Schier 60 Jahre ist es her: Am 18. Mai 1958 wurde Schalke 04 zum letzten Male Deutscher Fußballmeister

Schon seit Wochen wird im Hinblick auf dieses eher unangenehme Jubiläum einschlägig gescherzt und in digitalen Fotokisten gekramt.

Die begehrte Schale für Deutsche Fußballmeister. (Foto: Florian K. / Wikimedia Commons - Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Die begehrte Meisterschale, auf Schalke lange nicht mehr erblickt, also dort allmählich ein unbekanntes Objekt. (Foto: Florian K. / Wikimedia Commons – Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Wat ham wer da gelacht: Als Schalke 04 zum letzten Male Deutscher Fußballmeister war, gab es diese und jene historischen Automodelle, solche vorsintflutlichen Telefone und dergleichen nostalgischen Kram mehr. Adenauer hatte jedenfalls noch fast fünfeinhalb Kanzlerjahre vor sich, Dwight D. Eisenhower war US-Präsident. Popmusikalisch machten beispielsweise der munter gepfiffene „River Kwai March“ und Paul Ankas Heuler „Diana“ Furore.

Jaja, genau 60 Jahre ist es her, dass die Blauen aus Gelsenkirchen ihren letzten Meistertitel errungen haben. Es war am 18. Mai 1958, als sie das Endspiel gegen den dieser Tage aus der ersten Liga abgestiegenen Hamburger SV (!) glatt mit 3:0 gewinnen konnten. In der Schalker Mannschaft standen u. a. Günter Siebert, Berni Klodt und Willi Koslowski. Klingt irgendwie kernig und authentisch, woll? Ich sach dir!

Manchmal ziemlich dicht dran

Jawohl, es war ein Endspiel. Denn die Bundesliga mit Punkten und Tabellen wurde ja erst Jahre später aus der Taufe gehoben – übrigens per Beschluss in Dortmund… Aus Jux wurde jetzt auch schon gemunkelt, dass Schalke die einstweilen abgelaufene Bundesliga-Uhr aus Hamburg übernehmen werde, um all die verflossenen titellosen Jahre anzuzeigen. Um es mal donaldistisch und comictauglich zu sagen: kreisch! schenkelklopf!

Zugegeben, seit 1958 waren die „Knappen“ immerhin ein paar Mal ziemlich dicht dran am ersehnten Erfolg. Doch genau darin liegt ein Teil des Langzeit-Witzes, dass sie es immer wieder verfehlt haben, manchmal auf geradezu groteske Art und Weise, als laste ein listiger und irgendwie auch lustiger Fluch auf ihnen. Gern nennen sie sich selbst „Meister der Herzen“. Wenn’s ihnen Freude bereitet…

Die Häme höret nimmer auf

Einmal hat ihnen auch der BVB quasi in letzter Minute den Titel vermasselt. Wie singen sie heute noch auf der schwarzgelben Tribüne, wenn’s um S04 geht: „Ein Le-heben laaaang / keine Schale in der Hand…“ Sie haben da auch schon Schlimmeres gegrölt. Anders gesagt: Wer die Schale so dauerhaft nicht hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Vor allem in und um Dortmund höret die Häme nimmer auf. Revier-Solidarität? Tja. Öh… Vielleicht ein andermal.

Zugegeben auch, dass der einst hart konkurrierende oder gar zeitweise enteilte BVB diesmal – frei nach Roman Weidenfeller – gar keine „grandios Saison gespielt“ hat und deutlich hinter dem Vize(!)-Meister Schalke zurück geblieben ist. Auch haben die Schwarzgelben das letzte Revierderby kläglich vergeigt, nahezu ohne nennenswerte Gegenwehr. Es war quälend, wie so vieles in der gottlob abgelaufenen Spielzeit. Leute, es kommen auch wieder andere Jahre. Aber es muss dringend etwas geschehen. Etwas? Nein, jede Menge.

Unverrückbare Tatsache bleibt jedoch: Der BVB hat acht Deutsche Meisterschaften eingefahren, und zwar beginnend direkt vor dem letzten Schalker Titel, also 1956 und 1957; danach noch 1963, 1995, 1996, 2002, 2011 und 2012. Hinzu kamen vier Pokalsiege und zwei legendäre europäische Triumphe (1966 und 1997). Auch in der „Ewigen Tabelle“ der Bundesliga zeigt sich der feine Unterschied: Da haben die Dortmunder 2730 Punkte gesammelt, die Gelsenkirchener deren nur 2444.

Zahlen, Herr Ober!




Bühnenarbeit mit Häftlingen im Gefängnis Köln-Ossendorf: Die Produktion „Antikörper“ spielt irritierend mit Klischees

Es gibt Orte, über die man ungern redet, geschweige denn, dass man diese gern betritt. Dazu gehören Krankenhäuser, Altenheime, Schlachthöfe und sicher auch das Gefängnis. Dieses kann man auch nicht einfach so betreten, sondern es bedarf eines Sicherheitsvorlaufes. Hier in der JVA Köln-Ossendorf ist dies ein mühsames Kontrollprozedere. Man endet in einem Saal mit Bühne.

An den Wänden befinden sich zahlreiche Plakate von vorherigen Veranstaltungen. Hier wird also für Sonderabwechslung gesorgt, meist dargeboten durch Comedians oder Live-Musiker. Das Kölner Festival der Multipolarkultur, „Sommerblut“, veranstaltet an diesem Ort zum zweiten Mal eine Festivalproduktion, eine Bühnenarbeit mit Häftlingen. In der 17. Ausgabe des Kulturfestivals dreht sich alles um den Schwerpunkt KÖRPER. Das Festival greift das Thema in allen Formen der Kunst auf.

Zu Beginn wird aus dem Grundgesetz zitiert

Und es sind eben die Körper, die wir zuvorderst zu sehen bekommen. Die Innenansichten stammen von den 20 Häftlingen, Frauen und Männern, die sich hier erfolgreich der Theaterarbeit gestellt haben, inklusive eines Beamten, der zu Beginn Artikel 1 des Grundgesetzes zitiert: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Am Ende führt er die Gefangenen wieder zurück in ihre Zellen, bevor das Publikum den Raum verlassen darf.

Eine projizierte Schrift leitet das performative Bühnengeschehen ein: „Die Bestrafung wird zum verborgensten Teil der Rechtssache. Sie verlässt den Bereich der alltäglichen Wahrnehmung und tritt in den des abstrakten Bewusstseins ein. Ihre Wirksamkeit erwartet man von ihrer Unausweichlichkeit, nicht von ihrer sichtbaren Intensität.“ (Michel Foucault „Überwachen und Strafen“).

Was mögen die wohl verbrochen haben?

Beauftragt mit der komplizierten Arbeit in einem „Knast“ wurde die Kölner Regisseurin Elisabeth Pleß. Man braucht Enthusiasmus und viel Einfühlungsvermögen für solch ein Unterfangen und das bewies sie mit ihrer Einrichtung von „Antikörper“, choreografisch unterstützt von Andre Jolles. Vor „ausverkauftem Haus“ zeigen die Männer und Frauen ihre Körper in gestylten Kostümen. Die Text stammen von ihnen selbst, zusammengestellt aus Gesprächen und Lebensläufen. Hier wird nicht auf die Mitleids- oder Verständnistube gedrückt. Sie sind, wie sie sind – und das irritiert das Publikum. Ist es doch hier umgekehrt: Im Theater macht sich wohl kaum jemand Gedanken über die Person des Schauspielers. Hier entscheidet die Rolle. Im Fall von „Antikörper“ erwischt man sich bei der Frage: Was mögen die wohl verbrochen haben? Man bemüht Klischees, um der Sache näher zu kommen. Es gelingt nicht. Es wird auch nicht gesagt.

„Ich bin jetzt Kunst, gezeichnet vom Leben“

Eine Zuschauerin meinte: „Die sehen doch alle zu gut aus. Ganz normal, eher attraktiv.“ Es ist ein Spiel mit Klischees und gleichzeitig sitzt man temporär in einem Gebäude, in dem Körper und Seelen eingesperrt sind und teilweise noch lange bleiben. Natürlich spielen Tattoos eine Rolle. Da kommt man offensichtlich nicht drumherum. Hier erfahren wir die Gründe für die Einmarkungen auf der Haut. Ihre Texte bestehen aus Träumen und Versprechen. Was sonst? Man hört: „Hallo Vergangenheit, hallo Selbstmitleid.“ Und: „Ich werde das Selbstmitleid aus meinem Leben verdammen. Die Zuschauer sind hier, um etwas Gutes zu sehen. Wir bieten Vorurteile, Neugier und Ängste. Die „Hauptsprecherin“: „Ich bin jetzt Kunst, gezeichnet vom Leben.“ Wer sind diese Menschen, was sind ihre Berufe? Das wird nicht beantwortet und führt zu einer besonderen Beziehung zwischen Darstellern und Publikum.

Hoffnung auf die kreativen Kräfte

Es ist ein vor allem gut choreografierter Abend, der 20 Menschen bewegt, um zu bewegen. Einmal ruft jemand: „Ich bin ein Star. Holt mich hier raus!“ Wunderbar – diesen Dschungelsatz zu einem anderen Lacher zu machen. Es gibt jedoch auch einen Teil, der eher trivial daherkommt. Man erzählt von glücklichen Momenten, wozu meist die Geburt der Kinder gehört. Okay. Es darf auch ein Rap nicht fehlen, der aber anständig rübergebracht wurde, gefolgt von einem kroatischen Lied, begleitet auf der Gitarre – so still und so eindringlich und natürlich authentisch, so weit es in diesen Gemäuern geht. „Ich lebe mit verschlossenen Augen in meiner Festung, in meiner Zelle.“

Enthusiastischer Applaus am Ende. Wir können wieder raus. Den einen oder die andere hätte man gern näher kennengelernt. Mutmaßlich war dies eine einmalige Begegnung und man wünscht allen, nach der Haft sich der Kreativität zu besinnen und diese unkriminell einzusetzen.