Mozarts Requiem inmitten von Klangräumen – ein Triennale-Konzert der experimentellen Art

Chor, Orchester, Solisten und Dirigent im Einsatz für den Raumklang. Foto: Pedro Malinowski

Chor, Orchester, Solisten und Dirigent im Einsatz für den Raumklang. Foto: Pedro Malinowski

Die Triennale wäre nicht sie selbst, würde auf ihren Konzertprogrammen nur das stets Gehörte, das sattsam Bekannte stehen. Und so hat sich das Festival vor allem dem Neuen in der Musik verschrieben. Kompositionen des Repertoires finden oft nur insofern Beachtung, als sie in einen ungewöhnlichen Zusammenhang gestellt werden. Dann mag sich ein anderer Blickwinkel, besser gesagt, ein veränderter Höreindruck einfinden.

Dieses andere Hören soll nicht zuletzt auf der besonderen Akustik der Industriehallen fußen, die mancher in allerernstestem Verklärungseifer als Kathedralen apostrophiert. Nun, so gesehen, passt das jüngste Triennale-Konzert namens „Klangräume“ zur riesigen Gladbecker Maschinenhalle Zweckel, bekommen wir doch überwiegend Sakrales zu hören.

Alles Klingende kreist dabei um Mozarts Requiem, das sich selbst gewissermaßen nackt präsentiert. Denn das ChorWerk Ruhr, diesen Abend maßgeblich prägend, bringt uns nur des Komponisten Fragment zu Gehör, die unvollendete Totenmesse also, mit all ihren Brüchen oder Auslassungen in der Instrumentation.

Doch der radikale Blick aufs Original ist nur die eine Seite. Weil dieses unfertige Ganze nun kombiniert wird mit „Sieben Klangräume“ von Georg Friedrich Haas – moderne Musik, zwischen einzelne Requiem-Stücke platziert. Sodass nun ein seltsames Zwitterwesen zu hören ist, ein Homunkulus einerseits der scharfen Kontraste, aber auch, zum anderen, der sinnfälligen Verstärkung von Befindlichkeiten.

Erwähnt sei nur das „Lacrimosa“ (Tag der Tränen, Tag der Wehen), von dem Mozart acht Takte nur geschrieben hat, dem der Klangraum V, „Atmung“ folgt: Erst die stockende Musik, dann ein eher unregelmäßiges Atmen, verbunden lediglich mit ein paar Geräuschen. Haas lässt des Menschen Ende auf der Intensivstation suggerieren, so eindringlich beklemmend wie des Klassikers Tonfolgen.

Einen ähnlich starken Effekt bewirkt der Klangraum II, nach Mozarts „Tuba mirum“ (Laut wird die Posaune klingen), wenn Haas’ Musik mehr und mehr in allerschwärzeste Bassregionen hinabfließt. Hinzu kommt ein weiterer Kunstgriff: Der Chor zitiert aus einem sehr weltlichen Schreiben des Wiener Magistrats an Mozart – singend, brabbelnd, flüsternd, mal nur Satzfetzen hervorstoßend, mal auf nur einem Wort beharrend – sodass bisweilen der Eindruck entsteht, hier will sich das Diesseits ins Jenseitige hineinfressen.

Florian Helgath, ein Dirigent, der so exakt wie unaufgeregt zu Werke geht. Foto: Pedro Malinowski

Florian Helgath, ein Dirigent, der so exakt wie unaufgeregt zu Werke geht. Foto: Pedro Malinowski

Eigentlich gilt die Musik des Abends aber zuerst dem Sphärischen. Wie es die beiden Stücke des Ungarn György Ligeti sehr eindringlich beweisen. „Ramifications“ für 12 Soloinstrumente steht am Beginn, ein Werk der minimalen Veränderungen, der weiträumigen Verästelungen, sehr statisch, und doch voller Bewegung. Ähnliches gilt für den himmelwärtigen Ausklang, das „Lux aeterna“ für 16 Chorstimmen, die sich in einem mikrotonalen Raum voneinander wegbewegen und wieder zueinander finden. So erleben wir ein großes klingendes Fluidum, dessen Farbspektrum unendlich scheint.

Dies zelebriert das ChorWerk Ruhr in größter Präzision, wenn auch die Soprane bisweilen leicht übersteuern. Aber welches Ensemble verfügt schon über derart schwarze Bässe, die bei Bedarf noch mühelos im Falsett glänzen. Die Bochumer Symphoniker wiederum, alle übrigens unter Leitung von Florian Helgath, glänzen bei der Klanggestaltung. In Mozarts „Requiem“ indes, das der Dirigent schlank und straff musiziert sehen will, fehlt es dem Orchester mitunter an artikulatorischer Genauigkeit. Stilsicher hingegen die vier Solisten, an erster Stelle der markige Bass von Tareq Nazmi, neben Dominik Wortig (Tenor), Ingeborg Danz (Alt) und Sibylla Rubens (Sopran).

Viel Beifall für ein Konzert, dessen experimenteller Charakter verhindert, uns ganz dem Jenseitigen hinzugeben. Hinzu kommt: Akustisch ist die Halle Zweckel für die Sphärenklänge nicht das Nonplusultra. Einst hörten wir das „Lux aeterna“ mit dem ChorWerk im Dortmunder Konzerthaus. Dort wurde das Stück zur Offenbarung.

 

 




„Endlich Dortmund!“ – ein Stadtführer in Klecks- und Kritzel-Optik

Noch’n Stadtführer über Dortmund? Und dann noch einer, der sich „Endlich Dortmund!“ nennt; ganz so, als hätten wir alle seit jeher auf ihn gewartet. Aber vielleicht ist ja vor allem gemeint, dass man mit seiner Hilfe endlich richtig in der Stadt ankommt.

Am Werk war jedenfalls ein recht junges fünfköpfiges Team (Jahrgänge zwischen 1983 und 1990). Da der Band offenbar vorwiegend für (studentische) Neuankömmlinge gedacht ist, hat der Verlag auch auf ein möglichst frisch-fröhliches Erscheinungsbild geachtet, man könnte auch von Klecks- und Kritzel-Ästhetik sprechen. Einige Male finden sich ringförmig gedruckte Kaffeeflecken im Text. Echte fallen dann nicht mehr so auf. Der praktische Nutzen ist nicht zu leugnen.

Layout 1Es herrscht allzeit ein launiger, „flotter“ Tonfall, der von etwaigen Problemen und Schattenseiten in der Kommune lieber nichts wissen will. Die Gentrifizierer von morgen wollen halt feiern und gepflegt konsumieren, drum wird hier gern mal die „stylische Retro-Location“ (O-Ton) angepriesen, Empfehlungen versieht man derweil mit einfallslosen Prädikaten wie „cool“, „angesagt“ oder „kultig“.

Zwar enthält das Buch zahllose Fotos, doch sind sie allesamt nur im „Briefmarkenformat“ zu sehen. Somit entfallen schon mal einige optische Reize. Ob das hippe Publikum, das hier offenbar angesprochen werden soll, die anfängliche Tour durch alle Stadtteile goutiert, erscheint fraglich. Was wollen „Studis“ in Asseln oder Kirchlinde? Sie suchen auch in Dortmund wenigstens einen Hauch vom Prenzlberg-Flair. Deswegen hätten z. B. Kreuz- und Kaiserviertel noch prominenter hervorgehoben werden müssen. Wenn schon, denn schon.

Wer die Stadtteile samt Zentrum hinter sich gebracht hat, ist schon auf Seite 60 angelangt. Nun geht’s aber „endlich“ (!) zur Sache, besser: zu ganz vielen, zumeist zielgruppengerechten Sachen. Fahrradstrecken, Bioläden, Restaurants (Currywurstbuden inbegriffen), Kneipen, Cafés, Sport und Kultur. Das ganze Programm halt. Rauf und runter. Wer etwas genauer reinschaut, wird manche Stätten doppelt und dreifach finden, beispielsweise den „Salon Fink“ am Nordmarkt, der in (mindestens) drei Rubriken genannt wird. Die Betreiber werden es zu schätzen wissen.

Was macht man im Winter, was macht man sonntags? Auch dazu gibt es einige Tipps. Und immer nur das Positive: Liest man hier nach, könnte man glatt glauben, Dortmund sei eine Kinometropole, in der man alle wichtigen Filme gezeigt bekommt. Das stimmt aber nun gar nicht.

Immerhin: Mit diesem Buch wird man als Neuling sicherlich auch ein paar Entdeckungen in der Stadt machen können. Das Wichtigste und auch das Übliche stehen in aller Kürze drin, doch fehlen echte „Geheimtipps“ und manche Abschnitte werden wohl rasch veralten. Aber es gibt einen Ausgleich: Vorsichtshalber gilt diesem Buch, das im Juni erschienen ist, das Deutsche Fußballmuseum bereits als „neu eröffnet“, obwohl es doch erst gegen Ende Oktober starten wird. Da wird die Aktualität rasant links überholt.

Ansonsten hat man an (beinahe) alles gedacht: an typische touristische Mitbringsel aus Dortmund, an ein (freilich etwas dürftiges) Ruhri-Wörterbuch sowie an fiktive Dortmund-Bilder in Literatur, Film und TV, ein notgedrungen knappes Kapitel also.

Und was finden wir am Schluss? Raum für „Deine Dortmund-Notizen“, hübsch vorliniert wie im Schulheft. Alsdann, lasset uns mitkritzeln. Oder etwa nicht?

„Endlich Dortmund!“ rap Verlag, Freiburg. 268 Seiten, Taschenbuch. 15,90 Euro.




Von der Kunst in der Fremde – Gine Selles Roman „Ausflug ins Exil“

CoverGine Selle ist bildende Künstlerin – eigentlich. Nun legt die Dortmunderin ihren ersten Roman vor. „Ausflug ins Exil“ handelt von Chile heute und Deutschland gestern, von starken Frauen und der Kunst, das Leben zu meistern.

Gine Selle: Schon ihr Schaffen als bildende Künstlerin ist ungewöhnlich vielfältig. In den vergangenen Jahren arbeitete die 49-Jährige mit Fotografie, Film und Audios. Sie malt und zeichnet, lithographiert und collagiert, knüpft und kopiert. Sie verschickt künstlerisch gestaltete Postkarten an Phantasie-Adressen und schaut, was mit ihnen passiert („Das Rückkehrer-Projekt“). Ebenso breit ist ihr Themenspektrum: Sie beschäftigte sich mit Kommunikation im Allgemeinen und Höhlenmalerei im Besonderen, mit Familienkonstellationen, mit dem Bayerischen Wald (ihrer zweiten Heimat) und, als ausgebildete Heilpraktikerin, mit Medizin-Themen. Das klingt wahllos, ist es jedoch nicht. Der rote Faden durch ihr Werk drängt sich nicht sofort auf, bleibt aber stets sichtbar. Es geht, immer wieder, um die oder das Fremde, um Verfremdung und das Vertrautwerden.

bücklinge-swKlDass diese Künstlerin nun einen Roman vorlegt, überrascht nur auf den ersten Blick: Schon mit ihren ersten literarischen Gehversuchen gewann sie vor einigen Jahren den ersten Preis in einem Kurzgeschichtenwettbewerb. Seitdem feilte sie an ihrem Stil, belegte Literaturkurse und ließ sehr langsam den ersten Roman wachsen. Nun ist er fertig – ein Episodenroman, pendelnd zwischen Deutschland und Chile, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Erlebtem und Fiktion.

„Ausflug ins Exil“, so der Titel, basiert auf Gine Selles Erlebnissen und Erfahrungen bei einem Kunst-Aufenthalt in Chile. Es ist die teils unglaubliche, teils phantastische, mal traurige, mal schockierende Geschichte ihrer chilenischen Gastgeberin, die der Deutschen in langen Gesprächen ihr Leben und ihre Erfahrungen im deutschen Exil schilderte. Gine Selle verwebt diese Geschichten mit ihren eigenen Erlebnissen, mit ihrer Sicht auf das heutige Chile.

Illustrationen: Gine Selle

Illustrationen: Gine Selle

Olinda, so heißt die chilenische Gastgeberin, war als junge Frau vor Augusto Pinochets Militär-Diktatur geflohen und im Ruhrgebiet gestrandet. Dort fand sie ihr Zuhause in der linken Szene, agitierte gemeinsam mit deutschen Freunden und mit ihrer kleinen Familie, der dieses Engagement zwischen Politik und Party nicht immer gut bekam.

Die deutsche Künstlerin Karla kommt unter ungleich bequemeren Bedingungen in die chilenische Fremde: Sie wird für ein Mauer-Kunst-Projekt nach Chile eingeladen und verbringt mehrere Wochen in dem Land, das sie nie zuvor besucht hat. Sie saugt das Leben in dem Küstenort Vina del Mar bei Valparaiso begeistert in sich auf, beißt sich aber auch an den Stories ihrer Gastgeberin fest. Die bietet verlässlich neues Geschichten-Futter und impft Karla mit ihrem ganz speziellen Blick, dem Blick einer ehemaligen Exilantin auf die veränderte Heimat.

„Episodenroman“ nennt Gine Selle ihren Roman – und tatsächlich erzählt jedes der 31 Kapitel auf den 291 Seiten eine eigene kleine Geschichte. Und doch ist dieser Roman mehr als eine Ansammlung amüsant geschriebener Kurzgeschichten. Geschickt knüpft die Autorin Erzählstränge über mehrere Geschichten, baut Spannung auf und hält sie aufrecht. So wie Karla sich mehr und mehr fesseln lässt von Olindas Geschichten, lässt sich auch der Leser gerne und ganz ein auf die Lebenswege dieser beiden Frauen, die sich nur an einem winzigen Punkt für wenige, aber sehr fruchtbare Wochen kreuzen.

Ein Künstler-Roman ist dieses Buch in dreifacher Hinsicht: Erstens wurde es von einer Künstlerin geschrieben, zweitens handelt es von einer Künstlerin – und drittens enthält es Illustrationen. Das Buch ist bevölkert von charmanten kleinen Litographie-Lebenwesen, die auch auf grafischer Ebene von Fremdheit und Kommunikation, Phantasie und Parallelwelten erzählen.

Eine Vorstellung des Romans gibt es am Samstag, 12. September (18 Uhr) im Jazzclub „domicil“ in Dortmund, Hansastraße. An diesem Tag wird ebenfalls eine Ausstellung von Gine Selle in der domicil-Galerie eröffnet.

Gine Selle: „Ausflug ins Exil“. Episodenroman. Epubli Verlag 2015, 12,80 Euro. Zu beziehen unter gineselle.de oder bei epubli.de.