„Schöne Scheiße“ im Dortmunder Museum: Die stets unfertige Welt des Dieter Roth

Es ist kein unflätiger Fluch und auch keine Lüge, wenn man sagt, man habe jetzt im Museum Ostwall (MO) im Dortmunder U „Schöne Scheiße“ zu sehen bekommen. Denn genau so haben die Macherinnen die Ausstellung mit Werken des Schweizers Dieter Roth (1930-1998) genannt.

Dieter Roth: Tagebuchseiten, 1967 (© Dieter Roth Estate, Courtesy hauser & Wirth, Foto: Jürgen Spiler)

Dieter Roth: Tagebuchseiten, 1967 (© Dieter Roth Estate, Courtesy hauser & Wirth, Foto: Jürgen Spiler)

Das Kraftwort mag zunächst haltlos provokant klingen, lässt sich aber immerhin auf Roths Schaffen beziehen. Der manisch-depressive Künstler, der stets zwischen Größenwahn und Selbstverdammung geschwankt haben soll, hat seine eigenen Arbeiten häufig als „Scheiße“ geschmäht und den rüden Ausdruck in zahlreichen Titeln variantenreich verwendet. Und wenn er beispielsweise einen Hasen aus „Hasenkötteln“ geformt hat, wurde Scheiße gar zum Material der Kunst.

Mit der festumrissenen Identität ist das mindestens seit etlichen Jahrzehnten so eine problematische Sache. Damit sind auch die künstlerische Autorschaft und das ganze Genie-Gehabe ins Schwimmen und Schlingern geraten. Dieter Roth hat diese unaufhörliche Unsicherheit auf so manchen Feldern durchgespielt. Er gab die alleinige Urheberschaft nicht nur in Gemeinschaftsarbeiten auf, sondern relativierte sie immerzu.

Meisterschaft im Scheitern

Das „Durchspielen“ darf man sich freilich keinesfalls als leichtfertige Handlung denken. Im Gegenteil. Es sind immer neue Anläufe, nicht selten auch (selbst)quälerische. Vielfach scheint allerdings ein fröhlicher Dilettantismus am Werk zu sein, der seiner selbst bewusst ist und – paradox genug – mit eigensinniger Beharrlichkeit hie und da an eigentlich nicht menschenmögliche Perfektion heranreicht. Aber dann ist es doch wieder nur eine Meisterschaft im Scheitern. Schöne Scheiße eben.

Dieter Roth: "Selbstbild als Hundehauf in Stuttgart am 27.10.73", 1973 (© Dieter Roth Estate, Courtesy Hauser & Wirth, Foto: Jürgen Spiler)

Dieter Roth: „Selbstbild als Hundehauf in Stuttgart am 27.10.73“, 1973 (© Dieter Roth Estate, Courtesy Hauser & Wirth, Foto: Jürgen Spiler)

Fluxus war, ungefähr seit den frühen 1960er Jahren, eine frei flottierende Kunstform, die gleichsam alle Richtung(en) mitsamt gefügten Formen hinter sich ließ und ihre Gegenstände oft genug in schiere Spontanität auflöste. Herkömmliche Vorstellungen von Schönheit wurden dabei wie von selbst obsolet.

Über 200 Dauerleihgaben

Das Dortmunder Museum Ostwall besitzt schon länger eine beachtliche Fluxus-Sammlung, zahlreiche Arbeiten von Roth inbegriffen. So kam es, dass der Dinslakener Horst Spankus seine reichhaltige Kollektion von Arbeiten des Dieter Roth, welcher just der Fluxus-Bewegung zugerechnet wird, schon anno 2003 der damaligen MO-Vizedirektorin Rosemarie Pahlke schmackhaft gemacht hat. Spankus erinnert sich: Schon wenige Tage später habe ihn Pahlke – gemeinsam mit dem Dortmunder Kulturdezernenten Jörg Stüdemann – besucht, um die Bestände näher in Augenschein zu nehmen. Dann aber geriet das Projekt für längere Zeit ins Stocken, weil Dortmund seinerzeit keine ausreichende Klimaanlage bieten konnte.

Dieter Roth: "Schimmelblatt", 1969 (@ Dieter Roth Estate, Courtesy Hauser & Wirth, Foto: Jürgen Spiler)

Dieter Roth: „Schimmelblatt“, 1969 (@ Dieter Roth Estate, Courtesy Hauser & Wirth, Foto: Jürgen Spiler)

Jetzt aber ist es endlich so weit: Über 200 Arbeiten Dieter Roths aus der Sammlung Spankus gehen als Dauerleihgabe ans Museum Ostwall. Das ist natürlich eine Extra-Ausstellung wert. Nicole Grothe und Daniela Ihrig haben die Schau kuratiert. Ohne ihre kundigen Erläuterungen würde man vor manchem Exponat zunächst wie der Ochs vorm Berge stehen. Besucher sollten den Parcours nicht im Schnelldurchgang absolvieren und sich am besten eine Führung gönnen.

Von Kameras beobachtet

Empfangen wird man auf der 6. Ebene des Dortmunder „U“ von einer monumentalen Wand mit 131 Monitoren. Dieter Roth hatte sich an verschiedenen Orten ohne Unterlass von Kameras beobachten lassen – bei der künstlerischen Arbeit, doch auch bei alltäglichen Verrichtungen teils privatester Natur. Hat er da etwa die permanente Selbstausstellung der Generation Facebook vorweggenommen? Mag sein. Aber seine Herangehensweise ist ungleich reflektierter.

Durchweg zerfließen die Grenzen zwischen Kunst und Leben. Im selben Raum finden sich zeichnerische Tagebuch-Skizzen, die das Biographische als nicht-linear, widersprüchlich und chaotisch erscheinen lassen. Restlos entziffern lässt sich das alles selbstverständlich nicht. Die Zurschaustellung erweist sich zugleich als Arbeit im Verborgenen.

Bildmagie mit Wurstscheibe - Dieter Roth: "Kleiner Sonnenuntergang", 1972 (© Dieter Roth Estate, Courtesy Hauser & Wirth, Foto: Jürgen Spiler)

Bildmagie mit Wurstscheibe – Dieter Roth: „Kleiner Sonnenuntergang“, 1972 (© Dieter Roth Estate, Courtesy Hauser & Wirth, Foto: Jürgen Spiler)

Es folgt ein Raum mit Selbstbildnissen. Eigentlich ein klassisches Thema der Malerei, doch bei Roth gerät es zum rätselhaften Vexierspiel. Oft zeigt er sich lediglich von hinten, so dass praktisch nur Ohren und Hut als Charakteristika sichtbar bleiben, sodann stellt er sich etwa als Wolke, Schokoladenlöwe oder Hundehaufen dar und „übersetzt“ sein Selbstgefühl auch schon mal in wilde Kreiselbewegungen. Eine Schlussfolgerung drängt sich auf: Da kreist einer buchstäblich um sich selbst, offenbar immer auf rastloser Suche nach seinem Platz im Dasein. In einer hintersinnigen Arbeit mit Postkarten von deutschen Städten jongliert Roth just mit dem Befund der Ortlosigkeit, indem er Sehenswürdigkeiten gezielt vertauscht.

Soll man es verfaulen lassen?

Konservatoren müssten eigentlich ihre liebe Not mit einigen Schöpfungen von Dieter Roth haben. Wie soll man denn zum Exempel mit allmählich verwitternden Bildern umgehen, auf die er einst Milch gegossen hat? Soll man der Auflösung freien Lauf lassen oder die Stücke erhalten? Der Wille des Künstlers lief wohl langfristig auf Vergänglichkeit und völlige Auflösung hinaus, Fäulnisbakterien und Käfer hat er als willkommene „Mitarbeiter“ begrüßt. Man lernt hier jedenfalls, dass sich mit einem Stück Wurst ein frappantes Sonnenbild zaubern lässt; unbändige Vorstellungskraft und handwerkliches Können gleichermaßen vorausgesetzt.

Doch Sammler und Museen verfolgen andere Interessen. Also sorgt man in Dortmund gewissenhaft dafür, dass die aus Lebensmitteln oder Abfällen bestehenden Exponate nicht weiter faulen und schimmeln. Der Verfallsprozess, der auch an althergebrachte Vanitas-Motive erinnert, soll behutsam angehalten werden. Mitunter muss man auch die zugehörigen Gerüche (z. B. von uraltem Schmelzkäse) versiegeln, sonst wäre es für die Betrachter nicht zum Aushalten.

Dieter Roth: München (aus der Serie "Deutsche Städte"), 1970 (© Dieter Roth Estate, Courtesy Hauser & Wirth, Foto: Jürgen Spiler)

Dieter Roth: München (aus der Serie „Deutsche Städte“), 1970 (© Dieter Roth Estate, Courtesy Hauser & Wirth, Foto: Jürgen Spiler)

Dieter Roth war nicht „nur“ bildender Künstler, er hat sich u. a. auch als Literat und Musiker betätigt. Ist es Versponnenheit oder unnachgiebig bohrendes Fragen, wenn er in zahlreichen Ansätzen zu erfassen sucht, was überhaupt ein Buch sei? Jedenfalls nichts Festgelegtes, wie denn überhaupt dieser Künstler wahrscheinlich niemals bei einer schnöden Festlegung zu ertappen ist. Typisch auch seine zeitweilige verlegerische Arbeit mit einer uferlosen „Zeitschrift für alles“, die wahllos jeden eingesandten Beitrag abdruckte – bis das Journal dermaßen anschwoll, dass es zu teuer wurde.

Katalog mit losen Blättern

Auch Musik war ihm nichts Abgeschlossenes. So gibt es eine Aufnahme von Roth zu hören, in der Gespräche und Geräusche zwischenzeitlichen Alkoholkonsums quasi gleichberechtigt neben den gesetzten Tönen auftauchen. Der Künstler hat auch hier alles offen gehalten. Das kommt einem lebensnäher vor als alles makellos Polierte.

Sogar der Katalog dieser Ausstellung wirkt auf passende Weise „unfertig“ und vorläufig, es ist ein Ordner mit Loseblattsammlung, die man nach Belieben umheften kann. Vorbilder für das allenfalls eingeschränkt regalfreundliche Produkt fanden sich in Roths Buchprojekten.

Also bitte: Wer es aushält oder sogar vorzieht, dass nichts, aber auch gar nichts feststeht, sollte sich diese Ausstellung sowieso anschauen. Alle anderen dürfen sich aber auch verunsichern lassen. Wer weiß, wofür es gut ist.

Dieter Roth: „Schöne Scheiße. Dilettantische Meisterwerke“. Museum Ostwall (MO) im Dortmunder „U“, 6. Etage. 21. Mai bis 28. August. Di/Mi 11-18, Do/Fr 11-20, Sa/So 11-18 Uhr, montags geschlossen. Eintritt 5 Euro, ermäßigt 2,50 Euro. Katalog-Ordner mit Werkverzeichnis 28 Euro. Führungen sonntags 15-16.30 Uhr (nicht am 22. Mai/28. August). Umfangreiches Begleitprogramm. Info-Telefon: 0231/50-247 23. Internet: www.museumostwall.dortmund.de




Aufbruch ins Ungewisse – eine Nachlese zum Moers Festival 2016

„Das Moers Festival, das steht für Risiko, für neue Klänge, für ungewöhnliche Klänge, für phantastische Musiker und Musikerinnen und für ein phantastisches Publikum“, sagte vor ihrem Auftritt Carolin Pook, die gegenwärtig als Improviser in Residence in Moers zu Gast ist. „Das moers festival bleibt der musikalische Gegenentwurf zu einer Welt, in der Menschen dabei sind, wieder Grenzzäune hochzuziehen, und es kann vielleicht einen kleinen Beitrag leisten und zeigen, dass Zukunft nur ohne Grenzen lebenswert ist“ – so der künstlerische Leiter Reiner Michalke im Vorwort seines Programms. Zwei Statements vorweg, die die Besonderheit auch des diesjährigen Pfingstereignisses in Moers auf den Punkt bringen.

In diesem Jahr schien das Festival weniger auf die großen Namen der jüngeren Jazzgeschichte abzuheben als – noch stärker als in der Vergangenheit – den Wandel der Szene verdeutlichen zu wollen.

Jóhann Jóhannsson,  Hildur Guðnadóttir,  Robert Aiki Aubrey Lowe © Nick Schonfeld / Rune Kongsro / Liz Deleo

Von links: Jóhann Jóhannsson, Hildur Guðnadóttir, Robert Aiki Aubrey Lowe
© Nick Schonfeld / Rune Kongsro / Liz Deleo

Zu den – nicht zuletzt durch seine Filmmusiken – bekannteren Musikern im Programm zählte der isländische Komponist Jóhann Jóhannsson, der allerdings seinen Auftritt wegen einer Erkrankung absagte. Hildur Guðnadóttir (Cello) und Robert Aiki Aubrey Lowe (Gitarre, Gesang, Perkussion) übernahmen den vom Komponisten bereitgestellten Elektronikpart und spielten live zu dem von Jóhannsson produzierten Super-8-Schwarzweißfilm mit Naturaufnahmen aus der Antarktis „End of Summer“ – ein ruhiges, meditatives Konzert mit wundervollen Klängen und der Wehmut des sich ankündigenden antarktischen Winters.

Am nächsten Tag hatte das Publikum bei freiem Eintritt in der renovierten Stadtkirche Gelegenheit, die Cellistin Hildur Guðnadóttir in einem Solokonzert zu erleben – konzentriert, meditativ, ruhig.

Moers meditiert

Maja Osojniks & Patrick Wurzwallners Programm „Let Them Grow“ beginnt mit einem Mantra, dem „Om“, und auch hier liegt in der Stille die Kraft; manche der Stücke entwickeln eine umwerfende Wucht. Großartig. Jeremy Flowers, der anschließend mit seiner Band und dem auf Musik des 20. und 21. Jahrhunderts spezialisierten EOS Kammerorchester Köln auftrat, bezeichnet sich als einen „stillen Musiker aus Boston“, und tatsächlich sind seine von Carla Kihlstedt gesungenen Stücke aus „The Real Me“ durchweg gefällig und ausgezeichnet orchestriert, an der Grenze zur – besseren – Popmusik.

David Virelles, der mit seinem Projekt Mbókò Spuren ritueller afro-kubanischer Musik neu bearbeitet, versteht sich ohnehin in einer Tradition von sacred music. Aber auch die ganz auf Improvisation basierende Formation Warped Dreamer, von denen man angesichts der Mitwirkenden – Arve Henriksen (Trompete), Stian Westerhus (E-Gitarre), Jozef Dumoulin (Piano) und dem jungen Belgier Teun Verbruggen virtuos am Schlagzeug – größte Radikalität erwartet (die sich auch zeigte), schaffen zwischendrin wunderbar meditative, zum Teil an eine Litanei erinnernde Momente. Das Spirituelle ist ein durchgehendes Element während des gesamten Festivals, als gelte es den Kriegen der Gegenwart eine massive Stille entgegenzusetzen.

Harriet Tubman & Cassandra Wilson

Vor kurzem ging die Nachricht durch die Presse, auf den neuen 20-US-Dollar-Scheinen sei das Porträt von Harriet Tubman (ca. 1820-1913) abgebildet. Die ehemalige Sklavin entwickelte sich zur bekanntesten Fluchthelferin der Hilfsorganisation Underground Railroad. Nach ihr benannte sich das 1998 gegründete Trio, bestehend aus Brandon Ross (Gitarre und Banjo), Melvin Gibbs (Bass) und J. T. Lewis (Drums). Als Special Guest war Cassandra Wilson mit angereist und hatte – eine Besonderheit – ihre rote Fender-Gitarre dabei, auf der sie ein kurzes, ziemlich schräg klingendes Solo spielte. Sie sang unter anderem die Stücke „I‘ll Overcome Some Day“, „Run The Voodoo Down“, den titelgebenden Song des Konzerts „Black Sun“ und mit interessanter Flanger-Bass-Begleitung den Beatles-Klassiker „Tomorrow Never Knows“.

Weder Binnen- noch Außengrenzen der Musik

Die beschworene Grenzenlosigkeit des Festivals meint sowohl die Binnengrenzen der Musik (zwischen den musikalischen Genres) als auch ihre Außengrenzen, die Öffnung zu anderen Kunst- und Ausdrucksformen. Mit musiktheatralischen Mitteln arbeitet das Trio The Liz, zwei experimentelle Klangkünstlerinnen aus den USA, Liz Kosack und Liz Albee, die in Berlin den türkischstämmigen Korhan „Liz“ Erel trafen und gemeinsam neue Möglichkeiten ausprobieren. Eine Ödipus/Sphinx-Geschichte, die sich in ihrer Ästhetik teils an Jean Cocteau, teils an Texten von Kathy Acker orientiert.

Dem blind suchenden Ödipus und der Erzählerin fügt sich als dritte Figur die mit einer Anubis-Maske auftretende Keyboarderin hinzu. Die Klänge erinnern teilweise an Stockhausens Kompositionen aus den 50er-Jahren, an „Kontakte“ oder an den „Gesang der Jünglinge“. Dazu werden im Auge einer Pyramide auf der Bühne künstlerische Videos projiziert. Wie bei dem bereits erwähnten Film „End of Summer“ von Jóhann Jóhannsson bilden auch hier Optik und Akustik ein komplexes Kunstwerk.

Politischen Anspruch eingelöst

Der politische Anspruch des Festivals wird in vielfältiger Weise eingelöst. Bei Tim Isfort sind es beispielsweise die Ankündigungen der jeweiligen Titel, die – eindeutiger noch, als die textfreie Musik es sein kann – die Botschaft transportieren, wie „Cherbourg Blues“, ein auf die Flüchtlingscontainer entlang des Ärmelkanals anspielender Titel, oder das Bedrohliche der Neufassung von „New Dark Age“, einem Stück der Post-Punk-Band „The Sound“ von 1981.

Dass die in Moers auftretenden Musiker aus aller Welt kommen, ist eine Tradition seit der Gründung des Festivals im Jahr 1972. Aus der Vielzahl der Nationen, die 2016 am Start sind, sollte als Besonderheit das Trio Dawn Of Midi erwähnt werden, ein marokkanischer Pianist, ein indischer Bassist und ein aus Pakistan stammender Schlagzeuger. Was sie spielen, klingt streckenweise sehr nach Techno, nur eben mit akustischen Instrumenten gespielt, und die Einflüsse entstammen ebenso sehr westafrikanischen Rhythmen wie elektronischer Musik.

Dawn Of Midi ©  Falkwyn de Goyeneche

Dawn Of Midi
© Falkwyn de Goyeneche

Junge Talente

Den Schlusspunkt setzten zwei junge Talente: die in New York lebende Jazz-Sängerin Becca Stevens, die sich als ihren Begleiter für dieses Konzert den 21-jährigen Londoner Shooting Star Jacob Collier gewünscht hatte. Jacob Collier hat sich vor allem durch die von ihm im Alleingang produzierten YouTube-Videos einen Namen gemacht, mit hochkomplexen, originellen Arrangements, bei denen er sämtliche Instrumente selbst spielte und ganze Chöre aus seiner Stimme mixte. Musiker wie Chick Corea, Pat Metheny und Herbie Hancock sehen in ihm einen der großen Hoffnungsträger des Jazz; mit dem Management von Quincy Jones schloss Jacob Collier einen Vertrag; Anfang Juli soll sein erstes Album erscheinen.

Auf der Bühne kann Collier freilich nicht alle Instrumente gleichzeitig spielen und begnügte sich in Moers mit Keyboards, Bass, Ukulele und Gesang. Im Duo mit Becca Stevens, die neben ihrem Gesang ebenfalls Ukulele und Gitarre spielte, bekam das Publikum neben Eigenkompositionen von Becca Stevens und Jacob Collier bekannte Stücke von Bob Dylan oder Stevie Wonder in ungewöhnlicher Bearbeitung zu hören – Klänge, die uns aufhorchen lassen.

Das Abschlusskonzert war jedoch – zumindest für die noch anwesenden Journalisten und Medienvertreter – bereits getrübt durch die vorangegangene Pressekonferenz. Dort gab der Künstlerische Leiter des Festivals, Reiner Michalke, bekannt, er habe der Aufsichtsratvorsitzenden der Moers Kultur GmbH angesichts des fehlenden Rückhalts durch die Stadt Moers und der sich daraus für die Zukunft ergebenden Unsicherheit die Auflösung seines Vertrages mit sofortiger Wirkung angeboten. Ob das Festival in der bisherigen Qualität auch im nächsten Jahr noch stattfinden wird, entscheidet sich nicht zuletzt in der Moerser Kommunalpolitik.

Das Moers Festival steht für keine Grenzen, bis auf solche, die dem Festival von den Oberbuchhaltern der Stadtverwaltung aufgezeigt werden. Bleibt zu hoffen, dass das Moers Festival auch diese großen Hemmnisse überwindet und in Zukunft weiterhin mit einem einzigartigen Musikprogramm aufwarten kann.

Auf der Website des TV-Senders arte in der Rubrik concert jazz werden die Konzerte des Hauptprogramms noch eine Weile nachklingen.