Elend so nah: Jelineks „Die Schutzbefohlenen“ mit Epilog im Bochumer Schauspiel

Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum

Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum

Es regnet Menschen: Klein, rosa, nackt prasseln die Püppchen auf die Bühne hernieder und bleiben den Wohlstandsmenschen in den Haaren hängen. Sie häufen sich auf dem Boden, so dass die Bühnenarbeiter sie zum Schluss wegfegen müssen. Hilft ja nichts, es sind zu viele.

Wortkaskaden strömen in den Zuschauerraum, es sind viele Wörter, Textflächen, sie kreisen um die Themen Flucht, Migration, das Eigene und das Fremde und sie sind von Elfriede Jelinek. Hermann Schmidt-Rahmer inszenierte für das Bochumer Schauspielhaus „Die Schutzbefohlenen/Appendix/Coda/Epilog auf dem Boden“, wobei „Die Schutzbefohlenen“ bereits 2014 uraufgeführt wurde. Das Stück nimmt Bezug auf die antike Tragödie „Die Schutzflehenden“ von Aischylos. Parallel zur Entwicklung der „Flüchtlingskrise“ in Europa hat Jelinek den Text seitdem fortgeschrieben und erweitert. Der letzte Teil „Epilog auf dem Boden“ war nun in Bochum erstmalig zu sehen.

Die Perücken und Kostüme der Schauspieler erinnern an Marie Antoinette und Luis XVI, aber als seien sie von Karl Lagerfeld verfremdet und zum letzten Schrei von Paris erklärt. Die dekadente Gesellschaft trägt dunkle Datenbrillen, durch die sie in sicherem Abstand die Tragödie auf dem Mittelmeer medial verfolgt.

Nein, die Europäer sind nicht am eigenen Leibe betroffen, sie schauen nur zu. Natürlich ist das schrecklich, da muss man Mitleid haben. Wirklich beängstigend wird es aber für sie erst, als plötzlich die realen Menschen in ihr Land strömen und man diesen und ihrem Unglück von Angesicht zu Angesicht begegnen kann. Da wird’s dann doch ein bisschen viel. So genau wollte man das Elend lieber doch nicht sehen.

Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum

Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum

In Jelineks Text prallen die Absurditäten der Politik und Gesellschaft mit einer ganz eigenen Ironie aufeinander. Sie hat dem Gerede gelauscht und reiht die wahnsinnigen Worthülsen dieser Tage so aneinander, dass man nicht zu fassen glaubt, was man da alles hört.

Doch wie funktioniert das auf der Bühne? Schmidt-Rahmer hat mit seinem Bühnenbildner Thilo Reuther und den Kostümen von Michael Sieberock-Serafimowitsch eine ästhetische Plattform gefunden, in der sich das Thema sinnfällig entfalten kann: Die große Landkarte von Nordafrika ist wie ein Trichter aufgehängt, durch den die eingangs beschriebenen Püppchen in die Szene purzeln. Die großartigen Schauspieler bringen den Text zum Schweben und helfen bei der Materialisierung – inklusive Püppchenköpfen (für das Video im Netz).

Allerdings ist Jelineks Perspektive immer nur die unsere: Auch wenn Schicksale von Flüchtlingen referiert werden, geschieht das durch unsere Augen und nicht aus deren eigener Sicht. Hier gerät der Text an seine Grenzen, das ist dramatisch nicht leicht zu überwinden. In Nicolas Stemanns Inszenierung für das Thalia Theater waren Flüchtlinge selbst als Chor einbezogen, Schmidt-Rahmer überlässt es in Bochum den Schauspielern, auch in die Rollen der Flüchtlinge zu schlüpfen. Das klappt nicht immer. Aber warum sollte es auch? Jelinek schreibt über uns, weil sie von uns am meisten weiß. Und wir im Publikum schauen dabei zu – die anderen stauen sich an den Grenzen…

Karten und Termine: www.schauspielhausbochum.de




Zeitlose Kultband „Element of Crime“ machte im Münsteraner „Jovel“ ihren Job

„Wenn der Wolf schläft, müssen alle Schafe ruhen“ – ist das neue „Wenn der Kuchen spricht, schweigt der Krümel“, nur nachdrücklicher. Dieser Songtitel scheint das derzeit beliebteste Zitat bei den Bandmitgliedern von „Element of Crime“ zu sein. Schon im letzten Jahr wurden müde Tatort-Zuschauer damit aus ihrem verkaterten Neujahrs-Dämmerschlaf gerissen, die Webseite der Band macht damit auf und betritt man eine EoC-Konzert-Location, ist das Erste, was man sieht, Klamottage mit diesem Spruch.

Element of Crime gastierten am Donnerstag in Münsters nach wie vor famoser Music-Hall Jovel; nicht ohne vor dem eigentlichen Konzertbeginn einer hoffnungsvollen Nachwuchsband die Chance des Vorgruppen-Acts zu geben. Bei der aktuellen Tour ist es „Von Wegen Lisbeth“ aus Berlin, die zunächst einmal den Altersdurchschnitt in der Halle rapide senkte, vor allem aber mit funkigem Indie-Pop und rasantem Instrumentenwechsel gut ankam. Durchweg „nice“ wie die Jungs wohl selber sagen würden, folgt man ihrem amüsanten Tourblog.

Die Bühne für die Elements ist danach gut bereitet. Die Combo, nach dem gleichnamigen Kultfilm von Lars von Trier benannt, hat einen sehr eigenen und auch einzigartigen Stil in der deutschen Singer-Songwriter-Szene etabliert und das Kunststück fertig gebracht, gleichermaßen vom Publikum und vom Feuilleton gefeiert zu werden.

Melancholisch, aber nicht düster

Die Stücke leben musikalisch von einem unaufdringlichen, aber stets zielsicher führenden Rhythmus, den bei Indie-Gruppen üblichen schrammelnden Gitarren und den Bläser-Elementen, die einen an Wim-Wenders-Engel denken lassen – und natürlich von der rauen, man möchte fast sagen verlebten Stimme des Frontmanns Sven Regener, die auch zunächst „unsingbar“ wirkende Texte berührend zu intonieren weiß. „Element of Crime“ sind im besten Sinne eine zeitlose Kultband mit einer treuen Fangemeinde. Auf ihrer Homepage bezeichnen sie sich selbst als Melancho-Rocker, das trifft es ganz gut. Melancholisch, aber nicht düster, sondern hoffnungsfroh.

Das Spannendste an den Stücken sind die großartigen Texte. Bei Sven Regener stellt sich sowieso allenfalls die Frage: Mag man seine Bücher lieber oder doch seine Songtexte? Seine Texte handeln von den Mysterien des Alltags und was sie mit den Menschen machen. Aus alltäglichen, jedermann bekannten Situationen zieht Regener ganz erstaunliche Rückschlüsse, die einen in einer merkwürdigen Gefühlsgemengelage zwischen verzaubert und verstört zurücklassen. Selbstironisch wird Weltfremdheit absichtlich zelebriert, obwohl die Musiker ganz genau wissen, wie es läuft.

Das perfekte Liebeslied

Betroffenheits-Rock und politische Statements findet man so gut wie nie. Wobei die Darbietung des Titels „Draußen vor dem Fenster“ aus dem Jahr 1993 gerade vor dem Hintergrund aktueller Geschehnisse erschreckend aktuelle Assoziationen heraufbeschwor. Und immer wieder ist natürlich Liebe ein Thema, Liebe und ihre Ausweglosigkeit. Liebe kann man nicht erklären, aber beschreiben kann man sie. Vor allem Sven Regener kann das, im Herzen vermutlich ein ungebrochener Romantiker. „Am Ende denk ich immer an Dich“ ist das perfekte Liebeslied. Alleine dafür gebührt den Elements ewiger Dank.

Die vier Stamm-Musiker (Regener, Jakob Ilja, David Young und Richard Pappik) werden bei der aktuellen Tour wie schon im Vorjahr von Rainer Theobald (Klarinette, Saxophon) unterstützt. Alle sind sehr gute Musiker, die auf der Bühne einen ausgezeichneten Job machen. Aber es schleicht sich der Eindruck ein, dass es genau das ist, was sie da machen: ein Job. Ausgezeichnet zwar, aber trotzdem ein Job.

Keine Überraschungen

Übertriebene Nähe zum Publikum gehört definitiv nicht zum Grundanliegen der Musiker, um es vornehm auszudrücken. Was nicht weiter schlimm ist. Aber worauf sich der geübte Rockkonzert-Gänger doch vor einem Konzert freut, sind Überraschungen. Neu-Interpretationen, Zusätze, verlängerte Soli bei den Stücken. Bei Element of Crime bedauerlicherweise Fehlanzeige. Geboten wird seltsam unbeteiligte Perfektion, nur ganz selten unterbrochen von einer zu hohen Aussteuerung, die leider gerade der Stimme Regeners nicht gut bekommt.

Die Darbietung auf der Bühne ist an Statik nicht zu überbieten und macht es schwer bis unmöglich, alle Musiker wenigstens einmal in Augenschein zu nehmen. Hat man einen blöden Platz und richtet sich der Vordermann plötzlich zu ungeahnter Körpergröße auf, hat man eben einen blöden Platz und Ende. Wer darauf hofft, dass das ein oder andere Bandmitglied mal seine Position verändert, der hofft vergebens. Bei Sven Regener wird es wohl der Tatsache geschuldet sein, dass er auf der Bühne den mit Abstand stressigsten Job macht. Dauernd zwischen Trompete und Gesang nahezu übergangslos wechselnd, maximal einen Atemzug lang Zeit, Luft zu holen. Dass er da nicht den Tanzbären gibt und Ansagen macht, die „kein Mensch braucht“ (O-Ton Regener), sieht man sogar ein.

Entlassen wurde das Publikum mit der inoffiziellen Hymne der norddeutschen Tiefebene („Delmenhorst“) und der erleichternden Beobachtung, dass keine E-Gitarren-Aufhängung gerissen ist. Es gab wohl genug Craft-Bier samt altmodischer Gummidichtungen*. Das freut dann doch.

„Element of Crime“ tourt in diesem Jahr noch außerordentlich fleißig. Termine auf der Homepage der Band.

(* bezieht sich auf ein in dieser Woche in der FAZ erschienenes „Bier-Dramolett“ von Sven Regener)