Ikone der Filmgeschichte: Vor 75 Jahren wurde Chaplins „Der große Diktator“ uraufgeführt

In diesem Film gibt es Szenen, die in die Weltgeschichte der bewegten Bilder eingegangen sind. Szenen, die man einmal gesehen hat und nie wieder vergisst. Szenen, die das Lachen herauskitzeln und die einem das Lachen im Hals steckenbleiben lassen. Die „New York Times“ bezeichnete ihn – unter einem bestimmten Blickwinkel gesehen – als vielleicht bedeutsamsten Film, der je produziert wurde. Gemeint ist Charlie Chaplins „Der große Diktator“.

Die bittere und zugleich erzkomische Satire auf Adolf Hitler und das Dritte Reich hatte vor 75 Jahren, am 15. Oktober 1940, ihre Premiere – und zwar in New York, nicht wie üblich in Los Angeles, weil Chaplin eine bereits angelaufene Protestwelle fürchtete. Das Hays-Office, die amerikanische Zensurbehörde, äußerte bereits im Vorfeld Bedenken gegen den Film; Chaplin erhielt aus pro-faschistischen Kreisen Drohbriefe.

Chaplin, wie Hitler im April 1889 geboren, ist vielleicht der einzige Künstler, dem es je gelungen ist, die Figur des größenwahnsinnigen Diktators künstlerisch adäquat umzusetzen. Leicht ist es dem britischen Komiker nicht gefallen: Bis 1935 reichen die Vorbereitungen für den Film zurück. Chaplin musste sein Konzept am Set auch gegen einzelne Mitarbeiter durchsetzen. Und die Kritik war keineswegs einhellig positiv. 1940 ging es in der öffentlichen Diskussion in den USA um einen möglichen Kriegseintritt; Chaplins „Großer Diktator“ wurde da als Beitrag zur Kriegshetze missverstanden.

Darf man über Verbrecher lachen?

Später hat man ihm sogar vorgeworfen, den Nationalsozialismus verharmlost zu haben. Die Frage, ob man über die furchtbaren Verbrecher des Dritten Reiches lachen dürfe, wurde auch in der Nachkriegszeit lange diskutiert. Chaplin selbst bekannte später, hätte er die wahren Gräuel in den Konzentrationslagern gekannt, hätte er den Film nicht produzieren können. Die Amerikaner gaben den Film nach Testaufführungen im Nachkriegs-Berlin nicht frei; er kam erst 1958 in die deutschen Kinos. 2004 erlebte er sein Comeback in einer aufwändig restaurierten Version.

Charlie Chaplin indes wusste, was er tat und was er wollte: Er hatte die Tiraden und Ausfälle Hitlers lange genug studiert, um ihren unmenschlichen Kern freizulegen. Er hatte erkannt, dass die Hassreden gegen die Juden und „Untermenschen“, ihre Diskriminierung und letztlich tödliche Verfolgung ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit unerhörten Ausmaßes waren. Er wollte die Wahrheit mit seinen Mitteln darstellen und die Menschen aufrütteln – mit den Mitteln des Komödianten, mit der Kunst der Parodie, der Überzeichnung, der Satire und Persiflage.

Und so ließ er „Adenoid Hynkel“, den Herrscher über „Tomania“, mit einem Luftballon in der Form eines Globus tanzen, bis der Luftbehälter platzt und nur ein paar Fetzen in den Händen des Diktators zurückbleiben. So persiflierte er die „Achse“ zwischen Hitler und Mussolini mit dem Treffen des kriegswütigen Hynkel mit dem kaum weniger gewaltversessenen Herrscher von Bacteria, Benzino Napoloni. Die Szene mit dem verfehlten roten Teppich vor dem Zug gehört zu den Ikonen gelungenen Slapsticks.

Plädoyer für Freiheit und Humanität

Für das Finale des Films – den Einmarsch Tomaniens ins Nachbarland „Osterlich“ – lässt Chaplin einen kleinen, aus dem KZ geflohenen Juden in die Rolle des Diktators geraten: Die tragikomische Gestalt des verfolgten Friseurs, der dem Gewaltherrscher zum Verwechseln ähnlich sieht – Zwei-Finger-Bart unter der Nase eingeschlossen –, muss die Rede nach dem erzwungenen „Anschluss“ des besetzen Landes halten. In diesem Moment wächst er über sich hinaus: Er plädiert für Völkerverständigung, gegen Sklaverei und Unterdrückung, für Freiheit, Toleranz und Humanität. Eine fast sechsminütige Rede, die in der Kritik auf Ablehnung stieß. Formal, weil sie die Ebene der Handlung verlässt und die „vierte Wand“ zum Zuschauer durchbricht; inhaltlich, weil Chaplin seine politische Position unverstellt und leidenschaftlich formuliert.

Die Worte dieser Rede stehen in denkbar scharfem Gegensatz zu dem Kauderwelsch, mit dem sich der echte Diktator in einer vorangegangenen Szene vor dem Mikrofon produziert hatte. Chaplin hatte für diese Ansprache Hitlers Gestik und Mimik genau studiert, um sie lächerlich zu überzeichnen. Und seine Sprache ist ein künstliches Gebrabbel, in dem man nur hin und wieder einzelne Worte erkennt: „Sauerkraut“, „Schnitzel“ oder „Blitzkrieg“. Eines der Kunstworte Chaplins, „Schtonk“, hat über den Film hinaus Karriere gemacht.

„Der große Diktator“ ist nicht nur eine genialische und tief bewegende Satire. Er ist, wie die „New York Times“ schrieb, ein von Grund auf tragisches – oder im klassischen Sinne tragikomisches Werk. Er ist bis heute ein Aufruf, hellsichtig zu bleiben und die Unmenschlichkeit, die sich nicht ausrotten lässt, zu erkennen und zu benennen. Und er ist ein berührendes Zeugnis für den großen Humanisten Charles Spencer Chaplin, der sich in der Rede des jüdischen Friseurs im Film unverstellt wiederfinden lässt:

„Es tut mir leid aber ich möchte nun mal kein Herrscher der Welt sein, denn das liegt mir nicht.
Ich möchte weder herrschen, noch irgendwen erobern,
sondern jedem Menschen helfen, wo immer ich kann.
Den Juden, den Heiden, den Farbigen, den Weißen.
Jeder Mensch sollte dem anderen helfen, nur so verbessern wir die Welt.
Wir sollten am Glück des andern teilhaben und nicht einander verabscheuen.
Hass und Verachtung bringen uns niemals näher.
Auf dieser Welt ist Platz genug für jeden, und Mutter Erde ist reich genug, um jeden von uns satt zu machen.
Das Leben kann ja so erfreulich und wunderbar sein.
Wir müssen es nur wieder zu leben lernen.“




Indonesien auf der Buchmesse: Ein kleiner Verlag präsentiert einen Roman über Bali

Ein deutscher Beitrag zum Schwerpunkt "Indonesien" der Frankfurter Buchmesse: Lothar Reichels Roman "Insel der Dämonen" entführt den Leser nach Bali. Buchcover: Verlag Peter Hellmund

Ein deutscher Beitrag zum Schwerpunkt „Indonesien“ der Frankfurter Buchmesse: Lothar Reichels Roman „Insel der Dämonen“ entführt den Leser nach Bali. Buchcover: Verlag Peter Hellmund

Die edelsten Perlen finden sich tief unten im Meer. Die indonesischen Perlentaucher wissen das. Der deutsche Buchmarkt, dessen große Verlage derzeit auf der Frankfurter Buchmesse ihre Neuerscheinungen präsentieren, taucht nicht immer so tief. Dort grast man gerne die Oberfläche ab, wo wächst, was sich geschmeidig der Strömung anpasst. Und so kommt es, dass eine schüchterne Perle in einer winzigen Nische zu finden ist. Ein Glück, dass es solche wagemutigen Verleger noch gibt.

Das Buch ist ein deutscher Beitrag zum Schwerpunkt „Indonesien“ der diesjährigen Buchmesse. Es widmet sich Asiens Ferieninsel Nummer eins: Bali. Vier Millionen Besucher jährlich beschäftigen ein Fünftel der Bevölkerung und tragen einen wesentlichen Teil zum Bruttoinlandsprodukt bei.

Die reiche Kultur Balis zog in den siebziger Jahren esoterisch angehauchte Backpacker an. Die sich offen gebenden Menschen, die farbenprächtigen Feste und Riten begeisterten sie. Der geheimnisvolle Zauber der Gamelanmusik, der Dämonenfratzen und der Bilder naiver Maler lassen die Besucher nicht unberührt. Auch wer Sprache und Kultur nicht versteht, wird bezaubert und erlebt Bali als faszinierend „exotisch“.

Auch Autor Lothar Reichel konnte sich der geheimnisvollen Anziehung der Insel mit ihren Vulkanen und Stränden nicht entziehen: Aus einer Reise als junger Mann wurden viele; aus ersten Eindrücken und Bildern wurde ein vertieftes Eindringen in balinesische Religion, Literatur, Mentalität. Dabei traf Reichel auf den in Russland geborenen deutschen Maler und Musiker Walter Spies, eine farbige Persönlichkeit mit intimen Kenntnissen balinesischer Kultur. 1942 kam er als Internierter ums Leben, als die Japaner das Schiff versenkten, das ihn mit 400 anderen Deutschen nach Ceylon bringen sollte. Außerhalb Balis vergessen, hat Spies der modernen Malerei der Insel, aber auch dem balinesischen Drama wichtige Impulse gegeben.

Der Maler Walter Spies. Foto: Paul Spies, Collectie Stichting Nationaal Museum van Wereldculturen. Leiden

Der Maler Walter Spies. Foto: Paul Spies, Collectie Stichting Nationaal Museum van Wereldculturen. Leiden

Spies ist eine der Personen, um die es in Reichels Roman „Insel der Dämonen. Eine Geschichte von Liebe und Tod auf Bali“ geht. Aber schon der Titel ist eine Anspielung: Die deutsche Autorin Vicki Baum hatte 1937 ihren Roman „Liebe und Tod auf Bali“ veröffentlicht. Bis heute gehört er zur Pflichtlektüre für Bildungstouristen – und er ist seither das einzige bekannte auf Deutsch geschriebene literarische Werk über Bali geblieben.

Auch Vicki Baum spielt in Reichels neuem Roman eine entscheidende Rolle: In einem fiktiven Bericht klärt sie auf, wie es damals wirklich gewesen ist, als sie auf der unerschlossenen Insel mit Spies zusammenkam und ihren Roman skizzierte.

Doch das ist die zweite Ebene des Buches. Die erste beginnt, wie Tausende schnell lesbarer Unterhaltungsschinken einsteigen könnten: Studiendirektorengattin Amanda, beflissen auf der Suche nach kulturellen Kicks, Impressionen der Fremde und ein bisschen nach sich selbst, hat ihre Tochter Lena zum Urlaub auf Bali überredet. Die ist eine Kunsthistorikerin in der zweiten Blüte der Jugend, auf der Suche nach einem Job und auch ein bisschen nach sich selbst. Bei ihrem ersten Besuch am Strand taucht wie ein Ungeheuer aus dem Meer ein dicker Mann aus den Fluten: ein zwielichtiger Kunsthändler. Auch er auf der Suche – nach einem verschollenen Bild von Walter Spies, seinem letzten und wichtigsten. Lena soll ihm bei der Recherche helfen. Und so kommt eine Handlung in Gang, an deren Ende nichts mehr so ist, wie es anfangs war oder zu sein schien.

Der Rest des Unerklärbaren

Reichel verknüpft die beiden Erzählebenen kunstvoll miteinander: Die eine erklärt Gedanken oder Geschehnisse auf der anderen, Ereignisse hier treiben die Handlung dort voran. Man erkennt den passionierten Krimi-Autor – Reichel hat bereits fünf Regional-Krimis über die fränkische Industriestadt Schweinfurt publiziert – im spannenden Aufbau des Plots. Wobei Reichel nicht auf das Wer-ist-der-Täter-Schema verfällt, sondern manches verrät, um den Leser dann in die umso packendere Welt der Motive, Gründe und Ursachen zu entführen.

Dass es dabei aus aufgeklärt-rationalistischer europäischer Sicht nicht immer mit rechten Dingen zugeht, liegt auf der Hand: Bali, geheimnisvoll und mystisch, gilt als ein Ort, wo übersinnliche Kräfte walten, bis hin zur schwarzen Magie. Eine Insel der Götter und Dämonen eben. So bleibt auch in Reichels Buch manches ungeklärt. Daraus resultiert – zum Glück – keine mystifizierende Esoterik.

Den Rest des Unerklärbaren auf Bali, das übrigens selbst höchst seriöse Wissenschaftler bestätigen, lässt Reichel gekonnt in der Schwebe: Wie steht es um die hinduistische Vorstellung der Wiedergeburt? Gibt es den Einfluss okkulter böser Mächte? Gibt es Schadenszauber oder durchdringt eine verborgene zweite Welt die sinnlichen Eindrücke der ersten? Darüber wird so geschrieben, dass dem Leser stets der Weg der Interpretation offen steht: Der europäische Verstand wird nicht beleidigt.

Sonnenuntergang über den Reisfeldern von Blimbing. In Reichels Roman wird auch über die Schönheit Balis reflektiert. Foto: Visit Indonesia Tourism Office

Sonnenuntergang über den Reisfeldern von Blimbing. In Reichels Roman wird auch über die Schönheit Balis reflektiert. Foto: Visit Indonesia Tourism Office

Dennoch öffnet das Buch auf lebendig geschilderte Weise Einblicke in die balinesische Kultur. Reichel meidet es, die Distanz des Europäers durch vordergründige Räucherstäbchen-Esoterik zu vernebeln; er lässt durchblicken, dass er stets mit den Augen des Fremden auf eine Kultur schaut, die sich wohl nie restlos erschließen lässt. Aber er öffnet Zugänge. Etwa, wenn er als einen entscheidenden Ausgangspunkt der Handlung die Feier einer Leichenverbrennung schildert – halb Volksfest, halb touristisches Spektakel, bei dem die Balinesen trotz der Menge von Gaffern auf diskrete Weise unter sich bleiben.

Mit Ironie betrachtet Reichel aber auch den europäischen Hang, sich auf Fremdes einzulassen und es erfassen zu wollen: seit alters her ein Impuls europäischer kultureller Entwicklung. Der trägt bei der höchst interessierten Amanda feine komische, im Falle Lenas irritierend ambivalente Züge.

Man erfährt viel über Bali, ohne dass Reichel seiner Erzählung den Drive nehmen würde. Seine Sprache hält dem Leser stets den Faden vors innere Auge, an dem er sich weiterhangeln kann: Da bewährt sich der erfahrene Journalist – Reichel ist als Radioredakteur in Würzburg tätig. Dass der Schreiber in bisweilen üppiger Sprache seine Belesenheit demonstriert, stört nicht: Reichel versteht es, von Goethe bis Hofmannsthal, vom „Faust“ bis zum „Rosenkavalier“ Zitat-Gemeinplätze geschickt zu platzieren und ironisch zu konterkarieren. Keine Bildungsschwere!

„Insel der Dämonen“ ist auch ein wunderschönes Buch geworden, weil der Buchverlag Peter Hellmund keinen Aufwand gescheut hat: Den Umschlag ziert ein Bild von Walter Spies, der Satzspiegel wirkt edel, das feine Papier und ein Lesebändchen sind liebevolle Details, mit denen ein Buch zum sinnlichen Greifen einlädt. Und Bali-Besucher dürften nun zu Vicki Baums Roman künftig ein zweites Buch in ihr Gepäck zu schnüren haben.

Lothar Reichel: Insel der Dämonen. Eine Geschichte von Liebe und Tod auf Bali. Buchverlag Peter Hellmund, Würzburg. 480 Seiten, 24,00 Euro. ISBN 978-3-939103-60-8.