Aus der Hammer Wunderkammer – Museum zeigt Querschnitt durch die Sammlung seines Namensgebers Gustav Lübcke

Sie haben am Ende gar nicht mehr genau nachgezählt. Ungefähr 500 Exponate sind jetzt in einem großen Saal des Hammer Gustav-Lübcke-Museums zu sehen. Doch gemach, man schafft das Pensum in ein bis zwei Stunden: Denn zur imposanten Anzahl der Exponate tragen auch etliche Vitrinenobjekte wie Münzen, Kunsthandwerk (Gläser, Keramik) oder kleinteilige archäologische Fundstücke bei. Der Namensgeber des Hauses, Gustav Lübcke (1868-1925), hat nach dem Wunderkammer-Prinzip gar vieles erworben, was dem gehobenen Bürgertum seiner Zeit zusagte. Ein wahres Sammelsurium.

Auch Heiligenfiguren hat Gustav Lübcke gleichsam en gros gesammelt. (Foto: Bernd Berke)

Auch Heiligenfiguren hat Gustav Lübcke gleichsam en gros gesammelt. (Foto: Bernd Berke)

„Hereinspaziert!“ lautet der etwas unbedarft und geradezu circensisch klingende Titel der Ausstellung, die einen historischen Anlass hat: Fast genau 100 Jahre ist es nun her, dass die Stadt Hamm Gustav Lübcke diese denkbar breit gefächerte Kollektion als gesamtes Konvolut abgekauft hat. Im April 1917 wurde der Vertrag aufgesetzt.

Im Gegenzug erhielt der in Düsseldorf ansässige Antiquitätenhändler, der hinfort in seine Geburtsstadt Hamm zurückkehrte, eine lebenslange Jahresrente von 6000 Mark – damals eine passable bis ordentliche Summe. Nach Lübckes Tod erhielt seine 20 Jahre ältere Frau Therese geb. Nüsser (1848-1930) die Rente weiter. Beide hatten sich für Hamm entschieden, weil sie die Sammlung in den Wirren des Ersten Weltkriegs in Düsseldorf stärker bedroht sahen.

Gestrenge Dienstanweisungen 

Praktischerweise ließ sich Lübcke, eigentlich gelernter Buchbinder, 1917 gleich auch zum ersten Direktor der nach Hamm umgezogenen Sammlung ernennen und verfügte, dass ein künftiges Museum seinen Namen tragen solle. Eingangs der jetzigen Rückschau findet sich eine seiner strengen Dienstanweisungen, die zur Wachsamkeit vor Kunstdieben auffordert (auf Menschen mit weiten Mänteln achten!) und die tägliche gründliche Reinigung seines Arbeitsbereichs anordnet. Der Tonfall ist recht barsch und unduldsam. Ob Lübcke ein angenehmer Chef gewesen ist?

Unsigniert und namentlich nicht zuzordnen: filigraner Scherenschnitt "Leichenzug der Tiere". (© Gustav-Lübcke-Museum / Foto: Bernd Berke)

Unsigniert und namentlich nicht zuzuordnen: filigraner Scherenschnitt „Leichenzug der Tiere“. (© Gustav-Lübcke-Museum / Foto: Bernd Berke)

Und was hat der Mann gesammelt? Nun, wie schon angedeutet: alles Mögliche. Neben den stichwortartig erwähnten Beständen zählen beispielsweise auch wertvolle alte Möbel (Truhen, Schränke etc.), Heiligenfiguren und weitere sakrale Kunst, Scherenschnitte, Malerei (Düsseldorfer Schule, niederländische Genrebilder aus der „zweiten Reihe“ des 17. Jahrhunderts), Schnupftabaksdosen, ägyptologische Objekte, koptische (also christliche) Kunst aus Altägypten und kostbare Bücher zum Gesamtumfang, der in die zigtausend Stücke gehen dürfte.

Immer noch keine Inventarlisten

Und so hat sich in all den vielen Jahrzehnten bisher niemand gefunden, der es geschafft hätte, auch nur halbwegs komplette Inventarlisten zu erstellen. Die jetzige Ausstellung, kuratiert von Diana Lenz-Weber, die immerhin ein paar Schneisen durchs Dickicht geschlagen hat, könnte ein Anstoß zur Katalogisierung sein. Erstmals überhaupt befasst man sich so eingehend mit den Hinterlassenschaften Lübckes. Doch um eine präzise Erfassung der Bestände zu bewerkstelligen, bräuchte man mehr Personal, das möglichst eigens dafür eingesetzt wird. Hoffen darf man ja, es kostet nichts.

Tiroler Truhe aus dem 15. Jahrhundert, darüber zwei Gemälde von Adriaen van de Venne (17. Jhdt.). (Foto: Bernd Berke)

Eine mächtige Truhe, darüber zwei Gemälde von Adriaen van de Venne (17. Jhdt.). (Foto: Bernd Berke)

Man wird in dieser Retrospektive keine Sensationen finden, aber doch einen soliden, bewahrenswerten Grundstock, der freilich zu weiten Teilen etwas „altfränkisch“ anmutet. Schon zu seiner Zeit gehörte Gustav Lübcke nicht zu den Leuten mit avantgardistischen Neigungen. Spätimpressionistische Ausläufer sind schon das höchste der Gefühle, Symbolismus und Jugendstil sucht man bereits vergebens. Lübcke hatte mit einem Mann wie Karl Ernst Osthaus, der damals von Hagen aus die neuesten Strömungen aufspürte, praktisch keine Gemeinsamkeiten – außer der westfälischen Herkunft und der schieren Sammelleidenschaft.

Konservativer Geschmack

Gustav Lübcke hat also ausgesprochen konservativ gesammelt. Ein besonders gewichtiges Stück ist z. B. jener mit Geheimfächern ausgestattete, machtvolle Tiroler Büffetschrank im gotischen Stil aus dem 15. Jahrhundert, den Lübcke damals auf einen Wert von 5000 Mark taxiert hat – annähernd seine eigene jährliche Leibrente also.

Auch die liebevoll restaurierten Stoffstücke koptischer Kunst oder allerfeinstens ausgeführte Scherenschnitte („Leichenzug der Tiere“) sind mehr als einen Blick wert. Von kulturgeschichtlichem Interesse sind zudem Gemälde wie die lebensprall-derben Genrebilder eines Adriaen van de Venne („Bauerntanz“), die „Winterlandschaft“ des Anthonie (van) Beerstraaten oder Einzelbeispiele der Düsseldorfer Malerschule. Ansonsten gilt die Devise: Wer vieles bringt, wird jedem etwas bringen.

Schätze blieben lange „heimatlos“

Im Vorfeld dieser Ausstellung hat das Museum einige Restaurierungs-Aufträge vergeben können. Doch zugleich zeigte sich, dass manche Stücke höchstwahrscheinlich gar nicht mehr zu retten sind. Einige beklagenswert ramponierte Exponate sind nun – bewusst in einer zerbrochenen Glasvitrine präsentiert – beisammen. Ein Bild des Jammers. Und nebenher eine eindringliche Mahnung zum sorgsamen Umgang mit Kunst und Kunsthandwerk.

Freilich war die Sammlung lange Zeit „heimatlos“ und irrte gleichsam durch diverse, unter konservatorischen Gesichtspunkten ungeeignete Gebäude. Erst 1993 (!) wurde, mit Fertigstellung des jetzigen Museumsbaus, Gustav Lübckes Forderung nach einem eigenen Ort für seine Schätze wahr. Gut Ding will manchmal sehr viel Weile haben.

„Hereinspaziert! 100 Jahre Sammlung Gustav Lübcke“. 16. Juli (Eröffnung 11.30 Uhr) bis 15. Oktober 2017. Geöffnet Di-Sa 10-17, So 10-18 Uhr. Eintritt 5 Euro (ermäßigt 2,50 Euro). Kinder bis 15 Jahre freier Eintritt. Gustav-Lübcke-Museum, Hamm, Neue Bahnhofstraße 9. Tel.: 02381 / 17-57 14. www.museum-hamm.de




Erstmals Intendant: Raphael von Hoensbroech wechselt im September 2018 vom Berliner Konzerthaus nach Dortmund

Dr. Raphael von Hoensbroech (Mitte) mit Kulturdezernent Jörg Stüdemann und Bürgermeisterin Birgit Jörder, Vorsitzende des Aufsichtsrats des Konzerthauses Dortmund. (Foto: Anja Kador/Dortmund Agentur)

Ein Schächtelchen Schokolade gab es als Willkommensgeschenk. „Das BVB-Trikot haben wir ihm ersparen wollen“, witzelte Dortmunds Kulturdezernent Jörg Stüdemann, als er im Hanse-Saal des Rathauses den Mann begrüßte, der vom 15. September 2018 an neuer Intendant und Geschäftsführer des Konzerthaus’ Dortmund wird: Dr. Raphael von Hoensbroech, 40 Jahre alt, promovierter Musikwissenschaftler, Unternehmensberater und derzeit noch Geschäftsführender Direktor des imposanten, von Karl Friedrich Schinkel gebauten Berliner Konzerthauses am Gendarmenmarkt. Vor versammelter Presse unterzeichnete der Musik-Enthusiast mit den zwei Dehnungsvokalen im Namen einen Sechs-Jahres-Vertrag, der ihm erstmals die Position eines Intendanten sichert.

Warm, aber inhaltlich wolkig blieben die Worte, mit denen Dr. von Hoensbroech seinen Blick auf Dortmund und seine kommende Tätigkeit richtete. Noch ist es zu früh für Konzepte, für eine eigene Handschrift gar, zumal die Spielzeit 2018/19 noch komplett von seinem Vorgänger Benedikt Stampa geplant wurde, der als Intendant an das Festspielhaus Baden-Baden wechselt.

So viel immerhin wird deutlich: Der 1977 in Tokio geborene, in Köln und Arnsberg aufgewachsene Kulturmanager ist keiner, der das Rad mit Gewalt neu erfinden will. Er formuliert den (wenig überraschenden) Anspruch, das Publikum emotional bewegen zu wollen, das Haus gut zu vermarkten, es mit allen Partnern, Sponsoren und Kooperationspartnern gut zu vernetzen und stets kreativ nach vorne zu denken. Am eingespielten Team der Mitarbeiter will er festhalten.

Konkrete Aussagen zu Inhalten und Konzertformaten trifft der Neue vorerst nicht. Immerhin bejaht er auf Nachfrage, am bisher gepflegten Geist der Kooperation mit der Philharmonie Essen festhalten zu wollen, der im Februar dieses Jahres mit der „Ruhr Residenz“ der Berliner Philharmoniker einen glanzvollen Höhepunkt erreichte. Auch möchte er weiterhin konzertante Opernaufführungen im Konzerthaus realisieren.

Raphael Graf von und zu Hoensbroech, Spross einer alten limburgischen und später niederrheinischen Adelsfamilie, spricht verhalten im Ton und in der Sache. Er wirkt wie einer, der lieber zu wenig sagt als zu viel. Erst, als er über Musik spricht, beleben sich Gestik und Tonfall. Er, der bereits mit drei Jahren Geige lernte und auf dem besten Wege war, professioneller Dirigent zu werden, entschied auch aus familiären Gründen, in die Welt der Wirtschaft abzubiegen. Vier Söhne und eine Tochter hat er mit Ehefrau Christina, die an diesem Tag der Vertragsunterzeichnung ebenfalls nach Dortmund gekommen ist. Der Umzug von Berlin nach Dortmund ist bereits beschlossene Sache.

Das Konzerthaus Berlin hat mit 1.420 Plätzen im großen Saal eine ähnliche Größe wie das Dortmund Konzerthaus mit seinen rund 1.500 Plätzen. Ein eigenes Orchester wie in Berlin besitzt die Philharmonie für Westfalen freilich nicht. Von Hoensbroech wirkt am lebhaftesten, wenn er von magischen Momenten im Konzertsaal spricht: von knisternder Live-Atmosphäre, von der Spannung nach dem letzten Ton, in die niemand hinein applaudieren sollte. Solche Momente will er ermöglichen, will dafür die richtigen Künstler und die richtige Programmatik auswählen. Wir sind gespannt.