Festspiel-Passagen: Spektakel und Sängerfest – Verdis „Troubadour“ in der Arena di Verona

Die Arena di Verona. Ennevi Foto, per gentile concessione della Fondazione Arena di Verona

Die Arena di Verona. (Ennevi Foto, per gentile concessione della Fondazione Arena di Verona)

Kalt und stählern gleißt das weißblaue Licht auf den drei waffenstarrenden Türmen. In diesem Ambiente des Kampfes, der sich selbst behauptenden Gewalt kann nichts Gutes geschehen. Am Ende von Giuseppe Verdis „Il Trovatore“ steht dann auch der Tod des unschuldigsten dieser schicksalhaft miteinander verquickten Menschen. Leonora, geliebt und begehrt von zwei ungleichen und sich doch in ihrer Leidenschaft so ähnlichen Brüdern, entkommt ihren Lebenskonflikten durch den Tod von eigener Hand – kurz bevor der Conte di Luna, die dunkle Seite des Begehrens, erfährt, dass er mit Manrico, dem romantischen Liebhaber, soeben seinen eigenen Bruder hingerichtet hat.

Das Libretto Salvatore Cammaranos galt lange als Paradebeispiel für italienischen Opern-Schwachsinn; heute, da Kausalitäten und Ursachen-Wirkungs-Ketten relativ werden, erscheinen die wilden Zufälle zwar nicht folgerichtiger, aber die Plausibilität des Unwahrscheinlichen nimmt zu. Und wer genau hinhört, erkennt, wie minutiös Cammarano die schicksalhaft scheinenden Ereignisse ineinander greifen lässt.

Es ist Opern-Sommer in Italien. In Macerata, hoch über der Adria südlich des Hafens Ancona, in Pesaro beim Rossini Festival, und in der gewaltigen römischen Arena von Verona frönen Einheimische wie Touristen den Leidenschaften auf der Bühne. In Verona wirkt „Der Troubadour“, noch eher wie die traditionelle, seit 1913 gezeigte „Aida“, für das Riesenrund der steinernen Ränge unter freiem Himmel wie geschaffen: die wirkungsvollen Chorszenen, die romantischen Schauplätze wie Burg, Kloster, Zigeunerlager, die von Leidenschaft durchpulsten intimen Szenen, kurze Momente der reflexiver Innerlichkeit.

Entsprechend häufig steht Verdis melodiengespickte Oper auf dem Arena-Spielplan: Seit 1926 in vierzehn der nun 94 Spielzeiten, zuletzt im Verdi-Jahr 2013 und jetzt wieder in der bildmächtigen Inszenierung von Franco Zeffirelli. Wie gewohnt nutzt der italienische Altmeister der opulenten Bühne den Zauber des Dekorativen: Wozu für das Lager der Zigeuner riesige zerschlissene Stoffbahnen auf die Bühne und wieder hinaus geschleppt werden müssen, erschließt sich nicht. Bloßes Spektakel sind auch die kreuzweise über die Bühne rennenden Fahnenträger – ein beliebter Kniff, Bewegung auf die Bühne zu bringen, längst hohl und stereotyp verkommen.

Auch die Kostüme Raimonda Gaetanis sind selbst für den in der Arena notwendigen monumentalen Maßstab zu üppig geraten: Luna tritt in einem matronenhaften Mantel auf, Azucena wird ausladend von Stoff umweht, als sie sich bei ihrem ersten Auftritt den Feuertod ihrer Mutter in traumatisiertem Rückerinnern vergegenwärtigt.

Szenenbeifall für Franco Zeffirellis eindrucksvolle Szene im Kloster. Foto. Ennevi

Szenenbeifall für Franco Zeffirellis eindrucksvolle Szene im Kloster. Foto. Ennevi

Aber wenn Zeffirelli Atmosphäre schaffen, Stimmungen beschwören kann, ist er in seinem Element. Den Steinrund hinter den drei drohenden Türmen nutzt er als Projektionsfläche für impressionistische Lichtmalereien, die Beleuchtung taucht die Szene in eisiges oder düsteres Licht, umstrahlt Azucenas Auftritt in warmen Farben, die in ihren Rot-Orange-Tönen aber auch das Lodern des Scheiterhaufens versinnbildlichen.

Wenn sich in der zweiten Szene des zweiten Aktes, als Leonora den Schleier der Ordensfrau erhalten soll, der mittlere der Türme öffnet und den Blick auf einen riesigen Christus am Kreuz fallen lässt, gibt es Szenenbeifall. In solchen Momenten macht sich Zeffirelli die Dimensionen der Arena zunutze und arbeitet mit monumentalen Bildern, wo das Detail der Regie zwangsläufig an der Entfernung scheitern würde.

Hui He als Leonora in Verdis "Troubadour" in der Arena von Verona. Foto: Ennevi

Hui He als Leonora in Verdis „Troubadour“ in der Arena von Verona. Foto: Ennevi

Die Oper in der Arena war – über ihre Funktion als großartiges Spektakel hinaus – stets auch ein Sängerfest. Es gab legendäre Besetzungen; in den dreißiger Jahren brillierten Gesangs-Ikonen wie Giacomo Lauri-Volpi oder Gina Cigna. Ab Ende der Vierziger stiegen Maria Callas, später Fiorenza Cossotto oder Franco Corelli als Stars der Arena auf.

Seit den achtziger Jahren wurden die Ensembles internationaler, aber auch austauschbarer und qualitativ uneinheitlicher. Für den „Trovatore“ kann die Arena mit Hui He auf eine Sängerin setzen, die seit Jahren ständiger Gast in Verona ist: Sie singt die Leonora mit über alle Register hin klarem, tragendem Ton, mit unerschütterlicher Sicherheit der Position, einem zuverlässig gestützten Piano und einem, wenn es die Phrasierung zulässt, herrlich entspannten Legato. Hui He ist eine Künstlerin, die musikalisch und stimmlich abgesicherte Rollenporträts zeichnet und ohne viel Aufhebens und ohne Star-Rummel zu den führenden Sängerinnen ihres Fachs zu zählen ist.

Violeta Urmana als Azucena in der Arena di Verona. Foto: Ennevi

Violeta Urmana als Azucena in der Arena di Verona. Foto: Ennevi

Für eine temperamentvolle Azucena kehrte – nach ihren Auftritten als Amneris 2013/14 – Violeta Urmana in die Arena zurück: voll Saft und Kraft, mit lodernd gebrusteter Tiefe, sahniger Höhe, durchschlagender Attacke – und mit geschickter verblendeten Registerwechseln und stetigerem Vibrato als in ihren Wagner-Partien der letzten Jahre.

Nachdrücklich empfehlen konnte sich der Bariton Artur Rucinski, der – wie schon 2013 – den Conte di Luna differenziert gestaltete. Mag sein, dass ihm die Eleganz der italienischen Kavaliere der Vergangenheit abgeht; doch sein Einsatz der Dynamik, seine ausgeprägte Kultur des Färbens, des Zurücknehmens, der Akzentuierung und der vokalen Durchdringung des Textes lassen keinen Zweifel zu. Diesen Sänger würde man gerne nicht nur gelegentlich in Hamburg und Berlin, sondern auch gerne in München, Wien oder auch mal Essen hören.

Ein Bariton von Format: Artur Rucinski als Graf Luna mit Hui He (Leonora) in Verona. Foto: Ennevi

Ein Bariton von Format: Artur Rucinski als Graf Luna mit Hui He (Leonora) in Verona. Foto: Ennevi

Das legendäre, aber in der Partitur nicht geschriebene „C“ von „Di quella pira“ im Dritten Akt entscheidet leider meist über Wohl und Wehe eines Manrico. Marco Berti, ebenfalls seit Jahren ständiger Gast, schleudert es zuverlässig in die steinernen Reihen des römischen Amphitheaters und macht damit vergessen, dass er mit wenig mehr als einem robusten Ton seine Partie durcharbeitet. Dabei hat der Troubadour als politischer Kämpfer wie als sensibler Liebhaber, dazu noch als ein liebevoller, in einem psychologisch komplexen Verhältnis an seine Mutter geketteter Sohn alle Möglichkeiten, charakterliche Facetten musikalisch auszudrücken. Berti bleibt, trotz der lyrisch ansprechend gestaltete Arie „Ah si, ben mio“, eher eindimensional – nicht so sehr, weil er wie andere nur Kraft verschwenden würde, sondern weil er den Ton seines Tenors zu wenig expressiv wandelt.

Unter den kleineren Rollen fällt Sergey Artamonov als Ferrando mit einem standfesten Bass auf. Der Chor, von Vito Lombardi einstudiert, überzeugt mit abgerundetem Klang und einer auf der Riesenbühne der Arena schwer zu erarbeitenden, bewundernswerten Präzision.

Auf genaue Koordination achtet auch Arena-Stammdirigent Daniel Oren, wie wohl nur wenige vertraut mit den speziellen akustischen Herausforderungen des Raums. Er öffnet einige Striche, etwa in der Ballettmusik des zweiten Aktes. Den Sängern lässt er eher Zeit zu atmen als den Ensembles, in denen er das Metrum gern versteift. Die rhythmischen Impulse von Verdis flammender Musik federn, doch manch blühender Bogen der Melodie könnte sich freier zu den Sternen wölben, die an diesem Abend freundlich und von Gewitterwolken unbehelligt über den alten Mauern glänzen und den Samt der Nacht mit goldenen Funken beleben.

Vorstellungen in der Arena di Verona finden noch bis 28. August statt; „Il Trovatore“ wird am 13. und 26. August gegeben. Noch im Spielplan sind Verdis „Aida“, Bizets „Carmen“ und Puccinis „Turandot“. 2017 gibt es zwischen 23. Juni und 27. August von Giuseppe Verdi eine Neuproduktion von „Nabucco“, dazu „Aida“ und „Rigoletto“ sowie von Giacomo Puccini „Madama Butterfly“ und „Tosca“.

Info in deutscher Sprache: http://www.arena.it/arena/de




Wenn Dichter baden gehen

Jeder Autor, der einmal ohne den geringsten Einfall auf ein leeres Blatt Papier gestarrt hat (jaja, heutzutage ist es der Bildschirm), der weiß: Auch der munterste Geist braucht gelegentlich Erholung an den Stränden ordinärer Lebenslust. Angeregt durch die Ferienzeit und eine kleine Ausstellung im Düsseldorfer Heine-Institut würdigen wir die „Dichter in Badehosen“.

„Stilles Gestade, so nahe dem heftigsten Getriebe“: Der Schriftsteller Heinrich Mann (Mitte) plaudert mit seiner Frau Nelly und einem Freund 1935 am Strand von Nizza. Foto: Feuchtwanger Memorial Library/University of California

„Stilles Gestade, so nahe dem heftigsten Getriebe“: Der Schriftsteller Heinrich Mann (Mitte) plaudert mit seiner Frau Nelly und einem Freund 1935 am Strand von Nizza. (Foto: Feuchtwanger Memorial Library/University of California)

Aber was heißt hier Badehosen? Schon Johann Wolfgang Goethe, der Übervater des deutschen Bildungsbürgers, riss sich gerne sämtliche Kleider vom Leibe, um sich frei zu fühlen. Bei einer Reise durch die Schweiz 1775 hatten es ihm seine Freunde Friedrich Leopold und Christian von Stolberg vorgemacht, „die guten harmlosen Jünglinge“. Goethe notierte, dass er sich „halb nackt wie ein poetischer Schäfer oder ganz nackt wie eine heidnische Gottheit“ in Schweizer Seen tummelte – leider nicht weit genug von der Zivilisation entfernt. Entrüstete Anwohner sollen mit Steinen geworfen haben.

Heinrich Heine, Goethes junger und von ihm nie adäquat beachteter Düsseldorfer Kollege, reiste häufig an die Nordsee, um, bevor es ihn nach Paris verschlug, seine zarte Gesundheit zu stärken. Im Juli 1826 auf Norderney lernte er sogar schwimmen – wir wissen nicht, welches Outfit er dabei trug. Aber: „Das Meer war so wild, dass ich oft zu versaufen glaubte“, schrieb er mit jungenhaftem Stolz an seinen Hamburger Verleger Julius Campe. Die Brandung verschaffte Heine ein Hochgefühl. „O wie lieb ich das Meer“, schwärmte er im folgenden Herbst in einem Brief an seinen Dichterfreund Karl Immermann, „… und es ist mir wohl, wenn es tobt.“

Ganze Gedichtzyklen Heines sind vom Meer inspiriert, er besang „Poseidon“ und das „Seegespenst“, den „Untergang der Sonne“ und den „Gesang der Okeaniden“. Man kann also nicht sagen, dass der Müßiggang am Strand die Kreativität vernichtet. Ganz im Gegenteil. Hermann Hesse, ein früher Verfechter der Freikörperkultur, schrieb liebevolle Betrachtungen über seine „Jahre am Bodensee“ (1904-1912), in der Nähe des Wassers entstanden Romane und schwelgerische Verse: „Seele, Seele, sei bereit!“

Mannsbild in Badehosen: Der Heimatdichter Wilhelm Schäfer 1911 am Bielersee (Schweiz). Er war ein Freund von Hermann Hesse und schrieb schwärmerische Texte über Seen und Berge. (Foto: Rheinisches Literaturarchiv/ Heine-Institut)

Mannsbild in Badehosen: Der Heimatdichter Wilhelm Schäfer 1911 am Bielersee (Schweiz). Er war ein Freund von Hermann Hesse und schrieb schwärmerische Texte über Seen und Berge. (Foto: Rheinisches Literaturarchiv/ Heine-Institut)

Hesses Freund Wilhelm Schäfer, ein vollbärtiges Mannsbild, liebte die Sommerfrische in Süddeutschland und der Schweiz. „Auch der See, in der Nähe kristallgrün, ging wie blaue Seide in die Tiefe hinein …“, schrieb er 1931 in „Wahlheimat“. Seine volksverbundene Prosa gefiel später leider auch den Nazis. Geplagt von Finanzsorgen und Schnaken, verbrachte der Rechtsanwalt Heinrich Spoerl 1931 einen dreiwöchigen Urlaub am Starnberger See, badete nur bis zur Taille („der See ist ziemlich kühl“) und hatte die Idee zu einer heiteren Pennälergeschichte, die als verfilmter Roman eine Legende wurde: „Die Feuerzangenbowle“.

Thomas Mann, der im Schutze eines Strandkorbs mitunter sogar den feinen Sommeranzug ablegte und im Badetrikot mit Sockenhaltern in der Sonne saß, stattete seine berühmtesten Helden mit Meeresliebe aus. „Tonio Kröger“ ließ er die „geheimnisvoll wechselnden Mienenspiele“ sehen, „die über des Meeres Antlitz huschen“. Und Hanno, Sprößling der „Buddenbrooks“, liebt „dieses zärtliche und träumerische Spielen mit dem weichen Sande, der nicht beschmutzt, dieses mühe- und schmerzlose Schweifen und Sichverlieren der Augen über die grüne und blaue Unendlichkeit hin …“

Auch Manns Bruder Heinrich, der, wie viele verfolgte Intellektuelle, an der südfranzösischen Ferienküste vorübergehend den Naziterror vergessen konnte, fand große Worte für das Stranderlebnis: „Das Meer, sein tiefer Atem, seine windige, … ersterbende Bläue und dieser Glanz von abendlich feuchtem Gold …“. Ein anderer Emigrant, der kämpferische Dichter und Dramatiker Bertolt Brecht, hatte schon 1919, kurz nach dem Ersten Weltkrieg, dem Schwimmen ein Gedicht gewidmet: „Der Leib wird leicht im Wasser“, schrieb er da, und es ist, als befreite das Baden den Denker von den drückenden Problemen der Zeit: „Natürlich muss man auf dem Rücken liegen / so wie gewöhnlich. Und sich treiben lassen. / … / Ganz ohne großen Umtrieb, wie der liebe Gott tut / wenn er am Abend noch in seinen Flüssen schwimmt.“

Info:
Angeregt wurde dieser Text von einer Treppenhausaustellung im Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf, Bilker Str. 12-14: „Dichter in Badehosen“ bis 11. September 2016, Di.-So. 11 bis 17 Uhr (Sa. 13-17 Uhr).

Büchertipps:
Heinrich Heine: „O wie lieb ich das Meer – Ein Buch von der Nordsee“, herausgegeben von Jan-Christoph Hauschild, Hoffmann und Campe. 128 Seiten. Vergriffen, aber antiquarisch und als E-Book ab etwa drei Euro über das Internet erhältlich.
Hermann Hesse: „Jahre am Bodensee – Erinnerungen, Betrachtungen, Briefe und Gedichte“. Herausgegeben von Volker Michels mit Bildern von Siegfried Lauterwasser. Insel Verlag. 238 Seiten. 28 Euro.