht beherrschte, trachtete dieser Tropf doch danach, die verstorbene Eurydike durch seinen Gesang der Unterwelt zu entreißen. Und schaute dann auch noch im falschen Moment zurück. Wir aber sollen es besser machen, sollen das Unvermeidliche akzeptieren, wenn unsere Zeit gekommen ist. Dazu fordern uns Texte auf, die mal über Kopfhörer zu hören sind, mal über Video-Leinwände flimmern oder auf handgekritzelten Zetteln an den Wänden haften.

Was hier wie ein Tänzchen aussieht, soll Ausdruck von Seelenqual sein: Eurydike kann nicht leben, aber auch nicht sterben (Foto: Julian Röter/Ruhrtriennale)

Was hier wie ein Tänzchen aussieht, soll Ausdruck von Seelenqual sein: Eurydike kann nicht leben, aber auch nicht sterben (Foto: Julian Röder/Ruhrtriennale)

Wer kein Englisch versteht, ist bei dieser „Orfeo“-Installation übrigens ähnlich arm dran wie Zuspätkommer und alle, die kein festes Schuhwerk tragen oder nicht gut zu Fuß sind. Weder bietet das Triennale-Team Übersetzungen an, noch gibt es bei der „Sterbeübung“ Sitzgelegenheiten: Sie muss buchstäblich durchgestanden werden. Eine komfortable oder gar angenehme Erfahrung soll dieser „Orfeo“ keineswegs sein. Diesen Anspruch hatte die Regisseurin im Vorfeld formuliert. Dass sie ihn einlöst, kann freilich auch als zweischneidiges Schwert betrachtet werden. Der Besucher muss sich dieser Produktion aussetzen, ihre Ereignislosigkeit ertragen, denn über weite Strecken kann er nichts weiter tun, als verlegen herumzustehen und den starren Blick der Zombie-Eurydikes zu erwidern.

Wenn wir endlich sitzen dürfen, sind wir in einem Wartezimmer wie beim Hausarzt. Wir warten auf unseren Aufruf, mit zunehmend mulmigen Gefühlen. Denn keiner derer, die von den stummen Eurydikes durch zwei symbolbehaftete Türen hinaus geführt werden, kehrt zurück. Sie verlassen das Spiel, nehmen den Ausgang. Was mag sich hinter den letzten beiden Türen verbergen? Was haben jene gesehen, die uns verlassen? Wo gehen sie hin? Es kann keine Antworten geben. Für heute scheiden wir mit der inständigen Hoffnung, dass der Tod, wenn er uns holt, im Gegensatz zu Eurydike wenigstens keine Söckchen mit Delfin-Aufdruck trägt.

Bis 6. September 2015. Ticket-Hotline: 0221/280 210, Informationen und Termine: www.ruhrtriennale.de/de/orfeo




Portraitist der jungen Bundesrepublik – Bilder von Hans Jürgen Kallmann in Haus Opherdicke

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Junger Orang-Utan, 1970, Tempera, Pastell (Bild: Kreis Unna)

Der Kopf von Bert Brecht ist so groß, daß er kaum auf das Blatt paßt; der Kopf von Franz Josef Strauß füllt kaum die Hälfte des Blattes und ähnelt in seiner halslosen Rundheit einer Bowlingkugel. Zufall? Vielleicht schon, zwischen den beiden Pastellen liegen fast 30 Jahre. Vielleicht aber auch nicht. Der Maler Hans Jürgen Kallmann, der von 1908 bis 1991 lebte und dem der Kreis Unna nun in Haus Opherdicke eine Ausstellung ausrichtet, hatte Humor.

Kallmanns Kunst ist anspruchsvoll, aber nicht sperrig, war es wohl auch zu keiner Zeit. Natürlich probierte der junge Mann vieles von dem aus, was in den 20er, 30er Jahren in der Malerei als modern galt, versuchte sich in impressionistischen und expressionistischen Bildauffassungen – doch wenn man durch die Bilderschau im Obergeschoß wandert, sieht man schnell, daß größte Stärken in der Abbildung von Menschen und Tieren liegen.

„Entarteter Künstler“

Den Tieren verdankt Hans Jürgen Kallmann sozusagen seine Einordnung als „entarteter Künstler“, 1937 bereits. Wenn Geschichten wie diese im mörderischen Rassenwahn der deutschen Nationalsozialisten nicht einen so ernsten Hintergrund hätten, müßte man über sie lachen. Eins der Kallmann-Bilder nämlich, die die Nazis aus Ausstellungen in Köln und Berlin entfernten, zeigte eine „Hyäne in der Nacht“, an der den Machthabern mißfiel, daß eine „rassisch minderwertige“ Tierart Hauptthema eines Bildes war. Auf so was muß man erstmal kommen. Hans Jürgen Kallmann konnte mit dem Stigma des „entarteten Künstlers“ einigermaßen leben, wenngleich er bis zuletzt Angst vor Diffamierung und weiterer Repression hatte.

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Bundeskanzler Konrad Adenauer, 1963, Pastell (Bild: Kreis Unna)

Und nach dem Krieg kam die große Zeit für den Künstler. Politisch unbelastet und dem angesagten Informel der Wirtschaftswunderzeit gegenüber eher ablehnend gestimmt, wurde er schnell zu einem der gefragtesten Portraitisten der jungen Bundesrepublik. Konrad Adenauer, der erste Kanzler, hatte mehrere Sitzungen bei Kallmann, in denen 17 Pastelle entstanden sowie das Ölbild, das im Bundeskanzleramt die Reihe der deutschen Kanzler eröffnet. Die Pastelle, die ähnlich wie Fotoserien verschiedene Perspektiven ausprobieren, gefielen „dem Alten“ – im Entstehungsjahr 1963 war Adenauer 89 Jahre alt – übrigens besser als das naturgemäß recht statuarische Endprodukt in Öl, erinnert sich die Witwe des Künstlers Dr. Gerda Haddenhorst-Kallmann. Sie hat er übrigens 1977 in Öl und im Profil gemalt und das Bild „Gerda in Burgunder“ genannt. Wahrscheinlich ist das burgunderfarbene Kleid der Gemahlin gemeint, doch läßt die Zubereitung „in Burgunder“ durchaus auch ans Essen denken. Ein „lecker Mädchen“ mithin in rheinischer Lesart. Der Maler hatte Humor.

Leuchtende Trompete

Den Bundespräsidenten Theodor Heuss (1884-1963) hat er gemalt, den Philosophen Ernst Bloch (1885-1977), Papst Johannes XXIII (1881-1963) und viele mehr. Nicht alle Bilder entstanden nach persönlichen Begegnungen in Sitzungen. Louis Armstrong beispielsweise malte Kallmann in starker expressionistischer Verknappung, ein konzentrierter Mensch vor dunklem Grund, dessen Trompete, mit großen Händen gespielt, gelbgolden hervorleuchtet.

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Der Schauspieler Max Proebstl in der Rolle des Falstaff, 1962, Öl auf Leinwand (Bild: Kreis Unna)

Überhaupt, die Künstler: Da geht die Reihe von der Opernsängerin Grace Bumbry bis zum Dirigenten Hans Knappertsbusch, vom Autor Rolf Hochhuth bis zur Schauspielerin Tilla Durieux (1880-1971).

Pastelle geraten nach der Natur, hin und wieder jedoch genehmigt sich der Künstler eine pointiertere Deutung seines Gegenübers, wenn er etwa den italienischen Schauspieler Lino Ventura (1919-1987) mit einer momenthaften, jedoch überaus charakteristischen abwägend-zögerlichen Gesichtsmimik zeigt, die optisch durch die vorgestülpte Unterlippe geprägt wird; oder wenn er sich – eine ungewöhnliche Anordnung – im Gespräch mit dem österreichischen Schauspieler Helmut Qualtinger (1928-1986) abbildet und Qualtingers Kopf in dem Bild viel, viel größer ist, als es nach der Natur sein könnte. Vermutlich ist dies eine tiefe Verbeugung des Malers vor dem intellektuellen Bühnenberserker, der an der Welt litt, dem Alkohol zugewandt war und zu früh starb.

Bilder aus Ismaning

Thomas Hengstenberg als Leiter des Fachbereichs Kultur und Sigrid Zielke-Hengstenberg als Kulturrefentin haben die rund 90 Arbeiten in Haus Opherdicke sinnhaft zusammengestellt und klug gegliedert. Die meisten von ihnen sind Leihgaben des Kallmann-Museums in Ismaning, wo der Künstler seit den frühen 60er Jahren lebte.

Bilder wie die jetzt gezeigten, die zahlreichen Pferdebilder zumal, gefallen vielen Menschen auch heute noch. Würde man sie deshalb gefällig nennen, wäre das ungerecht, weil dem Wort eine gewisse Geringschätzung anhaftet. Hans Jürgen Kallmanns Bilder sind harmonisch in Farbe und Strich, handwerklich untadelig, souverän proportioniert und, so weit es die Portraits betrifft, von psychologischer Genauigkeit. Außerdem bieten sie ein oft vergnügliches Wiedersehen mit berühmten Köpfen von früher. Ein großes Aufregerthema jedoch ist dieses Oeuvre nicht. Wer sich über Kunst aufregen will, braucht nicht nach Opherdicke zu kommen.

  • Hans Jürgen Kallmann, Haus Opherdicke, Dorfstraße 29, Holzwickede.
  • 23. August bis 22. November 2015
  • Geöffnet Di-So 10.30 – 17.30 Uhr
  • Eintritt 4 €, Katalog 24 €
  • www.kreis-unna.de, www.kulturkreis-unna.de



Sie sind jung und schön und hören gerne Zaz oder Milky Chance

…ok, Zaz hab ich sogar schon mal gehört.

Das sind halt junge schöne glückliche Menschen, die sich freuen, dass sie ihren Platz in der Kultur-Industrie gefunden haben (hauptberuflich Designer, Fotografen, Foodblogger, Modeblogger, Techblogger, Pornodarsteller und Aufnahmeleiter bei Jamie Oliver etc.) und viele Fans auf Instagram und Twitter. Und sie sind glücklich und schön, weil sie jung und schön und glücklich sind und ihren Platz in der Kultur-Industrie gefunden haben und Designer, Fotografen, Foodblogger, Modeblogger, Techblogger, Pornodarsteller und Aufnahmeleiter bei Jamie Oliver sind etc.

sternzeichen smoothie und veggieburgerIhr Sternzeichen ist der Smoothie aus Bio-Früchten und fettarmem Bio-Joghurt oder der Veggie-Burger mit biologischen Süßkartoffelpommes für 14,95 (Getränke extra). Sie sind für die Umwelt und für Bioklamotten und für Bioessen, weil das irgendwie dazugehört und eh besser ist für die Umwelt, fahren am Sonntagmorgen mit dem SUV, das ist sicherer!, Brötchen vom Bäcker nebenan holen und stehen da in der Schlange, weil sie das aus der Rama-Werbung kennen und freuen sich, dass sie in der Schlange stehen, weil sie das aus der Rama-Werbung kennen und das ist alles so schön und warm und so vertraut und so heimelig und Kinder wollen sie ja eh mal, zwei, n Jungen undn Mädchen, weil Kinder sind doch so wichtig für alles und so und wenn die einen dann so anlachen. Außerdem können sie dann auch bald nen eigenen YouTube-Channel mit Spielzeugtests machen und aus den Werbeeinnahmen was zum Haushalt dazugeben. Aber das mit den Flüchtlingen ist echt schlimm.

hipsterpärchenDie Frauen tragen weite Strickpullover mit zu langen Ärmeln, Wollsocken und Flip-Flops und halten die Tasse mit koffeinreduziertem senseo-Latte in beiden Händen, während sie die neue Country Homes aufm ipad durchblättern, den manufactum-Katalog studieren, die greenpeace-Überweisung machen und noch eben die online-Petition für die Flüchtlinge unterzeichnen und nachher nachm Büro gehts noch zur urban-knitting-Gruppe, weil das ist ja wichtig für uns alle und so und die Männer tragen Bart oder auch nicht, weil das ja unhygienisch ist, trinken mit guten Freunden ein craftbier (max.) und sind fast so lustigdoof wie der Golden Retriever, stinken aber weniger, wenn man ihnen jeden Tag sagt, dass sie duschen und auf jeden Fall mehrmals täglich Deo verwenden sollen und auch Zahnseide und sone Pflegeserie für ihn.

Aber irgendwie ist der Retriever dann doch irgendwie, naja, kuscheliger und so und man muss ihn nur ab&zu mal rauslassen und Futter geben und er passt ja auch besser zum Sofa und lecken kanner ja auch und wenn dann erst mal die Kinder da und aus dem Gröbsten raus sind, naja.

[Zeichnungen ©scherl]

[Lehrreiches: urban knitting]