„Everything that happened and would happen“ – bei der Triennale zeigt Heiner Goebbels ein Theater der Versatzstücke

Licht und Schatten, hell und dunkel. Szene aus Heiner Goebbels‘ neuer Produktion. Foto: Heinrich Brinkmöller-Becker/Ruhrtriennale

Heiner Goebbels gibt sich generös. Er wolle es gar nicht erst versuchen, mit seiner neuen Arbeit eine Botschaft zu vermitteln. Vielmehr habe er einen Raum mit Bildern, Worten und Geräuschen geschaffen, der das Publikum zu freier Imagination und Reflektion einladen soll. Doch das hehre Ansinnen erzeugt nur Ratlosigkeit: Goebbels’ Gesamtkunstwerk namens „Everything that happened and would happen“ entpuppt sich als kryptische theatralische Installation, als ein ziemlich beziehungsloses Konglomerat aus Musik, Licht, Performance, Sprache, Objekten und Filmen.

Die Produktion wurde 2018 in Manchester erstmals herausgebracht, nun hat die Ruhrtriennale das Werk als Deutsche Erstaufführung ins Programm genommen. Goebbels gibt in Bochums Jahrhunderthalle erneut den Sucher nach ungewöhnlichen Formen des Theatralischen, sieht die leere Spielfläche als Experimentallabor, wie er es schon während seiner Triennale-Intendanz (2012-2014) oft getan hat. Herausgekommen ist diesmal eine arge Zumutung fürs Publikum, eine Aufführung, die vor allem die große Verstörung in sich trägt.

Schon der Titel allein, ins Deutsche übersetzt „Alles was geschehen ist und geschehen würde“, scheint erschaffen aus dem Nebel des Unkonkreten. Etwas Kontur gewinnt diese Sentenz erst mit dem Blick auf die Textquelle, die Goebbels zum Ausgangspunkt seiner Produktion macht, Patrik Ouredniks Roman „Europeana – Eine kurze Geschichte Europas im 20. Jahrhundert“. Darin vermeidet der tschechische Autor allerdings jegliche Ansätze der linearen Geschichtsschreibung, setzt vielmehr Fakten neben Anekdoten, springt von der Pariser Weltausstellung (1900) zum Leben der Soldaten in den Schützengräben, listet Meinungen zum Berliner Holocaust-Mahnmal auf, oder beschreibt wie in einem Ritual, dass jemand zu irgendeinem Thema gerade irgendetwas sagt.

Tanz der Requisiten. Foto: Heinrich Brinkmöller-Becker/Ruhrtriennale

Es ist ein wild zusammengewürfelter, überkomplexer Text, aus dem Goebbels verschiedene Passagen lesen lässt, das Ganze mit rätselhaften Bildern kombiniert. Angereichert wird diese Flut optischer Reize bisweilen mit „No comment“-Einspielungen des Senders Euronews. Kommentarlos flimmern aktuelle Szenen aus allen Winkeln der Welt vor unseren Augen, Szenen von Menschen in der Masse, die demonstriert, die versunken ist in religiösen oder volkstümlichen Ritualen. Auf der Spielfläche werden unterdessen diverse Kisten, Kästen, Säulen, Rohre oder riesige, meist zerfetzte Tücher in undurchschaubarer Choreographie bewegt. Derweil diverse Musiker, mit ihrem Instrumentarium im Raum verteilt auf kleine Inseln der Klangerzeugung, eine hochdifferenzierte Geräusch-Kulisse auffächern.

Am Ende nur Nebel, Rauch und Zerstörung. Foto: Heinrich Brinkmöller-Becker/Ruhrtriennale

So entfaltet sich vor uns ein Theater ohne Schauspieler oder Sänger, in einer Atmosphäre, die die Bühne als Werkstätte begreift, wo Arbeiter Requisiten zu immer neuen, üppigen Tableaus formen. Heiner Goebbels mag dem Publikum jegliche Assoziationsfreiheit gestatten, doch liegt der Gedanke an eine Dystopie wohl nicht ganz fern. Schon weil sich die Musik am Ende in einen schier unerträglich lauten Klangflächenschrei hineinsteigert. Und weil das Schlussbild einer verwüsteten Fläche gleichkommt, nichts von friedvoller Idylle hat.

Goebbels’ Generosität, formuliert im Programmheft zu dieser Produktion,  ist ein Trick. Sein Theater der Versatzstücke stiftet vor allem Verwirrung. Und während wir noch rätseln, ist alles bereitet fürs große Katastrophenszenario. Kein Wunder, dass manche dies mit kräftigen Buhrufen quittieren. Im Theater, so scheint’s, ist die Hoffnung und das Gute und Schöne endgültig ausgesperrt.

Weitere Aufführung am heutigen 26. August, 21 Uhr (ausverkauft)




„Nach den letzten Tagen. Ein Spätabend“ – Christoph Marthaler mahnt auf die stille und behutsame Art

Szenenbild aus „Nach den letzten Tagen..." (Foto: Matthias Horn)

Szenenbild aus „Nach den letzten Tagen…“ (Foto: Matthias Horn)

Wieder gibt es Gott sei Dank eine neue Inszenierung des Meisters des Abwartens, Christoph Marthaler, der Chefregisseur sozusagen der Ruhrtriennale unter Stefanie Carp. Er wird uns hoffentlich auch danach mit Schöpfungen beschenken.

„Nach den letzten Tagen. Ein Spätabend“ ist die wohl trübsinnigste Kreation von Marthaler. Sie „spielt“ im Auditorium Maximum der Universität Bochum (die per Navi zu finden geradezu ins Leere führt).

Die Zuschauertribünen auf einer Seite ist der Ort des Geschehens, eine Art Abgeordneten-Plenarsaal, in dem sich 11 Damen und Herren einsam oder mal als Gruppe äußern. Sicht- und spürbare Leere ringsum. Seitlich befindet sich – fast versteckt – das kleine Orchester, das dann den Abend prägt.

Originaltexte von Rechtsgerichteten

Die exzellenten Darsteller sprechen leise und bedrohlich unterkühlt die Texte, die zumeist aus Originalreden von rechts-gerichteten Abgeordneten und sonstigen Menschen stammen, die meinten und oft immer noch meinen, alles Unglück käme von den Juden. Nach einer ausführlichen Abhandlung inklusive eigener Erfahrungen mit dem Begriff „Neger“, folgt als Antwort ein Jodelsolo am Rednerpult.

Klar ist, dass dies ein behutsamer Abend ist. Aktionsverwöhnte werden eher in ein Fragezeichenkoma versetzt. Auch sind die Texte nun vielen nicht ganz unbekannt und sicherlich ist diese direkte Art, uns zu sagen: „Achtung! Wehret den Anfängen!“ ein bisschen platt. Wenn es nicht so still wäre, könnte man sagen: Agitprop. Aber sicher erschrickt der eine oder andere und erwischt sich dabei, manche Idee, manchen Satz mit einem gedachten „Ja genau!“ zu begleiten. „Ach herrje, was denke ich denn da?“

Weiteres Szenenbild (Foto: Matthias Horn)

Verantwortlich zeichnen Christoph Marthaler, Uli Fussenegger, Stefanie Carp, Duri Bischoff, Sarah Schittek, Phoenix (Andreas Hofer) gemeinsam. Das Ganze ist wieder mal ein Gesamt-Kunstwerk, gewidmet den Komponisten Pavel Haas, Viktor Ullmann, Alexandre Tansman, Józef Koffler, Erwin Schulhoff, Szymon Laks und Fritz Kreisler. Sie wurden deportiert, ermordet oder gingen in die Emigration.

Weitere Aufführungen: 29.8. bis 1.9.2019 im Auditorium Maximum der Ruhr-Universität Bochum.
Informationen hier




„All the good“: Das Lebensbild von Jan Lauwers als theatrale Kopfreise bei der Ruhrtriennale

Foto: Maarten Vanden Abeele

Szene aus „All the good“ (Foto: Maarten Vanden Abeele)

„,All the good‘ ist eine Chronik von Verlust und Hoffnung“, so sagt es die Ankündigung dieses Ruhrtriennale-Abends in der Maschinenhalle in Gladbeck-Zweckel, einem abgelegenen und dadurch anziehenden Ort für große Bühnenversuche.

Wir sehen das Resümee des Theaterkünstlers Jan Lauwers, der seine Needcompany samt Familie auf die Reise schickt, das bilderreiche Leben auf Teufel komm raus abzubilden und in eine theatrale Form zu bringen. Hier wird mit der Kunst gerungen.

„All the good“ ist eine internationale Koproduktion, an der sich u.a. das Zürcher Theater Spektakel, das Teatro Central de Sevilla, das Kaaitheater in Brüssel, das Toneelhuis Antwerpen und zahlreiche andere beteiligt haben.

Draußen zeugt schon der imposante Tieflader der Needcompany von Größe und Wichtigkeit. Jan Lauwers war und ist einer der Stars des „Freien Theaters“ seit Jahrzehnten, ein eigenwilliger Kreateur, der macht, was ihm in den Sinn kommt – und das ist in diesem Fall ziemlich viel. Manches erinnert an die Hochzeit des belgischen Theaters in Europa und weltweit, Ende der 90er, Anfang der 2000er.

Das Ensemble vereinigt Künstler verschiedener Genres. Die Musik spielt eine große Rolle und ist herausragend zu nennen. Der Cellist Simon Lenski ist maßgeblich verantwortlich. Die Musik insgesamt stammt von Maarten Seghers, der ebenso – wie alle anderen – als Performer in dieser „Familientragödie“ zur Geltung kommt.

Jan Lauwers (Foto: Maarten Vanden Abeele)

Jan Lauwers (Foto: Maarten Vanden Abeele)

Das Auge hat in den zwei Stunden viel zu tun. Versatzstücke werden verschoben und unterschiedlich eingesetzt. Im Mittelpunkt steht eine Skulptur aus Glasbeuteln, die (und hier wieder die Kunstproblematik „Ist das Kunst oder kann das weg?“) auch wie ein umgekippter Weihnachtsbaum anmutet. Darüber verzweifelt der Künstler Benoît Gob, der hier den Künstler Jan Lauwers spielt.

Allein Gobs Stimme ist den Besuch dieser Aufführung wert, die an manchen Stellen drastisch auf die nackte Pauke haut, indem eine gespielte Vergewaltigung gespielt wird, die Vagina per Minikamera untersucht wird und so dem einen oder anderen Zuschauer übel aufgestoßen ist. Einige verließen den Saal, ungeübte Zuschauer, denn diese Etüden des freien Theaters sind aufgewärmt. Aber man verweist eben auch auf Marina Abramovic, sowie es auch sonst allerlei Verweise gibt.

Besondere Szenen sind die, wo die Musik in eine gemeinsame Choreografie hineinführt, die der Tänzer Elik Niv prägt, der ebenfalls mit großen Namen bereits kooperierte wie Susanne Linke, Sascha Waltz oder Constanza Macras. Seine Biografie erstaunlich und ist auch Jan Lauwers einen Mittelpunkt seiner Inszenierung wert. Er war israelischer Elitesoldat und Kriegsveteran, bevor er eine Karriere als Tänzer startete.

Es ist eine zwiespältige Produktion, die manche ratlos macht, andere über die kreative Kraft der Macher zum Staunen bringt. Aber so ist das im freien Spiel der freien Kräfte, die dann aber doch etwas zu eitel daherkommen.

Weitere Aufführungen am 6. Und 7. September in der Maschinenhalle in Gladbeck-Zweckel. Infos hier