Traumatische Familiengeschichte: Maxim Billers Roman „Sechs Koffer“ als Geflecht aus Fakten und Fiktionen

Wir müssen uns Maxim Biller als ebenso verletzenden wie verletzlichen Menschen vorstellen: Zwei Seelen wohnen, ach, in seiner Brust.

Als Kolumnist und Kritiker gibt der 1960 in Prag geborene Autor gern den ungehobelten Rüpel und geht lustvoll an die Schmerzgrenze fieser Beleidigungen und übler Nachrede. Als Erzähler dagegen schafft er es immer wieder, uns mit nachdenklichen Skizzen, zärtlichen Tönen und poetischen Porträts zu überraschen. Vor allem dann, wenn er sich dem unverarbeiteten Trauma seiner eigenen Familiengeschichte widmet und in einem Geflecht aus Fakten und Fiktionen in die dunklen Geheimnisse seiner weit verzweigten jüdischen Herkunft vorwagt.

Das Schweigen durchbrechen

Sein neuer Roman, „Sechs Koffer“, ist ein geglückter Fall verzweifelter literarischer Erinnerungsarbeit und humorvoller Rekonstruktion dessen, worüber man in der Familie Biller lieber schweigt: Denn bis heute ist ungeklärt, wer 1960 den Großvater in der Sowjetunion als Devisenschmuggler denunziert hat und dafür verantwortlich ist, dass der „Tate“ hingerichtet wurde.

Lange Zeit war Onkel Dima als Verräter ausgemacht, hatte er doch fünf Jahre in der damaligen Tschechoslowakei im Knast gesessen und, um seine eigene Haut zu retten, bestimmt einige (kleinkriminelle) Familiengeheimnisse preisgegeben. Doch seit der Autor als Fünfzehnjähriger den nach Zürich geflohenen Onkel besucht und bei ihm einige Geheimdienstunterlagen gefunden hat, weiß er, dass Dima als Verräter nicht taugt.

Politische Abgründe des 20. Jahrhunderts

Mit feinem Gespür für hinterhältige Pointen und überraschende Wendungen erzählt Biller aus verschiedenen Perspektiven, wie sich die politischen Abgründe des 20. Jahrhunderts auf die jüdische Familie auswirken. Wie die Billers von Moskau nach Prag und von dort aus nach Hamburg fliehen. Wir lernen Billers Vater kennen, der aus dem Russischen übersetzt und nicht mehr mit seinen Brüdern sprechen mag. Und wir begegnen Tante Natalia Gelernter, die einst als Regisseurin eine große Hoffnung des tschechischen Kinos war und dann am Antisemitismus der Kulturbonzen scheiterte: Ihr Film „Hanka Zweigová“ über eine Jüdin, die den Holocaust überlebt und danach nur noch Spaß haben und mit Männern schlafen will, die an Krieg und Katastrophe keinen Gedanken verschwenden, gilt als eine ebenso gelungene wie gewagte künstlerische und politische Provokation.

Zum Finale der literarischen Öffnung von sechs mit Geschichten vollgestopften Koffern erzählt Biller von seiner Schwester Jelena. Auch sie hat gerade einen autobiografisch grundierten Roman über die Familien-Geheimnisse geschrieben. Sie lebt jetzt in London und kommt auf Einladung des NDR nach Hamburg, um über ihr Buch zu sprechen. Während sie mit dem Taxi vom Flughafen zum Sender fährt, erinnert sie sich an all die verschwiegenen familiären Abgründe, die ihr Leben belasten, sie überlegt, ob sie die Tür zur dunklen Kammer aus Verdrängung und Verrat vor dem Mikrofon wirklich öffnen soll. Hatte ihr Bruder nicht einmal in einer Talk-Show auf die Frage, warum er so viel und so unnachgiebig über seine Familie schreibt, gesagt: „Weil ich keine Geheimnisse mag“?

Maxim Biller: „Sechs Koffer“. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln. 200 Seiten, 19 Euro.




Ein kurzer Brief an die lit.RUHR 2018 oder: „Über die allmähliche Abfertigung der Gedanken bei Grußworten“

Aus der beliebten Reihe „Visualisierung comme il faut": Es ist schon ein Kreuz mit der Sprache... (Foto: Bernd Berke)

Aus der beliebten Reihe „Visualisierung comme il faut“: Es ist manchmal schon ein KREUZ mit der Sprache… (Foto: Bernd Berke)

Liebe lit.RUHR,

ich lese gerade Dein brandneues Programmheft – und staune zunächst einmal, was alles für eine halbe Million Euro Sponsorenzuspruch plus Eintrittsgelder inhaltlich n-i-c-h-t geht.

Dabei, liebes „Team der lit.RUHR“, fiel es mir bereits bei Deinem Grußwort schwer, überhaupt weiterzulesen. Nicht allein das übliche Marketinggesums, all die Klischees, die Ranschmeiße ans Publikum und der schleimige Dank an die Sponsoren missfallen. Leider scheint im Umfeld Eures Literaturfestivals auch allerhand Sprachvermögen abhandengekommen zu sein.

Ihr schreibt da z.B.: „… eine Ära geht zu Ende, der Pulsschlag einer Region verstummt“. Bleischwerer und letaler geht’s nicht? „Puls“ kommt aus dem Lateinischen („pulsus“) und heißt eigentlich schon „Stoß“ oder „Schlag“, deshalb reichte es völlig aus zu sagen, dass der Puls einer Region ruhiger wird. Im Revier pulsiert’s ja weiter oder willst Du, liebes Team der lit.RUHR, uns alle hier nach dem Ende des Bergbaus für tot erklären? Nekropole Ruhr? Ja, dahin können Phrasen führen.

Vielen Dank also, dass Ihr Kölner Festivalmacher auch „Abende mit Platz für Tränen, winkende Taschentücher“ versprecht. Aber wie winken Taschentücher – und mit wem? Eher wird doch wohl mit Taschentüchern selbst gewinkt, oder?

Und der letzte Absatz, au Backe! Mit der dreimaligen Wiederholung von „wollen“ bringt der Bandwurm-Satz nun wirklich Grollen ins Gedärm. Außerdem muss es selbstverständlich „des Räubers Hotzenplotz“ heißen und nicht „des Räuber Hotzenplotz“.

Ist denn in der halben Mio. Förderasche kein Sümmchen für Sprachberatung drin? Ne? Echt? Okay, ich leg´ `nen Zehner drauf.




Gewagter Dreiklang: Das Rotterdam Philharmonic Orchestra und Yannick Nézet-Séguin eröffnen die Konzertsaison in Essen

Yannick Nézet-Séguin (l.) und der Pianist Yefim Bronfman. (Foto: Sven Lorenz)

Bemerkenswert früh startet die Philharmonie Essen in die aktuelle Konzertsaison. Noch zeigt das Kalenderblatt nicht September, noch weilt ein Großteil der Mitarbeiter in den Spielzeitferien, da öffnet das Haus bereits seine Pforten, um mit dem Rotterdam Philharmonic Orchestra einen Klangkörper von internationaler Klasse zu präsentieren.

Der Herbst wird weitere illustre Gäste aus dem Ausland bringen: das Mariinsky Orchestra und die St. Petersburger Philharmoniker, das Orchestre des Champs-Elysées, das Mahler Chamber Orchestra, das City of Birmingham Symphony Orchestra und die Londoner Philharmoniker.

Im Jahr des 100. Geburtstags haben die eingangs erwähnten Musiker aus Rotterdam Grund zu feiern. Andererseits gilt es, Abschied zu nehmen. Das Essener Konzert ist eines der letzten unter Chefdirigent Yannick Nézet-Séguin, der das Orchester nach nunmehr zehn Jahren verlässt, um zur New Yorker Met zu wechseln. Sein Nachfolger, der 29-jährige Lahav Shani aus Tel Aviv, wird der bislang jüngste Leiter in der Geschichte des Orchesters.

Yannick Nézet-Séguin dirigiert das Rotterdam Philharmonic Orchestra. (Foto: Sven Lorenz)

Wie ein gewagter Dreiklang scheint die Essener Programmfolge auf den ersten Blick. Haydn, Liszt und Tschaikowsky – kann das denn gut gehen? Muss Joseph Haydns 49. Sinfonie (mit dem Beinamen „La Passione“) nicht erdrückt werden von orchestralen Schlachtrössern wie dem 2. Klavierkonzert von Franz Liszt und der 4. Sinfonie von Pjotr Tschaikowsky? Droht sie nicht zur bloßen Aufwärmübung zu verkommen, zum kleinen klassischen Pflichtstück vor der großen romantischen Kür?

Gründlich und mühelos beweisen die Gäste aus Rotterdam das Gegenteil. Mit höchster Sorgfalt wird hier musiziert, mit geistsprühender Vehemenz und so feiner Phrasierung, dass Haydns Musik unterhaltsamste rhetorische Qualitäten entfaltet. Der fahle, nahezu ohne Vibrato gestaltete Kopfsatz zeugt von der Kenntnis historischer Aufführungspraxis. Seufzermotive klingen edel, Tonrepetitionen bestechend präzise, das Menuett federnd elegant. Es ist ein Auftakt nach Maß: Mit dieser Haydn-Sinfonie präsentiert sich das Orchester in hervorragender Verfassung und glänzender Spiellaune.

Der Pianist Yefim Bronfman, 1958 in Tashkent geboren, ist heute US-Amerikaner. (Foto: Sven Lorenz)

Aus dem 2. Klavierkonzert von Franz Liszt tönt uns erfrischend wenig Theaterdonner entgegen. Dank Yannick Nézet-Séguin und der Kunst des vorzüglichen Pianisten Yefim Bronfman ist Franz Liszt endlich einmal in kompetenten Händen: Wir hören Opulenz statt Schwulst, Verfeinerung statt Kitsch, Triumphales statt Triviales. Wohl gönnt Bronfman uns donnernde Oktaven, dämonisch grollende Bässe und lichtes Geklingel im Diskant. Aber diese Effekte sind eingebunden in eine sinnstiftende Interpretation, die den oft unterschätzten Komponisten als ebenbürtigen Zeitgenossen von Richard Wagner zeigt. So grüßt aus manch zackig punktiertem Rhythmus, aus mancher schimmernd gebrochenen Akkordfolge die Walküre herüber.

Tschaikowskys 4. Sinfonie klingt unter der Leitung des Frankokanadiers eher französisch-elegant als russisch-rau. Machtvolle Fanfaren im Blech, glutvolle Melodik in den Streichern, fein schwebende Holzbläser-Soli zeigen noch einmal das bestechende Können des Orchesters, das Tschaikowskys Sinfonie frei strömen lässt, statt sie blockhaft darzubieten. Freilich klingt uns auch manch extremes Pianissimo, mancher Knalleffekt im Forte entgegen, während die Höhepunkte zwar sehr klangvoll gestaltet sind, jedoch ohne alarmierende oder bestürzende Dramatik. Aber im Allegro con fuoco gibt der sportlich agierende Nézet-Séguin noch einmal ordentlich Gas – und reißt das Publikum damit prompt von den Sitzen.

(Informationen zum Spielplan: https://www.theater-essen.de/philharmonie/spielplan/)




Soziale Miniaturen (20): Der Junge mit der Goldfolie

Die betreffende Bucht am besagten Tage, etwa zur Zeit des beschriebenen Vorfalls. (Foto: BB)

Die betreffende Bucht am besagten Tage, etwa zur Zeit des beschriebenen Vorfalls. (Foto: BB)

Allenthalben liest man von den stets überbesorgten Helikopter-Mamis, die immerzu um ihre ach so bedrohten Kinder herumschwirren und sie vor jedem Kratzerchen bewahren wollen.

Früher nannte man sie Glucken, eine männliche Variante kam damals kaum vor. Das hat sich geändert. Heute verortet man solche Eltern beiderlei Geschlechts bevorzugt in der Bionade-Bohème. Oder nennt man diese Mittelschichtler in ihren SUVs schon wieder anders?

Kürzlich kreuzte eine ganz anders aufgelegte Mutter auf. Das heißt: Zunächst begab sich durchaus Dramatisches. Ein kleiner, etwa siebenjähriger Junge war trotz Warnungen zu weit hinausgeschwommen und musste per Boot von DLRG-Kräften aus der Ostsee gerettet werden. Vor lauter nachwirkender Wasserkälte klapperte er noch an Land gottserbärmlich mit den Zähnen, obgleich sie ihm eine notdürftig wärmende Rettungsdecke aus Goldfolie umgelegt hatten. Wohl alle, die es sahen, hatten Mitleid mit ihm.

Nur eine offenbar nicht: seine Mutter. Emotionslos, ja geradezu „cool“ nahm sie ihren Sohn in Empfang, fast wie eine Versandlieferung. Weder schimpfte sie mit ihm (was vielleicht falsch, aber verständlich gewesen wäre), noch suchte sie ihn zu trösten. Auch zeigte sie so gar keine Erleichterung. Andere hätten eine Nervenkrise erlitten, ihr schien es beinahe egal zu sein.

Sogleich streifte sie die Goldfolie von ihm ab; ganz so, als sei der Schutz überflüssig und als stelle sich der Junior nur unnötig an. Oben im Hotelzimmer werde es ihm schon wieder warm werden, beschied sie. Knapper als sie kann man sich bei den Rettern (s)eines Kindes nicht bedanken. Sie schubste freilich noch den Jungen vor und nötigte den Zitternden zur Danksagung.

Sie schien kälter als das Wasser zu sein, aus dem man den Jungen gezogen hatte. War sie nicht wie eine jener Stiefmütter aus den alten Märchen? Früher sprach man in derlei Fällen von Rabenmüttern.

Nun sagt: Hätte man sich einmischen und sie zurechtweisen sollen? Ach, das wäre sinnlos gewesen und hätte nur weiteren Verdruss gegeben. Aber einfach so geschehen lassen…?

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Bisher in der losen Textreihe „Soziale Miniaturen” erschienen und durch die Volltext-Suchfunktion auffindbar:

An der Kasse (1), Kontoauszug (2), Profis (3), Sandburg (4), Eheliche Lektionen (5), Im Herrenhaus (6), Herrenrunde (7), Geschlossene Abteilung (8), Pornosammler (9), Am Friedhofstor (10), Einkaufserlebnis (11), Gewaltsamer Augenblick (12), Ein Nachruf im bleibenden Zorn (13), Klassentreffen (14), Zuckfuß (15), Peinlicher Moment (16), Ich Vater. Hier. Jacke an! (17), Herrscher im Supermarkt (18), Schimpf und Schande in der Republik (19)

 




Mitten im syrischen Krieg läuft eine Fabrik wie geschmiert – Dokumentarstück „The Factory“ bei der Ruhrtriennale

Ein Stück auf Arabisch über den Krieg in Syrien – wäre man da nicht verloren und hilflos angesichts des Schreckens, den es buchstäblich schwer fällt zu begreifen? Aber wenn sich das Theater dieses Themas annimmt, sollte man als Zuschauer nicht zumindest den Mut haben zuzusehen? In Koproduktion mit der Volksbühne Berlin zeigte die Ruhrtriennale jetzt „The Factory“ von Mohammad al Attar in der Regie von Omar Abusaada auf PACT Zollverein in Essen.

Fotos: © Ant Palmer/Ruhrtriennale 2018

Brutale Kriegshandlungen gibt’s auf der Bühne zum Glück nicht so viele zu sehen, auch ist die Aufführung deutsch und englisch übertitelt, so dass man den drei Schauspielern und einer Schauspielerin gut folgen kann.

Dennoch tun sich Abgründe auf, und zwar durch den Einblick in das Machtgefüge des kriegsgebeutelten Landes, in das die politischen und wirtschaftlichen Akteure schuldhaft verstrickt sind.

„The Factory“ gehört zum Genre des Dokumentartheaters: Durch eine E-Mail eines ehemaligen Arbeiters (Mustafa Kur) beginnt die französische Journalistin Maryam (Lina Murad) die Geschichte der syrischen Dependance des Französischen Zementwerks Lafarge zu recherchieren. Erstaunlicherweise lief die Produktion im umkämpften Gebiet im Norden Syriens jahrelang nahezu ungestört weiter – selbst als der IS die Region einnahm. In Form von Interviews mit verschiedenen Akteuren deckt Maryam nach und nach auf, dass sich die Interessen des französischen Konzerns mit denen der verschiedenen Kriegsparteien vor Ort durchaus überschneiden können: Jeder von ihnen fand ein Zementwerk wohl recht nützlich, da ließe sich beim Wiederaufbau des Landes bestimmt eine Menge Geld verdienen; egal, wer hinterher regiert.

Fotos: © Ant Palmer/Ruhrtriennale 2018

Das Schicksal der Arbeiter schien dabei aber zweitrangig: Während diese noch in den schlimmsten Kämpfen in die Fabrik gezwungen werden und unter Kidnapping zu leiden haben, sitzen die Bosse im Exil und ziehen die Fäden. Doch auch ihren Argumenten geht man leicht auf den Leim: Da ist zum Beispiel der syrische Tycoon Firas (Ramzi Choukair), Sohn eines Generals, der dem Assad-Clan nahesteht. Schließlich hätten ja auch die Arbeiter ein Interesse daran gehabt, das Werk weiter zu betreiben. Immerhin lebten sie davon. Und warum eine gut funktionierende Fabrik zerstören? Hieße das nicht, total zu resignieren und jede Hoffnung aufzugeben?

Auch der syrisch-kanadische Manager (Saad Al Ghefari) beteuert, nur aus edlen Motiven gehandelt zu haben – er regelte das mit den Bestechungsgeldern, wobei die Empfänger vom IS bis zu verschiedenen Kurdenparteien reichten. In der Außenansicht ist man schließlich gar nicht so sehr verwundert oder vielleicht an solche Geschäftspraktiken zu sehr gewöhnt. Denn gab es das nicht schon immer, auch von deutscher Seite: Paktieren mit zweifelhaften Machthabern im wirtschaftlichen Interesse? Bei gleichzeitiger moralischer Überlegenheit auf dem Gebiet der demokratischen Kultur? Vielleicht tragen deswegen die Schauspieler am Ende Masken, ein wenig, als hätte man ihre Gesichter einzementiert. Auf der dunklen Bühne leuchten nunmehr die kleinen Lämpchen an ihren Schutzhelmen und schaffen eine Verbindung zur Bergarbeiterkultur des Spielortes.

Letztlich schafft es der Artikel der Journalistin Maryam, wenigstens in Frankreich eine Untersuchung zu dem Fall einzuleiten. Doch der Krieg geht trotzdem weiter.

www.ruhrtriennale.de




Trotzige Betonburgen, verspielte Swimmingpools – Architekten schauen respektvoll auf die Baukunst der jungen Republik

Das ehemalige Schuman-Kolleg an der Dortmunder Sckellstraße zeigt nach Jahren des Leerstands Zeichen von Verwahrlosung. Doch immerhin ist es jetzt ein Baudenkmal (Foto: Bund Deutscher Architekten BDA)

Büsche und Bäume stehen in üppiger Pracht. Der Baukörper hingegen, den das Grün geradezu verbirgt und den in unterschiedlichen Stadien der Ausgeblichenheit die Farbe Blau prägt, schwächelt. Man sieht ihm an, dass er seit einigen Jahren ohne Funktion ist, auch wenn die Fensterscheiben noch heil sind.

Kunst im Kolleg

Schiefe Schilder mit Hinweisen auf Lehrer- und Schülerparkplätze rühren an in ihrer Sinnlosigkeit. Das Robert-Schuman-Kolleg gibt es hier nicht mehr, es ist vor Jahren schon umgezogen in einen Neubau neben dem Dortmunder Kulturzentrum „U“. Doch die Agonie des Baukomplexes aus den 60er Jahren, den „Dornröschenschlaf“ zu nennen einem widerstebt, soll bald ihr Ende haben. Denkmalschutz wird dem Kolleg zuteil, zum architektonischen Sahnehäubchen einer neuen Wohnbebauung soll es geadelt werden. Bevor es aber so weit ist, gibt es hier Kunst zu sehen, die selbstverständlich mit Bauen und Bauten zu tun hat. Und die in größeren Zusammenhängen begriffen sein will. Das ehemalige Robert-Schuman-Kolleg gehört nämlich zu den „Big Beautiful Buildings“ (BBB), denen sich der Bund deutscher Architekten (BDA) jetzt mit ganz besonderer Aufmerksamkeit zuwendet – den „großen schönen Gebäuden“.

Von links: die Künstler EVOL und Alekos Hofstetter aus Berlin sowie der Dortmunder Architekt und Schwimmbadbuchautor Richard Schmalöer. Die „Plattenbauten“ sind eigentlich Blechspinde, die täuschend echt bemalt wurden. (Foto: rp)

Schönheit?

Schön? An großen Gebäuden herrscht im Revier kein Mangel. Aber nicht jeder wird, beispielsweise, die Marler Innenstadt („Marler Stern“) schön finden. Oder das Rathaus dort. Oder die Ruhr-Universität in Bochum. Oder vielleicht sogar, wenngleich es weitaus weniger betonhaltig anmutet, das alte Schuman-Kolleg. Kommt die Rede auf Gebäude wie diese, so ist schnell von Bausünden die Rede, von einer Betonwüste, von entmenschlichter Architektur, vom Verlust der Maßstäblichkeit und so fort. Doch Schönheit liegt ja im Auge des Betrachters. Und so gibt es heutzutage ebenfalls etliche Menschen, Fachleute zumal, die die großen, funktionalen Gebäude aus der Zeit des wirtschaftlichen Aufbruchs nach dem Krieg, grob also aus den 1950er bis 1970er Jahren, mögen, die sie erhalten wollen.

Big Beautiful Buildings

Sie preisen, je nachdem, den „Brutalismus“ von Bauten, die trotzig das Material herzeigen aus dem sie gemacht wurden, loben die Helligkeit von Schulräumen, deren Konstruktion unter reicher Verwendung von Einfachglas und Aluminiumprofilen Aspekte der Wärmedämmung noch gänzlich vernachlässigte, verneigen sich gar vor dem brachialen Gestaltungswillen mancher Altvorderer, die sich um Harmonie und Milieubezug wenig scherten. Auf einer umfangreichen Internetseite hat der Bund der Architekten eine Vielzahl solcher „Big Beautiful Buildings“ im Ruhrgebiet aufgelistet. Sie können besichtigt werden, und die meisten kennt man schon. Außerdem findet in den nächsten Wochen eine Reihe von Veranstaltungen statt, Vorträge, Filmvorführungen, Kunstausstellungen.

Ein Porzellanfisch von Peter Lechner ziert die Wand hinter einem privaten Swimmingpool. Auch er kann besichtigt werden – im Keller eines Einfamilienhauses in der Sckellstraße, gegenüber vom Schuman-Kolleg. (Foto: rp)

Kunst und Künstler

Zurück in das Dortmunder Schuman-Kolleg und zur kongenialen Architekturkunst. Aleko Hofstetter, um mit ihm zu beginnen, hat Bilder gemalt, die Details von Dortmunder „großen schönen Bauten“ verarbeiten, beispielsweise Innen- und Außenansichten des „Centrums für Medizin & Gesndheit (DOC)“, das früher einmal Commerzbank und West-LB war, oder des alten Volkswohlbund-Hauses aus den 80er Jahren, das mittlerweile schon wieder gesprengt und abgerissen wurde. In seinen Bildern kombiniert er diese wiedererkennbaren Details mit Texturen und Raumandeutungen, erschafft phantastische Landschaften, irritiert sein Publikum mit formalen Umdeutungen und Verunsicherungen. Das Gros der Arbeiten entstand in diesem Jahr, in einer Mischtechnik, die auch den Filzstift nicht verachtet.

Arbeiterschließfächer

Von EVOL kommen die Plattenbauten. Ebenso wie Hofstetter stammt er aus Berlin, heißt eigentlich Tobe Ringfeld und besorgte sich die rostigen alten Blechspinde aus Italien. Mit einer aufwendigen Schablonen-Drucktechnik hat er ihnen die Optik täuschend echter Plattenbauten verliehen. Weder Sattelitenschüsseln noch Graffiti fehlen. Ganz unübersehbar fungieren Spind wie Platte als „Arbeiterschließfächer“, sehr sinnhaft und eindrucksvoll. Eigentlich, erzählt EVOL, sei er Sprayer, und eine Zeit lang habe er bevorzugt Schaltkästen im öffentlichen Raum mit seinen Bildern versehen. Schaltkästen aber sind meistens aus Stein und für den Transport ins Museum ungeeignet, daher lieber Blechspinde. Der Berliner Stasi-Stadtteil Lichtenberg diente als eine Art städtebaulicher Vorlage. „Doppelplusmodern“ wurde diese kleine,aber gut passende Ausstellung getauft, die der BDA, Gruppe Dortmund Hamm Unna, ausrichtet.

Hallenbäder im Wirtschaftswunder

Und dann sind da noch die Swimmingpools. Immer wieder hat Richard Schmalöer mit ihnen zu tun, wenn er als Architekt alte Häuser renoviert. In der Zeit des Wirtschaftswunders, relativ kurze Zeit nach dem Krieg, bestellten sich viele Bauherren Bäder für ihre Keller, oft aufwendig dekoriert von Künstlerhand, es war ein regelrechter Boom. Schmalöer ließ fotografieren und begab sich ans Schreiben – „Schwimmen im Geld – private Hallenbäder des deutschen Wirtschaftswunders“ lautet der Titel des Buches, das so entstand.

Alles wie neu

Ein Bad kann sogar besichtigt werden. Es befindet sich im Keller unter dem Flachbungalow gegenüber vom Robert-Schuman-Kolleg, wo Schmalöer aufwuchs und wo heute eine Senioren-WG residiert. Die lustigen Fische, die vor einem Wellenrelief geradezu zu schweben scheinen, stammen von dem Künstler Peter Lechner. Vor einigen Jahren hat er die Wand restauriert, denn etliche Porzellanfische, erzählt Schmalöer, waren zu Bruch gegangen, wenn er und sein Bruder sich im Pool heftige Wasserballduelle lieferten. Jetzt ist wieder alles wie neu.

Und dann kam die Ölkrise

Bilder weiterer Bäder hängen an den Wänden, so dass auch von einem Ausstellungsprojekt gesprochen werden kann. Abgesehen davon haben die Bäder mit den „Big Beautiful Buildings“ eigentlich nichts zu tun – außer vielleicht, dass sie in etwa zur gleichen Zeit entstanden.

Man sieht: Privat hatten es die Besserverdiener der ersten Nachkriegsjahrzehnte doch lieber überschaubar, kuschelig, intim. Genehm war zudem die Bar gleich nebenan – manches Mal in einer Ausdehnung, die nach mehrköpfigem Personal verlangte. Die „Ölkrise“ in den 70er Jahren war für die großen Häuser wie für die kleinen Bäder eine Zäsur. Teure Energie machte sie alle unwirtschaftlich.

  • Ausstellungen:
  • „Doppelplusmodern“ im Robert-Schuman-Kolleg, Dortmund, Sckellstraße 5-7
  • Hallenbad, Dortmund, Sckellstraße 12
  • Bis 21. September. Geöffnet freitags, samstags, sonntags 14 – 18 Uhr
  • „Big Beautiful Buildings“ (BBB) im Internet: www.bigbeautifulbuildings.de



Was soll uns der Saurier? Christoph Marthaler wagt sich bei der Ruhrtriennale an das Universum von Charles Ives

Berührende Momente und Rätselhaftes: Plötzlich schwebt ein Dino ein. Foto: Walter Mair/Ruhrtriennale

Berührende Momente und Rätselhaftes: Plötzlich schwebt ein Dino ein. Foto: Walter Mair/Ruhrtriennale

Am Beginn steht die Erschaffung der Welt. Es klingt ein Klopfen, Zischeln und Hämmern im vielfach geteilten, polyrhythmisch arbeitenden Schlagzeug, als befänden wir uns in einem Maschinenraum. Das an- und abschwellende Werkeln stammt aus Charles Ives’ unvollendeter „Universe Symphony“, die nicht weniger als die Schöpfungsgeschichte, des Menschen Erdendasein und sein Streben nach Erlösung und Erleuchtung umfasst.

Für Christoph Marthaler, den Regisseur der Langsamkeit und Verstörung, sowie für die Ausstatterin Anna Viebrock, die Schöpferin muffiger, verblichener, seelische Leere spiegelnder Interieurs, war Ives’ monumentaler Ansatz reichlich Inspiration, das musikalische Fragment zu einem Gesamtkunstwerk auszuweiten. Entstanden ist eine in ihrer riesenhaften Dimension teils faszinierende, verrätselte, teils langatmige, dramaturgisch äußerst gespreizte Triennale-„Kreation“.

Marthalers Personal rennt und tänzelt, schreit oder schaut stumm. Foto: Walter Mair/Ruhrtriennale

Sie ist in Bochums Jahrhunderthalle zu erleben, gewissermaßen in einem Maschinenraum vergangener Zeiten. Dort kommt das perkussive Tüfteln langsam zum Ende, aus der Ferne zeichnet ein Orchester feine Ornamente, bis plötzlich eine lärmende Marschkappelle alle Kontemplation ruppig zerstört. Und das elfköpfige Marthaler-Personal, das von einem Zollbeamten nach und nach in die Arena eingelassen wird, quittiert die Klangüberwältigung mit einem säuerlichen „Naja“.

Marthalers Menschen, die diese Welt bevölkern, die musikalisch angereichert ist mit Ives’ Kosmos aus Märschen, Songs, Hymnen und geschichteten polytonalen Orchestereruptionen, wirken wie verlorene Gestalten. Die Utopie des amerikanischen Komponisten von einer seligmachenden Transzendenz wird hier zur Dystopie, in der die Erdenbewohner rennen und kriechen, schreien und flüstern, sich balgen.

Dieses Bewegungsvokabular ist hinreichend bekannt, auch die Langsamkeit und Wiederholungszwänge oder die teils rührenden Versuche, etwas Schönes zu bewerkstelligen. Wenn sich etwa Tanzpaare zu trostvollen Streichquartettklängen finden, aber außer Verrenkungen und Erstarrung nichts zustande bringen.

Einzug der Marsch-Kapelle. Foto: Walter Mair/Ruhrtriennale

Allenthalben Verstörung, aber auch Faszination: Erstmals wird die Jahrhunderthalle in ihrer vollen Länge und gehörigen Tiefe genutzt und scheint so geradezu prädestiniert für Ives’ (teils verborgene) Klanginseln. Die Akustik jedenfalls wirkt ausgezeichnet, entfaltet sehr präsent die Schichtungen der Musik oder wunderbar knallig die Wucht der Märsche.

Schwieriger wird’s bei der Ausstattung. Die Halle selbst, mit ihren wuchtigen Verstrebungen und der industriellen Patina, ist ja Bühne genug. Da erscheinen Anna Viebrocks riesenlange Festtafel, die ollen Kirchenbänke oder eine kitschverdächtige Brücke doch arg verloren. Besser wirken die Kostüme des Ensembles (auch von Viebrock), irgendwie auf amerikanisch getrimmt, teils wie aus dem Second-Hand-Laden, garantiert völlig unmodern.

Christoph Marthaler, Regisseur der Langsamkeit und der Verstörung. Foto: Edi Szekely

Hier das Offensichtliche, dort manches Rätsel. Was soll uns bloß der Dinosaurier mitten im Spiel? Oder der Mann mit der Tuba, der immer zu spät kommt und nicht mal weiß, zu welchem Orchester er gehört? Dazu viel Gebrabbel und manche Agitation. Das angestrebte Gesamtkunstwerk entpuppt sich als Pasticcio, zerfällt in zähe Inseln.

Am Ende sanfte Streicherharmonie, ein fragendes Fünftonmotiv der Trompete und schnatternde Antwortversuche einiger Holzbläser. Zu Ives’ „The Unanswered Question“ legt Marthalers Personal, das sich zuvor die Seele aus dem Leib gespielt hat, den Kopf auf die Schulter und blickt – ins Nichts.

Der Applaus für die famosen Bochumer Symphoniker unter Titus Engel, für die trefflichen Schlagwerkformationen aus NRW-Musikhochschulen, für Mimen und das Regieteam ist herzlich. Enthusiasmus aber hört sich anders an.

https://www.ruhrtriennale.de

(Der Artikel ist in ähnlicher Form zuerst in der WAZ erschienen).

 

 




Kleines Genrebild vom Bauernhof

„Ich wollt', ich wär' ein Huhn..." (Foto: Bernd Berke)

„Ich wollt‘, ich wär‘ ein Huhn…“ (Foto: Bernd Berke)

Gar nicht so furchtbar weit von heimischen Gefilden entfernt, doch in einer anderen Welt gelegen: Zwei Wochen Urlaub auf einem Bauernhof in Ostsee-Nähe zeigen einem sehr sinnfällig, wie man sich von naturnahen Vorgängen entfremdet hat. Nicht einmal Kindern mag alles gleich gefallen.

Aufstehen! Ungefähr um 4:30 Uhr krähen lauthals drei bis vier Hähne. Schweine, Kaninchen, Esel, Enten, Rinder, Pferde und Ziegen haben jeweils ihren Platz und tragen im Laufe des langen Tages das Ihre zum allgemeinen Geräusch- und Geruchs-Aufkommen bei. Wie anders und keimfrei liest man’s meistens in den zahllosen Landleben-Magazinen.

Es gibt hier noch etliche Tiere mehr. Wie aufgeregt Hühner rennen können! Wie durchdringend Gänse kreischen können! Wie schnell und kraftvoll ein Esel zu galoppieren vermag! Auch fünf Katzen und fünf Hunde treiben mittenmang ihr Wesen. Die niedlichste, zutraulichste Katze kann auch völlig anders. Sie springt einem Vorstehhund schon mal beherzt auf den Rücken, als wollte sie ihn zureiten. Allzeit kratzbereit.

Und die Menschen? Zwei Helfer sind einander offenbar spinnefeind. „Lass mich in Ruhe, ich muss arbeiten“, raunzt die knorrige P. den öfter mal tagelang sturzbetrunkenen J. an, der in einem Wohnwagen auf dem weitläufigen Hofgelände lebt. Ein Duo, das jedes rustikal polternde Bauerntheater weit hinter sich lässt. Sie erinnern eher schon an den frühen Kroetz – oder gar an Beckett.

Dem Trunkenbold zur Mahnung: Gestern ist einer, der nahebei unter ähnlichen Bedingungen in einem Wohnwagen hauste, am exzessiven Suff gestorben. Ein Stoff wie aus einer Moritat. Die Bauersleute wollen es ihrem derzeit wenig hilfreichen Helfer eindringlich erzählen, auf dass er sich besinne. Auch so ein Narrativ. Zusatzfrage: Darf man jemanden heute noch „Knecht“ bzw. „Magd“ nennen oder ist das im politisch korrekten Sinne verpönt?

Die etwaige Anschaffung eines neuen Traktors ist ein weiteres Thema des Monats. Was bringt das alte Modell noch, was darf das neue kosten? Überhaupt wird notgedrungen hart kalkuliert. Wo gibt es günstige Gelegenheiten? Wo kann man diese oder jene Unterstützung bekommen, wie erhält man spezielle Subventionen? Welche Zimmer kann man vermieten? Wie lange muss das Hofcafé geöffnet bleiben? Auf welchen Märkten muss man präsent sein? Die partielle Missernte dieses Dürresommers verschärft die eh schon angespannte Situation noch. Der Laptop, gefüttert mit allen wichtigen Eckdaten, läuft quasi permanent heiß.

Woher kam eigentlich nochmal das Wort Kultur? Hat es denn nichts mit Kultivieren, also letztlich mit Ackerbau (aka Agrikultur) zu tun?




Saure Gurken in Peking

...und es war Sommer. (Foto: BB)

…und es war Sommer. (Foto: BB)

Die offizielle und offiziöse Kultur machen mal wieder Pause – bis auf jene allsommerlich wiederkehrenden Festivals und Events, die entweder sündhaft teuer sind oder aber bevorzugt mit dem Etikett „umsonst und draußen“ locken, wie die Formel für meist lärmgeneigte Schnäppchenjäger lautet. Same procedure…

Gewiss, ersatzweise hätten wir in Serie über die schier endlose Hitze- und/oder Dürreperiode der letzten Wochen berichten können – mit allen ökologischen und apokalyptischen Weiterungen. Aber dazu hatten wir schlichtweg keine Lust. Auch fühlten wir uns gar nicht zuständig. Das sollen andere, möglichst kundige und nicht nur so oder so interessierte Leute übernehmen. Wir zählen derweil die sauren Gurken, die in Peking umfallen. Oder wir genießen einfach die Ruhe. Ahhhhh! Himmlisch.

Was war sonst noch? Die neuesten Volten von Donald T., die in all ihrer ständigen Unberechenbarkeit letztlich immer berechenbarer werden. Der jähe Absturz des Radsportidols Jan U. samt allen boulevardesken Beigaben. Der permanente Absturz des Tennisidols Boris Becker. Die medial willkommene Aufregung ums schöne deutsche Kindergeld und die Verteilung desselben. Seiten und Sendezeiten müssen halt gefüllt werden. Wie eh und je.

Und immer wieder Rassismus. Und immer wieder die fortwährenden Konflikte um alle Formen und Folgen der Migration. Auch auf diese Felder mag man sich schreibend nicht so gern begeben. Daraus resultieren ja doch nur Shitstorms, von welcher Seite auch immer.

Womit wir wieder beim Wetter wären. Angenehm heute, nicht wahr?

P.S.: Vorstehende Zeilen wurden überhaupt nur verfasst, um so genannten Content zu haben. Inhalt zweitrangig.




Neuproduktion ohne Ecken und Kanten: Neo Rauch und Rosa Loy tauchen „Lohengrin“ in Bayreuth in vieldeutiges Blau

Blau ist die bestimmende Farbe der Bühne von Neo Rauch und Rosa Loy. Foto: Enrico Nawrath

Blau ist die bestimmende Farbe der Bühne von Neo Rauch und Rosa Loy. Foto: Enrico Nawrath

Blau – die Farbe des Himmels, die Farbe Gottes und der Harmonie. Blau – eine kalte Farbe und nach Leonardo da Vinci die metaphysische Mischung des Sonnenlichts mit der Schwärze der Weltfinsternis. Blau – die Farbe der Nacht, der Ruhe, der romantischen Sehnsucht. Blau aber auch die Farbe, die niederländische Künstler für ihre Keramikkacheln verwendeten, die sich ab dem 16. Jahrhundert in ganz Europa verbreiteten.

Von diesem Delfter Blau hat Neo Rauch – so macht er selbst glauben – seine Inspiration für den neuen Bayreuther „Lohengrin“ empfangen. Diese Farbe bleibt so deutungsoffen wie die Bühne, die Rauch gemeinsam mit seiner Frau Rosa Loy für die diesjährige Premiere der Festspiele entwickelt hat. Ein traditioneller Rundhorizont mit schweren Wolken und durchbrechenden Lichtstrahlen, im Zentrum ein merkwürdiges Gebäude, eine Mischung aus Transformatorenhaus und Erinnerung an einen romanischen Architekturblock mit Rundbogenfries und Rosette, mit Isolatoren auf dem Dach und Leitungen zu einem angejahrten Strommast. Davor wimmelt die Menge des brabantischen Volkes in der Tracht, wie sie uns niederländische Maler auf ihren Genrebildern vertraut gemacht haben: Wämser, Häubchen, Schürzen, Schnürmieder. Es ist kein Land vor dem Hunnensturm, sondern das Land der Reformation, des Zeitalters der Glaubenszweifel.

Zwischen Whales‘ „Frankenstein“ und Böcklins „Toteninsel“

Zu dem anachronistischen Prozess, der da vor den König kommt, wird eine an zwei Seilen gefesselte Frau geführt. Elsa, in Blau, mit viel zu kleinen Flügelchen wie eine putzige Engelsfigur aus einer Kitschporzellansammlung, an einen Isolator gefesselt, erträumt ihren Retter. Lohengrin erscheint unter blitzenden Entladungen. Die Lichtbögen erinnern an James Whales „Frankenstein“-Film: Lohengrin als der „neue Prometheus“, der Lichtbringer für die Menschen? Seine graublaue Montur eröffnet breite Deutungsmöglichkeiten zwischen Luftschiffer, Elektriker oder dem einst die Sowjetunion „elektrifizierenden“ Lenin. Jubel vor dem Trafo und zwischen den Schatten hoher Zypressen, die wie aus Arnold Böcklins „Toteninsel“ drohen. Im Kampf verliert Telramund einen seiner Insektenflügel und kriecht nur noch am Boden: Motten lösen die Neuenfels’schen Ratten ab. Schon ein bekannter deutscher Satiriker wusste: Tiere auf der Bühne machen sich immer gut.

Lohengrin, zweiter Akt: Die Harmonie zwischen Lohengrin (Mitte: Piotr Beczala) und Elsa (rechts: Anja Harteros) scheint gefestigt, aber mit Ortrud (Hintergrund: Waltraud Meier) droht der Zweifel. Foto: Enrico Nawrath

Lohengrin, zweiter Akt: Die Harmonie zwischen Lohengrin (Mitte: Piotr Beczala) und Elsa (rechts: Anja Harteros) scheint gefestigt, aber mit Ortrud (Hintergrund: Waltraud Meier) droht der Zweifel. Foto: Enrico Nawrath

Neo Rauch behindert auch im zweiten und dritten Akt den Freiflug des assoziativen Bild-Symbol-Denkens nicht: Eine hohe Wolkenszenerie, auf den Tüllvorhang projiziert, versetzt die Szene zwischen Ortrud und Elsa in eine unwirkliche Landschaft. Die Figuren bewegen sich in einer dunklen Zone wie in einem Schilfgürtel, herausgeschält nur durch die Lichtspots Reinhard Traubs. Bleiben wir im Brabant der Reformation, sind Ortrud und Telramund durch ihre Kostüme als Vertreter einer älteren Ordnung gekennzeichnet: Er im gegen neue Waffen wirkungslos gewordenen Harnisch alter Rittersleut‘, sie im voluminösen Medici-Kragen und einem Rock, der an steife spanische Hofmode erinnert. Nun ja: Die beiden stehen für Radbods alten Fürstenstamm.

Schon im zweiten Akt tritt eine neue Farbe hinzu, die durch Rot ins Orange gebrochene Komplementärfarbe zu Blau: Gelb, die schwefelfarbige mittelalterliche Chiffre für den Außenseiter und das Böse. Der Turm, in dem Elsa und Lohengrin ihre Hochzeitsnacht feiern sollte, ist intensiv orange ausgeleuchtet; Elsa selbst schon – im Futter ihrer Robe – von blassem Orange infiziert. Die Farbe des Zweifels?

„Hervorstülpungen“ des Inneren

Wie eigentlich stets bei Neo Rauch, sind diese „Hervorstülpungen“ seines Inneren, entwickelt in sechs Jahren stetiger Umrahmung seiner Atelierarbeit durch Wagners Musik (so Rauch in einem Interview) ambivalent, auch nicht auf ein tradiertes Repertoire von Symbol-Bedeutungen oder Bild-Chiffren festzulegen. Aber, wie das sonst recht regietheaterverliebte deutsche Feuilleton in seltsamem Erstaunen mehrfach notiert hat: Sie sind einfach schön, und in ihrer geheimnisvollen Gegenständlichkeit reizvoll rätselhaft zu betrachten.

Sie kehrt nach 18 Jahren noch einmal auf den Hügel zurück, um ein letztes Mal Ortrud zu singen: Waltraud Meier (Mitte) mit Tomasz Konieczny als Telramund. Foto: Enrico Nawrath

Sie kehrt nach 18 Jahren noch einmal auf den Hügel zurück, um ein letztes Mal Ortrud zu singen: Waltraud Meier (Mitte) mit Tomasz Konieczny als Telramund. Foto: Enrico Nawrath

Nun ist Form ohne Inhalt, Schönheit ohne Begriff eine hohle und schnell ermüdende Angelegenheit. Der Erfolg der Leipziger Schule, soll er nicht bloß Schall und Rauch sein, sollte sich nicht auf puren Ästhetizismus, auf von ach so viel Abstraktion und Gedankenkunst ermüdete Augen stützen. Im Falle des Theaters sitzen wir nicht in einer riesigen Gemäldegalerie, sondern einem Raum, der durch Aktion, Darstellung und im Fall der Oper durch Musik mehrdimensional gedacht ist.

Bewegte Körper sind „willkommen“

Hier kommt nun die Inszenierung ins Spiel. Eigentlich, so Neo Rauch in einem Interview mit der „Zeit“, brauchen seiner Bilder die Bewegung des Körpers im Raum, die Kostüme und die Musik, gar nicht. Man könne auch aus der reinen Betrachtung des statischen Materials Genuss ziehen, bewegte Körper seien aber „willkommen“. Dafür zeichnet in Bayreuth Yuval Sharon verantwortlich, der in seiner Heimat, den USA, mit experimentellen Opern-Projekten auf sich aufmerksam gemacht hat und 2014 mit John Adams‘ problematischem Musiktheater „Doctor Atomic“ quasi aus dem Nichts heraus in Karlsruhe in der deutschen Regielandschaft eingeschlagen hat. Im Dezember 2016 hat Sharon eine „Walküre“ in Karlsruhe inszeniert und kurz darauf anstelle des von der offenen deutschen Flüchtlingspolitik vergrätzten lettischen Regisseurs Alvis Hermanis den Bayreuther „Lohengrin“ übernommen. Eine von Anfang an harmonische Zusammenarbeit, wie Rauch, Loy und Dirigent Christian Thielemann übereinstimmend bestätigen.

Trotzdem: Viel eingefallen ist Sharon zum Thema „Lohengrin“ in den eineinhalb Jahren nicht. Weder vertieft er die Figuren psychologisch, noch macht er deutlich, was an Wagners Konzept aktuell sein könnte. Die Ansätze sind da: Lohengrin als Prometheus, Lohengrin als präfaschistische Führerfigur ohne Geschichte und ohne politischen Rechtfertigungsdruck. Oder Lohengrin als „Berührung einer übersinnlichen Erscheinung mit der menschlichen Natur“, wie Wagner schrieb – die Oper also als Transzendenzproblem. Dergleichen ist höchstens in Ansätzen zu beobachten, wenn etwa, als Lohengrin zum „Gral“ zurückkehrt, die kraftvoll gemalten Lichtstrahlen von oben intensiv aufleuchten. Im Zusammenhang einer betulichen Personenregie, die in der Kirchenszene des zweiten Aktes wie aus einem früheren Reclam-Libretto wirkt, gewinnen solche Details kein Gewicht.

Christian Thielemanns intensive Steigerungskurven

Sowohl das Emanzipationsthema (Elsa, die starke Frau) als auch die Umwertung Ortruds, die den letztlich notwendigen Zweifel sät, sind schon szenisch überzeugender erzählt worden. Stattdessen wiegen sich die Köpfe der brav aufgestellten Chöre wacker hin und her, wenn im dritten Akt Elsa in knalligem Orange trotzig die Erklärung des Gralsritters entgegennehmen muss. Mag sein, dass die Reminiszenzen an alte Wolfgang-Wagner-Arrangements akustisch günstig sind. Genutzt haben sie wenig; der Chor Eberhard Friedrichs lag – „Steh ab vom Kampf!“ – mehr als einmal in ungewohntem Clinch mit der Präzision und erntete am Ende ein paar böse Buhs.

An Christian Thielemann konnte das nicht liegen: Der Festspiel-Musikdirektor dirigierte mit „Lohengrin“ die letzte der zehn Opern aus dem an sich unsinnigen Kanon der festspielwürdigen Wagner-Werke. Und da waren sie wieder, die Momente, in denen Thielemann den Streicherklang magisch samtig ausbreitet. Die Stellen, in denen Bläser und Streicher in luftig strahlender Transparenz ineinander verwoben zu schweben scheinen. Die intensiven Steigerungskurven im Finale des zweiten Aktes, die Thielemann ganz typisch mit einem kaum merklichen Rubato noch verstärkt. Aber da war auch der fehlende Biss im Vorspiel zum dritten Akt, das Fehlen einer belebenden rhythmischen Kantigkeit. Und im schimmernden Vorspiel wurden die Bläserstimmen keineswegs aus dem Nichts in das Flirren der geteilten Violinen hineingeboren, sondern setzten beinahe analytisch deutlich ein.

Gefeierte Waltraud Meier

Mit Piotr Beczała setzte Bayreuth endlich wieder einmal Lohengrin-Maßstäbe. Der polnische Tenor sang anstelle von Roberto Alagna, der vor ein paar Wochen plötzlich bemerkte, dass er keine Zeit zum Lernen der Rolle habe, mit viel Fortüne. Die italienische Fülle des Klangs stützte eine ausgezeichnete Artikulation, aber die nicht anstrengungsfreie Höhe zeigte auch, dass der „Lohengrin“ für Beczała eine Grenzpartie ist. Eine solche Grenze gilt auch für Anja Harteros als Elsa: So flexibel und innig ist „Einsam in trüben Tagen“ nicht eben häufig zu hören; in den dramatischen Momenten der Auseinandersetzung mit Ortrud hat die Stimme glanzvolles Volumen und entschiedene Attacke; im Duett des dritten Akts zeigt das zunehmend flackernde Vibrato, dass ihr die Ausdauer fehlt, die Phrasen konsequent durchzustützen.

Gefeiert wurde Waltraud Meier. Nach 18 Jahren kam die Sängerin, die in so vielen Partien Maßstäbe gesetzt hat, für ihre letzte Ortrud noch einmal nach Bayreuth zurück. Man spürt ihre Erfahrung in jeder stimmlichen Geste, aber auch in jedem Moment ihrer Bühnen-Aktion. Ihre Ortrud ist keine grelle Hexe, keine sich wild gebärende Furie, sondern eine lauernd-verhalten singende, überlegende und überlegene Regisseurin eines Masterplans, der ihr am Ende dann doch aus den Händen gleitet. Waltraud Meier kann durch Erfahrung gestalten, wo sich junge Stimmen mit Frische und Energie ihren Weg bahnen; ihre „Entweihten Götter“ strahlen immer noch eine gleißende Gefährlichkeit aus, die heute noch subtiler gefärbt wirkt als im Ungestüm früherer Jahre.

Nach der Ära des Regietheaters

Bei Georg Zeppenfeld gibt es das Problem, dass er stets so souverän gestaltet, so zuverlässig rund und makellos den Ton formt, dass die Gewöhnung das Außerordentliche einer solchen Leistung beinahe als selbstverständlich sehen will – was es keinesfalls ist, wie Tomasz Konieczny als Telramund mit teils forciert verfärbten Vokalen, teils gewaltsamer Tonbildung und Emission demonstriert. Egils Silins ergänzt die Solistenriege als zuverlässig standfester Heerrufer, den die Regie weitgehend unauffällig zur Nebenfigur verurteilt. Der Beifall war gewaltig, bei Konieczny und dem Chor mit einigen markigen Buhs durchsetzt. In die Inszenierungsgeschichte des „Lohengrin“ am Grünen Hügel könnte der Abend als musikalisch glücklich gelungenes Beispiel eines aneckungsfreien Nach-Regietheater-Ära eingehen.




„Kunst & Kohle“ in den Ruhrkunstmuseen: Das bequeme Konzept der kleinen Portionen

Die Ausstellungen zum Ende der Steinkohle-Ära („Kunst & Kohle“ sowie „Das Zeitalter der Kohle“) sind in den Revierpassagen Ende April und Anfang Mai ausführlich besprochen worden. Nun meldet Rolf Pfeiffer Kritik am Gesamtkonzept von „Kunst & Kohle“ an:

Da nun gottlob die letzte deutsche Steinkohlezeche ihre Förderung einstellen wird, mußte ein Kunstprojekt her, begleitend sozusagen. Es heißt „Kunst & Kohle“ und wird von zahlreichen Museen der Region veranstaltet, die gemeinsam unter der Bezeichnung „Ruhrkunstmuseen“ firmieren.

Hermann Kätelhön: "Hochofen", undatiert Radierung, 33,3 x 26,2 cm (Bild: Museum Folkwang, Essen)

Hermann Kätelhön: „Hochofen“, undatiert Radierung, 33,3 x 26,2 cm (Bild: Museum Folkwang, Essen)

„Kunst & Kohle“ wird sogar beworben, die Plakate dominieren harte Schwarz- und Weißtöne, was auch sonst. Ein großer Wurf ist dieses Ausstellungsprojekt aber dennoch nicht, eher ärgerlicher Ausdruck institutioneller Bequemlichkeit, der das Publikumsinteresse, das man ja sowieso nicht so genau kennt, egal ist.

Bechers und die Farbe Schwarz

Das Konzept von „Kunst & Kohle“ sieht vor, daß in jedem der 20 beteiligten Häuser zwischen Hamm und Oberhausen eine Sonderschau sich des Themas annimmt. Die Galerie unter Tage der Ruhruni Bochum etwa widmet sich der Farbe (bzw. „Nicht-Farbe“) Schwarz, das Bottroper Quadrat zeigt (einmal mehr) fotografierte Fördertürme, Hochöfen etc. der Bechers, Folkwang in Essen präsentiert den Industriemaler Hermann Kätelhön, und so fort. Das klingt nicht schlecht, heißt aber im Konkreten, daß man mit wenigen Ausnahmen (wie Küppersmühle, DKM und Lehmbruck in Duisburg) ausgesprochen kleine Sonderschauen zu sehen bekommt. Da macht dann ein Museum nicht satt, man muß schon mehrere abklappern, um ein hinreichendes Quantum Kunst zu erhalten. Und das Dilemma wird sichtbar.

Lohnt sich das?

Lohnt es sich, beispielsweise für eine einzelne Installation von Andreas Golinski zum Kunstmuseum Bochum zu reisen? Auch wenn der Künstler genau so heißt wie der amtierende Museumsdirektor, sind die beiden nicht miteinander verwandt, und das ist lustig, aber leider kein Argument. Gewürdigt werden müssen die Faktoren, die immer da sind: Lohnt der Museumsbesuch den Aufwand an Zeit und Fahrtkosten, die nervige Parkplatzsuche, die absehbare nächste Schweißattacke auf dem Fußweg in der prallen Sonne? Bei fast allen kleineren Häusern würde ich spontan sagen: nein, es lohnt sich nicht, nicht für die geringe Menge an ausgestellten Arbeiten (was keine qualitative Wertung ist).

Derzeit in der Küppersmühle zu sehen: Anselm Kiefers „Klingsors Garten“ von 2018 (Detail/Installationsansicht). Die Arbeit stammt aus einer Privatsammlung. (Bild: Anselm Kiefer, Henning Krause, Museum Küppersmühle MKM)

Teures Kombiticket

Ein Zweites kommt hinzu. Die Ruhrkunstmuseen nach Ruhrkunstmuseen-Konzept abzuklappern, ist schon von den Eintrittsgeldern her eine teure Angelegenheit, denn es gelten in jedem Haus die normalen Preise. Das angebotene Kombiticket ist mit 25 Euro unverschämt teuer. Zwar gilt es für die gesamte Laufzeit, aber die Zahl derer, die sich mehrere Male aufmachen, um Kunst in Kleckerportionen zu konsumieren, dürfte übersichtlich sein. Nur mal zum Vergleich: Die Bundeskunsthalle in Bonn nimmt 15 Euro, Museum Kunstpalast in Düsseldorf 14 Euro, Museum Ludwig in Köln gar nur 12 Euro. Und in diesem Häusern gibt es ordentlich was zu sehen.

Nur das Beste an einem Ort

Der Vergleich hinkt? Ja natürlich. Aber er läßt doch ahnen, wie eine publikumsfreundliche Kunstausstellung zum Kohleausstieg aussehen könnte. Man würde sie auf wenige, vielleicht auch nur einen Standort konzentrieren, wo zusammengetragen, präsentiert und inszeniert würde, was die beteiligten Häuser beitragen könnten. Es wäre dies das Beste, Eindrucksvollste, nennen Sie es, wie Sie wollen. Die Realisierung einer solchen Schau, eines über die Grenzen der Region und des Landes weit hinausstrahlenden „Highlights“ könnte man vertrauensvoll bei den Ruhrkunstmuseen belassen, schließlich existiert dort eine gewaltige Menge kuratorischer Manpower. Und falls die es doch nicht auf den Pinn kriegten, könnte man auch einen Star der internationalen Kuratoren-Szene engagieren.

Die Vorteile für das Publikum liegen auf der Hand: ein einziger Ort (randvoll mit Kunst), nur eine Anreise, nur eine einfache Planung. Übrigens wäre der Zentralort auch unter ökologischen Aspekten einer Herumjuckelei im Kohleland vorzuziehen, auch jener mit dem nervigen ÖPNV.

Warum konkurrieren?

Doch das alles hätte viel Arbeit bedeutet, und viele gute Ideen und Entwürfe wären zwangsläufig im Papierkorb gelandet. Auch besteht bei einem solchen Großprojekt ja immer die Gefahr, daß andere den Lorbeer einheimsen, der eigentlich einem selbst zusteht. Warum also konkurrieren? So wie es jetzt ist, bleibt jeder sein eigener kleiner Museumsfürst. Das Volk kommt oder es kommt nicht (bei kleineren Häusern eher: nicht). Doch wenigstens dürfen die Besucher das Rad benutzen, Streckenpläne wurden ausgearbeitet.

Hier geht’s los: Die Standseilbahn im historischen Schrägaufzug der Kokerei Zollverein (Bild: Ruhrmuseum)

Zollverein lohnt sich

Um es nicht zu verschweigen: Eine große Ausstellung gibt es schon, nur dreht die sich eher um die wirtschaftlichen, technischen, sozialen, historischen usw. Aspekte des Kohlebergbaus. Sie heißt „Das Zeitalter der Kohle“ und ist in der Kokerei Zollverein in Essen untergebracht, in jenen imposant-schaurigen Baulichkeiten, wo schon die allererste Ausstellung „Sonne, Mond und Sterne“ das Kohle-Thema streifte, wo Andrea Breth tief verstörendes Theater inszenierte und Industriekultur und „Hochkultur“ (unter anderem in Gestalt der Ruhrtriennale) sich immer wieder auf das Eindrucksvollste begegnen. Mit einer Standseilbahn im Schrägaufzug kommt man hin, und sieht man einmal von der peinlichen Beschallung durch das Steigerlied im Eingangsbereich ab, ist diese Ausstellung durchaus überzeugend geraten. Der Eintritt kostet 10 Euro, und das Kombiticket der Kunstmuseen ist hier selbstverständlich nicht gültig.