PEN-Vorsitzender Josef Haslinger in Dortmund: Lesung und mahnende Worte zu den Menschenrechten

Josef Haslinger (re.) und sein Schriftsteller-Kollege Heinrich Peuckmann. (Bild: TK)

Josef Haslinger (rechts) und sein Schriftsteller-Kollege Heinrich Peuckmann. (Bild: TK)

Josef Haslinger, prominenter Vorsitzender des PEN-Zentrums Deutschland, las jetzt in der Dortmunder Zeche Zollern (LWL-Industriemuseum) u. a. aus seinem Buch „Jáchymov“ (Fischer Taschenbuch Verlag), in dem er von der Tragödie der tschechoslowakischen Eishockeymannschaft zu Beginn der kommunistischen Herrschaft in dem osteuropäischen Land gegen Ende der 40er und in den 50er Jahren erzählt.

Das Buch ist jedoch keine Dokumentation, sondern es handelt sich um einen Roman, der auf Dokumenten, Fakten und Chroniken beruht. In den Auszügen, die Haslinger vortrug, kam die gesamte Dramatik der damaligen Ereignisse zum Ausdruck.

Protest kann die Lage verschärfen

Im anschließenden Gespräch mit dem Schriftsteller Heinrich Peuckmann (Dortmund/Kamen) ging der Österreicher Haslinger auf das Engagement des PEN-Zentrums für verfolgte und bedrohte Schriftsteller ein. Mit Beispielen aus Mexiko, Kolumbien und Kamerun verdeutliche Haslinger die gesellschaftspolitische Verantwortung der Schriftstellerorganisation. Zudem sprach er auch über die Situation von Deniz Yücel, Türkei-Korrespondenten der Zeitung „Die Welt“, der sich im Gewahrsam der türkischen Polizei befindet. Die momentane Lage sei sehr komplex, erläuterte der Schriftsteller. Man stehe vor der Frage, ob es gut und richtig ist, weiter zu protestieren oder ob sich dadurch die Situation für den in Deutschland geborenen Journalisten noch weiter verschärfe.

Orbán-Berater führt Ungarns PEN

Das PEN-Zentrum sei nicht parteipolitisch gebunden, unterstrich Haslinger, gleichwohl ergreife die Organisation beispielsweise Partei, wenn es um Menschenrechte geht. Unter anderem kritisierte Haslinger, dass Menschen, die Zuflucht in Deutschland suchen, wieder in ihr Heimatland zurückgeführt werden, das als „sicher“ erklärt wird, es aber in Wirklichkeit nicht ist.

Dass in einzelnen Ländern PEN-Organisationen durchaus vom Staat unterwandert werden können, zeigte Haslinger am Beispiel von Ungarn auf. Inzwischen sei ein Berater des Ministerpräsidenten Viktor Orbán dort der Vorsitzende.

Neuer Erzählband „Schichtwechsel“

Zum Abschluss las Josef Haslinger einen Auszug aus seinem Beitrag zum neuen Erzählband „Schichtwechsel“, den Heinrich Peuckmann und Gerd Puls herausgegeben haben. Insgesamt haben an dem Band, der Geschichten aus und über das Arbeitsleben beinhaltet, elf Autoren mitgewirkt. Erschienen ist das Buch im Oberhausener assoverlag.

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Vom 27. bis 30. April hat das PEN-Zentrum Deutschland seine Jahrestagung in Dortmund. Dazu werden rund 200 Schriftsteller erwartet. Das Motto der Tagung stammt vom gebürtigen Dortmunder Autor Peter Rühmkorf und lautet: „Bleib erschütterbar und widersteh“.




Die Frau, die nicht vernünftig sein will – „Medea“ in einer Oberhausener Light-Version

Medea (Janna Horstmann) (Foto: Axel J. Scherer/Theater Oberhausen)

Der Titel des Stücks verheißt Tragödie, doch könnte diese Bühne auch gut zu munterer Unterhaltung taugen. Schon vor Beginn der Vorstellung zupft ein Musikant (Khater Dawa) am rechten Bühnenrand schwermütige Klänge auf der Oud, die fast einzige Möblierung ist allerdings ein Tresen, Modell Partykeller, sind Gläser, Hocker, Flaschen. Das Theater Oberhausen zeigt „Medea“, und als (einzige) Autorin des Stücks wird hier Wihad Suleiman genannt, Autorin und Regisseurin, Jahrgang 1988. In gewisser Weise ist das auch schlüssig; denn von Euripides, Christa Wolf und etlichen Anderen, die sich mit dem Medea-Stoff befasst haben, ist hier wirklich kaum etwas zu spüren. Kann das gutgehen?

Ein Paar im Streit – Medea (Janna Horstmann) und Jason (Omar El-Saeidi) (Foto: Axel J. Scherer/Theater Oberhausen)

Medea pappt das Etikett „Kindermörderin“ an. Doch natürlich hatte die Tötung ihre Vorgeschichte. Nach etlichen tragischen Wendungen war Medea, Tochter Königs Kolchis, mit ihrem geliebten Mann Jason an den Hof Kreons in Korinth geflohen. Sie hatte zwei Söhne mit ihm, und alles war halbwegs erträglich, auch hier in der Fremde.

Doch dann wendet Jason sich von ihr ab und heiratet Kreons jüngste Tochter. König Kreon verweist Medea bald darauf des Landes, er ahnt Rachegelüste. Und in der Tat überwindet Medea ihre Schockstarre nach dem erlittenen Unrecht und wird auf grausame Art aktiv. So viel in fast schon sträflicher Verkürzung.

Was bisher geschah

Mit Medeas Verzweiflung beginnt das Stück von Wihad Suleiman (auch Regie) in Oberhausen. Was bisher geschah, erzählt uns im Wesentlichen ihre Amme (Anna Polke), gekleidet in ein amorphes textiles Gebilde zwischen Kleid und Kittelschürze, die nach Sprache und Haltung durchaus auch in der Bütt reüssieren könnte. Gemäß dem Setting der griechischen Tragödie ist sie hier zusammen mit Dunja Dogmani, die neben dem Lautenspieler sitzt, so etwas wie der Chor, nur eben viel kompakter, flotter im Erzählen. Eine sinnvolle Setzung.

Die Amme (Anna Polke) führt in das Geschehen ein (Foto: Axel J. Scherer/Theater Oberhausen)

Wenn Medea (Janna Horstmann) nun zum ersten Mal die Bühne betritt, tut sie es mit geballten Fäusten und tief gebeugt, unsichtbar bleibt ihr Gesicht unter den herabhängen blonden Haaren. Bald aber redet sie, und manchmal meint man gar, ein klassisches Versmaß in ihrer Klage wahrzunehmen. Vertraut und zeitlos ist ihr Leid, zornig ist sie, fassungslos wegen des Unrechts, das ihr widerfuhr. Das Motiv der Existenzbedrohung hingegen, allgegenwärtig eigentlich in diesem fremden Land, in dem nicht nur das Volk, sondern auch der König sie nicht mag, tritt hinter den „moderneren“ Motiven zurück.

Wie konnte sie nur?

Wie also kommt diese Frau nun dazu, den Kindermord zu beschließen und auszuführen? Sie tut es ja nicht im Affekt, sondern mit kalter Planung. Und vielleicht ist ihr die Mordtat auch nur möglich, weil sie früher schon gemordet hat, oder zumindest doch Morde ermöglichte. Medea, und das macht die Faszination dieser Figur zu einem großen Teil ganz ohne Frage aus, ist ja in höchsten Maße widersprüchlich, steht in unserer Gegenwart wie auch in der Antike, als man über sie zu berichten begann, weit jenseits der herrschenden Vorstellungen von Moral und Recht.

Medea (Janna Horstmann) und König Kreon (Hartmut Stanke) (Foto: Axel J. Scherer/Theater Oberhausen)

An einer psychologischen Ergründung von Medeas Entscheidung für den Kindermord zeigt dieses Stück jedoch kaum Interesse. Ein Großteil des Entscheidungsprozesses, wie er hier inszeniert wurde, vollzieht sich schließlich als eine Art wortloser Schleiertanz hinter durchscheinenden Vorhängen. Dieser Tanz ist die Zäsur, bevor es zum „Versöhnungsessen“ mit dem ungetreuen Jason (Omar El-Saeidi) kommt, dem Höhepunkt dieses Stücks.

Wie ein junges Ehepaar

Was es zu essen gibt, ahnte man beizeiten. Spätestens, wenn Jason Medea „Wo sind die Kinder, du Miststück“ ins Gesicht schreit, und sie ihm antwortet „Warte, bis du fertig verdaut hast“, herrscht Klarheit. Als Ratte, Verräter, Hure und so fort titulieren sich die beiden wechselseitig, und da sind sie dann eher ein junges, unzufriedenes Paar, das sich auch über das Geld streiten könnte, das nie reicht, oder über die neue Beule im Auto. Aber tragisch ist ihr Streit selbst auf seinen Höhepunkten nicht, eher schäbig und alltagsgrau.

Immerhin gelingt es Omar El-Saeidi in diesem Finale, die Verlogenheit von Jasons Argumenten überzeugend herauszuspielen. Vernünftig sei es gewesen, Kreons Tochter zu heiraten, erklärt er Medea, gut für die Sicherheit der eigenen Leute im fremden Land: Muster eines geradezu zeitlos einsetzbaren Erklärungsversuchs, warum die Frau „vernünftig“ sein soll, wenn sie verlassen wird. Es nimmt sehr für Medea ein, dass sie in der Vergangenheit nicht „vernünftig“ war und es auch jetzt nicht ist.

Ambitioniertes Schauspielertheater

Mit ihren gerade einmal 90 Minuten entwickelt sich diese Oberhausener „Medea“ als flott gespielter Bühnenabend, der durchaus seine Geschichte erzählt und sicherlich Diskussionen anregen kann. Man sieht ambitioniertes Schauspielertheater, woran auch das Oberhausener „Urgestein“ Hartmut Stanke als Kreon und Peter Waros als Aigeus ihren Anteil haben.

Herzlicher Beifall aus dem Zuschauerraum, in dem an diesem Abend leider etliche Plätze unbesetzt geblieben waren.