Der Fleck muss weg – das Westfälische Landestheater holt den Tatortreiniger vom Fernsehen auf die Bühne

Tatortreiniger Schotty Schotte (Guido Thurk) hat für die professionelle Blutfleckentfernung alles dabei (Bild: WLT/Volker Beushausen)

Tatortreiniger Schotty Schotte (Guido Thurk) hat für die professionelle Blutfleckentfernung alles dabei. (Bild: WLT/Volker Beushausen)

„Tatortreiniger“ ist gewiss kein Beruf wie jeder andere. Aber andererseits doch auch. Wenn Schotty Schotte, bepackt mit großen und sehr professionell wirkenden Aluminiumboxen bei Frau Hellenkamp klingelt und zermürbende Überzeugungsarbeit leisten muss, um vorgelassen zu werden, dann könnte er ebenso der Klempner sein oder der Postbote. Da ist ein Job so ätzend wie der andere.

Als Fernseh-Tatortreiniger musste der Schauspieler Bjarne Mädel solche Kämpfe durchfechten. Im Westfälischen Landestheater (WLT) in Castrop-Rauxel hat Ensemblemitglied Guido Thurk die Rolle übernommen. Hier, wenn man so sagen darf, schnuppert der Tatortreiniger nun Theaterluft.

„Richtiges“ Theater

Folgt der Kino- und der Literaturadaption im Theater nun also die Fernsehadaption? Es gehört ja zu den Merkwürdigkeiten unserer Zeit, dass viele Bühnen – das WLT ist da eine löbliche Ausnahme – alles lieber zu spielen scheinen als die Stücke, die Schriftsteller für das Theater schreiben oder schrieben. Doch hier trügt der Schein. Die drei Episoden der Serie „Der Tatortreiniger“, die Ralf Ebeling inszeniert hat, stammen sämtlich aus der Feder von Mizzi Meyer und werden hier – in der NDR-Mediathek kann man es mit den dort gespeicherten Folgen abgleichen – Wort für Wort vorlagengetreu auf die Bühne gestellt. Richtiges Stücke-Theater also, fast wähnt man sich gerührt.

Ein Werk von Mizzi Meyer

Mizzi Meyer übrigens ist, man ahnte es, ein Künstlername. Im wirklichen Leben heißt sie Ingrid Lausund , ist Hausautorin und Regisseurin am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, wo sie mit Stücken wie „Benefiz – jeder rettet einen Afrikaner“ (2009) oder „Trilliarden“ (2017) Bekanntheit erlangte. Sie hat sämtliche 31 Folgen des „Tatortreinigers“ geschrieben, die zwischen 2011 und 2018 ausgestrahlt wurden.

Die komplette Besetzung (von links): Mario Thomanek, Guido Thurk, Vesna Buljevic und Franziska Ferrari.  (Bild: WLT/Volker Beushausen)

Boulevardeskes Vergnügen

Sofa, Stühle, Teppich, Schreibtisch – in der naturgemäß sparsamen kammerspielhaften Möblierung eines Tourneetheaters (Ausstattung: Jeremias H. Vondrlik) nehmen die Dinge ihren Lauf, wobei das unerhörte Nebeneinander von alltäglicher Banalität und abgründigem Gruselschauer nur mäßig Präsenz zeigt.

Wenn Schotty erkennt, dass Frau Hellenkamp (Vesna Buljevic) den Einbrecher vermittels Golfschläger zum Tode gebracht haben muss, andererseits aber die Aussicht auf einen Maserati Quattroporte als Bestechungsgeschenk die Strafverfolgung wohl vereiteln wird, dann ist das über längere Strecken vor allen Dingen pointensicher gespielte Sitcom, wie man sie gern etwas häufiger auf den Bühnen sähe – jedenfalls, wenn es so gut gemacht wird wie von dieser vierköpfigen Bühnenmannschaft, zu der neben Thurk und Buljevic auch Franziska Ferrari und Mario Thomanek gehören.

Unübersehbar liegt das Boulevardeske ihnen allen, darstellerische Spielfreude blitzt hervor, der Abend ist vergnüglich und kurzweilig. Und von Guido Thurk, der als Titelheld naturgemäß die größte Bühnenpräsenz hat, wusste man noch gar nicht, dass er so ein überzeugender Hamburger Junge mit Witz und Verstand sein kann.

Özgür Heiko Hansen

Die zweite Episode „Özgür“, dreht sich (ein bisschen zu lange) um die Wahl des richtigen Namens für das Kind einer Hochschwangeren. Özgür will sie ihn nennen, Özgür Hansen, was Schotty nicht so gut findet, wegen zu befürchtender Diskriminierung. Trotzdem kommen sich die beiden in ihrer heftigen Diskussion näher, und schließlich zieht Schotty recht zufrieden ab, weil der zweite Vornahme des Knaben Heiko sein soll. Heiko, wie Schotty in Wirklichkeit auch heißt. Gerufen wurde der Tatortreiniger übrigens, weil es in einem Zimmer der Pension Hansen einen Doppelmord gab, eine Beziehungstat.

Als Hamburger Junge ohne Abitur (wie es im Stück an einer Stelle heißt), aber mit großer Menschenkenntnis macht Guido Thurk eine überzeugende Figur. (Bild: WLT/Volker Beushausen)

Schotty ist sich nicht sicher

Die dritte Episode nach der Pause dieses knapp zweieinhalbstündigen Abends schließlich heißt „Sind Sie sicher?“ und folgt einem veränderten Schema. Während Schotty bisher Beobachter und Deuter der Verhältnisse war, wird er nun zum Opfer. Herr Grimmeheim, Chef eines Consulting-Unternehmens, hat die gnadenlose Steigerung der Arbeitseffizienz von Mitarbeitern sozusagen zu seinem Hobby gemacht. Nun schüchtert er Schotty ein und macht ihn glauben, auch er werde – im Auftrag seines Chefs – evaluiert, veranlasst ihn zu gleichermaßen bizarren wie entwürdigenden Tätigkeiten. Natürlich bricht diese Konstellation bald ein, trotzdem wirkt sie künstlicher gesetzt als die anderen. Sei’s drum; die sportliche Entschlossenheit, mit der Guido Thurk sich an die Bewältigung unsinniger Aufgaben gibt, ist auf jeden Fall beeindruckend.

Besser als Fernsehen

Der frenetische Beifall im ausverkauften Studio beantwortete auf seine Art die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines auf der Bühne inszenierten Fernsehstoffs. Großartiges Spiel echter Menschen, die Nähe zum Publikum und der völlige Verzicht auf verfremdende Elemente schaffen hier einen auratischen Mehrwert, gegen den der Fernseher verblasst. Und es beschleicht einen der Wunsch, im Westfälischen Landestheater weitere Stücke der Autorin Mizzi Meyer/Ingrid Lausund zu erleben.

www.westfaelisches-landestheater.de

  • Termine (Auswahl):
  • 14.2. Lüdenscheid, Kulturhaus
  • 19.2. Rheine, Stadthalle
  • 20.2. Warendorf, Theater
  • 23.2. Sulingen, Stadttheater im Gymnasium
  • 25.2. Dorsten, Realschule
  • 26.2. Lünen, Heinz Hilpert-Theater
  • 15.3. Marl, Theater
  • 16.3. Siegen, Apollo-Theater
  • 17.3. Hamm, Kurhaus



Die Spitze eines grausamen Eisbergs: Der Japaner Tomo Sugao inszeniert Puccinis Oper „Turandot“ in Dortmund

Die eisumgürtete Prinzessin Turandot (Stéphanie Müther). (Foto: Björn Hickmann)

Die eisumgürtete Prinzessin Turandot (Stéphanie Müther). (Foto: Björn Hickmann)

Einem großen Dilemma musste Giacomo Puccini bei der Komposition seiner Oper „Turandot“ ins Auge sehen. Wie sollte er die Verwandlung einer Männer mordenden, unerbittlich grausamen Prinzessin in eine liebende Frau glaubhaft machen? Das Problem war ungelöst, als Puccini am 29. November 1924 starb. Seine „Märchenoper“ blieb Fragment und wurde auf Bitte des Dirigenten Arturo Toscanini von Franco Alfano zu einer Fassung ergänzt, die bis heute aufgeführt wird.

Von der Eiskalten angezogen wie die Motte von der Flamme, singt Prinz Calaf unentwegt von Liebe. Indessen glaubt ihm der japanische Regisseur Tomo Sugao kein Wort. Das zeigt seine Neuinszenierung am Theater Dortmund, in der Turandot dem Prinzen letztlich nicht mehr ist als der Schlüssel zur Macht. Aus Sicht der Regie geschieht es nicht zum ersten Mal, dass sie auf derart unmenschliche Weise benutzt wird. Vielmehr behauptet Sugao im 2. Akt, dass die drei Minister Ping, Pang und Pong die Prinzessin bereits im Kindes- und Jugendalter sexuell missbraucht haben. Turandots Traumatisierung erfolgt damit nicht auf dem Umweg über ihre Ahnin, sondern ganz direkt.

Wie allen Bewerbern, stellt Turandot (Stéphanie Müther) auch Calaf (Andrea Shin) drei Rätsel. (Foto: Björn Hickmann)

Um die angeblich aufblühende Liebe muss der Regisseur sich auf diese Weise nicht kümmern. Turandot und Calaf bleiben einander körperlich fern, auch im dritten Akt, der keine Annäherung zeigt und erst recht keinen Kuss – mag das Libretto auch anderes schildern.

Hier geht es um die Macht in einem Menschenfresser-Staat: Nicht zufällig sind die Chöre in dieser Produktion gekleidet wie zu Maos Zeiten. Trotz langer Geheimhaltung ist heute bekannt, wie Maos „Großer Sprung nach vorne“ manche Provinz so sehr in Hungersnöte trieb, dass tatsächlich Menschen gekocht und gegessen wurden.

Gewaltbereiter, aufgepeitschter Mob

Als wogende Masse sind Opernchor, Statisterie und Kinderstatisterie des Dortmunder Theaters an diesem Abend in ständiger Bewegung. Von drohenden Gesten leicht zu nackter Gewalt und animalischer Gier übergehend, bildet dieser aufgepeitschte Mob die bedrohliche Folie für Puccinis „Dramma lirico“. Turandot ist, so gesehen, nur die Spitze eines abstoßend antihumanen Eisbergs. Prinz Calaf, sein blinder Vater Timur und die Sklavin Liù stolpern wie Fremdkörper durch diesen chinesischen Albtraum. Dass die Personenführung der Hauptfiguren eher statisch ist, fällt bei diesem Gewusel nur wenig auf.

Pang, Ping und Pong (Fritz Steinbacher, Morgan Moody, Sunnyboy Dladla v.l.) versuchen Calaf (Andrea Shin, vorne) von seiner Bewerbung um Turandot abzubringen. (Foto: Björn Hickmann)

Pomp und Pracht gehören offenbar zu „Turandot“-Aufführungen wie das Feuerwerk zu chinesischen Festlichkeiten. Frank Philipp Schlößmann (Bühne) und Mechthild Seipel (Kostüme) enttäuschen die Erwartungen nicht: vom großen Glücksdrachen bis zur riesigen Mondscheibe, von prachtvollen Gewändern bis zum exotischen Kopfputz bekommt das Auge viel geboten.

Das große Podest als Spielfläche und die wuchtigen, zuweilen schräg gestellten Wand- und Deckenelemente taucht Ralph Jürgens stimmungsvoll in rotes und blaues Licht. Der von Fabio Mancini einstudierte Chor agiert vorzüglich und ist auch stimmlich gut disponiert, neigt am Premierenabend aber zuweilen zu exzessiver Lautstärke.

Blockhafte Wucht der Philharmoniker

Das liegt auch an den Dortmunder Philharmonikern, die unter der Leitung von GMD Gabriel Feltz exotisch kolorierte Tableaus entfalten, aber mehr Interesse an blockhafter Wucht zeigen als an Lautstärken, die sich vom Fortissimo aufwärts noch differenzieren ließen. Puccinis pentatonische Harmonien entfalten verlässlich ihre Wirkung, und das Xylophon setzt sich mit seinen trockenen Akzenten stets gut durch. Aber die Vielzahl der verschiedenen Gongs kommt kaum zur Geltung, und die markerschütternden Schläge auf das Tamtam, mit der Calaf seine Bewerbung um Turandot verkündet, gehen im Tutti nahezu unter – womöglich auch deshalb, weil das Instrument nicht auf der Bühne steht. Die Rhythmen im grotesken Masken-Terzett des 2. Akts, von Puccini bewusst holprig gestaltet, verrutschen in Dortmund nahezu ins Durcheinander. Am Ende bleibt mehr orchestraler Bombast im Ohr als Zauber.

Am Ziel seiner Wünsche: Calaf (Andrea Shin) hängt sich den Mantel des alten Kaisers um (Foto: Björn Hickmann)

Sängerisch kann diese Produktion mit einem Calaf punkten, der Strahlkraft und stimmliches Durchhaltevermögen vereint (Andrea Shin), und mit einer Turandot, die ihre eisigen Höhen bis zu einschüchternder Dramatik steigert (Stéphanie Müther). Als Liù wird Sae-Kyung Rim gefeiert. Sie erreicht mit ihrem harten Sopran große Lautstärken, ist damit aber kein glaubhafter Gegenpol zur Turandot. Vielmehr erhält die Eisumgürtete eine Stählerne an ihre Seite, der warme, mädchenhafte oder gar sehnsuchtsvolle Töne am Premierenabend gänzlich fehlen. Was Karl-Heinz Lehner aus der kurzen Szene des um Liù trauernden Timur macht, zeugt von beachtlicher stimmlicher und darstellerischer Kunst.

In der Schluss-Szene schleicht Turandot still davon, während Calaf sich den Kaisermantel des verstorbenen Altoum um die Schultern legt. In triumphaler Pose vor dem Chor verharrend, feiert er seinen Durchbruch zur Macht. So sehen sie wohl aus, die Sieger. Die Titelheldin hat uns mehr interessiert.

  • Termine und Informationen: https://www.theaterdo.de/detail/event/turandot/