Mats, wat machste nur?

Ich geb’s ja zu, ordentlich Zweckoptimismus war schon dabei, als ich dieser Tage Bernd Berke, meinem Freund im schwatz-gelben Geiste, seine Zweifel über die zukünftige sportliche Heimat des Spielers Mats Hummels nehmen wollte. Ich schrieb, dass dieser ewig beim BVB bleiben werde. Aber ich bin nun mal ein gutgläubiger Mensch.

Solche Szenen wird Mats Hummels nicht mehr erleben: Momentaufnahme vom Meister-Corso durch die Dortmunder Innenstadt im Mai 2011. (Foto: Bernd Berke)

Solche Szenen wird Mats Hummels nicht mehr erleben: Momentaufnahme vom Meister-Corso durch die Dortmunder Innenstadt im Mai 2011. (Foto: Bernd Berke)

Ich setze nun gern auch mal die Intelligenz voraus, die ich bei Menschen zu erkennen glaube, deren eloquente Art, die eigene Arbeit zu analysieren, durchdacht erscheint. Okay, Mats Julian Hummels habe ich da allem Anschein nach ziemlich überschätzt. Hätte er Liverpool genannt als letzte Herausforderung einer angejahrten Karriere, oder den königlichen Verein in Spanien mit hauseigener Gelddruckmaschine, dann hätte ich das Profi-Gesabbel von der sportlichen Herausforderung ja noch verstanden. Aber Bayern? Nee. Die hatten ihn nach eigenem Bekunden schlecht behandelt. Die hatten nachweislich seine überragende Veranlagung nicht wahrgenommen. Die hatten seinen Vater und Berater gefeuert. Alles vergessen?

Mann, wie müssen die sprengend mit ihrem Gehaltsgefüge umgehen. Anders wäre doch so eine vollkommen unverständliche Affinität kaum zu erklären. Hier der unvergleichliche BVB, die unvergleichliche Südtribüne. Hier in Dortmund: das bestfrequentierte Stadion Europas. Hier ein Verein mit funktionierenden Strukturen, bei dem der Spieler Mats Julian Hummels geliebt und höchst geachtet wurde. Und hier der Verein, dessen großartige Arbeit erst den großartigen Spieler Mats Julian Hummels erst zu dem machte, der er wurde.

Torjubel im (wie üblich) ausverkauften Dortmunder Westfalenstadion, vulgo Signal Iduna Park. (Foto: Bernd Berke)

Torjubel im (wie üblich) ausverkauften Dortmunder Westfalenstadion, vulgo Signal Iduna Park. (Foto: Bernd Berke)

Und dort die „Buyern“, mit einem Stadion, das höflichen Applaus spendet, wo Dortmunds Südtribüne in leidenschaftliche Raserei übergeht. Dort die Buyern, die sich nur mit dem Ankauf der spielerischen Klasse bei konkurrierenden Vereinen in der Liga deren sportliche Qualität vom Hals halten können. Dort die zugegeben beste Vereinsstruktur der Liga, bei gleichzeitigem Verschleiß des “Spielermaterials”. Und da ist Mario Götze nur ein Beispiel.

Mats Hummels hatte das Zeug, eine Dortmunder Legende zu werden. Er wäre so einer wie Nobby gewesen, oder Kalle Riedle oder Timo. Ihm hätten Türen offen gestanden, wo der Süden applaudierend Spalier gestanden hätte, wenn sie von ihm durchschritten worden wären. So wird er nun in der Vergessenheit versinken, in der zahlreiche schon darben, die mal für den BVB gespielt haben. Und bei den Buyern ist er schon jetzt einer von vielen.

Bleibt zu hoffen, dass er Borussia Dortmund viel, viel Geld einbringt, für das der BVB wieder Talente in seine Mannschaft holen kann, sie zu sportlicher Höhe führt – und die dann von Bayern weggekauft werden. So brächte er doch noch zusätzlich was für den Verein, der ihn so wertvoll machte.

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Der Beitrag ist in ähnlicher Form zuerst in Rudi Bernhardts Blog dasprojektunna.de erschienen.




Aus Komik wird Entsetzen: David Grossmans Roman „Kommt ein Pferd in die Bar“

Einmal, da war der Stand-up-Comedian Dovele Grinstein noch ein Kind und verbrachte seine Ferien in einem Jugendcamp, wurde er von bösartigen Kerlen in einen Seesack gesteckt und so lange durch die Luft geworfen, bis er winselnd auf den Boden krachte.

Hilfe bekam Dovele nicht, auch nicht von seinem Schulkameraden Avishai Lazar. Denn dem ist der kleine Knirps, der gern auf den Händen läuft, um seine traurige Mutter zum Lachen zu bringen und die garstige Welt mit anderen Augen zu sehen, irgendwie peinlich.

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Avishai, der später ein berühmter Richter werden wird, hat seinen Schulfreund damals nicht nur verraten, sondern später auch ganz und gar vergessen – bis er, nach fast einem halben Jahrhundert, einen Anruf von Dovele bekommt, der Avishai bittet, in eine seiner Vorstellungen zu kommen, mit ihm zu lachen und seinen 57. Geburtstag zu feiern. Das kann ja heiter werden.

Wird es auch. Jedenfalls am Anfang, als der spindeldürre und grell geschminkte Dovele schnell ein paar knackige Witze heraushaut und das Publikum in der Hafenstadt Netanja mit erotischen Anzüglichkeiten zum Brüllen bringt.

Doch das wird sich bald ändern, und aus der kurzweiligen Blödelei wird eine grelle Publikumsbeschimpfung, eine mitleidlose Lebensbeichte und ein fataler Schicksalsbericht, bei dem die Zuschauer irgendwann fluchtartig den Raum verlassen. Wer will schon etwas von Verrat und Schuld, Vernichtung und Tod hören, wenn man sich doch abends nur ein bisschen amüsieren möchte?

Der israelische Autor David Grossman, bisher eher als sanfter Friedensapostel bekannt, hat angesichts von Verdrängen und Vergessen und der in Terrorzeiten um sich greifenden gesellschaftlichen Verrohung in seinem neuen Roman die Tonlage erheblich verschärft: Beim Lesen von „Kommt ein Pferd in die Bar“, das doch vordergründig nur vom Auftritt eines Comedian handelt, bleibt einem wahrlich das Lachen im Halse stecken. Das gilt auch für Avishai, der zum Chronisten dieser bizarren Show wird und bei seinem verratenen und zutiefst verletzten Jugendfreund Abbitte leisten muss.

Während Doveles Witzeleien immer grotesker werden und die zwischen Komik und Entsetzen schlingernde Show Fahrt aufnimmt, kramt Chronist Avishai in seinen Erinnerungen, versucht er zu begreifen, wie er, der einst so lebenslustig war, zum Menschenfeind werden konnte; versucht er zu verstehen, wie der Holocaust und seine Folgen, wie Vernichtung, Tod und die Schuldgefühle der Überlebenden die Gegenwart vergiften.

Eigentlich kann man all das, was Dovele da aus der Vergangenheit ausgräbt, und wie er sich selbst bei jeder Pointe eine schallende Ohrfeige gibt, kaum ertragen. Doch dann hat er noch eine schlimmere Geschichte parat. Die handelt davon, wie der ins Ferienlager abgeschobene kleine Junge plötzlich in einen Laster verfrachtet wird, der ihn zurück nach Jerusalem bringen soll. Während der Fahrer ihn mit Witzen ablenkt, begreift Dovele, dass es zu einer Beerdigung geht. Ein Elternteil ist gestorben. Nur wer, der Vater oder die Mutter, das sagt ihm niemand.

Und so hat Dovele das verzweifelte Gefühl, es liege an ihm, nur er könne und müsse entscheiden, wer tot ist und beerdigt werden muss – und wer weiterleben darf. Wie und ob es gelingen kann, den Schmerz der Vergangenheit zu ertragen und die Sehnsucht nach Vergebung zu stillen, davon erzählt David Grossman auf ebenso verstörende wie faszinierende Weise.

David Grossman: „Kommt ein Pferd in die Bar“. Roman. Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. Carl Hanser Verlag, München. 255 S., 19,90 Euro.