Natur zwischen Zeit und Idee: Ausstellung im Museum Kunstpalast Düsseldorf

Foto: Museum Kunstpalast, Düsseldorf – Horst Kolberg – Artothek

Carl Wilhelm Kolbe d. Ä., Die Kuh im Schilf, um 1801, Radierung mit Kaltnadel, 38,3 x 48,8 cm, Museum Kunstpalast, Düsseldorf
Foto: Museum Kunstpalast, Düsseldorf – Horst Kolberg – Artothek

Wie gehen Künstler mit der Natur um? Ihre Abbildung dürfte unmöglich sein, denn selbst genaueste Zeichnungen, wie sie für botanische oder zoologische Werke entstanden sind, geben nicht „Natur“, sondern ein Idealbild wieder, dem die Dimension der Zeitlichkeit fehlt. Daher geht es stets um eine Idee von Natur, wie sie auch immer begrifflich gefasst sei.

Vier künstlerische Positionen zur Natur verknüpft Kuratorin Gunda Luyken in einer Ausstellung im Museum Kunstpalast in Düsseldorf.

Ausgehend von Radierungen von Carl Wilhelm Kolbe d.Ä. aus der eigenen Sammlung des Museums will die Schau „Magische Natur“ im Cary-und Dan-Georg-Bronner-Saal dem Blick auf die Natur und seinen Wandlungen auf die Spur kommen. Der Ausgangspunkt sind die sogenannten Kräuterblätter Kolbes. An der Wende zum 19. Jahrhundert in der Zeit früher Romantik entstanden, wirkt dieser Bildtypus surreal, manchmal sogar unheimlich.

Anders als in klassischen Landschaftsdarstellungen kennt Kolbe keine Gliederung des Raumes in drei Ebenen und keinen Ausblick in die Ferne. In seinen Radierungen und Zeichnungen wuchern riesige Pflanzen den Vordergrund zu, sind durch manchmal auf den ersten Blick kaum erkennbare Figurengruppen noch monumental gesteigert. Die Natur, inspiriert durch die wasserreiche Umgebung seiner Wirkungsstätte Dessau, wächst ins Fantastische.

Franz Gertsch, Pestwurz „Ausblick“, 2005, Holzschnitt, 276 x 380 cm, kobaltblau, 2 Platten, je 268 x 183 cm, Handabzug auf Kumohadamashi-Japanpapier von Heizaburo Iwano, Museum Kurhaus Kleve – Ewald Mataré Sammlung, Freundeskreis Museum Kurhaus und Koekkoek Haus Kleve e.V., Kleve, © Franz Gertsch

Franz Gertsch, Pestwurz „Ausblick“, 2005, Holzschnitt, 276 x 380 cm, kobaltblau, 2 Platten, je 268 x 183 cm, Handabzug auf Kumohadamashi-Japanpapier von Heizaburo Iwano, Museum Kurhaus Kleve – Ewald Mataré Sammlung, Freundeskreis Museum Kurhaus und Koekkoek Haus Kleve e.V., Kleve, © Franz Gertsch

Kolbes in seiner Zeit einzigartige Blätter, die unter anderem Max Ernst inspiriert haben, gelten als „Geheimtipp“, wie Felix Krämer, Generaldirektor des Museums Kunstpalast, schreibt. Ihnen gegenüber stehen in der Ausstellung Holzschnitte von Franz Gertsch. In seinen Pestwurz-Bildern führen die starke Vergrößerung und die monochrome Ausführung dazu, dass Natur auf der einen Seite übergenau dargestellt, andererseits aber abstrahiert erscheint.

Natascha Borowsky, o. T. 422 201214, aus der Serie Transition, 2012/2014, Pigment Print, 40,5 x 59,4 cm, Natascha Borowsky © VG Bild-Kunst, Bonn 2017

Natascha Borowsky, o. T. 422 201214, aus der Serie Transition, 2012/2014, Pigment Print, 40,5 x 59,4 cm, Natascha Borowsky © VG Bild-Kunst, Bonn 2017

Die Fotografinnen Simone Nieweg und Natascha Borowsky, beide aus der Schule von Bernd und Hilla Becher, setzen auf ihre Weise das Spiel zwischen Realität und Abstraktion in der Gegenwart fort. In ihren Bildern ist die Spannung zwischen dem Moment der Aufnahme und dem unvermeidlichen Vergehen des Augenblicks erfahrbar.

Perspektiven, Licht und Komposition heben die „Natur“ über sich selbst hinaus und stellen sie in Zusammenhänge, in denen der Betrachter der Magie des künstlerischen Augenblicks erliegt.

„Magische Natur. Carl Wilhelm Kolbe d. Ä., Franz Gertsch, Simone Nieweg, Natascha Borowsky“. Bis 7. Januar 2018 im Cary- und Dan-Georg-Bronner-Saal des Museums Kunstpalast in Düsseldorf. Di. bis So. 11 bis 18 Uhr, Do. 11 bis 21 Uhr. Eintritt fünf, ermäßigt vier Euro. Katalog 19,80 Euro.

 




Die Kunst in Zeiten des Konflikts: Das Musiktheater in Gelsenkirchen zeigt „Mathis, der Maler“ von Paul Hindemith

Zwei Frauen und ein Maler: Yamina Maamar als Ursula, Bele Kumberger als Regina und Urban Malmberg als Mathis (von links). (Foto: Karl + Monika Forster)

Bücherverbrennung. Verfolgung. Willkür und Gewalt. Mittendrin der genial begabte Renaissance-Maler Matthias Grünewald, der sich gezwungen sieht, im Strudel der Ereignisse Position zu beziehen. In seiner Oper „Mathis, der Maler“ nutzte der von den Nationalsozialisten verfemte Komponist Paul Hindemith die historische Folie lutherischer Glaubenskriege, um seine eigene Situation zu spiegeln.

Die Frage nach der Verantwortung des Künstlers in Zeiten politischer Umbrüche steht in Zentrum dieser Oper, mit der Hindemith auf seine eigene Gegenwart verweist. Im Gelsenkirchener Musiktheater versucht Hausherr Michael Schulz nun, eine ähnliche Position zu beziehen, indem er auf die politischen Konflikte unserer Tage deutet.

Gespaltene Gesellschaft: Kardinal Albrecht kehrt nach Mainz zurück (Foto: Karl + Monika Forster)

Mit bissiger Schärfe zeichnet er eine Gesellschaft, die über jeden vernünftigen Diskurs hinaus zerstritten scheint. Warum es unter „Wir sind das Volk“-Transparenten zu einer kleinen Tortenschlacht kommt, muss der Besucher freilich im Programmheft nachlesen: Es handelt sich um eine Anspielung auf die Eat-Art des Schweizer Künstlers Daniel Spoerri.

Gleichwohl ist der Produktion anzumerken, mit wie viel Herzblut Michael Schulz und Generalmusikdirektor Rasmus Baumann sich für das Stück einsetzen, das trotz seiner Vollendung im Jahr 1934 in Deutschland erst 1946 aufgeführt werden konnte. Zwischen den verschiebbaren Steinwänden einer Kapelle (Bühne: Heike Scheele) werfen Intendant und Dirigent eindrucksvolle Schlaglichter auf die Zweifel und Konflikte, die nicht nur Mathis zusetzen.

Der Tenor Martin Homrich als Kardinal Albrecht (Foto: Pedro Malinowski)

Da ist der Kardinal Albrecht, getrieben von Geldsorgen und widerstreitenden politischen Interessen. Da ist Ursula, die eigentlich Mathis liebt, aber gezwungen wird, sich für Luthers Sache zu opfern. Da ist der Bauernführer Hans Schwalb, dessen Kampf für mehr Gerechtigkeit Raub und Mord nach sich zieht.

Die Kostüme von Renée Listerdal setzen moderne Eleganz und angedeutete Renaissance-Pracht gegen die armselige Kleidung der kämpfenden Bauern. Was Bürgerkrieg bedeutet, spitzt Schulz in einer Szene zu, in der die junge Regina von den Schergen des Regimes gezwungen wird, den eigenen Vater zu erschießen.

Ist die Handlung bis hierhin stringent erzählt, löst sich ab dem sechsten Bild alles in einer religiös geprägten Bilderflut auf. Die Vision des Mathis formiert sich zum Altar: oben die Engel, eine Pietà-Formation, in der Mitte eine Gerichtsszene und zuunterst ein Höllen-Chor, der Mathis in den Wahnsinn zu treiben droht. Alles gleitet ins Allegorische, bis ein Schlagbaum die Hauptfiguren endgültig voneinander trennt. Was dahinter liegt, wohin sie gehen, bleibt schmerzlich dunkel.

Was aus dem Orchestergraben klingt, ist das eigentliche Ereignis dieses Premierenabends. Es ist keine Überraschung, dass Rasmus Baumann und die Neue Philharmonie Westfalen den größten Beifall ernten. Zwischen silberfeiner Transparenz und erratischen Ausbrüchen erschließen sich die Reichtümer dieser Partitur aufs Schönste: der heilige Ernst der Choral-Anklänge, der rasselnde Militarismus, die barocke Polyphonie und Hindemiths eigenwüchsige, sehr gestische Tonsprache.

Auf der Flucht: Bauernführer Hans Schwalb (Tobias Haaks) und seine Tochter Regina (Bele Kumberger. Foto: Karl + Monika Forster)

Die Sängerleistungen können die ehrgeizigen Ambitionen nicht ganz erfüllen. Urban Malmberg legt die Titelpartie zwischen warmherzigem Humanismus und grüblerischer Selbstanklage an, neigt zuweilen aber zu verformten Vokalen und monochromer Galligkeit. Als Albrecht von Brandenburg zeigt Martin Homrichs Tenor im ersten Teil ein unstetes Flackern, das sich erst nach der Pause zugunsten einer weit präziseren Tonfokussierung legt.

Yamina Maamar beweist als Ursula erneut die Durchschlagskraft ihres hochdramatischen Soprans, dessen Vibrato zumeist weit ausgreift. Eindruck machen Tobias Haaks als Bauernführer Hans Schwalb, stimmlich fürwahr „ein’ feste Burg“, und Bele Kumberger, die als seine Tochter Regina von mädchenhaft heller Unschuld in einen Ton intensiver Verstörung kippt.

Auch Hindemiths Libretto hat das Zeug dazu, lange nachzuklingen. Es gibt darin Sätze, die wie mit Fingern auf uns zeigen. Mancher Appell von damals hat bis heute nichts von seiner Dringlichkeit verloren.

Weitere Informationen und Aufführungstermine: https://musiktheater-im-revier.de/#!/de/performance/2017-18/mathis-der-maler/

(Der Text ist zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen)