Wenn der Mensch neben dir nicht Duke Ellington ist – Helge Schneiders Auftritt im Dortmunder Konzerthaus

Warum nicht mal wieder zu Helge Schneider pilgern? Das letzte Mal ist ja schon wieder ein paar Jährchen her (es war seinerzeit im erzkatholischen Paderborn), und der Mann ist und bleibt doch wohl schließlich Kult. Bei ihm trifft diese Bezeichnung unumwunden zu, auch wenn man sie sonst nur ungern verwendet.

Cello kann er auch: Helge Schneider in Aktion. (Foto: www.helge-schneider.de)

Cello kann er auch: Helge Schneider in Aktion. (Foto: www.helge-schneider.de)

Also auf ins ausverkaufte Dortmunder Konzerthaus. 1500 Plätze bietet die Kulturstätte. Helge Schneider begehrt vom Publikum zu wissen, wie viele Einwohner Dortmund eigentlich habe. Soso, aha, rund 600.000. Und warum bitteschön seien die heute Abend nicht alle hier? Wahrlich eine bittere Enttäuschung!

Aber gut. Er lässt sich nicht lumpen und tritt trotzdem über zwei Stunden auf, auch wenn der Schelm gleich anfangs, nach den ersten paar Takten von „Lady Be Good“, gesagt hat: „So, das war’s für heute…“ Nur gut, dass er den Steinway nicht wirklich zugeklappt hat.

Ich will nicht behaupten, Helge Schneider (Jahrgang 1955) sei etwa altersmilde oder „verträglicher“ geworden, was immer das bei einem wie ihm heißen könnte. Aber er lässt doch nicht mehr so riesige Sinn- und Unsinnslücken klaffen wie ehedem. Zuweilen plaudert er wie nur je ein charmanter Conférencier. Und wahrlich: Schon nach wenigen Sekunden hat er das eh schon außerordentlich lachbereite Publikum da, wo er es haben möchte. Ein Phänomen, diese Präsenz.

Ein klein wenig wie ein großväterlicher Freak sieht er jetzt aus, dieser geborene „Ruhri“; aus Mülheim, nach Dortmunder Lesart beinahe schon exotisches Ausland. Aber verdammt noch eins, die Art seines Humors weckt in den hiesigen Breiten tatsächlich auch eine Art Heimatgefühl. Jawoll.

Klar, er ist ein begnadeter Komiker der unverwechselbaren Art. Er ist ein Entertainer sondergleichen, der bei aller Sprachspielerei auch dem Nonverbalen Raum lässt. Einmal legt er einen Stepptanz aufs Parkett, nachdem er auf den sauglatten Klacker-Schuhen wie übers Eis geglitten ist, panisch mit den Armen rudernd. Für einen Moment vollführt er plötzlich die Bewegung eines Eisschnellläufers. Eine quasi-olympische Sekunde: kaum geschehen, schon verweht. Anhaltendes Kichern im Saale.

Vor allem aber ist Helge Schneider ein reich begabter Musiker, der sich offenbar jedes, aber auch jedes Instrument schnell erschließt. Wenn er solo oder mit seinen beiden – in Ehren ergrauten – musikalischen Begleitern Rudi Olbrich (Kontrabass) und Peter Thoms (Schlagzeug) klassischen Jazz spielt, dann swingt es wie bei den Größen der Zunft. Vor allem der „geile Rudi“ (O-Ton Schneider) lässt sich manchen Scherz auf seine Kosten gefallen. Übrigens: Olbrich und Thoms seien alte Freunde, und das sei – wie Schneider verrät – auch besonders kostengünstig. Hähähä.

Helge Schneider (li.) und seine musikalischen Mitstreiter Rudi Olbrich (Mi.) und Peter Thoms. (Foto: www.helge-schneider.de)

Helge Schneider (li.) und seine musikalischen Mitstreiter Rudi Olbrich (Mi.) und Peter Thoms. (Foto: www.helge-schneider.de)

Auch wenn Helge Schneider zur Gitarre greift und dazu stilsicher übertriebene Essenzen französischen, spanischen oder auch chinesischen Liedguts knödelt, wenn er dann herzzerreißend simultan Klavier und Panflöte spielt („As Time Goes By“) oder das Letzte aus einem Cello herausholt (pickende Vögel etc.), so erweist sich jeweils aufs Köstlichste, wie erzmusikalisch er ist. Solche Parodien kann man nur liefern, wenn man ein Instrument wirklich beherrscht.

Apropos Jazzgrößen. Ein Bringer und Brüller des Abends ist jene windungsreiche Erzählung von anno 1974, als er mit 19 Jahren erstmals in Berlin war und beim Jazzfest Duke Ellington sehen wollte. Immer wieder schweift Helge Schneider zu seiner „Omma in Düüsburch“ ab. Schließlich führen die Erzählpfade doch wieder nach Berlin, genauer: oben auf den Doppeldecker-Bus zum Sightseeing. Und jetzt aber: Steigt doch unten ein Mann zu, der… Duke Ellington ist. Und setzt sich auch noch neben ihn. Wahnsinn. Man denke. Der große Duke Ellington. Schließlich nimmt der junge Helge allen Mut zusammen und knufft den Nachbarn in die Seite – und da ist es gar nicht Duke. Unglaublich! Unverschämtheit! Diese impertinente Person ist nicht nur nicht Duke Ellington, sondern sogar eine Frau, die Gemüse gekauft hat. Die Porreestange guckt aus ihrer Tasche… Aber bitte: Das alles kann man eigentlich gar nicht nachbeten, das muss man vom Meister selbst hören.

Das laufende Tourneeprogramm heißt derzeit „Ene mene mopel“, hebt aber nirgendwo auf den alten, bekanntlich etwas ekligen Kinderreim ab. Wie aus Bausteinchen, so setzt Helge Schneider seine Abende immer wieder neu und anders zusammen. Damals in Paderborn hat er beispielsweise eine herrlich ausgiebige Parodie auf Udo Lindenberg hingelegt, diesmal lässt er nur aufblitzen, dass er halt auch den Udo perfekt imitieren kann. Und überhaupt.

Ein paar seiner Nonsens-Klassiker stimmt er gleichfalls an, beispielsweise den Song von der „Wurstfachverkäuferin“ oder das ebenso wahnwitzige „Es gibt Reis, Baby“. Das über die Maßen strapazierte „Katzeklo“ lässt er hingegen nur ganz kurz anklingen, um daraus eine aber nun wirklich ganz und gar rührselige Geschichte von einer armen alten Frau und ihrer Katze fortzuspinnen. Da kommen einem die Tränen zwischen Lachen und Weinen. Aber echt jetzt.

Weitere Tournee-Termine/Karten:
http://www.helge-schneider.de/termine/all




Eifersucht und Seelenschmerz: Diana Damrau und Jonas Kaufmann mit Hugo Wolfs „Italienischem Liederbuch“ in Essen

Diana Damrau und Jonas Kaufman in der Philharmonie Essen. Foto: Sven Lorenz

Diana Damrau und Jonas Kaufman in der Philharmonie Essen. Foto: Sven Lorenz

Die Bühne lässt sie nicht los. Auch nicht, wenn es um einen umfangreichen Zyklus von Liedern geht, dem „Italienischen Liederbuch“ Hugo Wolfs. Eben noch beschreibt der jugendliche Liebhaber, was er in der Gewitternacht draußen vor der Tür erdulden musste, da fragt die Angebetete genervt: „Wer rief dich denn? Wer hat dich herbestellt?“ und schickt ihn gleich weg „zu dem Liebchen, das dir mehr gefällt“. Diana Damrau und Jonas Kaufmann machen daraus eine kleine Szene, mit Augenrollen und Schmollemund, Flehensgeste und Abweisung.

Die beiden Star-Sänger, die auf ihrer Tournee mit Hugo Wolf in der Philharmonie Essen Station machten, wollen das szenische, darstellerische Element nicht missen. Damit die Zwiegespräche einer eifersüchtigen Liebe funktionieren, kombinieren sie die 46 vertonten poetischen Miniaturen des kultivierten, im München des fin de siècle zur Berühmtheit gewordenen Schriftstellers Paul Heyse in einer neuen Abfolge. Abwechselnd von Frau und Mann gesungen, entstehen so kleine Beziehungs-Szenen, schwärmerische und schnippische Dialoge, aber auch Momente des Hochgefühls, des Sehnens, der Bitterkeit und der Kränkung.

Das Konzert war wohl eher wegen der glamourösen Namen als wegen der Zuneigung zu Hugo Wolfs feinsinniger Kunst bis auf den letzten Platz ausgebucht. Eingekesselt von Zuhörern sogar auf der Bühne, lassen sich die beiden Profis dennoch nicht beirren: Diana Damrau fasst den Sinn der Worte in vielfältig variierten Klang, als sie erklärt, dass auch „kleine Dinge uns entzücken können“. Das Timbre der gefeierten „Traviata“, der passionierten „Lucia di Lammermoor“ ist satt und leuchtend, der Ton entfaltet sich frei und ungezwungen, die Worte werden musikalisch nuanciert ausgedeutet: Damrau kann mit koketten Färbungen spielen, wenn sie ihrem Partner auf dem Podium an den Kopf wirft, sie sei verliebt, „doch eben nicht in dich“. Aber sie trifft eben auch sehnsüchtige Untertöne, die pubertäre Hilflosigkeit des jungen Mädchens und manchen leisen Moment der Trauer.

Ein Touch von Theater

Die vielen Schattierungen zwischen halblaut und zärtlich leise gelingen auch Jonas Kaufmann: Nach belegtem Beginn und ein paar Schleiern auf der Stimme gibt er sich hymnisch entzückt über die von Gott geschaffene Schönheit, bejubelt „hohen Reiz und Zauber“, zeigt sich betrübt über den Zorn der Angebeteten, bockig, versöhnungswillig, verschmitzt, leichtfüßig und gespielt pathetisch.

Kaufmann setzt sein dunkles Timbre ein, wenn er die Stimmung von „Heut Nacht erhob ich mich um Mitternacht“ musikalisch zeichnet; er drückt die Zärtlichkeit der mühsam gezähmten Leidenschaft im „Wenn du mich mit den Augen streifst“ mit verhaltenem Mezzoforte aus; er reduziert den Klang in äußerster Delikatesse, wenn er bekennt: „Ich sterbe lieblich, sterb‘ ich deinetwegen“. Das alles hat einen Touch von Theater – der aber der Poesie der Lieder keinen Abbruch tut.

Ein Wunder für sich ist Helmut Deutsch am Flügel: Er hält mit leichtem Tonfall das Opernhafte in Grenzen, gestaltet die Wortgefechte mit diskretem Humor aus, zaubert dunkle, unheimliche, grotesk hysterische, leuchtend lyrische Farben dahin, dass es eine pure Wonne ist. Das ist Tiefe, im Leichten entdeckt.