Dem Pigment verfallen – Bilder und Skulpturen von Thomas Kesseler im alten Ostwall-Museum

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Lichthof des „richtigen“ Dortmunder Museums am Ostwall, geschüttete Fläche aus tiefblauem Pigment im Hintergrund, Künstler Thomas Kesseler davor. (Foto: Simone Melenk/BDA-Dortmund)

Das größte Bild in der Ausstellung ist gar keins, jedenfalls kein richtiges. Es ist eine rechteckige Schüttung aus ultramarinblauen Farbpigmenten, um die 100 Quadratmeter groß; Ein Gemälde zum Materialpreis von rund 600 Euro, das nach dem Ende der Ausstellung einfach zusammengefegt werden kann. Geschaffen hat es der Künstler Thomas Kesseler, als Auftakt gleichsam seiner Werkschau aus rund 30 Schaffensjahren.

Thomas Kesseler ist Architekt, Maler und Bildhauer. Bekannt wurde er einem breiteren Publikum durch seine künstlerischen Um- und Neugestaltungen sakraler Innenräume: St. Katharina in Unna, die Kapelle der evangelischen Akademie in Schwerte-Villigst, Kirchen in den Dortmunder Stadtteilen Eving und Rahm sowie in Bochum, Bottrop und Essen. Der Künstler arbeitet mit Farbgebungen und in Sonderheit kräftigen Farbverläufen, mit Glasmalerei, Licht, Möblierung, Grundrissänderungen, man könnte seinen innenarchitektonischen Ansatz radikal nennen. Und der traditionelle Begriff Innenarchitektur greift bei Licht betrachtet sicherlich zu kurz.

Das große Vorbild Giacometti

Im alten Dortmund Museum am Ostwall indes präsentiert sich Kesseler als Künstler, dessen Arbeiten für sich stehen und nicht an bestimmte Räume gebunden sind. Seine Leidenschaft gilt dem Pigment; flächenbetonte leuchtkräftige Bilder herrschen vor, die oft nur eine einzige Farbe zeigen; lange, dürre Skulpturen auf massiven Sockeln gesellen sich ihnen zu, Menschenandeutungen in Bronze mit Patina, den entmaterialisierten Schreitenden eines Alberto Giacometti keineswegs unähnlich. Ja, sagt Kesseler, Giacometti sei für ihn ein ganz Großer, der ihn stark beeinflusst habe. Wie auch Lehmbruck, und es gebe keinen Grund, das Vorbilder zu verleugnen.

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Gemacht, um auf der Erde zu stehen: Künstler vor dunklen Arbeiten mit schwerer Wachsfirnis. (Foto: Simone Melenk/BDA-Dortmund)

Seit er sich Mitte der 80er Jahre recht flott von gegenständlichen Themen verabschiedete – auch aus dieser frühen Schaffensperiode hängen einige Großformate in der Ausstellung – besteht Thomas Kesselers malerische Welt vorwiegend aus Flächigkeit. Doch sind die Flächen mal Farbverläufe, mal annähernd monochrom, mal auch in unerwarteter Weise dreidimensional wirkend, mal, angehoben gleichsam durch die Andeutung eines Bilderrahmenelements, „schwebend“. Und dass die Bilder gut in eine anspruchsvolle Innenarchitektur passen würden, dass sie schöne, oft dramatische Hintergründe für die Präsentation der Skulpturen abgeben, erschließt sich augenblicklich.

Der Wal auf der Galerie

Kleine Figuren, große Bilder: Für eine graue „Schieferwand“ (240 x 360 cm) verwendete Kesseler sechs Leinwände, für einen „Wal“, der oben viele Quadratmeter groß im Galerieflur hängt, gar sieben. Diesem Riesenbild ist eigen, dass es in Gänze nicht betrachtet werden kann. Steht man im Galerieflur direkt davor, ist es zu groß, schaut man von der anderen Seite des Lichthofs auf die Galerie, verdecken Säulen ein Gutteil des Bildes. Es ist ein bisschen so wie in manchen alten Kirchen, wo Teile der großen Kunst hinzuerahnt werden müssen.

Ein ganz besonderer „Farbkeil“ befindet sich in zwei Vitrinen. Hier hat der Künstler Dinge des täglichen Lebens, vom Kinderspielzeug bis zur Waschmittelpackung, farblich sortiert so angeordnet, dass auf geschätzten drei Metern ein prismatisch korrekter Verlauf von Rot nach Blau entstand. Auch das kleine Citroën-Modell aus dem Setzkasten musste hier seinen Beitrag leisten – Kesseler ist bekennender Fan der Marke.

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Der „Wal“ ist auf sieben Leinwände gemalt und hängt in der Galerie des Lichthofs. (Foto: Simone Melenk/BDA-Dortmund)

Menschgemäße Maßstäblichkeit

Die schlanken Skulpturen auf ihren wuchtigen Sockeln zeugen von einer nie nachlassenden Auseinandersetzung mit Gewichtung und Proportion, mit menschgemäßer Maßstäblichkeit, sozusagen dem täglichen Brot des Architekten.

Zudem hat Thomas Kesseler Figuren in Beziehung zueinander gesetzt, laufende, schreitende, stehende. Installationen mit kaum mehr als fingernagelgroßen Gestalten auf einem Brett und, zwei Räume weiter, mit Gipsfiguren von der Größe mittlerer Hunde stehen für Überlegungen, einen öffentlichen Platz mit künstlichen Gestalten auszustatten, um ihm zusätzliche kommunikative Valeurs zu geben. Das Projekt „Figurenplatz Wien“ indes harrt noch der Verwirklichung. Ein „laufendes Kind“ aus Kesselers Werkstatt aber läuft tatsächlich durch den öffentlichen Raum, seit 1996, in Velbert.

Professor in Detmold

Es gibt bei Thomas Kesseler, der übrigens an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe in Detmold als Professor für „Farbe und Raum – Künstlerische Grundlehre Innenarchitektur“ wirkt, etliche Felder forschenden Schaffens mehr, etwa seine Annäherung an die Skulptur der Antike, wie die meisterliche Federzeichnung „Studie nach dem Pergamonfries“ aus dem Jahr 2006 belegt. Doch würde es den Platz sprengen, alles berücksichtigen zu wollen.

Mit der Präsentation dieses Künstlers und Kollegen hat die Gruppe Dortmund-Hamm-Unna des Bundes Deutscher Architekten (BDA) eine gute und sinnvolle Entscheidung getroffen, die zudem einmal mehr die Ausstellungs-Qualitäten des ehemaligen Museumsgebäudes hervorhebt. Wie berichtet, soll hier nach umfangreichem Umbau ab 2018 das NRW-Baukunstarchiv seine Heimat finden.

  • „Thomas Kesseler: Skulptur – Farbe – Raum. Dreißig Jahre 1985 – 2015“
  • Ehemaliges Museum Ostwall, Ostwall 7, Dortmund.
  • Noch bis zum 14. Februar. Geöffnet Mi-Fr 14-18 Uhr, Sa+So 11-18 Uhr.
  • Eintritt frei
  • Kontakt: Tel. 0231 1356050
  • beisemann@beisemann-schenk.de
  • www.bda-dortmund.de
  • www.bau-kunst-kesseler.de
  • Am Freitag, 12. Februar (17 Uhr) führt der Künstler selbst durch seine Ausstellung.



„Geschichte im Westen“ – zur 30. Ausgabe der verdienstvollen Zeitschriften-Reihe

„Tief im Westen“ krächzte Grönemeyer einst ins Mikrofon, und im Revier wusste jeder sofort Bescheid: Der Westen, das ist hauptsächlich das Ruhrgebiet, aber auch ganz Nordrhein-Westfalen zählt sich zum Westen der Republik.

Es gibt sogar seit einiger Zeit die Diskussion, ob in einem Europa der Regionen das wirtschaftlich starke NRW nicht besser in einem Staatenbund mit den Benelux-Ländern aufgehoben wäre als in der so bayernlastigen Bundesrepublik. Wer weiß, wie lange die Nationalstaaten alter Prägung noch existieren – und weil Historiker in langen Zeiträumen rechnen, gibt es in der Reihe „Geschichte im Westen“ auch dieses Thema.

Pfeil Klartext 1

Mit Druckkosten-Hilfe der beiden Landschaftsverbände Rheinland (LVR) und Westfalen-Lippe (LWL) gibt es im Essener Klartext-Verlag seit nun drei Jahrzehnten die Zeitschriften-Reihe „Geschichte im Westen“. Natürlich ist das Wort Hefte untertrieben, denn es handelt sich jeweils um veritable Bücher. Die jetzt erschienene Nummer 30 hat als Schwerpunkt das Thema „Europa und Region – Nordrhein-Westfalen, Belgien und die Niederlande“. Die Autoren – überwiegend Historiker an Hochschulen – beschäftigen sich unter anderem mit den Wirtschaftsbeziehungen der Länder, mit polizeilicher Zusammenarbeit, mit politischen Grenzen als Sprachgrenzen und mit der Entstehung des Mehrebenen-Systems in Nordrhein-Westfalen nach dem Zweiten Weltkrieg.

Außerhalb dieses Schwerpunktes findet sich ein Aufsatz von Professor Dr. Ulrich Pfeil von der Universität in Metz (Lothringen), der sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit des ersten Bürgermeisters der 1949 gegründeten Stadt Ennepetal befasst. Jener FDP-Politiker Dr. Fritz Textor war gegen den Widerstand der Sozialdemokraten und der KPD per Losentscheid ins Amt gekommen, und als der Stadtrat jetzt eine neu gebaute Straße nach Textor benannte, gab es erneut heftige Proteste, die jedoch ohne Erfolg blieben. Mit knapper Mehrheit lehnte der Stadtrat trotz des eindeutigen Gutachtens von Professor Pfeil eine Umbenennung ab. So kommt es, dass Ennepetal nicht nur vier Straßen nach honorigen NS-Widerstandskämpfern benannte, sondern auch eine Straße dem seinerzeit aktiven SA-Mann und NSDAP-Mitglied Textor widmete und im Wissen um seine Vergangenheit diese Widmung per Beschluss ausdrücklich bestätigte.

In den Schwerpunkt des Buches passt dieser Dr. Textor trotz anderer Ankündigung doch etwas hinein: Als Kulturrat nämlich war er während der deutschen Besatzung in Brüssel für die Bemühungen um die Germansierung der Wallonen mitverantwortlich. Deshalb heißt der Artikel von Pfeil über ihn auch „Von einem ,Westforscher‘ der zweiten Generation“. Textor war nach dem Krieg übrigens nicht nur Bürgermeister, sondern auch Direktor des Gymnasiums und Schulbuchautor.

„Geschichte im Westen“. Zeitschrift für Landes- und Zeitgeschichte. Jahrgang 30 (erschienen im Dezember 2015): „Europa und Region – Nordrhein-Westfalen, Belgien und die Niederlande“. Klartext-Verlag Essen, 226 Seiten, 25 Euro.