Bleigießen verboten! Und zwar schon zu Ostern…

Es scheint zwar thematisch nicht so ganz zu Ostern zu passen, doch das Verbot tritt sinnigerweise am 1. April und nicht erst im Dezember in Kraft: Just ab morgen dürfen wir nicht mehr der althergebrachten Sitte des Bleigießens frönen! Kein Aprilscherz…

Wohl dem, der einen Vorrat hat - zum fachgerechten Entsorgen, versteht sich. (Foto: BB)

Wohl dem, der einen Vorrat hat – zum fachgerechten Entsorgen, versteht sich. (Foto: Bernd Berke)

Wie haben wir uns zu manchem Silvestertag an den bizarren Figuren und Formationen des Bleis deutend abgearbeitet! Welch ein nettes kleines Vergnügen ist das gewesen!

Doch ab sofort darf das traditionelle „Teufelszeug“ nicht mehr verkauft werden, und es ist fortan Essig mit spielerischen Blicken in die Zukunft. Nur noch 3 Prozent Bleihaltigkeit sind gestattet, beim Bleigießen aber liegen rund 70 Prozent an. Tja. Hört sich nach Grenzwert-Überschreitung an. Fragt sich immer nur, wer warum welchen Grenzwert festlegt.

Aber: Psssst! Als hätte ich es geahnt, habe ich noch ein paar Bleigieß-Sets aufgehoben. Ratet mal, was ich am 31. Dezember 2018 damit machen werde. Als Giftmüll entsorgen? Jaja, natürlich. Was denn sonst?

Verflixt, wo ist die Glaskugel geblieben?

Wenn wir erfahren wollen, was künftig geschehen wird, müssen wir also wieder unsere angestaubten Glaskugeln hervorholen oder im Kaffeesatz lesen; falls Kaffeegenuss nicht auch noch eines Tages untersagt wird. Die Drogenbeauftragte des Bundes, meine ganz spezielle Herzensfreundin Marlene Mortler, schwelgt ja schon in Träumen von strengeren Alkoholverboten. Ihre nächsten (Gedanken)-Schritte werden bestimmt nicht lange auf sich warten lassen. Auch Kaffee und Kekse können ungesund sein. Von Schokolade ganz zu schweigen.

Erich Kästner hat – pfeilgrad zum Jahreswechsel – diese immer wieder gern zitierten, wahrlich unsterblichen Zeilen verfasst:

„Wird’s besser? Wird’s schlimmer? fragt man alljährlich.
Seien wir ehrlich: Leben ist immer lebensgefährlich!“

So isses.

Kommt bald die Pommes-Polizei?

Gleichzeitig mit dem Bleigieß-Verbot treten übrigens neue Regeln für die Pommes-Herstellung in Kraft. Sie dürfen nur noch bei maximal 175 Grad frittiert werden. Und wehe, man stellt die Regler auf 185 Grad! Es juckt einen geradezu, privat so subversiv zu verfahren. Aber das wäre ziemlich kindisch. Dazu bringen sie einen… Sofern man beruflich Pommes verkauft, muss man sich wahrscheinlich auf Kontrollen einrichten. Wie wär’s mit einer Pommes-Polizei? Mahlzeit!

Damit ihr’s nur wisst: Die unendlich vielen Vorschriften, offenbar ausgeheckt von fanatischen Gesundheitsaposteln, gehen mir (schon seit Jahren) auf den Senkel, wahrlich nicht alle sind sinnvoll, sondern vielfach regiert purer Aktionismus. Ach, das war euch ohnehin schon klar? Na, dann ist ja alles in bester Ordnung. Und frohe Ostern auch!

 

 




Mit den alten Symbolen im Netz unterwegs

Es scheint mir eine kleine Betrachtung wert zu sein, dass wir uns in der virtuellen Welt anhand von Bildern aus analogen Zeiten bewegen. Das Greifbare und das Fassbare stehen fürs buchstäblich Unbegreifliche. Bislang noch. Wie es später werden wird, weiß niemand. Auch und erst recht nicht die Zukunftsforscher.

Papierschwalbe (Telegram) und Telefonhörer (WhatsApp) als Zeichen zweier Messenger-Dienste. (Screenshot)

Papierschwalbe (Telegram) und Telefonhörer (WhatsApp) als Zeichen zweier Messenger-Dienste. (Screenshot)

Schauen wir uns mal einige Logos an: Das gängige Mailprogramm wird durch einen Briefumschlag veranschaulicht, ein Telefonhörer vorgestriger Bauart (warum nicht gleich eine Wählscheibe?) ist Markenzeichen für einen Messenger-Dienst, ein anderer wird mit einer Papierschwalbe wie aus Kinderzeiten bezeichnet. Ein Fuchs ringelt sich als Signal für einen der meistgenutzten Browser, ein stilisierter Karteikasten zeigt einen Cloud-Service an, andere Cloud-Anbieter wählen die nahe liegende Wolke.

Die Grundeinstellungen vieler Computer-Programme steuert man an, indem man auf vorsintflutlich anmutende Zahnräder klickt. Ein aufgespannter Schirm symbolisiert das Antivirenprogramm, eine Video-Bearbeitung kommt mit einer symbolischen Kamera aus lang zurückliegenden Zeiten und mit einer ganz gewöhnlichen Schere daher.

Ich weiß: Euch fallen noch viele, viele weitere Beispiele ein – allen voran jenes angebissene Obst, das einen Weltkonzern mitsamt seinen Produkten meint und oftmals parodiert wird, beispielsweise als Birne in Donald-Duck-Geschichten.

Jedenfalls wird es schon bald Generationen geben (sie formieren sich schon jetzt), die mit Briefumschlägen oder Zahnrädern kaum noch etwas anfangen können; die damit nichts Erlebtes mehr verbinden, sondern nur noch durch bloße Verknüpfungs-Konventionen auf die richtige Spur kommen, die also abstrakter denken (müssen) als ihre Vorfahren, man könnte auch sagen: unsinnlicher, leidenschaftsloser. Sicherlich könnte man diesen Befund auch im Sinne erhöhter Rationalität positiv wenden. Ob’s aber stimmig wäre?

Derweil naht schon längst Abhilfe, indem wir unsere Anweisungen über Mikrofonsysteme geben können. Mit altertümlichen Bildern müssen wir uns dabei nicht mehr aufhalten. Wir stammeln unsere unmittelbaren Bedürfnisse und Sofort-Befehle in die Apparatur hinein – und schon geschieht, was wir wollen; auf der jeweils begrenzten Programmebene, versteht sich. Wir sind hier schließlich nicht im Schlaraffenland.

Wenn man nicht damit aufgewachsen ist, kommt es einem aber recht gespenstisch vor, wie da mündliche Anweisungen aufs Schnellste erfüllt werden – Pannen und Unzulänglichkeiten einstweilen noch inbegriffen. Doch selbst wenn die Geräte alle Ansprüche „in Echtzeit“ erfüllen, die an sie herangetragen werden: Grundsätzlich ändert sich damit wenig an unserem irdischen Dasein – mal abgesehen von unserem Verhältnis zur erfassbaren Wirklichkeit.




Hauptsache Grau: Kunst in „Black & White“

Jetzt wollen wir mal hoffen, dass der Frühling bald recht kunterbunt aufblüht. Denn solange draußen das Wetter dermaßen die Stimmung trübt, will man drinnen nicht unbedingt auch noch vorwiegend graue Kunst sehen.

Foto: © Museum Kunstpalast - ARTOTHEK/ © Gerhard Richter 2017

Gerhard Richter:
„Helga Matura mit Verlobtem“, 1966, Öl auf Leinwand (Museum Kunstpalast, Düsseldorf – Foto: © Museum Kunstpalast – Artothek / © Gerhard Richter 2017)

Der neutrale Mischton aus Schwarz und Weiß ist, sagte der Maler und Grau-Experte Gerhard Richter 2004 in einem Interview, „die ideale Farbe für Meinungslosigkeit, Aussageverweigerung, Schweigen, Hoffnungslosigkeit“. Auweia. Doch abgesehen von diesen bleischweren Zuweisungen ist die Nicht-Farbe auch schön – wie man in der Ausstellung „Black & White: Von Dürer bis Eliasson“ im Düsseldorfer Kunstpalast erkennen kann.

„Grau, teurer Freund, ist alle Theorie“, sprach einst Goethes Faust und mochte das nicht mehr. Die Moderne hingegen verehrt das Grau. Es ist die derzeitige Trendfarbe für Wände und Sitzlandschaften. Seit dem 20. Jahrhundert gilt es erstens als Farbe der vornehmen Zurückhaltung und zweitens als Symbol einer ernsthaften Haltung. Schon der alte Brecht in seinem epischen Theater soll, als es um das Bemalen einer Kulisse ging, gesagt haben: „Jede Farbe ist mir recht, Hauptsache, sie ist grau.“

Spezialeffekte in Schwarz-Weiß

Das war nicht immer so. In der frühen christlichen Kunst, die mit leuchtenden Pigmenten die Heiligkeit feierte, wurde das Farblose bewusst zum Zweck von Buße und Trauer eingesetzt. Abt Bernhard von Clairvaux verordnete den Zisterzienserklöstern im frühen 12. Jahrhundert einen Verzicht auf Farben, um den Brüdern die Sinnlichkeit auszutreiben. Später wurde auch dem Kirchenvolk in der Fastenzeit die Farbe entzogen. Man verhängte die prächtigen Flügelaltäre oder – man ließ die zugeklappten Seitenflügel einfach schwarz-weiß bemalen.

Ein faszinierendes Beispiel für die Technik der Grisaille (von gris, französisch grau) ist die „Verkündigung“ aus der Werkstatt des Marten de Vos (1532-1603). In feinsten Hell-Dunkel-Nuancen erscheint da der Engel auf der einen Seite, die Jungfrau auf der anderen. Und durch die Lücke zwischen den Altarflügeln blitzt von unten die Farbe der Verheißung: Geburt Christi, Kreuzigung, Auferstehung.

Jean-Auguste-Dominique Ingres und Werkstatt Odalisque in Grisaille, um 1824-1834 Öl auf Leinwand, 83,2 × 109,2 cm The Metropolitan Museum of Art, Catharine Lorillard Wolfe Collection, Wolfe Fund, 1938 (38.65) Foto: © bpk ǀ The Metropolitan Museum of Art

Jean-Auguste-Dominique Ingres und Werkstatt:
Odalisque in Grisaille, um 1824-1834 (The Metropolitan Museum of Art, Catharine Lorillard Wolfe Collection, Wolfe Fund, 1938 – Foto: © bpk ǀ The Metropolitan Museum of Art)

Die Fähigkeit der Künstler, mit Ölfarben zu zeichnen, verfeinerte sich. Immer plastischer wurde die Formensprache durch Abstufungen von Schwarz und Weiß. So perfekt gelangen dreidimensionale Effekte, dass man sie „Trompe-l’œil“ nannte: Täusche das Auge. Das gefiel auch den weltlichen Herrschaften im schwelgerischen 18. Jahrhundert. Für ihre Salons bestellten sie Bilder wie die ovale Öl-Raffinesse „Jupiter und Ganymed“ von Jacob de Witt oder „Spielende Kinder“ von Marten Jozef Geeraerts. Die niederländischen Meister erzeugten malerisch die Illusion von Marmor-Reliefs und Skulpturen.

Nur eine Frage der Wahrnehmung

Die barocke Druckgrafik – ein weites Geschäftsfeld von Rembrandt, Rubens und Kollegen – verblasst so ziemlich in der recht nüchtern inszenierten Ausstellung. In der nächsten Abteilung hängt das Plakatmotiv: Ingres’ berühmte „Odalisque“ in einer schmucklosen Grisaille-Version, um 1834 entstanden. 40 Jahre später war der Impressionismus da, und Edgar Degas malte eine „Ballettprobe“ ausnahmsweise ohne die üblichen Pastellfarben und doch so duftig und entzückend.

Allein: Raum für Träumerei gibt es hier nicht. Am Ende der unteren Saalflucht wartet schon die Gegenwartskunst in Gestalt eines monumentalen Männerkopfs, den der Amerikaner Chuck Close von einem Polaroid auf eine zweieinhalb Meter hohe Leinwand übertragen hat. Die klaren Konturen lösen sich auf, wenn man sie aus der Nähe betrachtet. Close hat Rasterquadrate benutzt, die mit malerisch freier Geste ausgefüllt sind. Und mit brauner Farbe, die im schwarz-weißen Gesamteindruck verschwindet.

Das Grau als besondere Mischung offenbart sich auch bei Alberto Giacometti, der seine „Annette, sitzend“ 1957 als dunkle Figur in den Schatten setzte, und bei Picasso, der im selben Jahr die Infantin von Velazquez in einer verschobenen Schwarz-Weiß-Variation malte. Die Auswahl von Fotografien, natürlich unbedingt zum Thema gehörend, ist etwas mager. Überhaupt hätte man sich von manchem mehr gewünscht, auch mehr Atmosphäre, mehr Poesie, mehr Spiele mit Licht und Dunkel. Was gänzlich fehlt, ist das Medium Film.

Doch noch ein Zauber zum Schluss

Besucher in der Installation von Hans Op de Beeck. (Foto: Stefan Arendt / LVR-ZMB)

Besucher in der Installation „The Collector’s House“ von Hans Op de Beeck. (Foto: Stefan Arendt / LVR-ZMB)

Es ist für Direktor Felix Krämer wahrscheinlich nicht ganz einfach gewesen. Die Ausstellung entstand nach einem Plan seines Vorgängers Beat Wismer in Zusammenarbeit mit der Londoner National Gallery. Viele Interessen und wissenschaftliche Stimmen mussten berücksichtigt werden, der umständlich betextete Katalog spricht diesbezüglich Bände.

Zum Glück wartet am Schluss der Ausstellung – nach einer klaren Präsentation schwarz-weißer Abstraktionen – noch ein echter Clou. Wer durch eine graue Schwingtür geht (ja, nur zu!), gelangt in „The Collector’s House“, eine spektakuläre Rauminstallation des Belgiers Hans Op de Beeck. Alle Bilder und Skulpturen (oder etwa Menschen?) in seinem „Haus des Sammlers“ sind so grau und still wie der Zierteich in der Mitte, die Bibliothek, der Flügel, das Kanapee, der Hund und sogar ein paar Damenpumps, zerquetschte Bierdosen und andere ordinäre Dinge des Lebens.

(Foto: Moderna Museet, Stockholm © Olafur Eliasson. Foto: Anders Sune Berg)

Olafur Eliasson:
„Room for one Colour“ 1997 (Installationsansicht aus dem Moderna Museet, Stockholm 2015 – Courtesy of the artist; Tanya Bonakdar Gallery, New York; neugerriemschneider, Berlin
(Foto: Moderna Museet, Stockholm / Anders Sune Berg © Olafur Eliasson)

Alles steht erstarrt, wie von feinster Lava übergossen, in Stein verwandelt, tot. Zu leiser Sphärenmusik bewegt man sich, halb ehrfürchtig, halb amüsiert, durch den Raum und wird selbst zum einzig farbigen, lebendigen Teil der Installation. Das kehrt sich um im allerletzten Raum der Schau, den der Isländer Olafur Eliasson in ein grell-gelbes Monofrequenz-Licht getaucht hat. Farben werden davon geschluckt, die Besucher haben kreidebleiche Gesichter, der rote Rock wirkt grau.

Ist etwa die ganze Realität nur eine Frage der Wahrnehmung? Schon allein für das Finale lohnt sich der Besuch der Schau um „Black & White“.

„Black & White: Von Dürer bis Eliasson“. Bis 15. Juli im Düsseldorfer Museum Kunstpalast, Ehrenhof 4-5. Geöffnet Di.-So. 11 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Eintritt: 12 Euro. Katalog im Hirmer Verlag: 240 Seiten, 39,90 Euro. Umfangreiches Begleitprogramm unter www.smkp.de




Globaler Hype um ein Training in Dortmund-Brackel: Weltrekord-Sprinter Usain Bolt zu Gast beim BVB

Welch ein Hype! Usain Bolt, als 100-Meter-Weltrekordler schnellster Mensch unseres Planeten (jedenfalls zu Fuß), hat heute öffentlich beim Bundesligisten Borussia Dortmund mittrainiert – und im Testspiel gleich ein Kopfballtor erzielt. Auch hat er einen „Elfer“ souverän verwandelt. Nach rund einer Stunde war er allerdings sichtlich aus der Puste…

Usain Bolt (rechts) beim Lauftraining im BVB_Trikot. (Screenshot vom YouTube-Kanal des BVB)

Usain Bolt (rechts) beim Lauftraining im BVB-Trikot. (Screenshot: YouTube-Kanal des BVB)

Schon im Vorfeld hatte es halbironisch großmundig geheißen: „Dortmund, mach dich bereit!“ Man fühlte sich glatt an die lang zurück liegenden Tage erinnert, als der für alle Zeiten weltbeste Boxer Cassius Clay (später: Muhammad Ali) sein „I am the Greatest“ postulierte.

Usain Bolt bevorzugt bekanntlich die siegesgewisse Bogenschießer-Geste. Gelbe Trikots müssten ihm übrigens liegen, ist er doch in dieser Farbe auch als Sprinter für sein Heimatland Jamaika angetreten. Die gerade mal 5 Grad plus, die beim Training in Dortmund herrschten, dürften freilich nicht seine Lieblings-Temperatur sein.

War es nur ein harmloses Späßchen, oder hat Bolt mit 31 Jahren tatsächlich noch Ambitionen auf eine Fußball-Karriere? Oder sollte etwa der Sportartikel-Ausrüster, auf den der BVB und Bolt gleichermaßen zurückgreifen (Quizfrage: weder Adidas noch Nike, sondern welches Tier…?), hier einen speziellen Crossover-Werbecoup gelandet haben? Man muss das Ganze wohl mit mehrfachem Augenzwinkern zur Kenntnis nehmen. Global verbreitete Reklame auch für die Stadt, die dutzendfach genannt wurde, ist es nebenher sowieso. Nach dem Extra-Honorar für Bolt wollen wir lieber nicht fragen, sonst geht die Neiddebatte wieder los.

Das heftig gewollte und gepushte Ereignis war selbstverständlich live zu verfolgen. Ich habe es auf einem BVB-Kanal bei YouTube gesehen, mit munterem englischem Dialog-Kommentar, der offenbar für die interessierte Weltgemeinde zwischen Jamaika, Japan, Australien und China gedacht war.

Elfmeter versenkt: Usain Bolt am Punkt. (Screenshot: YouTube-Kanal des BVB)

Elfmeter versenkt: Usain Bolt am Punkt. (Screenshot: YouTube-Kanal des BVB)

Am Ort des Geschehens waren immerhin rund 1400 Fans dabei, als es auf dem Trainingsgelände im Dortmunder Ortsteil Brackel zur Sache ging. Hinzu kamen etwa 140 akkreditierte Medienvertreter, darunter 25 Kamerateams und rund 25 Fotografen. Wer wollte auch nicht für die Nachwelt festhalten, wie Mario Götze einen Traumpass auf Usain Bolt spielt?

Leider waren nicht alle BVB-Stars mit von der Partie. Manche sind verletzt, andere weltweit bei Länderspiel-Begegnungen im Einsatz. Jammerschade vor allem, dass es nicht zum Laufduell zwischen Usain Bolt und dem ebenfalls recht pfeilschnellen Pierre-Emerick Aubameyang kommen konnte. Der Mann, der sich aus dem BVB-Vertrag herausgelümmelt hat, treibt sich halt nun bei Arsenal London herum. Wie man hört, richten sich Bolts fußballerische Amibitionen ebenfalls nach England. Sein Lieblingsverein soll Manchester United sein. Die sollen dort auch ziemlich gut zahlen, dem Vernehmen nach sogar noch ein bisschen besser als der BVB…

Jedenfalls soll das alles auch Labsal für die zuletzt öfter geschundene BVB-Seele sein. Die englischsprachigen Kommentatoren spekulierten, ob sich Bolts Siegermentalität ansteckend auf Borussia Dortmund auswirken könne. Sie hielten diesen Effekt durchaus für möglich. Wir werden ja sehen.

 




Verwirrspiel zwischen Phantasie und Wirklichkeit: Peter Stamms Roman „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“

In einem Roman hat Christoph vom Scheitern seiner großen Liebe zur Schauspielerin Magdalena erzählt. Das ist viele Jahre her. Seitdem ist er literarisch verstummt. Als er die junge Schauspielerin Lena trifft, erzählt er ihr seine Geschichte, die auch ihre Geschichte ist. Denn alles, was Lena gerade erlebt, hat auch Christoph bereits erlebt.

Er weiß auch, was ihr Freund Chris, der an einem Roman über seine Beziehung zu Lena arbeitet, schreiben wird, denn er hat das Buch ja längst vor Jahren selbst verfasst. Wie kann es sein, dass Christoph meint, Lenas Leben zu kennen und zu wissen, was ihr noch widerfahren wird? Spioniert Christoph ihr nach oder vermischen sich auf magische Weise Literatur und Wirklichkeit?

Bevor der 1963 in der Schweiz geborene Peter Stamm Schriftsteller wurde, hat er sich mit Psychologie und Psychopathologie beschäftigt und in Paris und New York gelebt. Doch dann ist er zurück in seine Heimat gegangen. Seit er 1998 mit „Agnes“ als Erzähler debütierte, gehört er zu den wichtigsten Autoren der deutschsprachigen Literatur.

Zuletzt hatte Stamm („Weit über das Land“) von einem Mann erzählt, der eines Abends plötzlich ohne ein Wort der Erklärung aufsteht, Frau und Kinder verlässt und zu einer jahrelangen Wanderung aufbricht, von der er vielleicht nie wieder heimkehren wird. In seinem neuen Roman erzählt er von einem Schriftsteller, der sich nicht mit der „Gleichgültigkeit der Welt“ gegenüber dem Einzelschicksal abfinden mag und alles daran setzt, die Trennung von Literatur und Leben aufzuheben.

Varianten des Lebens erproben

Es ist ein vorsichtiges Tasten und Abwägen, ein Ausprobieren von nur leicht variierten Lebenswegen, die sich sanft berühren und dann doch unterscheiden. Der Leser wird tief hineingezogen in eine seltsame Spirale aus Erinnerungen und Erfindungen, er weiß nie: Was ist Wahrheit, was Lüge? Ist vielleicht alles, was Christoph über seine Vergangenheit, seine Liebe zu Magdalena und seinen (längst vergessenen und vergriffenen) Roman erzählt, nur Wunschdenken und Phantasie? Findet seine Begegnung mit Lena und Chris wirklich statt? Oder sind die Doppelgänger nur die andere Seite seiner schizophrenen Persönlichkeit?

Um sich von seinen Doppelgänger-Visionen zu befreien, flieht Christoph erst für ein paar Jahre nach Barcelona, später verkriecht er sich als Internatslehrer ins Engadin und versucht, den alten Roman noch einmal neu zu schreiben, um sich seiner Erinnerungen zu vergewissern und herauszufinden, ob er damals sein reales oder sein eingebildetes Leben aufgeschrieben hat.

Bei seinen – eingebildeten oder wirklichen? – Recherchen und Gesprächen erfährt Christoph, dass es Abweichungen gibt: Während Christoph und Magdalena sich einst im Streit für immer trennten, haben Chris und Lena aus einer Laune heraus geheiratet.

Ein ziemlich vertracktes literarisches Spiel. Dass es nicht wirklich gut enden kann, liegt auf der Hand. Vor allem bei einem Autor, der von sich sagt, er habe schon immer davon geträumt, „von allem befreit dem Leben zu entkommen, ohne eine Spur zu hinterlassen.“

Peter Stamm: „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main. 156 Seiten, 20 Euro.




„Sisyphos“ im Hier und Jetzt – ein kreativer Versuch über alles und nichts im Bochumer Prinz Regent Theater

Die Spielzeit am Prinz Regent Theater in Bochum neigt sich dem Ende zu – jetzt, wo der Frühling sich noch kaum erahnen lässt. Das Besondere ist jedoch, dass es auch die Leitung betrifft. Kaum ein Freies Theaterhaus in Deutschland hat so viel Schlagzeilen produziert wie dieses. Romy Schmidt wird ihr Engagement beenden.

(Foto: Sandra Schuck / Prinz Regent Theater)

„Sisyphos“-Szene mit Linus Ebner (li.) und Martin Widyanata. (Foto: Sandra Schuck / Prinz Regent Theater)

Das ist die Folge einer Serie von Streitigkeiten mit dem und innerhalb des betreibenden Vereins. Ihr Team und sie waren und sind erfolgreich. Die Stelle ist bereits ausgeschrieben und man kann gespannt sein, wie es dort weitergeht.

„Sisyphos“ (mit dem Zusatz: This is not Albert Camus) steht hier als Vorlage für eine Stückentwicklung, die in einer Performance landete. Die Kreation zeugt vom absurden Leben und der Kraft des freien Denkens als Show. Linus Ebner, Romy Schmidt und der Musiker Martin Widyanata haben sich zu dritt dieser Aufgabe gewidmet. Herausgekommen ist ein Stück heutiges Theater, wie es wohl nur in freier Form erzeugbar ist. Hier wird dem Publikum die Sinnfrage entgegengewirbelt.

Der antike Stoff ist bekannt: Sisyphos soll einen Felsblock auf ewig einen Berg hinaufwälzen, der, fast am Gipfel, jedes Mal wieder ins Tal rollt. Dieses Motiv ist als Sisyphosaufgabe ein geflügeltes Wort für eine ertraglose und dabei schwere Tätigkeit ohne absehbares Ende.

Wie vor dem Eingang zur Hölle

In einer grau-düsteren Landschaft (Bühne: Sandra Schuck) aus Felsbrocken, Großbuchstaben, einem Galgenstrick und einem Fragezeichen bewegt sich das Spiel mit Text und Körper. Die ersten Worte, die der Schauspieler Linus Ebner seiner Suada voransetzt: „Die Welt ist weit. Die weite Welt.“

Es folgen Szenen, die ebenso unerwartet wie unmittelbar auf uns zukommen, um verdaut zu werden. Zitate wie „Wir Menschen sollten so ehrfürchtig, so nachdenklich, so liebend stehn wie vor dem Eingang zur Hölle“ (Kafka). Das klingt nach Moralspritze, ist es aber nicht. Es ist physisches Theater im Hier und Jetzt, verbunden mit elektronischer Musik, die von Martin Widyanata live aus einem Felsenloch beigesteuert wird. Er ist körperbehindert (ohne Gliedmaßen) und beteiligt sich auch am Spiel – unspektakulär und dennoch unvergesslich, wie er von Ort zu Ort rollt. Ein elektrischer Rollstuhl wird von Ebner in einem Kabelsalat verheddert, eine Aufgabe, die er sich selber stellt, diesen Salat wieder zu entwirren.

„Ich kann nicht mehr“

Es geht um Surfleidenschaft und eine Spielzeugeisenbahn. Hin und wieder pufft Nebel aus einem Krater. Der speit Feuer und in einer Auslassung über „Passion“ kommt alles in englischer Sprache. Why not? Sein Spiel ist für das Publikum und er macht das (so sagt er im Schlussteil) eben genau deswegen, weil ihm Menschen zuhören. Er bleibt dabei fast unentwegt mit seinem Blick bei den Zuschauern. Er verausgabt sich absichtsvoll und ist aufmerksam wie eine konzentrierte Katze.

Man hat den Eindruck, alle Themen des Menschseins kämen hier aufs Tapet. Ein Ausflug in die Talkshow mit Markus Lanz, wo Sisyphos einer der Gäste ist, und die Bekenntnisse eines Pädophilen scheinen das Fass zum Überlaufen zu bringen. Er tanzt – mit seinem Begleiter auf den Schultern – durch die Lebenshölle und haucht den Buchstaben M, H und Y Leben sein.

Alles kaum vorstellbar? Man muss es sehen, um es zu befragen und bewundern zu können. Am Ende sagt der Darsteller: „Ich kann nicht mehr.“ Man könnte meinen, dies sei ernst gemeint. Das Leben lässt sich nicht so leicht bändigen und wir werden alle noch den Felsen hinaufrollen und dann wieder loslassen müssen. Irgendwann, irgendwo.

Dennoch überkommt den Betrachter und aufmerksamen Zuhörer nach zwei Stunden Ermüdung. Der Schluss will einfach nicht enden. Wie die Sisyphosaufgabe. Großer Applaus.

Infos: http://www.prinzregenttheater.de/sisyphos.html




Kindliche Wundertüte: Doppelabend des Künstlerkollektivs „1927“ an der Rheinoper

Das Kind aus „L’enfant et les sortilèges“ fliegt im Garten umher. (Foto: Hans Jörg Michel/Deutsche Oper am Rhein)

Ein kindliches Gemüt ist etwas Wunderbares: Alles ist immer neu, das Leben leicht und die Welt ein Spielzeug.

„Ravel war ein Kind“, heißt es denn auch im Programmheft zu seiner „Fantaisie lyrique“ namens „L’enfant et les sortilèges“ von 1925, die jetzt gemeinsam mit Strawinskys „Petruschka“ an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg Premiere hatte. Und weiter: „Das Besondere eines Genies besteht darin, sich die Kindheit, die mit klarem Blick alle Schatten des Lebens durchdingt, zu erhalten und zu verlängern.“

Und doch sind dieses Kind und sein „Zauberspuk“ zunächst keineswegs nett: Das Balg im Fatsuit (Kimberly Boettger-Soller/Double: Sara Blasco Gutiérrez) will seine Hausaufgaben nicht machen, erhält von der Mutter (Marta Márquez) Stubenarrest und aus Wut darüber schlägt es das Mobiliar kurz und klein und quält anschließend Tiere. „Ich bin böse und frei“ lautet die dazugehörige Textzeile; das Libretto stammt von der französischen Schriftstellerin Colette (1873-1954). Mitten in den Wirren des 1. Weltkriegs sandte sie erste Skizzen an den Komponisten, der zu dieser Zeit Lastwagenfahrer an der Front war und erst 1919 weiter daran arbeitete.

Zirkusartisten aus „Petruschka“. (Foto: Hans Jörg Michel/Deutsche Oper am Rhein)

In Szene gesetzt hat diesen ungemein poetischen Opernabend das Künstlerkollektiv „1927“, bestehend aus Suzanne Andrade, Esme Appleton und Paul Barritt, die das Publikum schon mit ihrer filmischen Inszenierung von Mozarts Zauberflöte begeisterten. Wie diese, ist auch der neue Doppelabend eine Koproduktion mit der Komischen Oper Berlin, die von Barrie Kosky geleitet wird.

Ästhetischer Ausgangspunkt für die Inszenierungen von „1927“ ist die Stummfilmära: Doch ihre Animationen verschmelzen kongenial mit den Auftritten der Sänger und dem Stoff des Singspiels – handelt es sich um volllaufende Teetassen, in denen das böse Kind fast ertrinkt, oder eine sexy Libelle, die den ungezogenen Jungen ins Ohr piekt.

Als Zuschauer kann man sich gar nicht sattsehen an der schnellen Folge der kreativen Einfälle; eine reizende Idee jagt die nächste und während man noch überlegt, „wie haben sie das bloß gemacht?“, folgt man schon entzückt dem nächsten Bilderreigen. Ein wenig schade fast nur, dass Chor und Kinderchor diesmal aus dem Off agieren, so dass man sich am Ende über die schiere Menge der Leute wundert, die sich verbeugen. Gesanglich und musikalisch (Leitung: Marc Piollet) überzeugt die Produktion aber trotzdem auf ganzer Linie.

Der Puppenmeister jagt Petruschka über den Jahrmarkt. (Foto: Hans Jörg Michel/Deutsche Oper am Rhein)

Man muss ergänzen: Auch tänzerisch. Denn den ersten Teil des Abends „Petruschka“ bestreiten die drei Zirkusakrobaten Tiago Alexandre Fonseca (Petruschka), Pauliina Räsänen (Ptitschka) und Slava Volkov (Patap). Ihre Heimat ist der russische Jahrmarkt und hier zeigen sie dem staunenden Publikum ihre Künste. Schrecklich nur, dass sie der sadistische Puppenmeister quält und verfolgt. Besonders Petruschka, der Clown, leidet darunter. Ihm gelingt zwar die Flucht, doch am Ende wird er wieder eingefangen und sieht nur noch den Selbstmord als Ausweg.

Die Animationen spielen mit großen kyrillischen Buchstaben, schrillen Jahrmarktsbesuchern mit riesigen Zahnlücken, die sich beständig volllaufen lassen und der ganzen Dämonie des Volksfestes, auf dem die Lustigkeit mit steigendem Alkoholkonsum in die Brutalität des Exzesses kippt.

Ästhetisch nimmt die Inszenierung Elemente des Stummfilms, aber auch des russischen Konstruktivismus auf und verzahnt ebenso wunderbar wie der 2. Teil des Abends Film und Tanz. Petruschka mit seinem schwarzen runden Hut erinnert dabei an Charlie Chaplin – melancholisch und lustig zugleich.

Karten und Termine: www.operamrhein.de

 




Tonhalle Düsseldorf: Erfolg mit ungewöhnlichen Programmen

Die Düsseldorfer Tonhalle widerlegt eine Legende: Dass nämlich hohe Auslastungszahlen in klassischen Konzerten nur mit einem populären Programm zu erreichen sind. Seit der Spielzeit 2014/15 ist es gelungen, die Zahl der Abonnenten von 1999 auf 4970 in der laufenden Saison zu steigern. Eine beeindruckende Erfolgsbilanz von Intendant Michael Becker und Marketingleiter Udo Flaßkamp.

Intendant Michael Becker (links), Dramaturg Uwe Sommer-Sorgente und Marketingleiter Udo Flaßkamp (rechts) bei der Pressekonferenz in der Tonhalle Düsseldorf. Foto: Werner Häußner

Intendant Michael Becker (links), Dramaturg Uwe Sommer-Sorgente und Marketingleiter Udo Flaßkamp (rechts) bei der Pressekonferenz in der Tonhalle Düsseldorf. (Foto: Werner Häußner)

Die Auslastung der „Sternzeichen“-Konzerte, also der symphonischen Abo-Reihe der Düsseldorfer Symphoniker, liegt inzwischen bei 95 Prozent. Und für 2018/19 ist trotz – oder eben wegen – eines anspruchsvollen Programms keine Trendwende erkennbar.

Von Ermüdungserscheinungen im Klassik-Bereich kann also zumindest in der NRW-Hauptstadt nicht die Rede sein. Auch die familienorientierten Veranstaltungen in der „Kleinen“ und der „Jungen Tonhalle“ sind gefragt. Trainee- und Jugendorchester, Klassik mit Nachwuchsmusikern und ein Jugendprojekt mit den Symphonikern – der Zustrom ist, versichern die Programm-Macher der Tonhalle, ungebrochen.

Wie schafft man das? Das Programm betreffend, hält Becker ein stimmiges Angebot für entscheidend. Dabei kommt es – mehr als auf die Auswahl einzelner Stücke – auf die richtige Kombination von Werken an. Wichtig sei das Vertrauen des Publikums ins Orchester und in seine Dirigenten, etwa in einen Künstler wie Alexandre Bloch, „der mit jugendlichem Ungestüm neue Bereiche mit Erfolg betritt“. Nicht zuletzt trage die Musikvermittlung Früchte: Beim Publikum sei durchaus Interesse an bisher nicht Erlebtem und Gehörtem vorhanden, wenn ein „Geländer“ bereitgestellt werde, an dem es sich ins unbekannte Terrain vorhangeln könne. Nicht zuletzt: Die hohe Zahl der Abonnenten vermindert auch das Risiko bei ausgefallenen Programmen.

Haydn-Mahler-Zyklus und Hommage an Bernd Alois Zimmermann

Die Tonhalle Düsseldorf. Foto: Werner Häußner

Die Tonhalle Düsseldorf. (Foto: Werner Häußner)

Ungewöhnliches haben die Düsseldorfer Symphoniker reichlich zu bieten. Aber zunächst eröffnen sie die Spielzeit am 7. September mit einem Klassiker, Joseph Haydns „Die Schöpfung“ unter Adam Fischer – ein Bestandteil des über mehrere Jahre laufenden Haydn-Mahler-Zyklus‘, der 2018/19 mit Mahlers Neunter (11./12./13. Januar 2019), kombiniert mit Haydns Sinfonie Nr. 101 „Die Uhr“, und mit der Zweiten Symphonie plus Haydns Nr. 95 (5./7./8. April) fortgesetzt wird.

Auch die Düsseldorfer Symphoniker würdigen den großen Kölner Bernd Alois Zimmermann aus Anlass seines 100. Geburtstages: Am 5./7./8. Oktober eröffnen sie ihr Konzert mit „Photoptosis“, einem „Prélude“, zu dem sich Zimmermann von den monochromen Bildflächen Yves Kleins im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier anregen ließ. Wie sich die Farbflächen durch „Lichteinfall“ – so die Übersetzung des griechischen Titels – verändern, so changiert auch die Musik Zimmermanns in einem großen Steigerungsprozess. Dazu erklingt eine weitere Rarität, Max Bruchs Konzert für Klarinette, Viola und Orchester, bevor Gustav Holsts „Die Planeten“ das Programm abschließen.

Leonard Bernsteins „Mass“ zum Jahresabschluss

Adam Fischer (Foto: Tonhalle, Susanne Diesner)

Zum Abschluss des Jahres, am 7./9./10. Dezember würdigen die Symphoniker mit Leonard Bernstein einen weiteren Jahresjubilar 2018 und führen unter John Neal Axelrod gemeinsam mit dem Clara-Schumann Jugendchor und dem Chor des Städtischen Musikvereins seine riesig dimensionierte „Mass“ auf.

Besondere Werke und Entdeckungen durchziehen das gesamte Programm, etwa Nikolai Medtners Klavierkonzert Nr. 2 mit dem fast noch als Geheimtipp zu handelnden phänomenalen russischen Pianisten Yevgeny Sudbin, Ralph Vaughan Williams‘ Oboenkonzert mit Ramón Ortega Quero und der hoffnungsvollen Grazer Chefdirigentin Oksana Lyniv am Pult, Aram Chatschaturians Violinkonzert mit Geigen-Aufsteiger Nemanja Radulovic und Clara Schumanns Klavierkonzert a-Moll im Vorgriff auf das Clara-Schumann-Jubiläum 2019 mit Mariam Batsashvili und Alexandre Bloch als Dirigent. In diesem Konzert am 31. Mai und 2./3. Juni 2019 erklingt auch ein neues Werk des italienisch-israelischen Komponisten Luca Lombardi.

Attraktive Kammermusik und Wiener Staatsoper

Auch die anderen Abo-Reihen, „Raumstation“, „Sternstunden/Fixsterne“ und „Ehring geht ins Konzert“ bieten höchst attraktive Ensembles und anregende Programme: Die Bläsersolisten des Concertgebouw Orkest Amsterdam spielen am 6. Oktober Harmoniemusiken von Mozart und Beethovens Oktett Es-Dur op. 103. Der Pianist Fazil Say kommt am 20. März 2019 mit dem Casal Quartett wieder und hat neben Beethoven, Haydn und Schumann auch eine eigene „Hommage à Atatürk“ für Klavier und Streichquartett dabei. Und das Trio Felix Klieser (Horn), Herbert Schuch (Klavier) und Andrej Bielow (Violine) eröffnet am 25. Mai 2019 das Schumann-Fest gemeinsam mit der Sängerin Fatma Said, unter anderem mit Werken von Clara und Robert Schumann.

Am 19. Mai 2019 dürfte es zu einer „Sternstunde“ für viele Musikliebhaber kommen: Unter Adam Fischer gastieren Solisten, Chor und Orchester der Wiener Staatsoper mit Wolfgang Amadeus Mozarts „Don Giovanni“ in einer konzertanten Aufführung in der Tonhalle.

Infos auf der Seite www.tonhalle.de unter den Reitern Reihen und Abos.

 




Nach dem Debakel gegen Salzburg: Servus, Peter Stöger! Der BVB muss sich völlig neu orientieren…

Ach, du meine Güte! Der BVB ist gegen RB Salzburg aus der Europa League ausgeschieden. Gegen Salzburg! Und zwar völlig verdient. Die Österreicher waren im Hin- und Rückspiel eindeutig stärker und wacher als Borussia Dortmund.

Noch BVB-Trainer: Peter Stöger gegen Ende des Rückspiels gegen RB Salzburg. (Screenshot der Sky-Übertragung)

Noch BVB-Trainer, resignativ gestimmt: Peter Stöger kurz vor dem Ende des Rückspiels gegen RB Salzburg. (Screenshot der Sky-Übertragung)

Und jetzt? Muss der (österreichische) BVB-Trainer Peter Stöger nach der Saison wohl seiner Wege gehen. Gewiss: Er ist sympathisch. Er hat Humor. Aber das genügt eben doch nicht. Wenn er jetzt auch noch den entscheidenden Platz vier in der Bundesliga vergeigt… Oha!

BVB-Geschäftsführer Watzke ist keineswegs schuldlos: Der Sauerländer hat – nach Jürgen Klopps Abgang – den Erfolgstrainer Thomas Tuchel ‚rausgeekelt. Er hat zunächst den glücklosen Niederländer Peter Bosz als Nachfolger geholt. Dann hat er Peter Stöger, den Trainer des desolaten Tabellenletzten Köln, antreten lassen. Die Erfolge, die Stöger in Dortmund hatte, kamen beinahe allesamt glücklich zustande. Der Offenbarungseid hätte schon viel früher geleistet werden müssen.

Hochnotpeinlich war schon das Ausscheiden aus der Champions League, vor allem gegen die Pseudo-Giganten aus Nikosia. Danach wähnte man sich – im alten Größenwahn – schon als Gewinner der Europa League. Denkste!

Gegen die Mannschaft aus der bislang nicht gerade sonderlich fußballaffinen Mozartstadt Salzburg war schon wieder Sense. Wat willze gegen die Nockerln ausrichten? Nix. Zu kaum einem Zeitpunkt hatte man das Gefühl, dass da noch etwas ginge… Und nun vergleiche man mal die Ablösesummen und die Gehaltsstrukturen! Ach, es ist einigermaßen trist.

Es läuft einfach nicht. Es fehlt jede Leichtigkeit. Wenn überhaupt Siege verzeichnet werden, dann solche, die der Fußballgott gnädig verfügt hat. Arbeitssiege. Kampfsiege. Nichts leichthin Erspieltes.

Nein, wir wollen keine einzelnen Spielernamen nennen. Wir wollen auch nicht einen Mannschaftsteil gegen den anderen ausspielen. Was hier vorgeht, ist grundsätzlicher. Es fehlen die Leitfiguren. Es fehlen die Anstöße.

Nun, denn: Servus, Peter Stöger!

 

 




Verlöschensklänge: Das Orchestre de Paris kombiniert in Dortmund Werke von Jörg Widmann und Gustav Mahler

Solist Antoine Tamestit war von Beginn an eng in den Entstehungsprozess des Bratschenkonzerts von Jörg Widmann eingebunden. (Foto: Pascal Amos Rest)

Daniel Harding und Antoine Tamestit waren sich einig. Wenn überhaupt ein Werk vor der 9. Sinfonie von Gustav Mahler gespielt werden könne, dann das Konzert für Viola und Orchester von Jörg Widmann, meinten der Dirigent und der Bratschist.

Im schmerzlich-innigen Ausklang des Stücks, das 2015 im Auftrag des Orchestre de Paris entstand, sehen beide den perfekten Brückenschlag zu Mahlers letzter vollendeter Sinfonie. Wenn Widmann in den letzten Takten die Spätromantik samt ihrer Brüchigkeit, Fragmentierung und Überdehnung beschwört, dann scheint Mahlers Neunte um die Ecke zu lugen: eine Sinfonie, die sich auflöst in ihre Bestandteile, die nach rund 80 Minuten zögernd und langsam erstirbt. Eine Musik des Verlöschens.

Wie angemessen, ja nachgerade natürlich diese Werkfolge klingen kann, bewiesen Harding, Tamestit und das Orchestre de Paris jetzt im Konzerthaus Dortmund. Widmanns Bratschenkonzert gleicht einer klanglich reizvollen Reise, in der Chinesisches, Arabisches und Jüdisches mitschwingt. Zu Beginn schlägt Widmungsträger Antoine Tamestit viele Minuten lang Pizzicato-Kaskaden aus seinem Instrument, als habe er das Ziel, berühmten spanischen Gitarristen Konkurrenz zu machen. Dann beginnt er, zwischen den Orchestergruppen umher zu wandern: sucht Anschluss an die Bassflöte, erschrickt vor den rülpsenden Einwürfen der Tuba, wirft sich in einen virtuosen Wettstreit mit der Pauke und animiert die Streicher zu flirrenden Glissandi.

Antoine Tamestit wandert während des Spiels zwischen den Instrumentengruppen des Orchesters umher (Foto: Pascal Amos Rest).

Aber es sind weder musiktheatralische Effekte à la Kagel noch Geräuschhaftigkeiten à la Lachenmann, die uns packen und nicht mehr loslassen. Vielmehr wird hier mit höchster Überzeugung und bestechendem Können musiziert. Wer Neue Musik für spröde und verkopft hält, erlebt bei diesem sinnlichen Klangpanorama sein blaues Wunder. Den Ausklang gestalten Tamestit und das Orchester als intensive Klage.

Was für Teufelsmusiker es sind, die Daniel Harding nur noch bis Sommer dieses Jahres als Chefdirigent leiten wird, zeigt sich dann auch in Mahlers 9. Sinfonie. Nicht genug damit, dass sich Bläsereinsätze wie aus dem absoluten Nichts im Raum kristallisieren. Sie sind so subtil, dass es fassungslose Sekunden braucht, um die Klangquelle überhaupt benennen zu können. Oboe und Flöte, Klarinetten und Hörner, Piccoloflöte und erste Geigen verschmelzen in perfekter Intonation zu unvergleichlichen Farben. Daniel Harding gestaltet das „Andante comodo“ zu einer riesigen Sehnsuchtsmusik. Alles ist Drängen in diesem ersten Satz: Aber das Schlachtgetümmel der früheren Sinfonien, die triumphalen Apotheosen hat diese Neunte weit hinter sich gelassen.

Daniel Harding und das Orchestre de Paris (Foto: Pascal Amos Rest)

Harding versteht sich bestens auf die Elemente von Mahlers Tonsprache: auf das bauernhaft Grobe, das Einfältige und Banale, das höhnisch Meckernde, das Feierliche und das Schönheitstrunkene. Er hält das Orchester unter Spannung, dabei übergroße Lautstärken vermeidend. Noch einmal beschwört er im letzten Satz „die allmächtige Liebe“, wie sie der Pater Profundus in Mahlers 8. Sinfonie besingt. Schließlich erblasst das abschließende Adagio, wird jenseitig fahl, ja brüchig. Harding hält diese morbide Textur mit feinem Fingerspitzengefühl, scheint zuzusehen, wie die Fäden sich auflösen, lauscht voraus in die Stille, in die diese Musik unweigerlich einmünden muss. Das versteht auch das Konzerthaus-Publikum, das die Sinfonie zuvor schon zweimal durch Applaus unterbrechen wollte. Lange rührt sich nach dem letzten Ton keine Hand. Dann bricht der Jubel los.

Antoine Tamestit wird am 19. und 20. April erneut im Konzerthaus Dortmund zu erleben sein: mit einem öffentlichen Meisterkurs sowie einem Liederabend mit Christiane Karg.

(Der Bericht ist zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen. Informationen: http://www.konzerthaus-dortmund.de, Ticket-Hotline 0231/ 696 200.)




Familienfreuden XXVI: Sozialismus beim Tornisterkauf

Wer geht hier mit wem spazieren? (Zeichnung: Albach)

Kinder zu haben, hat manchmal etwas vom real existierenden Sozialismus: Besser, man hat einen Fünf-Jahres Plan. Beispiel: Wir haben einen Tornister gekauft.

Ein bisschen hatte mich die Zeit der Schwangerschaft ja schon gewarnt. Dort hatte ich gelernt: Es gibt Menschen, die haben sich ihr ganzes Leben auf ein Kind vorbereitet. Kaum war der Strich auf dem Schwangerschaftstest zu erkennen, buchten sie schon Schwangerschaftsyoga -/- schwimmen /-gymnastik, luden ihre Hebamme zum Tee ein und parkten den Kinderwagen in der Garage. Ich gehöre nicht zu dieser Spezies und nahm, was übrig blieb.

Entsprechend war ich sensibilisiert, als sich eine wichtige Etappe für unsere Tochter ankündigte: der Schulbesuch. Durch Zufall bekam ich ein konspiratives Gespräch zwischen zwei Kindergartenmüttern mit, in dem Informationen zum Tornisterkauf gehandelt wurden wie Hehlerware. „Im November gibt es die Vorjahresware günstiger…“ wisperte die eine. „Ich muss auf jeden Fall schnell einen Termin machen“, die andere.

Es ist kein Zuckerschlecken

Immerhin wusste ich schon von meinem Patenkind: Tornister kaufen ist kein Zuckerschlecken. Besser, man checkt vorher mal den Kontostand, bevor man die preismäßig durchaus mit Designer-Handtaschen vergleichbare Ware zu erstehen gedenkt. Und ein Termin, bei dem geguckt wird, ob der zu meiner Schulzeit noch liebevoll als „Tonne“ verunkte Transportbehälter ansatzweise ergonomisch wertvoll ist, leuchtete mir auch so ein. Aber dass man hier schon wieder einen Zeitplan wie seinerzeit bei einer Trabbi-Lieferung in der DDR auf dem Schirm haben musste…

Ein Wesen mit eigenem Geschmack

Ich ergab mich in unser Schicksal und machte einen Termin in dem von den wispernden Müttern favorisierten Laden. Dort wurde ich schon mal zackig gebrieft: „Wir Erwachsenen gucken, ob der Tornister passt. Aber ihre Tochter sucht das Design aus. Sie haben ihr Kind zu einem Wesen mit eigenem Geschmack erzogen – da müssen sie durch“, warnte mich der Verkäufer vor. Vermutlich eingedenk 1000er erlebter Streitgespräche über augenkrebserzeugende Tornister, an die sich kleine Kinder verzweifelt klammerten, während ihre Eltern versuchten, sie in die Ecke mit den einfarbigen, pädagogisch wertvollen Varianten zu zerren.

Pink mit Pferden

Ich seufzte. Als ich Fi gefragt hatte, wie ihr Tornister aussehen soll, hatte sie gesagt: „Pink! Am besten mit Pferden oder Schmetterlingen.“ Normen und ich nahmen uns fest vor, uns trotzdem rauszuhalten.

Fiona wiederum hielt sich an unsere Absprache: Gleichmütig schaute sie sich Tornister mit Dinosauriern, Fußballern oder Robotern an. Sie wusste, ihre Stunde würde noch kommen. Normen und ich waren derweil überwältigt. Vage erinnerten wir uns noch unsere schlichten „Amigo“-Tornister – eine Marke, die längst ausgestorben ist. Jetzt erblickten wir Regale voll unterschiedlichster Modelle; im Lager gäbe es insgesamt 500, erklärte der Verkäufer. Ich sagte alle Termine für den Nachmittag ab.

Fiona, verschnürt

Der Verkäufer indes zückte einen Schmöker von Umberto Eco’schem Ausmaß und verstaute ihn in dem ersten Testmodell. Er verschnürte Fiona. Ließ sie los. Und sie – fiel fast hinten rüber. Mit Mühe wuchtete sie sich nach vorn, um das Gleichgewicht zu halten, und wankte los. In Gedanken meldete ich sie schon im Fitnessstudio an, um die für die Einschulung anscheinend notwendigen Muskeln aufzubauen.

Und so ging es weiter: Entweder, die Tornister schnürten ihr den Hals ab – oder sie gingen mit Fi spazieren, nicht umgekehrt. Ich fühlte mich wie bei der Suche nach meinem Hochzeitskleid: damals hatte ich auch gedacht, es gäbe einfach nicht das richtige für mich.

Der Lichtblick

Dann aber der Lichtblick: ein Tornister passte wie angegossen. Es war der mit den auffälligsten Designs. Der Verkäufer baute nun die in Frage kommenden Varianten vor uns auf. Als er ein Modell in Pink mit leuchtenden Glitzersternen und wiehernden Einhörnern platzierte, schien unser Schicksal besiegelt. Ich schluckte. Das Teil hatte sogar feine roséfarbene Zierschleifen. Für mich ein Albtraum. Ich würde trotzdem glücklich lächeln, nahm ich mir vor – und zwar die ganze Grundschulzeit hindurch.

Dann aber geschah etwas, was mich an die durchschlagende Wirkung von Stoßgebeten glauben lässt. Fiona schritt die Reihe der Tornister ab, schaute sich das Rosa-Rüschenmonster an. Und ging weiter. Sie blieb vor einem blaugewellten Modell mit Delphinen stehen. „Den will ich!“, sagte sie. „Der passt super zu mir. Ich schwimme doch so gern!“

Ich atmete aus. Wir nickten. Und freuten uns. Sogar ganz ehrlich.




Ein großer Tag dämmert den BoSys: Gustav Mahlers Neunte in Bochum lässt tief betroffen zurück

Abschied durchweht das Vierte Sinfoniekonzert der Bochumer Symphoniker (BoSys): Letzte Werke sind angesetzt. Richard Strauss‘ „Vier letzte Lieder“ eröffnen den Abend, Gustav Mahlers letzte vollendete Sinfonie krönt ihn. Zwei Werke, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Bei Strauss ein üppig glühender, langsam in zarten Farben erblassender Sonnenuntergang, harmonisch schwelgerisch, melodisch intensiv. Bei Mahler zerrissenes, drohendes Wetterleuchten und groteske Licht-und-Schatten-Tänze, dann ein fahles Ersterben, in dessen Erlöschen ein Hoffen auf Transzendenz aufscheint.

Steven Sloane profiliert sich als Mahler-Dirigent. Foto: Bochumer Symphoniker

Orchesterchef Steven Sloane profiliert sich als Mahler-Dirigent. (Foto: Bochumer Symphoniker)

Die Bochumer Symphoniker stellen dieses Konzert in den Verlauf ihres Mahler-Projekts, das in den nächsten Jahren „mit neuen Ansätzen auf die Reise durch den Mahler-Kosmos“ gehen soll. Marlis Petersen, gefeiert in Bellinis „La Straniera“ in Essen und als Alban Bergs „Lulu“ in München und New York, gehört zu den schlankstimmigen Strauss-Interpretinnen. Sie hat im „Frühling“ wie viele ihrer hochkarätigen Kolleginnen ein Problem mit der geradezu unverschämten Tiefe, aus der sie dann in blühende Höhen aufbrechen soll. Das geht nicht ohne steifen Glanz ab. Aber in „September“ fühlt sich Marlis Petersen viel wohler, führt die Stimme leicht und leuchtend. Und sie lässt in Hermann Hesses „Beim Schlafengehen“ die „Seele unbewacht“ in wundervollem Bogen „in freien Flügen schweben“. Die BoSys verschmelzen in weichem Streicherschimmer mit der Stimme, tragen sie in freiem Piano und umkleiden sie mit der herbstlichen Farbenpracht von Strauss‘ Instrumentation.

Von dieser güld’nen, melancholisch durchtränkten Stimmungsmalerei ist bei Gustav Mahler nichts zu hören: Steven Sloane macht in der Eröffnung des ersten Satzes radikal deutlich, wie sich diese Musik in fragmentierten Elementen zu sich selbst vortastet, auch in der scheinbaren D-Dur-Klarheit der Episode, die gerne als „Hauptthema“ tituliert worden ist, obwohl Mahlers Neunte mit den Kriterien der an Beethoven geschulten Analyse überhaupt nicht mehr zu fassen ist.

Das Anneliese Brost Musikforum Ruhr in Bochum. Foto: Werner Häußner

Das Anneliese Brost Musikforum Ruhr in Bochum. (Foto: Werner Häußner)

Sloane tut also folgerichtig nicht so, als sei im Geflecht der symphonischen Entwicklung irgendein Motiv „wichtiger“ als ein anderes. Er versöhnt nicht, sondern reißt auf. Dass er die Dynamik zügelt, macht die Geröllhalde auf diesem fernen Stern noch fremdartiger. Das Paukensolo, die harschen Harfenakkorde, versprengte, gedämpfte Horn- und Trompetensignale, der dumpfe Zusammenbruch von Celli, Kontrabässen und Fagott, das Seufzen der Bassklarinette: Die Symphoniker lassen in dieser zerrissenen Welt die Schönheit und die Hinfälligkeit, den Balsam und den Schmerz der Töne aufleuchten.

Andererseits wählt Sloane nicht den Weg einer Schärfung um jeden Preis. Die Violinen könnten ihre Linien schmerzhafter ziehen, das Blech könnte anti-brucknerisch grell und aufgepeitscht klingen, auch in den Holzbläsern hält sich schrille Exaltation die Waage mit samtiger Resignation. Mahler wird nicht geschunden und bloß vorgeführt, sondern in den Goldrand einer sanften Distanz gekleidet – wie ein Jugendstil-Gemälde, das Schreckliches in dekorativer Façon zeigt. Ein Weg, der manchen Mahler-Exegeten vielleicht zu wenig radikal erscheint, der aber seinen Sinn hat. Hoffen, Bangen und Verzweifeln werden so noch schmerzvoller.

Groß in Form sind Orchester und Dirigent auch in den Mittelsätzen. Michael Gielen, einer der profiliertesten Mahler-Deuter der letzten Jahrzehnte, hat sie als einen „Rückblick auf Gesellschaftliches, auf Volkstümlichkeit, auf Vulgarität der andern“ beschrieben. Diesen Blick schärft Sloane: Harmlose Ländler-Rhythmen werden zu skurrilen Veranstaltungen, die schroffen Wechsel von Takt und Haltung sind deutlich markiert, die Ironie, mit der Mahler musikalische Floskeln zitiert und zerlegt, entfaltet sich in ätzender Schärfe.

Der Sog zum hexerischen Finale der Rondo-Burleske steigert sich ins Groteske; die BoSys lassen derbe Töne knallen und scharren. Der weite Tonraum zwischen Violin-Flageolett und Kontrabass-Abgrund reißt seinen Schlund auf. Das abschließende riesige Adagio kennt dann noch einmal melancholisch weiche Phrasierungen, wundervolle Abstimmungen zwischen Horn und Blech und – trotz einsetzender Konzentrationsprobleme – idyllisch versöhnten Streicherklang. Im äußersten Pianissimo verfliegt der Ton in die quasi hinzukomponierte Stille. Ein großer Tag für Steven Sloane und sein Orchester.

Nächstes Sinfoniekonzert im Anneliese Brost Musikforum Ruhr in Bochum am 26./27./28. April mit Richard Wagners „Siegfried-Idyll“ und dem ersten Akt der „Walküre“.




Entzifferung einer fremden Welt: Georg Kleins Roman „Miakro“

Miakro – der Romantitel lässt vermuten, dass es um eine Verschmelzung von Mikro und Makro gehen könnte, doch beim Lesen lassen die bestätigenden Indizien auf sich warten. Wie überhaupt die Ungewissheit, das Mutmaßen und Mitdenken zu den beglückenden Wesenheiten dieser Lektüre gehören.

Den Anfang bildet ein Tableau einer Arbeitswelt, das zugleich mehr zu sein verspricht. Im „Mittleren Büro“ stehen Männer wie die Musiker der Gruppe Kraftwerk an ihren Pulten, allerdings in hellblauen Overalls, die Hände in die obersten der fünf Schichten ihres Bildschirms eingetaucht, und interpretieren die von rechts nach links vorüberfließenden Bilder und Zeichen. Ihr gesamtes Weltwissen beziehen sie aus dem „weichen Glas“.

Büroarbeit als Höhlengleichnis

Es sind unscharfe, schemenhafte Bilder; und ähnlich wie die Gefangenen in Platons Höhlengleichnis die auf der Wand vorüberziehenden Schatten zu deuten versuchen, wollen auch die „höchstnützlichen Idioten“, wie sie genannt werden, sich einen Reim darauf machen, was die Welt ist. Worin ihre Nützlichkeit besteht, ob Karl Marx ihr Tun als Arbeit in einem produktiven Sinne definiert hätte, bleibt fraglich. Vermutlich würde eine Consulting-Firma ihre Arbeitsplätze wegrationalisieren. Aber sie deuten, die „Büroler“. Sie versuchen die Welt – die Außenwelt ebenso wie die eigene Binnenwelt – zu verstehen. Nicht zuletzt, weil ihr Überleben davon abhängt, wo das Glas ihnen den nächsten Nährflur aufzeigt.

Nährflure und Materialschächte

Gab es im Ritterroman Witiko von Adalbert Stifter die nahrungtragende Flur, ist es im Roman von Georg Klein der Nährflur. Gewöhnlich sondert die bleiche Wand „Dicksprossen“ ab, seltener Süßkartoffeln in unterschiedlichen Graden der Genießbarkeit. Aber auch nicht-essbare Dinge werden in ständig neuen sich öffnenden und schließenden Materialschächten „ausgewandet“, sozusagen von der organischen Wand geboren, seien es hellblaue Overalls oder die begehrten Sandalen, sei es eine Gabel, die später ein Eigenleben führen wird, oder ein Schockstock als Waffe, der im weiteren Verlauf der Handlung gegen eine Maus eingesetzt wird, mit möglicherweise fatalen Folgen, nicht nur für die Maus.

Die von silbernem Haardraht durchwucherte weiche Wand versorgt die sich in ihren Kojen erholenden Arbeiter über „Zapfstummel“, an denen sie jederzeit saugen können, mit Trinkwasser. Auch ihre Arbeitstische sind Organismen – zehn Tage benötigt solch ein Pult mit weichem Glas, bis die schrumpeligen Knospen auf Hüfthöhe herangewachsen sind, und je nach dem Bauchumfang ihrer Bediener, der aber nur bei einem von ihnen ausgeprägt ist, bildet sich eine Mulde im Display. Als ein totgeglaubter, auf einem früheren Streifzug zur Materialbeschaffung wie in einer Art rückgängiger Geburt von der Wand eingesogener Kollege über das „weiche Glas“ Lebenszeichen sendet, bricht aus dem Büro eine Vierergruppe zu einer Expedition an den Rand der „wilden Welt“ auf, um den Verschollenen zu suchen.

Aufbruch zur Heldenreise

Für den ehemaligen Büroleiter Nettler, den erfahrenen Guler, den kräftigen Axler und den schönen Schiller beginnt, sobald sie die Schleuse mit den blauen Blitzen hinter sich gelassen haben, eine ritterliche Quest, eine Âventiure oder Heldenreise, wobei sie sich mit schlafwandlerischer Sicherheit durch die fremde Welt bewegen, als müssten sie sich nur rückbesinnen. In jeder Situation wissen sie, was zu tun ist, ohne zu wissen, woher sie ihr Wissen beziehen. Allen voran ist es Guler, der sich an ein früheres Stadium, ein vorausgegangenes Leben vor dem Eintritt ins Mittlere Büro erinnert; konkret ist es das Schulungsjahr im „Hohen Büro“. Er, der versierte Materialkundler, ein guter Diagnostiker der Zustände, muss immerzu achtgeben, sich nicht durch vorlautes Bescheidwissen zu verraten.

Die „wilde Welt“ ist die Domäne der Beute jagenden „Volksfrauen“, aber auch der in langen Kutten gekleideten „Wandler“, eine Art Kaste von Heilern, hochspezialisierten Technikern oder Schamanen, die jedoch unfähig sind, das Mienenspiel ihres Gegenübers intuitiv zu erfassen. Einmal bringen sich die vier Ausreißer in den Genuss einer Flasche aus dunkelgrünem Glas, die sie einem schlafenden Wandler entwenden. Das Trinken des Inhalts ruft bei ihnen die verschiedensten Reaktionen hervor: Heiterkeitsausbrüche durch wortloses Verstehen, das Bedürfnis nachzudenken, Regression ins Krabbelalter, eine besondere Aufmerksamkeit für das blaue Licht und überhaupt veränderte Sinneswahrnehmungen, oder auch wie bei Guler Schwatzlust oder Neugier, „die das Maß des bürolich gewohnten Wissenwollens“ unangenehm überschreitet.

Über einen Aufzug gelangen sie in das dritte Stockwerk – wie leicht lässt sich im stumpfen Spiegel des Aufzugs das „E“ für Erdgeschoss, wohin sie eigentlich wollten, mit einer Drei verwechseln. Sie fahren jedenfalls nach oben, in eine Welt, wo ihnen die wirklichen Dinge begegnen, die sie bislang nur als unzureichende Abbilder von ihren Bildschirmen kannten. „Breitbeinig stehen sie da, genießen unübersehbar, dass alles, restlos alles um sie herum verheißt, auf eine andere Art präsent zu sein.“

Papiertaschentuch in der Ur-Jeans

Zunächst begegnet ihnen ein Stück Laminat, in der Außenwelt als Pseudoholz oder Falschholz bezeichnet. Von Nettler aber wird der ihm zuvor nur als unvollkommenes Abbild begegnete Gegenstand weihevoll wie ein Kultobjekt angesprochen. In einem Umkleideraum öffnen sie einen Spind, finden einen Pullover. „Dann greifen Nettlers Finger nach der Hose, die, ebenso ordentlich gefaltet wie dieser, unter dem Wollpullover gelegen hat. Ihr Stoff ähnelt dem ihrer Overalls, ist aber nicht ganz so glatt, ihr Blau ist ungleichmäßig dunkel, man könnte glauben, die Zeit, in der sie sich um die Hüften und Schenkel ihres Trägers spannte, hätte mit einem ihr eigenen Durst an gewissen Stellen einen Teil der Farbe wie eine Flüssigkeit herausgesogen.

Findet er dann in einer Tasche des bestaunenswerten Urbilds einer Blue Jeans – sozusagen der Jeans an sich – ein Papiertaschentuch, wird ihm wie durch platonische Anamnesis sogleich der Verwendungszweck klar, und er, der ebenso wenig wie seine Kollegen in der hermetischen Bürowelt auch nur den Anflug einer Krankheit kennengelernt hat, schnäuzt sich vor den Augen der ihn entgeistert angaffenden Kameraden. Manchmal verdankt es sich aber auch einem Unfall, wenn einem von ihnen „eine Rückschau in ihr Herkommen glückt“.

Ein eher unverbindliches Sterben

Im oberen Stockwerk stößt die Gruppe an die Grenze zur Außenwelt. Nun wechselt die Perspektive; eine mit militärischem Gerät ausgestattete Truppe observiert ein Objekt, ein quaderförmiges Industriegebäude, das von Riesenpilzen mit bläulichen Kappen durchwirkt ist – ein beängstigendes Wuchern, das mit einer ganzen Hundertschaft bekämpft werden muss. Frau Fachleutnant Xazy, die zugleich Naturkontrollagentin ist, erweist sich als eine toughe und kompetente Vorgesetzte, die vor dem Alleingang in das sich bedrohlich ausformende Objekt, das „Unding“, nicht zurückschreckt.

Zuvor hatte sich ein kleiner Stoßtrupp vorgewagt, der, auch was die Namen der Beteiligten betrifft, in einer verzerrten Spiegelung der anderen Gruppe ähnelt, die ihnen aus dem Inneren des organischen Baus entgegenkommt. Obwohl zahlreiche Todesopfer zu beklagen sind, kann nicht behauptet werden, hier würde ein Krieg mit allen seinen Gräueln geschildert. Gestorben, wenn überhaupt, wird eher unverbindlich wie in Computerspielen.

Der Roman ist jedoch keine rein gedankliche Versuchsanordnung. Neben allem erlösenden Lachen, das die abstruse Handlung, aber auch die vielen geglückten Formulierungen bei einer Vielzahl der Leserinnen und Lesern auslösen dürften, wird auch gefühlvoll eine subtile Erotik angedeutet – zwischen einigen der Männer, zwischen dem Bürovorsteher und einer der „Volksfrauen“; in der Region der äußeren Welt auch zwischen Frau Fachleutnant Xazy und dem ihr untergebenen Hauptmann Blank. Aber: „Das Geschlecht hat sich im Griff“ – wie sich Guler, alias Guhl, an einen der während seiner Schulung im Chor gebrüllten Merksätze erinnert. Vielleicht ließe sich auch die Liebe in Miakro als platonisch bezeichnen.

Langsames Lesen lohnt sich

Miakro lädt ein, ein fremdes System, das dem unseren womöglich nicht so unähnlich ist, schrittweise zu verstehen. Tauchen, verbunden mit einer „Flussverlangsamung“, einzelne Buchstaben im Bilderstrom des „weichen Glases“ auf, ist bei den Bürolern hohe Konzentration gefordert. Parallel dazu sind in der etwa ab der Mitte des Romans beschriebenen Außenwelt die Bibliotheken zwar mit einigen Büchern ausgestattet, aber das systematisch gepflegte Vorlesen der mit wenigen Wörtern und hilfreichen Bildern bedruckten Buchseiten geht nur mit Improvisationskunst vonstatten. Die fünfblättrige Kladde mit einem Einband aus dünnem Holz gilt bereits als Herausforderung.

Möglicherweise steht die Entzifferung der Welt, Wort für Wort – mühsames Buchstabieren ist kein neues Motiv in Georg Kleins Romanen; man denke an Die Sonne scheint uns – als Metapher einer Leseempfehlung auch für Miakro. Langsames Lesen lohnt sich, Zurückblättern fördert Erkenntnisse, die im schnellen Lesefluss unterzugehen drohen.

Dem reduzierten Wortschatz der „Büroler“ (bei Tieren etwa kennen sie allenfalls die Gruppen wie Vögel oder Fische, nicht aber Gattungen oder Arten) setzt der Autor einen immensen sprachlichen Erfindungsreichtum entgegen. Hinreißende Formulierungen laden ein, sie sich auf der Zunge zergehen zu lassen, wäre da nicht zugleich der starke Sog der Erzählung, der uns in die Handlung hineinzieht, tiefer in die Dekodierung des rhizomartigen Baus, des wuchernden Pilzes oder der Innenansicht eines Gehirns.

Avancierte Technik geht in dieser Welt mit Archaismen einher, beispielsweise bei den Längenmaßen, die sich am ungefähren Vergleich mit Körperteilen orientieren. Befehle spielen eine große Rolle, sowohl im Sinne von Programmierung als auch im Militärischen. Dabei herrscht eine Art höherer Gerechtigkeit.

Das Staunen über die ersten Dinge

Als Dystopie gelesen, würde der Roman wenig Schrecken bereithalten. Eher entsteht der Eindruck, es folgten alle Wesen und Dinge ihrem eigenen Programm, im Sinne – um einmal von Platon zu Aristoteles zu springen – einer Vorstellung von Entelechie, also der Eigenschaft von Individuen, ihr Ziel (Telos) in sich selbst zu tragen. Es ist das Staunen über die ersten Dinge, die Georg Klein die Leserinnen und Leser miterleben lässt. Wie es an einer Stelle, aus der Perspektive eines „Wandlers“ gesprochen heißt: „Vor allem ihrem Adjutanten, der so eindrucksvoll staunen konnte, hätten Xazy und wir, die das Selber-Staunen noch Schritt für Schritt erwerben müssen, ein Hiersein und damit eine weitere Innigkeit gegönnt.

Der Autor verschafft uns viele solcher Innigkeiten. Denn was dem Suchtrupp aus dem Mittleren Büro bei der Konfrontation mit der Außenwelt widerfährt, und umgekehrt der Außenwelt mit dem unheimlichen Wesen, dürften wir mehr oder weniger alle irgendwann zum ersten Mal erlebt haben oder noch erleben. Wie eine erkenntnisbegünstigende Substanz hilft Georg Kleins Roman der Wiedererinnerung auf die Sprünge. Wir, die wir verstehen wollen, deuten im besten Sinne verwundert, was der sanfte Meister uns zu sagen hat.

Georg Klein: „Miakro. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek. 336 S., 24 Euro.




Stolz und Vorurteil: Roger Vontobel inszeniert Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ am Düsseldorfer Schauspiel

Sie lieben das Dolce Vita. (Foto: Thomas Rabsch/Düsseldorfer Schauspielhaus)

Italiener tragen keine Socken und Juden einen schwarzen Hut: So sind wir schon mittendrin im Reich der Klischees und Vorurteile. Doch genau darum geht es in William Shakespeares „Kaufmann von Venedig“: um eine Gesellschaft, in der das Geld regiert und die für Außenseiter nur Spott und Hass übrighat.

Doch wie lässt sich dieses Stück, das in der Nazizeit antisemitisch instrumentalisiert wurde, heute gut inszenieren? Roger Vontobel am Düsseldorfer Schauspielhaus hat es geschafft; mit feiner Beobachtungsgabe und – man könnte Achtsamkeit dazu sagen.

Die nackten Füße, die eleganten Slipper, die schmalen Anzüge, die maritimen Leibchen: Diese Venezianer rund um den Kaufmann Antonio (Andreas Grothgar) und seinen Freund Bassanio (Sebastian Tessenow) wissen, wie man in Leichtigkeit lebt. Vom Stil her imitieren sie das Dolce Vita der 50er Jahre: notorisch knapp bei Kasse, aber auf jedem Fest dabei.

Wenn man kein Geld hat, leiht man sich eben welches. Es wird sich schon jemand finden, zur Not ein jüdischer Geldverleiher namens Shylock. Ein ernsthafter, ein strenger Mann, der obendrein noch seltsame Forderungen stellt. Ein Pfund Fleisch aus dem Körper geschnitten? Ach, so schlimm wird’s schon nicht kommen. Doch dieser Kerl ist wirklich unsympathisch, er macht die ganze Feierlaune kaputt – kein Humor, keine Lebensart. Subtil und umso gehässiger ziehen die Venezianer den Schleim in den Hals, als wollten sie gleich vor ihm ausspucken. Das lassen sie dann aber bleiben, denn sie brauchen ja sein Geld.


Burghart Klaußner als Shylock
(Foto: Thomas Rabsch/Düsseldorfer Schauspielhaus)

Und Shylock selbst? Er macht eigentlich alles richtig: Er arbeitet hart, führt seine Geschäfte korrekt, liebt seine Tochter. Mit seinem Fleiß hält er den korrupten Staat am Laufen. Und doch kann ihn keiner leiden: vielleicht, weil er den anderen den Spiegel vorhält, ihre Nichtsnutzigkeit so erst deutlich wird. Aber die Christen müssen sich ja auch nicht anstrengen, ihnen fällt alles von Geburt an zu. Er als Außenseiter dagegen muss um alles kämpfen und geht am Ende noch leer aus.

Der herausragende Burghart Klaußner spielt den Shylock als einem Mann, von dem die Verbitterung langsam Besitz ergreift und danach erst der Hass. Er ist das Ergebnis der andauernden Diskriminierung: „Ich bin ein Jude. Hat nicht ein Jude Augen? Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen?“

Dann verliert Shylock noch seine Tochter Jessica (Lou Strenger) an so einen windigen Venezianer und das bricht ihm das Herz. Da wird er böse und fordert das Fleisch – buchstäblich nach dem Gesetz und vor Gericht. Doch auch wenn Klaußner mit dem Messer fuchtelt, so ist er eher ein Verzweifelter, denn ein Brutaler. Traurig, zu solchen Mitteln greifen zu müssen. Letztendlich bringt ihn vor Gericht eine Spitzfindigkeit zu Fall, die sich die reiche Erbin Portia (Minna Wündrich) ausgedacht hat, nach dem Motto: Das Establishment setzt sich ohnehin durch. Und Shylock verliert alles: gebrochen, stumm, so schleicht er davon. Dem Mann kann nicht mehr geholfen werden…

Karten und Termine:
www.dhaus.de




Zukunftsfroh erblüht die Stadt: Ein lange verschollener Image-Film aus dem Jahr 1964 macht derzeit in Dortmund Furore

Fünf ausgebuchte Vorstellungen gab’s schon im Kino des „Dortmunder U“. Welches attraktive Lichtspiel wird denn da geboten? Welcher Blockbuster zieht die Menge so magisch an?

Hurra, die Schule ist aus! Vielleicht erkennen sich hier ein paar ältere Dortmunder als Kinder von 1964 wieder. (Screenshot aus dem besprochenen Film - Stadtarchiv Dortmund/RWE-Archiv)

Hurra, die Schule ist aus! Vielleicht erkennen sich hier ein paar ältere Dortmunder als Kinder von 1964 wieder. (Screenshot aus dem besprochenen Film – Stadtarchiv Dortmund/RWE-Archiv)

Nun, es ist eigentlich ein unscheinbares Werk, das sicherlich keinerlei Spuren in der Filmgeschichte hinterlassen wird. Der gerade mal 49 Minuten lange Streifen mit dem wenig aussagekräftigen Titel „Moderne Großstadt Dortmund“ schlummerte bis vor einiger Zeit unbeachtet im Archiv des Essener RWE-Konzerns. Es ist ein Marketingfilm der Dortmunder Stadtverwaltung aus dem Jahr 1964, der die damalige Gegenwart und Zukunft der Kommune geradezu schwärmerisch ausmalt. Selbst dem Dortmunder Stadtarchiv war die Existenz des Films bis dato völlig unbekannt, der als zeitgeschichtlicher Fund von gewisser lokaler und regionaler Bedeutung gelten darf.

Nostalgie-Effekt und Heimatgefühl

Als Präsentator der Dortmunder Erfolgsgeschichten tritt im Film zwischendurch mehrfach Dietrich Keuning auf, von 1954 bis 1969 Oberbürgermeister der Stadt. Er lobt und preist die fruchtbaren Anstrengungen von Rat und Verwaltung in allen Fachbereichen, die zu einer neuen Blüte der Stadt geführt hätten. Erklärte Ziele sind laut Keuning eine „Stadt aus einem Guss“ und „Arbeiten für ein glückliches Leben“. Zumindest in der Online-Fassung, die ich gesehen habe, spricht er übrigens keineswegs lippensynchron.

Keuning beschwört überdies Dortmunds große Vergangenheit als Freie Reichsstadt und Hansestadt – ungeachtet der Tatsache, dass „seine“ SPD nach dem Zweiten Weltkrieg einen zusätzlichen Abriss-Kahlschlag in der Stadt vorangetrieben hat und also mit manchen Zeugnissen der Tradition nicht gerade pfleglich umgegangen ist; womit die ungeheure Aufbauleistung nach 1945 natürlich nicht geschmälert werden soll.

Der damalige Oberbürgermeister Dietrich Keuning präsentiert "sein" Dortmund. (Screenshot)

Der damalige OB Dietrich Keuning präsentiert in dem Film „sein“ Dortmund. (Screenshot / Stadtarchiv Dortmund)

Der Film vermittelt jedenfalls – in längst fahl gewordenen Farben – eine beschönigende, hie und da auch etwas verlogene Sicht der Dinge. Doch der Nostalgie-Effekt ist heute allemal stärker als derlei Bedenken. Hier können die „Baby-Boomer“ auf eine kleine Zeitreise in die Stadt ihrer Kindheit gehen, die noch eine ganz andere war als heute. Wer damals schon hier gelebt hat, kann so manche Filmsequenz nach sich selbst und seinesgleichen absuchen. Wie seltsam wird einem da zumute.

Beim erstaunlich gesteigerten Interesse dürfte auch eine Sehnsucht nach Identifikation und – tja – „Heimatgefühl“ eine Rolle spielen. Wie immer man das deuten mag.

Als man noch mit 750.000 Einwohnern rechnete

Schauen wir hin: Wie es da überall wimmelte! Wie viele Kinder es offenkundig gab! Dortmund hatte um 1964 immerhin 651.000 Einwohner, die halt auch nicht daheim am Computer hockten, sondern vielfach draußen unterwegs waren, und zwar mehrheitlich zu Fuß oder mit Bussen und Bahnen, noch nicht so sehr mit eigenen Kraftfahrzeugen.

Heute liegt man gerade mal wieder bei knapp 600.000 Einwohnern und ist – nach etlichen Jahren des Schwundes – mächtig stolz darauf. Damals plante man mit einer Perspektive auf künftig 750.000 Bürger… Es war eben die Zeit vor den großen Kohle- und Stahlkrisen, als das Ruhrgebiet noch die dampfende Lokomotive des bundesdeutschen Wohlstands war. Doch die Schwerindustrie spielt in diesem Film nur am Anfang eine gewichtige Rolle. Sie wurde sozusagen als selbstverständliche Basis wahrgenommen. Wenn man damals all das Kommende geahnt hätte…

Bauzustand des 1966 eröffneten Dortmunder Opernhauses im Jahr 1964. (Screenshot)

Bauzustand des 1966 eröffneten Dortmunder Opernhauses im Jahr 1964. (Screenshot / Stadtarchiv Dortmund)

Die Stadtspitze macht dem Film zufolge quasi alles richtig, sie führt die Bürger goldenen Zeiten entgegen. Für alles wird gesorgt. Unfreiwillig komischer Satz: „Wenn die Tiefbauer kommen, wird es ernst…“ Und so nimmt einen der Film, stets zukunftsfrohen Sinnes und auf die Segnungen der Technik vertrauend, mit in moderne Sportstätten, Krankenhäuser und Schulen sowie schnell hochgezogene neue Siedlungen.

Und weiter geht’s zum BVB in die Kampfbahn Rote Erde (weise Prophezeiung: deren 42500 Plätze reichten nicht aus), in die Westfalenhalle und zum gerade als Neubau entstehenden Stadttheater, auf Spielplätze mitten „im Steinmeer“, zum Zoo, in den Westfalenpark und in den Rombergpark. „Zeitgemäß“ verbreiterte Straßen und der noch ziemlich holprige Pisten-Flugplatz werden gleichfalls besichtigt. Selbst Seitenblicke auf Müllabfuhr und Feuerwehr fehlen nicht. Überall gibt es im Grunde nur Gutes zu berichten. Später hätte man wohl getextet, Dortmund sei rundum „bestens aufgestellt“. Nun ja.

Angehende Dortmunder Krankenschwestern anno 1964. (Screenshot)

Angehende Dortmunder Krankenschwestern anno 1964. (Screenshot / Stadtarchiv Dortmund)

Überall wirkten „fleißige Hände“

Auch sprachlich macht sich der Abstand von 54 Jahren deutlich bemerkbar. Die zeitüblich noch leicht schnarrende, wenn auch nicht  mehr martialisch klingende Sprecherstimme aus dem Off verkündet immerzu das „tüchtige“ Wirken „fleißiger Hände“, wahlweise auch flinker oder rühriger Hände, Kinder können sich auf dem Robinson-Spielplatz im Westfalenpark „nach Herzenslust tummeln“, Schüler und Lehrlinge (man sagte noch nicht „Auszubildende“) erhalten ihr „Rüstzeug“ fürs Leben, im Altersheim verbringt man einen „behaglichen und sorgenfreien“ Lebensabend. Na, und so weiter. Es war eigentlich noch der Sound der 50er Jahre, obwohl man doch so sehr zu neuen Ufern streben wollte.

Doch trotz alledem sollte man sich über die Altvorderen nicht erhaben dünken. Wer weiß denn, wie peinlich ein heutiger Imagefilm – und gebe er sich jetzt noch so „hip“ – in ein paar Jahrzehnten wirken wird?

Eine weitere öffentliche Vorstellung folgt noch: am nächsten Dienstag, 13. März, um 19 Uhr im Kino des „Dortmunder U“, Leonie-Reygers-Terrasse, 44137 Dortmund. Kostenlose Karten gibt es ab 18 Uhr am Kino. Außerdem ist der Film jetzt online zu sehen, und zwar hier: www.film1964.dortmund.de




Festival Klangvokal in Dortmund: Musikalische Schätze und Raritäten aus acht Jahrhunderten für die menschliche Stimme

Bei so manchem Festival wird das Blaue vom Himmel versprochen – und der Horizont bleibt dann doch grau. Beim Dortmunder „Klangvokal“, seit der Gründung geleitet von Torsten Mosgraber, ist das anders: Die zehnte Ausgabe mit dem Thema „Auf Schatzsuche“ löst tatsächlich den Anspruch ein, aus dem reichen Spektrum der Musik für eine, mehrere oder viele menschliche Stimmen ein paar ungewöhnliche Farben nach vorne zu spielen. Vom 11. Mai bis 10. Juni 2018 lässt sich bei 23 Veranstaltungen die Vokalmusik der letzten 800 Jahre durchstreifen. Dabei kommen nicht nur Klassik-, sondern auch Crossover- und Weltmusik-Fans auf ihre Kosten.

Dirigent, Komponist und Organist: Wayne Marshall. © Wayne Marshall

Dirigent, Komponist und Organist: Wayne Marshall. © Wayne Marshall

Die Eröffnung am Freitag, 11. Mai steht im Zeichen des 100. Geburtstags von Leonard Bernstein. Wayne Marshall, Komponist, Dirigent und Organist, steht am Pult seines WDR Funkhausorchesters und bringt die „Chichester Pslams“ und Bernsteins Erste Sinfonie „Jeremiah“ mit. Der Kammerchor der TU Dortmund und der Philharmonische Chor Essen übernehmen die Partien der Vokalensembles auch in Francis Poulencs „Gloria“ und „The Fruit of Silence“ des lettischen Komponisten Peteris Vasks, geschrieben 2013 auf einen Text von Mutter Teresa.

Monteverdi-Oper rekonstruiert

Eine Rarität erklingt am Freitag, 18. Mai in der Reinoldikirche: Der Philharmonische Chor des Dortmunder Musikvereins und die Dortmunder Philharmoniker führen – gemeinsam mit den renommierten Solisten Eleonore Marguerre (Sopran), Thomas Laske (Bariton) und Uwe Stickert (Tenor) – Jules Massenets Oratorium „Ève“ auf. Am Freitag, 1. Juni mischen sich Alt und Neu auf eine Weise, die so ungewöhnlich wie umstritten ist: Zum ersten Mal erklingt in einer öffentlichen Aufführung im Orchesterzentrum NRW eine rekonstruierende Neukomposition von Claudio Monteverdis Oper „L’Arianna“.

Claudio Monteverdi auf einem Stich aus dem 19. Jahrhundert. Alle Abbildungen des Komponisten sind dem einzigen überlieferten Porträt von Bernardo Strozzi nachempfunden, das im Tiroler Landesmusem Innsbruck hängt.

Claudio Monteverdi auf einem Stich aus dem 19. Jahrhundert. Alle Abbildungen des Komponisten sind dem einzigen überlieferten Porträt von Bernardo Strozzi nachempfunden, das im Tiroler Landesmusem Innsbruck hängt.

Claudio Cavina, italienischer Countertenor und Experte für Alte Musik, wollte nicht warten, bis vielleicht eines Tages die Originalpartitur Monteverdis in einer verschlossenen Bibliothek oder einem vernachlässigten Archiv auftauchen könnte, und hat sich auf der Basis eines tiefgründigen Wissens um Kompositionsweise und Aufführungspraxis des 17. Jahrhunderts an eine musikalische Ausformung gemacht, die er selbst allerdings nur ungern als „Komposition“ bezeichnet.

Ausgehend von Ottavio Rinuccinis Libretto, dem erhaltenen berühmten „Lamento“ aus der Oper und Kompositionen wie dem „Ballo delle Ingrate“ hat er selbst Musik im Geiste Monteverdis geschrieben. Die Aufführung mit Cavinas Ensemble La Venexiana, die „L’Arianna“ bereits 2015 in Venedig erstmals gespielt haben, umfasst in etwa 100 Minuten die acht Szenen plus einen Prolog der ursprünglichen Oper. Davide Pozzi leitet das Ensemble und elf Solisten.

Geschichte der Büßerin Maria Magdalena

„Echten“ Barock gibt es dann am Sonntag, 10. Juni in St. Reinoldi zu hören: Das Ensemble Le Banquet Céleste gastiert unter Damien Guillon mit einem der mindestens 43 Oratorien des in Wien gestorbenen Venezianers Antonio Caldara. „La Maddalena ai piedi di Cristo“, wohl um 1700 für Rom geschrieben, thematisiert in einem allegorischen Spiel um die irdische und himmlische Liebe die Geschichte der Büßerin Maria Magdalena auf der Basis des Lukas-Evangeliums.

Auf dem Weg zum Weltstar: Marina Rebeka singt in Dortmund in Verdis "Giovanna d'Arco". ©Janis Deinats

Auf dem Weg zum Weltstar: Marina Rebeka singt in Dortmund in Verdis „Giovanna d’Arco“. ©Janis Deinats

Auch die Oper kommt wieder zu ihrem Recht: Mit der Sopranistin Marina Rebeka, in New York als „Norma“ und Mathilde in Rossinis „Guillaume Tell“ gefeiert, und dem aufstrebenden Bariton Baurzhan Anderzhanov aus Essen erklingt am Sonntag, 27. Mai im Konzerthaus „Giovanna d’Arco“, ein früher verschmähtes Werk aus Giuseppe Verdis mittlerer Schaffensperiode, das in den letzten Jahren etwa durch Aufführungen in Salzburg (mit Anna Netrebko), aber auch durch szenische Produktionen in Bonn und Bielefeld neu entdeckt wurde. Daniele Callegari dirigiert das WDR Funkhausorchester Köln, es singt der LandesJugendChor Nordrhein-Westfalen.

„Gänsehaut-Musik“ aus Belgien

Die Vielfalt der Chormusik durch die Jahrhunderte setzen Ensembles aus Großbritannien, Estland und Tschechien präsent. Oder aus Belgien: Dem 2004 von Lionel Meunier gegründeten Ensemble Vox Luminis wird etwa von Bayerischen Rundfunk bescheinigt, „Gänsehaut-Musik“ zu machen. Am Samstag, 12. Mai singt der Chor in der Marienkirche Motetten der Bach-Familie aus dem 17./18. Jahrhundert, darunter unbekannte „Bäche“ wie Johann Christoph oder Johann Ludwig, dem Vetter Johann Sebastians, der in Meiningen als Kapellmeister wirkte.

Der Estnische Philharmonische Kammerchor singt am Sonntag, 20. Mai in der St. Nicolaikirche A-cappella-Chormusik von Arvo Pärt, Cyrillus Kreek und Veljo Tormis. Mit einem so raren wie erlesenen Programm kommen das Ensemble Clematis und der Choeur de Chambre aus Namur am Samstag, 26. Mai in die Maschinenhalle von Zeche Zollern. Unter Leonardo García Alarcón öffnet der Chor die Welt der barocken geistlichen Musik der iberischen Halbinsel und greift auch in die „Neue Welt“ aus, wo Komponisten an Kathedralen oder in Jesuitenreduktionen tätig waren. Tomás Luis de Victoria ist noch der bekannteste von ihnen, aber von Juan de Araujo, der in Lima (Peru) und an anderen lateinamerikanischen Bischofskirchen wirkte, von Matheo Romero, Kaplan mehrerer gekrönter Häupter, oder von Mateu Fletxa et Vell, dem Musiklehrer der Töchter Kaiser Karls V., haben selbst Spezialisten noch kaum etwas gehört.

Rund 150 Chöre beim Fest in der Innenstadt

Zu den ältesten Wurzeln geistlicher Musik dringt am Dienstag, 29. Mai in der Marienkirche das Ensemble Tiburtina mit Musik von Hildegard von Bingen vor. Aus England und Spanien kommt die Musik, die The Tallis Scholars am Samstag, 9. Juni in der Propsteikirche singen. Und nicht zu vergessen ist das 10. Fest der Chöre am Samstag, 2. Juni, bei dem zwischen 10 und 22 Uhr rund 150 Chöre in der Dortmunder Innenstadt ihr Können dem Publikum präsentieren.

Freunde der Weltmusik können sich auf die Argentinierin Lily Dahab (Sonntag, 13. Mai), das Ensemble Saz’Iso aus Albanien (Samstag, 19. Mai), auf portugiesischen Fado mit Gisela João am Freitag, 25. Mai und auf Yorkstone Thorne Khan am Donnerstag, 7. Juni freuen, die britischen Folk und indische Musik miteinander verbinden.

Infos und Karten: www.klangvokal-dortmund.de




Wie die Kunst zu mir kam und blieb – ein Lebenslauf zwischen Beruf und Berufung

Gastautorin Melanie Tilkov über ihr Leben als Künstlerin:

Ich bin freischaffende Künstlerin im Bereich Malerei, Grafik und Bildhauerei, außerdem Dozentin für Kunst an einer Kunstschule, Lehrkraft für Kunst an einem Gymnasium und habe einen Lehrauftrag an der fadbk/HbK Essen. Mein Studium der Kunst und das darauf folgende Berufsleben im Kunstbetrieb habe ich nach einem wechselvollen und unbefriedigendem Berufsleben als ein „endlich angekommen“ begriffen.

Die Künstlerin Melanie Tilkov mit ihren Arbeiten am Stand der Galerie Augarde (Daun) bei der Straßburger Messe START. (Foto: © Melanie Tilkov)

Verfasserin dieses Beitrags: die Künstlerin Melanie Tilkov, hier mit ihren Arbeiten am Stand der Galerie Augarde (Daun) bei der Straßburger Kunstmesse ST.ART. (Foto: © Melanie Tilkov)

Seitdem bin ich im Kunstbetrieb auf unterschiedlichen Ebenen aktiv – und sehr zufrieden damit. Dass ich noch studieren würde, war alles andere als klar, bin ich doch die Erste in meiner Familie, die akademisch ausgebildet ist.

Zu „abstrakt“ für den Alltag?

Vom Elternhaus her war klar, dass ich eine Lehre mache, Geld verdiene und somit schnell selbstständig würde. Zwar ist die Familie meines Vaters tendenziell handwerklich und auch künstlerisch unterwegs, Werkstätten und ihre Gerüche prägten meine frühesten Erinnerungen. Aber Kunst? Kunst war zu „abstrakt“ und somit als Beruf nicht vorstellbar.

Trotz der anderen Berufe, und auch während meiner Erziehungszeit, begleitete mich handwerklich-künstlerische Arbeit, meine Ideen im Kopf mussten eine fühlbare/sichtbare Umsetzung in der Realität erfahren.

Aber erst durch das Studium erfuhr ich, wie schwer die künstlerische Arbeit wird, wenn nicht allein die handwerkliche Fähigkeit und Begabung wichtig sind, sondern die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem „Warum“ hinzukommt.

Zuerst kommt das Handwerk

Dennoch erachte ich es als essentiell, dass das „Handwerk“ sitzt: Grundausbildung Maltechnik, Zeichentechnik, Wissen um Farben, ihre Wirkungsweise, wie man sie einsetzt, wie ich Holz bearbeite, Ton, Stein…

Künstler, die nicht durch eine traditionelle Ausbildung gehen sondern von Anfang an in ihrem „Suppentopf“ weiter rühren, nie Stilleben gemalt, geschweige denn daran gelernt haben, die nie Menschen zeichnen mussten, nie Perspektive usw. lernten, denen fehlt etwas in ihrer Ausdruckskraft, auch in ihrem Spektrum. Natürlich kann man von Anfang an „abstrahieren“, aber nur wer die Basics lernte und das oft schmerzhaft lang, versteht, wie Abstraktion entsteht, wie Minimalismus sich entwickelt.

Es geht um das Können, nicht um das Wollen

Oft sind heute gezeigte Bilder von erschütternder Ahnungslosigkeit geprägt, was mich gleichermaßen verärgert, wie auch sehr traurig macht. Dadurch wird Kunst in ihrer Aussage entwertet, sie verliert, was sie eigentlich ausmacht. Nicht das Wollen, das Können zeichnet den Künstler aus. Und da gehört auch ein gehöriger Anteil an Praxis dazu, bis man dort ist, wo es einen, oft über Jahre, hingezogen hat.

Kreatives Chaos im Atelier von Melanie Tilkov. (Foto: @ Melanie Tilkov)

Kreatives Chaos im Atelier von Melanie Tilkov. (Foto: @ Melanie Tilkov)

Ich malte Landschaften, Abstraktionen, Spuren; nur um da endlich zu landen, am Ende meines Studiums, wo es mich immer hingetrieben hat. Endlich „konnte“ ich gegenständlich, figurativ malen, gestalten. Alles andere vorher begreife ich nun als handwerkliche und auch gedankliche Vorbereitung darauf. Ohne das Wissen um die Naturabstraktion wäre heute keiner meiner Hintergründe möglich, ohne die Abstraktion allgemein nicht das Wissen um die Auflösung im Prozess.

Eine Arbeiterin in der Kunst

Ich sehe mich als „Arbeiterin in der Kunst“. Meine Hände führen aus, was mein Kopf vorbereitet, gemalt, gebildhauert, gezeichnet hat, oft über Wochen, Monate, bis ich dann zum für mich erlösenden, praktischen Teil komme und alles in ein Medium fließt, Farbe auf Leinwand, Holz wird bearbeitet, behauen, Ton aufgebaut usw.

In der Renaissance gab es einen für uns heute sehr prägenden Wendepunkt. Aus einer anonymen Kunsthandwerkerschaft, aus den „Werkstätten” traten Einzelne hervor, brillierten und wurden, peu à peu, ganz langsam als Individuen wahrgenommen. Plötzlich wurden einzelne Künstler verehrt, Leonardo da Vinci und Dürer, das sind Namen, die noch heute „klingen“ und nachhallen.

Bis in unsere Zeit kam es dann zur starken Verklärung des Künstlers als „anders, wunderbar und sonderbar zugleich“. Dabei haben wir Kunstschaffenden auch nur eine Begabung, in der wir arbeiten (müssen). Auch Chirurgen, Architekten, Lehrer usw. fühlen mit Sicherheit so etwas, was sie in die berufliche Richtung trieb, eine „Berufung“.

Gegen die Verklärung

Vielleicht ist dieser Ruf, dem wir Künstler folgen, nur etwas drängender als der anderer Berufsgruppen, etwas elementarer. Aber gegen eine Verklärung wehre ich mich vehement, ich arbeite. Kunst. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Alles Aufgeblasene, Überzogene, Divenhafte mancher Künstler, die genau diese Verklärung befeuern, stört mich.

Nicht der Mensch, sondern sein Produkt sollte wahrgenommen werden. Ist mein Bild schlecht, sollte nicht das größte Theater und der bunteste Budenzauber, die fieseste Provokation über dieses Defizit hinwegtäuschen. Und doch ist es heute (leider) oft so. Das Event steht über dem Produkt. Damit gehe ich nicht konform. Und sehe mich lieber als Handwerkerin in Sachen Kunst. Der guten Sache wegen.




Wenn der Schiri Diridari… – ein spezielles Gewerbe beschäftigte den Bundesfinanzhof

Vorhin im stockseriösen Finanzteil der heutigen FAZ einen unscheinbaren Einspalter entdeckt, der sich (mit boulevardeskem Geschick) zur Schenkelklopf-Geschichte hochhotten ließe. Wenn das die Leute von der „Bild“-Zeitung spitz kriegen, ist was fällig…

Werkzeug zur unternehmerischen Marktteilnahme, vulgo: Pfeife. (Foto: © Rike / pixelio.de)

Wichtiges Werkzeug zur „unternehmerischen Marktteilnahme“, vulgo: Pfeife. (Foto: © Rike / pixelio.de)

Es geht recht eigentlich um staubtrockene Materie, nämlich darum, wie die Tätigkeit von Schiedsrichtern steuerlich zu behandeln sei. Die Sache ging freilich bis hinauf zum Bundesfinanzhof in München, der jetzt befunden hat, dass Schiedsrichter einem Gewerbe nachgehen und daher Gewerbesteuern zu zahlen hätten. Und wenn sie noch so oft auf dem grünen Rasen hin und her rennen, so gelten sie demnach steuerlich nicht als Sportler, was rein fiskalisch wohl günstiger wäre.

Diese Finanzrichter scheinen aber auch wahre Spielverderber zu sein, die ziemlich humorlos reingrätschen oder – anders betrachtet – die Rote Karte zücken.

Jedenfalls kam damit ein rund rund zehnjähriges (!) Verfahren zum Abpfiff, äh: Abschluss. Erst jetzt wurde laut FAZ öffentlich bekannt, dass es dabei um den Fall Dr. Markus Merk ging, also um einen der bekanntesten (Ex)-Schiedsrichter des Landes, der auch häufig internationale Begegnungen geleitet hat und heute als Fußball-Regelexperte für den Bezahlsender Sky auftritt.

Der Bundesfinanzhof attestierte dem Schiedsrichter Merk die Absicht der Gewinnerzielung. Er sei bei all dem kein Angestellter von DFB oder FIFA gewesen (obwohl sie ihn zu den Spielterminen beordert haben), sondern habe als Selbständiger „unternehmerische Marktteilnahme“ angestrebt.

So haben wir das Metier der Unparteiischen noch nicht betrachtet. Wir basteln nun schon mal ein wenig an der Schlagzeile und bedienen uns im bayerischen Idiom, wo Zahlungsmittel gern scherzhaft „Diridari“ genannt werden. Also  geben wir schon mal diese verbale Steilvorlage: „Wenn der Schiri Diridari…“ Na, und so weiter. Da wird uns schon noch was knackig Albernes einfallen. Vielleicht was mit Larifari?

Mutet schon das ganze Verfahren – wie so manche juristische Spitzfindigkeit – ein wenig absurd an, so gipfelt der kurze FAZ-Bericht in dem Satz: „Betriebsstätte der Schiedsrichter sei ausschließlich die inländische Wohnung, urteilten die Finanzrichter, auch wenn die Referees im Ausland pfiffen.“ Der Schiedsrichter als Stubenhocker im Home Office. Hübsche Vorstellung.

Aber vielleicht ist die ganze Angelegenheit ja doch noch nicht vorbei. Denn wir wollen jetzt nach Köln schalten. Zur Auswertung des Videobeweises.




Esprit in Musik: Mit Aubers „Le Domino noir“ legt die Opéra de Wallonie in Liège einen funkelnden kleinen Edelstein frei

Die Uhr als Räderwerk des Schicksals: Szene aus Aubers "Le Domino Noir" in Liège mit Cyrille Dubois und Anne-Catherine Gillet. Foto © Lorraine Wauters/Opéra Royal de Wallonie

Die Uhr als Räderwerk des Schicksals: Szene aus Aubers „Le Domino Noir“ in Liège mit Cyrille Dubois und Anne-Catherine Gillet. Foto © Lorraine Wauters/Opéra Royal de Wallonie

Das Leichte hat es schwer – und nicht nur in deutschen Landen. Die Operette siecht schon seit Jahrzehnten und scheint sich erst in den letzten Jahren zu erholen. Die „komische“ Oper aber stirbt vor sich hin, ungeachtet einiger unverwüstlicher Exemplare von Rossini, Donizetti oder Albert Lortzing. Und in der zeitgenössischen Oper hat die Komödie einen schweren Stand, wenn sie sich nicht gerade in Surreales oder Groteskerie auflöst. Schlechte Zeiten für Komponisten wie Daniel François Esprit Auber.

Auber, ein eingefleischter, jeder Reise abholder Pariser, ist mit seinen rund 70 Opern einer der erfolgreichsten europäischen Komponisten des 19. Jahrhunderts gewesen. Sein dritter Vorname ist Programm: Spritzige, rhythmisch delikate Musik, federleicht hingeworfene Melodik, stets den Ohren angenehm in gefällig-fassliche Harmonik gefasst. Die Sujets, nicht provokant, aber nicht selten frivol, bedienen den bürgerlichen Geschmack der Epochen, die Auber durchlebt hat: Geboren ist er 1782 noch vor der französischen Revolution, gestorben hochbetagt mitten im deutsch-französischen Krieg 1871

Wahrhaftig eine Jahrhundertfigur, von der man allerdings kaum etwas weiß. Gehörte seine hinreißende Gaunerkomödie „Fra Diavolo“ früher zum eisernen Repertoire, darf man heute froh sein, dem Titel alle paar Jahre mal in einem kleinen Theater zu begegnen, wo noch ein alter Unterhaltungstheater-Haudegen sich seiner erinnert hat. Von anderen einstigen Erfolgen ganz zu schweigen: „Le Domino noir“ etwa, der es allein in Paris zwischen 1837 und 1909 auf 1200 Vorstellungen gebracht hat und auch in Deutschland als „Der schwarze Domino“ weit verbreitet gespielt wurde, ist völlig verschwunden. Seit der Ausgrabung des Stücks 2003 in Venedig dürfte es keine weitere Inszenierung gegeben haben.

Die Opéra Royal de Wallonie in Liège. Foto: Werner Häußner

Die Opéra Royal de Wallonie in Liège. Foto: Werner Häußner

In französisch sprechenden Landen wurde das eigene musikalische Erbe lange nachlässig gepflegt; das hat sich gewandelt. So nimmt man gerne die Gelegenheit wahr, im belgischen Liège Aubers einst berühmtes Werk zu erkunden: „Le Domino noir“ steht, nach 180 Jahren, wieder auf dem Spielplan der Opéra Royal de Wallonie. Eine Aufführung, die den Reiz, aber auch die Problematik dieser entzückenden, aber stark epochengebundenen Musik deutlich macht.

Das Regieteam Valérie Lesort und Christian Hecq hat sich in der Koproduktion mit der Opéra comique in Paris für eine fantasievoll gesteigerte Erzählweise entschieden. Eine riesige Uhr setzt auf der Bühne Laurent Peduzzis die Zeit präsent, die in Eugène Scribes verwickeltem Stoff eine maßgebliche Rolle spielt. Da geht die designierte Äbtissin eines Klosters auf einen Maskenball am Weihnachtsabend, verkleidet als jener „schwarze Domino“, der dem Stück den Titel gibt. Sie verpasst den rechtzeitigen Aufbruch und kommt – nach Mitternacht – nicht mehr ins Kloster zurück. Verwechseln, Vertauschen, Vertuschen, Verkleiden: Das Personal der Oper wird ganz nach Art der Intrigen-Komödien Scribes durcheinandergewirbelt, bis am Ende ein Brief der Königin alle Malaisen wohlgefällig auflöst.

Probleme mit Text und Wortlastigkeit

Drastische Komik: Marie Lenormand in Aubers "Le Domino Noir". Foto: © Lorraine Wauters - Opéra Royal de Wallonie

Drastische Komik: Marie Lenormand in Aubers „Le Domino Noir“. Foto: © Lorraine Wauters – Opéra Royal de Wallonie

Die Probleme liegen auf der Hand: Was Anno 1837 als pikant und frivol empfunden wurde, wirkt heute oft kraftlos und schal. Um das Stück als dramatisches Kunstwerk zu retten, genügt es nicht, wie Kostümbildnerin Vanessa Sannino eine Galerie wunderlich übertriebener Roben zu schaffen und den Domino durch ein ästhetisch raffiniertes Schwarzer-Schwan-Kostüm zu ersetzen. Auch nicht, wie im kargen Kirchenraum des dritten Aktes, Wandskulpturen lebendig werden zu lassen. Das sind szenische Effekte, die illustrieren mögen, aber nichts erklären. Der geistige Hintergrund, der vor 200 Jahren noch präsent war, zieht sich so in den Nebel unerklärlicher Umstände zurück und verliert seinen Belang.

Eine weitere Schwierigkeit bei Auber – und anderen seiner damaligen Kollegen auch – ist der hohe Wortanteil ihrer Opern. „Le Domino Noir“ mutiert zeitweise zur Sprech-Komödie mit rasanten Wortwechseln, deren Details aber zum Verständnis des Stücks unerlässlich sind. Liège hat eine Riege wortgewandter, wenn auch gnadenlos outrierender französischer Sänger zur Verfügung – aber man möchte sich nicht vorstellen, wie ein solches Stück von einem internationalen Ensemble sprachlich realisiert würde.

Musik ruft nach Wiederbelebung

Während also, was Wort uns Szene betrifft, einfallsreiche Bearbeiter und Regisseure gefragt wären, ruft die Musik förmlich nach Wiederbelebung. Was aus dem Graben kommt, ist jeder Mühe wert: Auber ist ein Meister des Rhythmus, der lichtvollen Instrumentierung, der koketten Melodie, der pikanten Camouflage von Gefühlen, der Balance von Sentiment und Komik. Ein Virtuose des Leichten, der Geschmack nie an Wirkung verrät.

Obwohl Patrick Davin die eher mit italienischem Schmelz und entsprechend saftigem Ton an Auber herangehenden Musiker des Orchesters der Opéra Royal de Wallonie immer wieder zu bändigen versucht, könnte vieles filigraner federn, ließen sich die Finessen der Melodik und der Instrumentation feiner ausmodellieren. Aber auch für frankophone Musiker klingt die opéra comique ja mittlerweile wie eine vergessene Sprache, die erst wieder aktiviert werden will. Und was Schwung, rhythmische Anmut und dramatische Befeuerung betrifft, sorgen Davin und das Orchester durchaus für einen reizvollen Nachmittag.

Koloraturenreiches Stimm-Entzücken

Selbiges lässt sich von den Sängern sagen: Sie überzeugen nicht so sehr als Darsteller, weil sie die Regie statt zu nuancen- und beziehungsreichem Spiel zu Bauernkomödien-Drastik drängt. Aber stimmlich entzückt Anne-Catherine Gillet als „schwarzer Domino“ Angèle in ihren koloraturenreich ornamentierten Arien ebenso wie ihre Begleiterin Brigitte, Antoinette Dennefeld.

Marie Lenormand darf als Haushälterin Jacinthe mit enormem Umfang Brust und Bauch als Klischee einsetzen, damit ihre komische Rolle noch komischer werde – gelacht haben die Zuschauer trotzdem nur spärlich. Sylvia Bergé bringt als Ursula einen herben Ton ins Stück: Die Konkurrentin Angèles, die gerne selbst zur Äbtissin aufsteigen würde, ist die „böse“ Intrigantin, die dem dritten Akt noch einmal eine neue Farbe gibt.

In der Herrenriege gibt es zwei Rollen, die einen Charakterkomödianten fordern: Der trottelige Hausmeister des Kloster – wie viel eleganter klingt das französische „concierge“! – und der Engländer vom Dienst, Lord Elfort. Beiden gewinnen Laurent Kubla und Laurent Montel nicht viel mehr als polternd überzogene Drastik ab. Stimmlich sehr elegant dagegen Cyrille Dubois als Liebhaber Horace de Massarena. Und auch François Rougier als sein Gefährte Juliano lässt sich nicht auf vokale Grobheiten ein.

Der heimliche Star der Szene war ein Spanferkel, das sich – zum Tranchieren auf der Tafel hergerichtet – plötzlich sehr lebendig in die Handlung einmischt; der Muppets-Effekt wirkt eben zuverlässig. Liège bot einen Nachmittag, bei dem getrost „die Vernunft in ihrem Bette schläft“: für knappe drei Stunden einmal ein willkommener Zustand. Auber freilich harrt weiter darauf, unserer Zeit zurückgegeben zu werden.




Heinz Mack und Goethe: Auf den Spuren des Lichts

„Mehr Licht!“ Diese letzten Worte auf dem Sterbebett wurden dem großen Johann Wolfgang von Goethe vermutlich nur angedichtet. Aber zweifellos war das Wirken gegen die Finsternis ein Leben lang eins der großen Themen des allseits verehrten Schriftstellers und Universalgelehrten, der zweimal, 1774 und 1792, das Städtchen Düsseldorf und den Freund Jacobi mit seiner Anwesenheit beehrte.

"Taten des Lichts": Ausstellungsansicht mit Arbeiten von Heinz Mack in Düsseldorf. (© Archiv Mack / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

„Taten des Lichts“: Ausstellungsansicht mit Arbeiten von Heinz Mack in Düsseldorf. (© Archiv Mack / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Mehr Licht gibt es nun endlich im zuvor stark eingestaubten Düsseldorfer Goethe-Museum: frische weiße Farbe, neue Lampen, helle Vorhänge – und ein neues Konzept. Was uns Goethe heute noch zu sagen hat, wie modern er ist, will Direktor Christof Wingertszahn im Schloss Jägerhof der Welt zeigen. Eine weithin leuchtende Kunstausstellung von Heinz Mack wird das Publikum locken – mit „Taten des Lichts“.

Dem Freigeist stets verbunden

Lichtkünstler Mack, der in diesen Tagen 87 Jahre alt wird, hat als reifer Mann, ganz wie einst der nimmermüde Goethe, nichts von seiner Leidenschaft eingebüßt. Es macht ihn wütend, dass die herrschenden westlichen Kuratorencliquen ihn und sein Werk so oft ignorieren. „Die gegenwärtige Kunst geht über ihn hinweg“, sagt er und spricht von sich in der in der dritten Person.

In der Tat würdigt man Mack zwar als Mitbegründer der legendären Gruppe Zero, die 1957 eine neue Klarheit in die wirre Nachkriegskunst brachte. Doch aktuell bevorzugt man Konzept, Installation und Video, befasst sich exzessiv mit Banalitäten und den Neurosen der Gesellschaft. Mack hingegen konzentriert sich ganz auf das, was er die „interstellaren Verhältnisse“ nennt. Man kann auch sagen, er feiert ganz zeitlos die Schönheit des Universums.

Dem alten Freigeist Goethe, der nebenbei auch ein begabter Zeichner war, fühlte sich der 1931 in Hessen geborene Mack schon als Unterprimaner verbunden. Neben Kunst an der Düsseldorfer Akademie studierte er Philosophie in Köln und gab seinen sicheren Job als Lehrer auf, um den Gedanken und dem Schaffen ungehinderten Lauf zu lassen.

Weiterer Blick in die Mack-Ausstellung des Düsseldorfer Goethe-Museums. (© Archiv Mack / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Weiterer Blick in die Mack-Ausstellung des Düsseldorfer Goethe-Museums. (© Archiv Mack / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Seine Inspiration fand Mack am Himmel über der Wüste, in der Arktis, auf Ibiza – und zu Hause in Mönchengladbach. Und während die Kollegen den Orient weitgehend vergaßen, beachtete er auch die Farben und Muster in der islamischen Kunst, die schon viel früher als der Westen die Abstraktion gefeiert hatte. „For an oriental mirror“, einen orientalischen Spiegel, malte er 2008 flirrende Ornamente. Auch Goethe wusste die morgenländische Kultur zu schätzen und widmete ihr die Gedichtsammlung „West-östlicher Divan“.

Die Freiheit denkt abstrakt

Und siehe da: Obgleich Jahrhunderte zwischen den beiden Künstlern liegen, passen sie doch auf wundersame Weise zusammen. Denn Goethe hatte nicht nur als Jüngling so zum Spaß das „Bild eines Mädchens in umgekehrten Farben“ gemalt als sei’s eine Idee von Picasso, er arbeitete auch in der Abstraktion. Wie Mack setzte der Dichter und Denker eine Kugel auf einen Würfel und betrachtete das, unerhört für seine Zeit, als sinnhafte Skulptur. Jenseits alles Gegenständlichen erforschte er das Spektrum des Lichtes, entwarf geometrische Skizzen und ließ eine Reihe von konstruktiv anmutenden Karten drucken, deren nüchterne Schwarz-Weiß-Formen, durch ein Prisma betrachtet, an den Rändern farbig erscheinen.

Mack malte 1991 nach dem Vorbild der Goetheschen Experimentalkarten große Pastelle auf Bütten. Schon viel früher hatte er sich stolz auf das inspirierende Vorbild bezogen und 1964 die Farben des Regenbogens in einem großen Pastell „for Mr. Wolfgang von Goethe“ strahlen lassen. Ordnung und Freiheit, sieht man hier, können einander vortrefflich ergänzen. Das zeigen Raster, zwischen denen es golden schimmert, Fächer überlappender Farbquadrate, ein Keil in Ultramarin, der dreidimensional aus der Fläche hervortritt, oder ein schillerndes Gitter vor den Tönen eines Sonnenuntergangs. Der Maler ist ja auch ein Bildhauer, der in viele Städte seine Himmelszeichen gesetzt hat.

Wo das Blau ewig fließt

Es ist eine Lust, in Goethes Museum den Leuchtspuren des Meisters Mack zu folgen oder auch, wie er es oft ganz sachlich nennt, seinen „Chromatischen Konstellationen“. Im ersten Stock, der von den alten Vitrinen befreit wurde, sind die Farben in Bewegung geraten – mit Hilfe einer Technik, von der Goethe nur träumen konnte. Kinetische Lichtkunst, zum Teil in früheren Jahren entworfen, erzeugt hypnotische Effekte. Da fließt ein ewiges Blau, da schwirren bunte Kreise, da pulsiert ein Sonnengelb. Ganz sicher wäre Goethe begeistert gewesen, seine Theorie so herrlich bestätigt zu sehen: „Jede Farbe also, um gesehen zu werden, muss ein Licht im Hinterhalte haben“, notierte er.

Das gilt auch für Schwarz und Weiß, zeigt Heinz Mack mit einer Serie von monumentalen Bildern, die von Licht und Dunkelheit handeln. Ein schwarzer Planet schwebt da auf einem weißen Nebel, eine Raute steht deutlich im hellen Schein, und die kreisrunde „Black Rotation“ beweist, dass Schwarz keineswegs eintönig ist, sondern in vielen Nuancen schimmern kann, ganz nahe am tiefen Blau, aus dem auf wunderbare Weise die anderen Farben der Schöpfung entstehen.

Wir spüren es, ehe wir es sehen. Und wir empfinden vor Macks Bildern mehr, als wir beschreiben können oder sollen. Bei Goethe gibt es das passende Zitat: „Des echten Künstlers Lehre schließt den Sinn auf; denn wo die Worte fehlen, spricht die Tat.“ Hingehen und ansehen!

„Taten des Lichts – Mack & Goethe“: 4. März bis 27. Mai im Goethe-Museum Düsseldorf, Schloss Jägerhof, Jacobistr. 2. Eintritt: 8 Euro. Di.-Fr. und So. 11 bis 17 Uhr, Sa. 13 bis 17 Uhr. Ein Buch zur Ausstellung erscheint demnächst im Verlag Hatje Cantz Verlag. 480 Seiten, ca. 50 Euro. Vortrags- und Begleitprogramm unter www.goethe-museum.de




Fakir Baykurt – sozialkritischer Poet des türkischen Dorflebens und langjähriger Revier-Bürger

Gastautor Heinrich Peuckmann erinnert an den türkisch-deutschen Autor Fakir Baykurt, der auch viele Jahre im Ruhrgebiet gelebt hat:

In Deutschland einem Schriftsteller zu unterstellen, dass er ein sozialkritischer Dorfautor wäre, käme einer literarischen Vernichtung gleich. Als provinziell, gar hinterwäldlerisch würde man ihn einordnen und die Unterstellung, dass er einem rührseligen Heimatbegriff folgt, läge nicht fern.

Fakir Baykurts Roman "Die Rache der Schlangen in einer Ausgabe des Verlags Horst Erdmann (Herrenalb), erschienen 1964.

Fakir Baykurts Roman „Die Rache der Schlangen“ in einer Ausgabe des Verlags Horst Erdmann (Herrenalb), erschienen 1964.

In der überwiegend ländlich strukturierten Türkei war und ist das anders. Fakir Baykurt, 1929 in einem Dorf namens Akcaköy geboren und 1999, vor fast 20 Jahren, in Essen gestorben, gilt neben dem inzwischen ebenfalls verstorbenen Nobelpreiskandidaten Yasar Kemal („Mehmet, mein Falke“) als der große sozialkritische Dorfautor der türkischen Gegenwartsliteratur.

Bergkamen, Duisburg und Essen

1979, als schon bekannter Autor mit gut zwanzig veröffentlichten Romanen, siedelte er nach Deutschland über und wohnte eine Zeitlang auch in Bergkamen, ganz in meiner Nähe. Zur Bergkamener Kulturverwaltung fand er schnell Kontakt und auf diesem Wege lernte auch ich Fakir Baykurt kennen. Während der achtziger Jahre habe ich oft mit ihm zusammengearbeitet, auch noch, als er längst in Duisburg wohnte.

Baykurt stammte aus einer armen Bauernfamilie. Sein Vater starb früh, seine Mutter brachte mit erzieherischer Strenge, aber mit noch mehr Herzlichkeit ihre sechs kleinen Kinder (zwei weitere starben früh) durch.

Nach dem Militärputsch von 1971 verhaftet

So arm die Familie auch war, seine Mutter schaffte es trotzdem, ihren wissbegierigen Sohn Fakir studieren zu lassen. An einem Lehrerinstitut machte er seine Ausbildung und lernte reformpädagogische Ansätze kennen, die er ab 1949 in dörflichen Schulen umsetzte. Natürlich gab es angesichts der traditionell denkenden Bauern die zu erwartenden Probleme. Später schloss er ein weitergehendes Studium an, das ihn sogar an die amerikanische Universität in Bloomington führte.

Gymnasiallehrer ist er geworden, schnell auch Vorsitzender der türkischen Lehrergewerkschaft. Nach dem Militärputsch 1971 wurde auch Baykurt wie viele Künstler, Intellektuelle und vor allem Gewerkschafter verhaftet und eingesperrt. Baykurt berichtet darüber in seiner Erzählung „Die Jahre mit meiner Mutter“ und  schildert darin den Besuch seiner Mutter im Gefangenenlager. Vor allem entwickelt er geradezu genüsslich, wie sie sich durch entschiedenes Auftreten bei den Wachen Respekt verschaffte, um ihren Sohn zu sehen und unbelauscht mit ihm sprechen zu können.

Inzwischen hat die gegenwärtige Türkei bei der Verfolgung von Schriftstellern und Journalisten wieder einen unrühmlichen Spitzenplatz erlangt.

Die Mutter lies sich seine Texte vorlesen – und war voll des Lobes

Baykurt war zur Zeit seiner Verfolgung bereits ein bekannter Autor. Regelmäßig veröffentlichte er Romane, die das Landleben in der Türkei darstellen, das er durch seine Herkunft so gut kannte. Seine kritischen Texte brachten ihm den Ruf ein, Kommunist zu sein, was wiederum seine Mutter erschreckte. Sie selbst konnte nicht lesen, deshalb ließ sie sich den Roman „Die Rache der Schlangen“ von Fakir bei einem seiner Besuche zu Hause vorlesen. Noch während Fakir las, unterbrach sie ihn wütend. „Was soll daran kommunistisch sein? So ist es doch in unseren Dörfern, genauso! Du hast nur geschrieben, was hier passiert.“ Ihrem Sohn Fakir hat dieses Lob besonders gut getan.

Von nun an verteidigte die Mutter ihn, wenn Nachbarn oder Verwandte meckerten: „Dein Sohn konnte wieder nicht den Mund halten.“ Im Gegenteil, danach gewann sie, die einfache Frau vom Lande, erst recht Interesse an Fakirs Romanen. Im Dorfladen, in dem sie immer einkaufte, wurde sie von jungen Mädchen, die zur Mittelschule gingen, bedient. Von denen ließ sie sich den Roman „Die Sense“ vorlesen, stolz darauf, was ihr kleiner Fakir erreicht hatte. Mit der Zeit wuchs dessen Ansehen auch unter den anderen Dorfbewohnern, bis er schließlich zu den bekanntesten türkischen Autoren gehörte und die Kritik an ihm verstummte.

Das Problem mit den schlechten Übersetzungen

Warum er nach Deutschland auswanderte, weiß ich nicht mehr. Ich glaube, er folgte einem seiner Kinder. Baykurt war ein kommunikativer Mann, der schnell Anschluss gewann. Das war schon in Bergkamen so, das war in Duisburg, wo er ebenfalls als Lehrer arbeitete, sich aber vor allem mit den Problemen türkischer Migranten beschäftigte, nicht anders. Auch eine deutsch-türkische Autorengruppe gründete er in Duisburg, um den türkischen Kollegen Hilfe auf dem deutschen Literaturmarkt zu geben. Nach seinem Tod 1999 bekam diese Autorengruppe seinen Namen. Baykurt selbst hatte nicht unbedingt Hilfe nötig, dazu war er viel zu bekannt, aber den einen oder anderen Hinweis konnte er doch gut gebrauchen.

In dieser Zeit habe ich, wenn ich eine Anthologie mit Erzählungen herausgab, immer dafür gesorgt, dass Fakir Baykurt, wenn es nur eben thematisch passte, darin vertreten war. Seine Erzählungen waren ein schönes Zeichn für eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen deutschen und türkischen Autoren und darüber hinaus für gelingendes Zusammenleben überhaupt.

Es gab nur jedes Mal ein großes Problem, denn Fakir hatte für seine neuen Erzählungen Übersetzer, die selbst der deutschen Sprache nur bedingt mächtig waren. So bekam ich von ihm Texte zugeschickt, bei denen ich mir beim ersten Lesen stets die Haare raufte. Es waren thematisch immer gute, spannende, auch humorvolle Geschichten, so viel sah ich sofort, aber was die einzelnen Sätze bedeuten sollten, erschloss sich mir bestenfalls nach mehrfachem Lesen. Und auch dann nicht immer.

Von der Frau, die unbedingt einen Garten haben wollte

Also setzte ich mich hin und übertrug seine Sätze so, wie ich glaubte, dass sie gemeint waren. Dann schickte ich die korrigierte Geschichte an Fakir zurück und bat ihn zu prüfen, ob ich alles richtig verstanden hätte. Von Fakir kam dann stets ein Dankschreiben zurück mit der Frage, ob ich nicht sein Übersetzer werden wollte. Ja, unsere Zusammenarbeit in jener Zeit hatte auch ihre komischen Seiten.

Die gemeinsame Arbeit war aber auch anregend, denn sie half mir, die türkische Mentalität der Migranten in meinem Umfeld besser zu verstehen. In einer Geschichte zum Beispiel erzählt Fakir von einer türkischen Frau in Oberhausen, die so gerne einen Garten gehabt hätte, weil sie sich ein Leben ohne das Wühlen in der Erde nicht vorstellen konnte. Aber ihr wenig durchsetzungsfähiger Mann schaffte es nicht, ihr einen Garten im Kleingärtnerverein zu besorgen.

Also griff die Frau zur Selbsthilfe, räumte ein Zimmer ihrer Wohnung leer (das Sonnenzimmer), füllte Kisten mit Erde und begann, dort Gemüse zu ziehen: Steckrüben, Gurken, Knoblauch. Sie war in ihrem Zimmer erfolgreicher als andere türkische Frauen in ihren Gärten…

Bis eines Tages die Polizei vor der Tür stand. Der Mieter in der Wohnung darunter hatte sich darüber beschwert, dass seiner Familie laufend Wasser auf den Kopf tropfte. Das Gemüse musste ja regelmäßig gegossen werden, die Kisten weichten durch oder es lief etwas daneben. Sie mussten also verschwinden. Aber jetzt wurde die Leidenschaft der armen Frau auch im Umfeld bekannt. Viele, auch ein Pfarrer, mischten sich ein, bis die begnadete Gärtnerin endlich ihren Garten in der Brache an der Autobahn erhielt. Eine humorvolle Geschichte, prall gefüllt mit Leben – wie alle Texte von Fakir Baykurt. Er ist ein Autor, der bei uns unbedingt wiederentdeckt werden müsste.




Der Haifisch hat immer noch Zähne: Andreas Kriegenburg inszeniert Brechts „Dreigroschenoper“ in Düsseldorf

Das Lumpenproletariat sitzt im Käfig und spielt zum Tanz auf: Drumherum formiert sich die Bettel-Mafia, um den täglichen Angriff auf das Mitleid zu starten. Sie besteht aus skurrilen Typen – halb Punks, halb Clowns. Mit seltsam weißgekalkten Gesichtern sehen sie aus wie der Tod auf Urlaub. Befehligt werden sie von Bettlerkönig Jonathan Peachum (Rainer Philippi), gekleidet in eine Art Sträflingsanzug, der im schnarrenden Ton seine Anweisungen gibt.


Foto: Sandra Then/Düsseldorfer Schauspielhaus

Andreas Kriegenburg hat in seiner Inszenierung von Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“ für das Düsseldorfer Schauspielhaus Stile und Zeitebenen wild gemixt. Tonfall und Sprachstil stammen aus der Zwischenkriegszeit, in der die (Bettler-)Oper uraufgeführt wurde (1928).

Da die Story in London angesiedelt ist, tut ihr ein Schuss Punk gut. Nicht zuletzt kann man die sozialen Probleme von damals und heute zumindest teilweise vergleichen. Verteilungskämpfe am unteren Rand der Gesellschaft nehmen wieder zu, selbst im Sozialstaat wäre der Mensch zwar gerne gut und großzügig, doch „die Verhältnisse, sie sind nicht so.“

Foto: Sandra Then


Foto: Sandra Then

Der Mix funktioniert also und macht das Ganze zu einem Gesamtkunstwerk, nicht zuletzt dank der Musik (Leitung der schmissigen Band: Franz Leander Klee) und der großartigen sängerischen Leistung des Ensembles. Allen voran ist Lou Strenger als Polly Peachum zu nennen: Auf dem Musiker-Käfig stehend singt sie den Song von der Seeräuber-Jenny, dass einem fast die Tränen kommen. Auch der Barbara-Song und die Duette mit Serkan Kaya als Mackie Messer sind einfach famos. Claudia Hübbecker brilliert mit dem Lied von der sexuellen Hörigkeit. Und der Kanonensong, dargeboten von Mackie Messer und Thomas Wittmann als Tiger Brown, macht einmal mehr deutlich, dass es im Krieg nur Verlierer gibt.

Überhaupt überzeugt Bertolt Brechts messerscharfe Analyse der sozialen und politischen Situation im Zusammenspiel mit den bös-witzigen Songs auf ganzer Linie. Obwohl Mackie absichtsvoll ein wenig stottert, nimmt man ihm den alten Schwerenöter problemlos ab; Sonja Beißwenger als Hure Jenny verkörpert das frivole Punkmädchen mit Biss und Gefühl perfekt und das Bettlerpersonal gefällt durch präzise Spielfreude.

Der große Saal im Ausweichquartier Central war bis auf den letzten Platz besetzt, Karten sind schwer zu bekommen. Kein Wunder, denn die 90 Jahre alte Moritat ist in der Jetztzeit gelandet und wirkt kein bisschen angestaubt: Der Haifisch hat immer noch Zähne…

Karten und Termine:
www.dhaus.de