Weltweit für verfolgte Autoren eintreten – zur Jahrestagung der deutschen PEN-Schriftsteller

Als Gastautor berichtet der Dortmunder Schriftsteller Heinrich Peuckmann von der PEN-Jahrestagung in Bamberg – und gibt einen Ausblick auf die nächste Zusammenkunft der Schriftstellervereinigung, die 2017 in Dortmund stattfinden wird. Heinrich Peuckmann ist selbst Mitglied des PEN.

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Die Ressourcen werden knapper, die Verteilungskämpfe härter, die sozialen Konflikte spitzen sich zu. Regierungen, besonders Diktaturen, denen dazu keine oder nur unzureichende Lösungen einfallen, haben immerhin noch die Möglichkeit, ihre Kritiker zu verfolgen. Und das tun sie.

Über 800 Autoren, Journalisten und zunehmend auch Blogger stehen im Moment auf der Case-List des internationalen PEN, weil sie in ihren Heimatländern im Gefängnis sitzen, gefoltert werden oder sogar mit dem Tode bedroht sind.

Bedrohliche Lage in der Türkei

Im Schatten dieser beängstigenden Zahl fand die Jahrestagung des PEN in der Weltkulturerbe-Stadt Bamberg statt. Das Motto der Tagung, von Jean Paul entliehen, bekräftigte den Kampfeswillen der gut 150 Autoren, die nach ihrer Charta der Freiheit des Wortes verpflichtet sind und den bedrückenden Zustand nicht hinnehmen wollen: „Eine Demokratie ohne ein paar hundert Widersprechkünstler ist undenkbar.“

Hauptschauplatz der nächsten PEN-Tagung im April 2017: das "Dortmunder U" - hier im Hintergrund. (Foto: Bernd Berke)

Hauptschauplatz der nächsten PEN-Tagung im April 2017: das „Dortmunder U“ – hier im Hintergrund. (Foto: Bernd Berke)

Begleitet werden die Sitzungstage des PEN stets von einem literarischen und politischen Begleitprogeramm. Die Eingangsveranstaltung beschäftigte sich diesmal mit der Verfolgung der türkischen Journalisten Can Dündar und Erdem Gül, die veröffentlicht hatten, dass der türkische Geheimdienst Waffen nach Syrien, und dabei womöglich an den IS, geschmuggelt haben soll. Der deutsche PEN hatte die beiden schon vor dem Treffen zu seinen Ehrenmitgliedern ernannt, so dass Strafen gegen sie nun auch Strafen gegen Mitglieder des PEN sind.

Unter der Moderation des Rundfunkredakteurs und Autors Harro Zimmermann diskutierten der „Writers-in-Prison-Beauftragte“ und Vizepräsident Sascha Feuchert und der inzwischen aus der Türkei ausgewiesenen Spiegel-Redakteur Hasnain Kazim ausführlich die bedrückende Situation für kritische Journalisten und Schriftsteller in der Türkei.

Gegen den Blasphemie-Paragraphen

In einer anderen Veranstaltung mit dem Titel „Befreit Gott von den Gläubigen“ diskutierten u.a. der Bundesrichter und Spiegel-Kolumnist Thomas Fischer und der Philosoph Christoph Türcke über den §166 zur Blasphemie, dessen Abschaffung am Ende der Veranstaltung von allen Beteiligten gefordert wurde. Fischer führte stringent aus, dass §130 (Volksverhetzung) ausreiche, um die Störung der öffentlichen Ordnung durch Beleidigung und Herabsetzung auch der Religion zu bestrafen.

Der deutsche PEN ist der einzige von insgesamt 130 PEN-Clubs in aller Welt, der ein eigenes „Writers-in-Exile“-Programm hat. Acht verfolgte Autoren leben als Stipendiaten derzeit in seinen Wohnungen in verschiedenen deutschen Städten. Nach Gefängnis, Verfolgung, Todesdrohung können sie hier zwei Jahre Ruhe finden und wieder schreiben. Diese Stipendiaten sind natürlich auch Gäste bei den Jahrestagungen und werden stets dem Plenum vorgestellt.

Natürlich spielt auch die Literatur eine Rolle, und hier gibt es seit drei Jahren den schönen Programmpunkt, dass die neuen Mitglieder, die bei der vorangegangen Jahrestagung neu in den PEN gewählt wurden, sich mit einer Kurzlesung vorstellen. Diesmal waren bekannte Autoren und Kritiker wie Antje Ràvic Strubel, Sigrid Löffler oder Anne Mehlhorn darunter.

88 vorwiegend jüngere Autoren kommen hinzu

Die Neuwahlen waren in diesem Jahr ein Knackpunkt, denn das Präsidium hatte im Vorfeld festgestellt, dass von den jungen Autoren, die sich im Literaturbetrieb längst einen Namen gemacht haben, viel zu wenige Mitglieder im PEN sind. So hat denn das Präsidium selbst, was absolut ungewöhnlich ist und nur einmal vor vielen Jahren, als Heinrich Böll noch PEN-Präsident war, vorgekommen war, eine umfangreiche Liste mit achtundachtzig Autoren vorgelegt, die dann tatsächlich alle gewählt wurden. Man wollte eine Lücke schließen und einer Überalterung vorbeugen, unter der viele Verbände (nicht nur im Kulturbereich) leiden. Autorinnen und Autoren wie Albert Ostermaier, Jenny Erpenbeck, Gabriele Krone-Schmalz, aber auch der Dortmunder Jörg Albrecht sind darunter.

Vorfreude auf Dortmund

Daraus ergibt sich sich nun für die Jahrestagung 2017 die Notwenigkeit einer langen Literaturnacht mit Parallellesungen an verschiedenen Plätzen, um diese schöne Einrichtung beibehalten zu können. Diese nächste PEN-Jahrestagung wird von 27. bis 30. April 2017 in Dortmund stattfinden, weshalb Kulturdezernent Jörg Stüdemann nach Bamberg gekommen war, um die Stadt in einem ebenso launigen wie informativen Vortrag vorzustellen. Nach diesem Vortrag gab es viel Zustimmung, die PEN-Autoren freuen sich auf Dortmund. Haupttagungsort wird das Dortmunder „U“ sein, aber es werden auch Veranstaltungen im Depot im Dortmunder Norden und im Museum für Kunst- und Kulturgeschichte stattfinden.

Dabei soll die literarische Tradition dieser Stadt aufgegriffen werden. Die „Dortmunder Gruppe 61“ mit Autoren wie Max von der Grün, Günter Wallraff oder Josef Reding wurde hier gegründet und beschäftigte sich mit dem Thema Arbeitswelt zu einer Zeit, als es in der übrigen Literatur so gut wie gar nicht auftauchte. Später wurde dieser Schwerpunkt vom „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“, der viele Jahre im Dortmunder Fritz-Henßler-Haus tagte, fortgesetzt.

Neuer Blick auf soziale Konflikte

Dass es längst wieder Zeit ist, sich mit dieser Thematik zu beschäftigen, zeigen die vielen sozialen Konflikte im Land. Zu diesem Punkt gab es ein großes Einvernehmen unter den PEN-Autoren, denn viele finden, dass es längst Zeit ist, sich wieder neu diesem Thema zuzuwenden.

Das Motto der Dortmunder Tagung, zu der auch NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ihr Kommen zugesagt hat, geht natürlich auf einen Dortmunder Autor zurück. Peter Rühmkorf wurde in dieser Stadt geboren und er äußerte zum politischen Engagement eines Autors „Bleib erschütterbar und widersteh.“ Fast so etwas wie ein Dauerauftrag an den PEN.

Die Dortmunder Jahrestagung soll durch verschiedene Veranstaltungen vorbereitet werden, damit das Anliegen schon vor dem Kommen der vielen Autoren den Kulturinteressierten der Stadt bekannt ist. Beispiel: Der kolumbianische Stipendiat Erik Allena Bautista, ein Filmemacher und Lyriker, soll im Herbst seine Arbeiten im Literaturhaus vorstellen. Seine Mutter wurde in Kolumbien getötet, er selber wurde nach kritischen Filmen über die Mafia gesucht. Nun lebt er als Writer-in-Exile in Hamburg. Dazu soll es eine Lesung mit einem prominenten PEN-Autor geben.




Alles steht kopf – Thomas Schweres macht mit dem Krimi „Die Abdreher“ das große Fass auf

Die Abdreher Vier frisch abgetrennte Männerköpfe auf dem Fensterbrett einer Wohnung in der Dortmunder Nordstadt. Und gesehen hat natürlich keiner was. Wirklich keiner? Der Jagdinstinkt des Polizeireporters Tom Balzack ist geweckt. Da müssen sich doch Augenzeugen auftreiben lassen, besser noch ein Video. Und am allerbesten, wenn es zu diesem Video noch ein bisschen journalistischen Beifang gibt, mit dem man Mafiabosse an die Angel kriegt.

Blöd allerdings, wenn die Mafia noch der angenehmste Gegner ist und man vor lauter Recherche gar nicht gewahr wird, wer die eigentlichen Hintermänner sind und mit wem man sich da noch alles anlegt. Mit dem IS zum Beispiel. Oder mit der Dortmunder Polizei in Gestalt des mürrischen, aber fähigen Kommissar Schüppe und seinem in der rechten Szene agierenden Undercover-Agenten.

Noch blöder, wenn man auf allen Abschusslisten steht und dadurch ganz prima als Köder für Schüppe und Co. fungieren kann, selbst aber der Letzte ist, der das mitkriegt.

Mit „Die Abdreher“ schickt Thomas Schweres zum dritten Mal den kauzigen Schüppe und den umtriebigen Balzack auf Verbrecherjagd – und nicht nur das Cover steht auf dem Kopf. Die ganze Welt scheint aus den Fugen geraten.

Nichts ist, wie es scheint und alles hängt mit allem zusammen. Passt gut auf den Schauplatz Ruhrgebiet, hier mischt sich ja von jeher alles mit allem und das gilt natürlich auch für das Verbrechen. Und wo der Autor schon einmal dabei ist, das ganz große Fass aufzumachen, findet sich auch noch Platz für die Genderdebatten: Als Tribut an den Feminismus gibt es eine eiskalte Auftragskillerin und mit dem Märchen von den angeblich nicht existenten gesetzesfreien Zonen räumt Schweres direkt mit auf. Zur Auflockerung gibt es ein paar boulevardeske Gestalten, deren real existierende Vorbilder unschwer zu erkennen sind.

Schweres gibt sich mit diesem überbordenden Füllhorn an Themen, die er da über den Leser ausschüttet, selbst genug Gelegenheit, sich zu verzetteln – aber er kriegt immer die Kurve. Hat man erst einmal alle handelnden Personen verinnerlicht, liest es sich trotz der überbordenden Ereignisse leicht. Der langjährigen Berufserfahrung der Reporters Schweres sei Dank. Verkürzen, zusammenfassen und schnell wieder zurück auf den Punkt kommen, das kann er.

„Die Abdreher“ sind noch etwas düsterer als ihre Vorgänger. Zu aktuellen Geschehnissen wie der „Flüchtlingskrise“ und der Bedrohung durch den IS eröffnet Schweres neue Blickwinkel. Glaubwürdig zeigt er, dass auch Allianzen funktionieren, die auf den ersten Blick absurd anmuten, möglicherweise motiviationsbedingt aber logisch sind. Denn ein Krieg, eine Krise entsteht nur vordergründig aus Ideologien und Glaubensfragen, letztendlich geht es immer nur um Macht und Geld. Wie nahe Schweres mit seiner Romanhandlung der tatsächlich vorhandenen Bedrohung kommt, zeigte sich just diese Woche mit mit dem erschreckenden Anschlag auf den Tempel der Sikh in Essen.

Wie schon in den vorangegangen Bänden spricht Schweres unerschrocken das aus, was viele wissen, alle ahnen, was aber nur allzu gerne unter den Tisch gekehrt wird. Er legt seine Finger in die Wunden des Reviers und spricht Klartext. Seine geschickt in die Romane eingebauten Erkenntnisse aus seinem real existierenden Reporterleben wiegen umso schwerer, als Schweres selbst aus dem Ruhrgebiet ist und es erkennbar liebt. Trotz allem. Wegen allem.

Dennoch sind Schweres‘ Krimis nicht nur etwas für die Freunde der spannenden Ruhrpott-Literatur. Die Handlung spielt hier, kann auch nur hier spielen, aber Lesefreude dürfte auch weit über das Revier hinaus aufkommen. Und das bisschen Ruhrpottsprech in den Dialogen schaffen auch Auswärtige.

Bei aller Düsternis bleibt aber auch dieses Mal der Humor nicht auf der Strecke. Dafür kennt der Medienprofi Schweres sein Publikum zu gut. Etwas Auflockerung muss sein. Und wenn sie in der Gestalt des Labradoodles Renault daherkommt. (Renault, weil er auch nicht anspringt. Haha. Aber geschenkt. Verbuchen wir es unter der alten Ruhrpottweisheit: Mit ’nem guten Plattwitz kriegste allet aufgelockert). Auch aktuelle Steilvorlagen wie die verunsichernden Teile einer Antwort lässt der Medienprofi nicht ungenutzt.

Eine reizvolle, willkommene Abwechslung bei Lektüre sind wieder die kleinen Blicke durchs Schlüsselloch des Boulevards. Wobei Schweres da immer respektvoll bleibt und Grenzen nicht verletzt. Man darf mit einiger Sicherheit annehmen, dass beispielsweise das reale Vorbild für Gloria Wolkenstein ihr im Buch auftauchendes Alter Ego durchaus goutiert. Zumal ausgerechnet sie entscheidend zur Aufklärung beitragen wird. Gut für die Kommissare, gut für sie. Kann sie so doch unbelastet in ein Dschungelabenteuer starten. Ausgang zum Zeitpunkt der Krimi-Entstehung noch ungewiss.

Thomas Schweres: „Die Abdreher“. Grafit Verlag, Dortmund. 280 Seiten, 11 Euro.