Rekonstruktion einer Abtreibung von 1964 – „Das Ereignis“ von Annie Ernaux

Oktober 1963. Eine Studentin ist schwanger. Sie will das Kind nicht bekommen. Was daraus folgt, ist heute kaum noch vorstellbar. Auch deshalb hat es Annie Ernaux lange Zeit später aufgeschrieben. Die Erinnerung hat ihr über Jahrzehnte keine Ruhe gelassen. Ihr im Jahr 2000 erschienener, denkbar schmerzlicher Erlebens-Bericht „L’événement“ ist erst jetzt auf Deutsch erschienen und heißt „Das Ereignis“.

Mit Hilfe alter Kalender-Einträge und Tagebuch-Notizen hat Annie Ernaux versucht, nachträglich zur damaligen Wahrheit vorzudringen, Worte für das eigentlich unsagbare (nicht: unsägliche), jedenfalls ungeheure Geschehen zu finden, das hernach – im Laufe der späten 1960er und der 1970er Jahre – zur scheinbaren, vielfach achselzuckend hingenommenen „Normalität“ geronnen zu sein schien.

Im Bann des strikten Verbots

Anno 1963 war Abtreibung strikt verboten. Es war praktisch unmöglich, einfach so an eine entsprechende Adresse heranzukommen – erst recht für junge Frauen in erzkatholischen französischen Provinzstädten wie Rouen. Diese einschnürenden Umstände bleiben in jeder Zeile spürbar.

Ein möglicher Ratgeber, dem die Erzählende sich damals anvertraut, will erst einmal mit ihr schlafen. Als unverheiratete Schwangere gilt sie ihm „traditionsgemäß“ als Freiwild. Zwar gibt sie ihm nicht nach, doch nimmt sie sogar dieses Ansinnen pragmatisch hin. Ihr bleibt vielleicht nichts anderes übrig, will sie nicht riskieren, dass die Mitwelt von ihrer Notlage und der geplanten Straftat erfährt.

Es vergehen Wochen und Monate, ohne dass sich ein Ausweg ergibt. Bedrohlich verdichtet sich die angsterfüllte Zeit. Keine verlässlichen Informationen, nur Gerüchte und vage Hoffnungen. Von ihrem vorherigen Studentinnen-Alltag sieht sich Annie Ernaux derweil völlig entfremdet, wie abgestemmt. Sie fühlt sich nicht mehr als (aus einfachen Verhältnissen stammende) Intellektuelle, auch nicht mehr als junges Mädchen. Ein mehrfacher Identitätsverlust, der vorerst große Leerstellen hinterlässt.

Schonungslose Schilderungen

Streckenweise geht es in diesem Buch ausgesprochen drastisch zu, Dinge und Empfindungen werden schonungslos benannt. In ihrer Verzweiflung greift die junge Frau zur „Selbstbehandlung“ mit einer Stricknadel. Sie fragt sich, ob sie darüber schreiben dürfe und kommt zu dem Schluss: Aber ja! Alles andere würde die Wahrheit verschleiern. Zitat: „Etwas erlebt zu haben, egal, was es ist, verleiht einem das unveräußerliche Recht, darüber zu schreiben.“

Wenige Seiten später heißt es: „Denn etwas in der Vorstellung oder in der Erinnerung zu sehen, ist die Grundlage jedes Schreibens.“ Solches Schreiben wiederum ist spürbar durchdrungen von Notwendigkeit. Was das Innenleben anbelangt, bleiben die Schattierungen der Erinnerung in diesem Falle eher flüchtig. Das Konkrete, Körperliche und Materielle (Orte, Instrumente, medizinische und juristische Gegebenheiten) haben sich jedoch nachhaltig eingeprägt.

Im Januar 1964 führt der Weg dann doch zu einer „Engelmacherin“ in Paris. Die hochnervöse, zudem geldgierige Frau führt eine Sonde ein, mit der die Schwangere tagelang herumläuft – mit einem erbarmungswürdigen, trostlosen Verlassenheits-Gefühl. Es ist ein im betäubenden Gleichmaß fließendes Unglück. Wenn überhaupt, dann macht ein derartig lakonischer, illusionsloser und vollkommen ideologiefreier Text das körperliche und seelische Elend ansatzweise fassbar – gewiss nicht nur, aber wohl besonders für Frauen.

Antriebe und Grenzen des Schreibens

Die damaligen Zustände und Gefühle lassen sich nicht gänzlich rekonstruieren. Darum geht es auch nicht. Es geht darum, sich schreibend anzunähern, die Geschehnisse zwar womöglich anders, doch wahrhaftig zu schildern, so dass das Resultat den wirklichen Vorgängen entspricht. Angestrebt wird, einen Text „zur Welt zu bringen“, der seinerseits so viel Wahrheit wie möglich in die Welt bringt. Eine andere Art der Geburt. Überhaupt ist dies nicht nur ein Buch über Abtreibung, sondern auch eines über Antriebe, Möglichkeiten und Grenzen des Schreibens, das eben auch ein Hervorbringen ist.

Die ganze gewaltsame Wahrheit einer Abtreibung (zumal unter solchen Bedingungen) bricht schließlich buchstäblich hervor, als die willentlich eingeleitete Fehlgeburt sich im Beisein einer Freundin ereignet: „Wir sind in meinem Zimmer. Ich sitze mit dem Fötus zwischen den Beinen auf dem Bett. Wir wissen beide nicht, was wir tun sollen. Ich sage zu O., dass die Nabelschnur durchtrennt werden muss.“ So. Und dann noch schrecklicher. Es ist nichts, was sich leichthin abtun ließe.

Nicht nur lächerlich, sondern geradezu abgründig mutet eine Episode nach der eigentlichen Abtreibung an. Wegen Komplikationen ist eine Nachbehandlung dringend erforderlich. Ein Arzt bedauert seine Unfreundlichkeit vor dem Eingriff. Hätte er doch nur gewusst, so lässt er durchblicken, dass die Patientin gleichfalls eine Studierte ist, dass sie gleichsam in seine gehobene Kaste gehört, dann, ja dann hätte er sich anders verhalten…

Nach all dem und trotz all dem, so hält Annie Ernaux schließlich fest, habe sich bei ihr ein starker Kinderwunsch eingestellt. Tatsächlich hat sie 1964 (!) und 1968 zwei Kinder bekommen und großgezogen. Aber davon steht nichts mehr in diesem erschütternden Buch.

Annie Ernaux: „Das Ereignis“. Aus dem Französischen von Sonja Finck. Suhrkamp Verlag (Bibliothek Suhrkamp), 104 Seiten, 18 Euro.

 

 




Geschichtlicher Spuk – Maxim Billers Roman „Der falsche Gruß“

Junger Mann namens Erck Dessauer drängt als kommender Autor zum führenden Edelverlag, doch der dort längst etablierte, allseits hofierte Großschriftsteller und jüdische Intellektuelle Hans Ulrich Barsilay scheint ihn daran hindern zu wollen. Nanu?

Gleich zu Beginn begibt sich dieser Skandal, als wär’s eine Phantasmagorie: In einer irrsinnigen Aufwallung zeigt Dessauer diesem Barsilay und dessen eingeschworener Entourage so etwas wie einen zittrigen Hitlergruß. Ein hochnotpeinlicher Moment im Berliner Lokal „Trois Minutes“. Ganz gleich, ob Dessauer damit die vermeintlichen Machtspiele des anderen provokant kenntlich machen wollte: Die gänzlich verunglückte Geste dürfte doch wohl das Ende all seiner Ambitionen bedeuten. Mit seinem publizistischen Einfluss wird Barsilay ihn nun gewiss gesellschaftlich vernichten, oder? Wir werden nun Zeugen einer unkontrolliert anschwellenden Furcht.

In der Villa des Hitler-Vertrauten

In seinem neuen Roman „Der falsche Gruß“ vollführt Maxim Biller mancherlei Zeitsprünge und verquickt manches mit manchem. Einen Altnazi-Großvater. Die Auflösung der DDR. Flüchtlings-„Schicksale“ daselbst. Jüdische Identität im heutigen Deutschland. Intrigen im Literaturbetrieb und im Verlagswesen. Herausgehobene Protagonistin ist die Verlegerin, die sich in einer ehemaligen Villa des Hitler-Vertrauten Martin Bormann hochherrschaftlich eingerichtet hat. Zudem geht’s um Berliner Befindlichkeiten als Brennglas komplizierter deutscher Zustände. Oder ist das alles ein zirzensischer Bühnenzauber mit parodistischem Einschlag? Nun, eher ist es vielfältiger historischer Spuk, der keine Ruhe geben will.

Wer die Arbeitslager perfektioniert hat

Sein Antipode Barsilay, so will es dem stets vorauseilend beleidigten Dessauer jedenfalls scheinen, ist zu allem Überfluss wohl drauf und dran, ihm das Thema wegzuschnappen. Dessauer schickt sich an, ein Buch über Naftali Frenkel zu schreiben, jenen erzkriminellen Abenteurer aus jüdischer Familie, der eines Tages Stalins Aufmerksamkeit auf sich zog, weil er teuflische Vorschläge zur „Rationalisierung“ und Perfektionierung der sowjetischen Arbeitslager gemacht und später selbst umgesetzt hat: Nahrung nur noch für einstweilen nützliche Kräfte, die anderen kann man ja mit winzigen Rationen Hungers sterben lassen. Im Raum schwebt somit die heikle Frage, ob ausgerechnet Frenkel – vor allen Nazis – als „Erfinder“ der Konzentrationslager gelten kann, so dass Ernst Noltes höchst umstrittene These vom NS-Staat als Reaktion auf den Stalinismus neue Nahrung bekäme. Gefährlich vermintes Debatten-Gelände. Aber Hauptsache, Dessauers Buch kommt heraus…

Was sind das nur für Ränkespiele?

Irgendwann hat sich ja auch der Knoten gelöst – und es schwinden die seit dem „falschen Gruß“ virulenten Angstattacken Dessauers. Warum? In Barsilays überall hochgelobtem Buch „Meine Leute“, dem auch er nicht seine Bewunderung versagen konnte, hat Erck Dessauer eine Passage entdeckt, in der jener seine schockhafte Erschütterung beim Besuch der Auschwitz-Gedenkstätte schildert, ja geradezu als entscheidende Lebenswende zelebriert. Dessauer findet heraus, dass es sich bei den näheren Umständen um Erfindung handeln muss, ja, dass Barsilay nicht einmal in Polen gewesen ist. Also hat er jetzt etwas Gewichtiges gegen seinen Widersacher in der Hand, das die Sache mit dem Hitlergruß womöglich aufwiegt. Auschwitz und der deutsche „Kult“ um den Holocaust, so sein zwiespältiger Befund, verzeihen keine Lügen. Aber wer lügt und belügt sich hier eigentlich am meisten? Und überhaupt: Was sind das für irrwitzige Ränkespiele, wo es doch inhaltlich um die schlimmsten Verbrechen der Geschichte geht?

Womöglich auch noch ein Schlüsselroman

Und sonst? Haben wir auch hier einen Hauch vom Ewigweiblichen, das hinan und hinab ziehen kann. Im Tross des Hans Ulrich Barsilay (solch ein Name aber auch!) bewegt sich zeitweise die aufreizende Russin Valeria, die selbst der sonst erotisch nur schwer ansprechbare Dessauer (vergebens) zu begehren scheint. Mittlerweile hat Barsilay in einem Buch mit dem Titel „Lustlos“ Valeria sexuell bloßgestellt, worum sich Gerichtsverfahren ranken – ein juristisches Feld, auf dem auch Maxim Biller mit „Esra“ so seine Erfahrungen gesammelt hat. Doch auch das bleibt Episode, wie so vieles in diesem Roman-Konstrukt, in dem schon mal solche Sätze ‚rausgehauen werden: „Freundschaften, das fand ich schon lange, waren nur etwas für Frauen und Verlierer.“ Klingt halt obercool.

Ist „Der falsche Gruß“ am Ende etwa auch noch ein Schlüsselroman über eine real existierende Welt des Scheins, über gewisse intellektuelle Kreise und Figuren der deutschen Hauptstadt? Mag sein. Aber vielleicht sollten kundige Herrschaften in Berlin das Rätsel unter sich ausmachen. Es ist ja gar nicht so furchtbar spannend. Und wer weiß, ob Biller nicht auch hiermit sein Verwirrspiel treibt.

Ganz ehrlich: Ich habe mich eher missmutig durch die bisweilen raffiniert verknüpften, streckenweise aber auch wirr verschlungenen Handlungsmuster des doch eigentlich recht kurzen Romans gequält. Vielleicht finde ich einfach keinen Zugang zu Billers Schreibweise, die mir – bei all seiner funkelnden Intelligenz und polemischen Potenz – zumindest unterschwellig arrogant und anmaßend vorkommt. Tja. Das wäre dann im Grunde m e i n Problem, nicht wahr?

Maxim Biller: „Der falsche Gruß“. Roman. Kiepenheuer & Witsch. 128 Seiten, 20 Euro.




„Stonehenge“ in Herne: Der Mythos lebt – sogar in Styropor

Bis zu 7 Meter hoch und denkbar wuchtig: Nachbau des inneren Steinkreises von Stonehenge in Herne (Teilansicht). (Foto: Bernd Berke)

Betritt man den zentralen, hallenhohen Raum des LWL-Museums für Archäologie in Herne, so kommt man sich ziemlich klein vor. Ringsum ragen gigantische „Steine“ auf – just wie im berühmten südenglischen Stonehenge. Tatsächlich hat man den inneren Kreis des über 4000 Jahre alten Megalith-Monuments mit modernster Laserscan-Technologie vermessen und in Originalgröße nachgebaut.

Nun gut, die bis zu sieben Meter hohe Rekonstruktion mit 17 Repliken des inneren Steinkreises besteht aus Styropor, doch die Außenhaut (sanftes Berühren erlaubt!) soll sich ähnlich anfühlen wie jener Sandstein, aus dem das Vorbild besteht. Mehr noch: Während das englische Original an etlichen Stellen von Moos und Flechten bewachsen und überhaupt verwittert ist, sieht man Stonehenge in Herne gleichsam im frischen Zustand der Entstehungszeit, wie die Ausstellungs-Kuratorin Kerstin Schierhold erläutert. Mit etwas Phantasie ist es also vorstellbar, dass die Steinzeitmenschen soeben erst ihre Werkzeuge beiseite gelegt haben.

Doch natürlich verhält es sich anders. Der weltbekannte Steinkreis, etwa um 2500 v. Chr. (also bereits gegen Ende der Steinzeit) errichtet und bis um 1600 v.Chr. vor allem als Kultstätte und Versammlungsort genutzt, ist in Wahrheit das wandelbare Werk von Generationen und Jahrzehnten gewesen. Klar ist auch: Jeder noch so liebevoll gefertigte und raffiniert illuminierte Nachbau vermag zwar zu beeindrucken, besitzt aber bei weitem nicht die Aura des Originals.

Steinkolosse über viele Kilometer transportiert – aber wie?

„Stonehenge – Von Menschen und Landschaften“ heißt die in ihrem Zentrum gleichwohl imposante, an den Rändern ins Kleinteilige sich verästelnde Zeitreisen-Schau, die ziemlich genau ein Jahr lang in Herne zu sehen sein wird. Der Titel lässt es schon ahnen: Eine grundsätzliche Fragestellung lautet, wann und wie Menschen begonnen haben, die sie umgebende Landschaft willentlich und nachhaltig umzugestalten. Im Falle Stonehenge haben sie dabei jedenfalls keine Mühen gescheut und die ungeheuer schweren Sandsteine nach Kräften herbeigeschafft – selbst noch die gewichtigsten (bis zu 40 Tonnen wiegend) über rund 25 Kilometer hinweg, wie Gesteinsvergleiche belegen. Die kleineren, auch noch um die 4 Tonnen schweren Blausteine kamen sogar aus dem späteren Wales – rund 240 Kilometer weit entfernt.

Wie die Menschen die Transporte und noch dazu die Aufrichtung der Kolosse vollbracht haben, wird wohl nie restlos aufgeklärt werden. Man kann es heute höchstens durch Experimente und Mutmaßungen nachvollziehen. Womöglich wurden die Steine von ganzen „Hundertschaften“ mit Hilfe von Seilen und schlittenartigen Vorrichtungen sowie Gleitschienen bewegt und/oder auf runden Holzstämmen gerollt. Einmalig sind übrigens die passgenauen Zapfen- und Nutverbindungen, mit denen die Steine unverbrüchlich zusammengehalten wurden.

„Minimalinvasive“ Archäologie

Wie auch immer: Es war eine phänomenale Willens- und Kraftanstrengung der damaligen Menschen, die bereits einige Findigkeit, Intelligenz und handwerkliches Geschick besessen haben müssen. Kein Wunder, dass sich allerlei Mythen darum ranken. Und obwohl Wissenschaftler die eine oder andere Legende entzaubern, wird das große Ganze hoffentlich immer von Geheimnis umwoben bleiben.

Die Wissenschaft geht allerdings neue, verheißungsvolle Wege: Seit einigen Jahren ist es möglich, archäologische Forschungen auch ohne Grabungen zu bewerkstelligen, bei denen die Fundstücke zwangsläufig beschädigt werden. Mit geomagnetischen Radarmessungen, sozusagen „minimalinvasiv“, lassen sich Fundstellen sehr präzise und zerstörungsfrei aufspüren und virtuell „ausleuchten“. Europaweit führend ist auf diesem Gebiet das – Achtung, Bandwurmname! – Ludwig Boltzmann Institut für archäologische Prospektion und virtuelle Archäologie (LBI ArchPro) in Wien.

Stonehenge-Original, fotografiert vom LWL-Chefarchäologen Prof. Michael Rind. (LWL / Rind)

Nur zu gern kooperiert das Herner Museum mit dem LBI. Die Wiener Experten unter Leitung von Prof. Wolfgang Neubauer haben ein Gelände von rund 16 Quadratkilometern ausgelotet und konnten nachweisen, dass Stonehenge keine isolierte Kultstätte ist, sondern Bestandteil einer „rituellen Landschaft von gewaltigen Ausmaßen“. So wurden in Durrington Walls, knapp drei Kilometer vom Stonehenge-Steinkreis entfernt, die Relikte bislang unbekannter Bauwerke geortet. Dermaßen viele Terabytes an Daten hat man dazu gesammelt, dass die Auswertung noch Jahre dauern dürfte. Vielleicht kommt ja auch noch während der einjährigen Herner Ausstellungsdauer etwas Neues ans Licht.

Weit ausgreifende Ringe und Ovale von Gräben und Wällen dienten zumal als Begräbnisstätten, zunächst als Kollektivgräber, später (ab etwa 2200 v. Chr.) entstanden auch herausgehobene Einzelgräber, offenbar ein Zeichen gesellschaftlicher Ausdifferenzierung. Das ganze Stonehenge-Areal ist in der Jungsteinzeit vor allem eine Zone ritueller Praktiken, doch auch Versammlungsort für Handel und Tauschwirtschaft (man weiß von „Importen“ über Hunderte von Kilometern) sowie Verteidigungsanlage gewesen. Auch müssen die Menschen dort gemeinschaftlich gegessen, wenn nicht gar gefeiert haben. Reichlich vorgefundene Knochen verzehrter Tiere deuten darauf hin.

Vielfach digital ausgerichtete Präsentation

Das Museum gibt sich betont digital und breitet die Befunde mit ausgeklügelten Projektionen sowie an 25 Medienstationen virtuell aus, zudem werden (u. a. in Zusammenarbeit mit dem British Museum) Online-Führungen angeboten. Doch gibt es auf den 1000 qm Ausstellungsfläche auch einige Exponate in Vitrinen, beispielsweise Grabbeigaben, Werkzeuge, Tierknochen oder auch Gefäße der Glockenbecherkultur. Hier wird man nicht so sehr zum Staunen überwältigt, sondern darf sich auf Details konzentrieren. Doch auch dabei finden sich grandiose Einzelstücke, so etwa jener mit 140.000 winzigen Goldstiften verzierte Dolch aus der frühen Bronzezeit. Abermals ein Rätsel: Wie ist die Herstellung mit den damaligen Mitteln möglich gewesen?

Der Rundgang führt zurück in ein Zeitalter, in dem nomadisch lebende Menschen Zuwanderern vom kontinentalen Festland begegnet sind, die sich um 4000 v. Chr. ganz allmählich zur sesshaften bäuerlichen Gesellschaft zusammengefunden haben – die sogenannte neolithische Revolution. Das Stonehenge-Gebiet dürfte bereits seit etwa 8500 v. Chr. ein Anziehungspunkt für Jäger und Sammler gewesen sein, weil hier Quellen sprudelten, die auch im Winter nicht zufroren und daher nahrhaftes Getier anlockten. Dort haben sich auch rare Rotalgen gebildet, die aufgrund von biochemischen Reaktionen pink schimmerten und eine geradezu magische Wirkung ausgeübt haben dürften.

Vergleiche mit Westfalen und dem Ruhrgebiet

Recht kühn und eher aus regionaler Pflichtschuldigkeit zu erklären sind die Bögen, die das Museum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe zu westfälischen Steingräbern schlägt. Vergleiche mit bretonischen Formationen lägen vermutlich näher. Mal waren die Vor-Vorläufer der Westfalen mit speziellen Errungenschaften früher an der Reihe als die Ur-Ur-Engländer, mal später. Nirgendwo in unseren Breiten hat es freilich ein Monument gegeben, das Stonehenge auch nur annähernd vergleichbar wäre. Ein Weltwunder und Weltkulturerbe sondergleichen. Etwa eineinhalb Millionen Touristen strömen jährlich dorthin, auch seltsam anmutende Druiden-Feiern finden dort gelegentlich statt, vor allem zu den Sonnenwend-Daten. Schon an normalen Tagen lassen Autostaus im weiten südenglischen Vorfeld ahnen, dass es hier etwas Besonderes geben muss… Apropos: Die Ausstellung schließt mit ein paar Kuriosa, darunter einer putzigen Stonehenge-Parodie aus „versteinerten Colaflaschen“ oder dem Hinweis auf eine aufblasbare Stonehenge-Hüpfburg. Was es nicht alles gibt.

Geradezu tollkühn muten schließlich die Vergleiche mit dem Ruhrgebiet und Landmarken wie der Halde Hoheward an, wo „der Mensch“ – aus ganz anderen Motiven – ja auch folgenreich in die Landschaft eingegriffen hat. Auch dies hatten die Ausstellungsmacherinnen im Sinn. Sollte demnach die Errichtung von Stonehenge ein frühzeitlicher Sündenfall gewesen sein, der Jahrtausende später ins industriell Monströse mündete? Oder anders herum: Wird man Teile des Reviers dereinst als rätselhaft magische Stätten bewundern?

„Stonehenge – Von Menschen und Landschaften“. 23. September 2021 bis 25. September 2022. LWL-Museum für Archäologie (Westfälisches Landesmuseum), Herne, Europaplatz 1. Tel.: 02323 / 94628-0 

Geöffnet Di, Mi, Fr 9-17, Do 9-19, Sa/So/Feiertage 11-18 Uhr. Eintritt 7 € (ermäßigt 3,50 €), Katalog 34,95 €.

www.lwl-landesmuseum-herne.de

www.stonehenge-ausstellung.lwl.org

 

 




Joseph Beuys auf der Spur: Aktions-Fotografien von Ute Klophaus in Wuppertal

Große Geste: Joseph Beuys bei der Aktion „Titus/Iphigenie“ (J. Beuys/J. W. v. Goethe/C. Peymann/W. Shakespeare/W. Wiens). 29. Mai 1969, 20 Uhr, Theater am Turm, Frankfurt am Main. Fotografie: Ute Klophaus, Bromsilberabzug auf Papier, schwarzweiß, Risskante unten (Courtesy Sammlung Lothar Schirmer | © Nachlass Ute Klophaus / © für das Werk von Joseph Beuys: VG Bild-Kunst, Bonn, 2021)

Nein, beim vielfältigen Ausstellungsreigen im Beuys-Gedächtnisjahr soll Wuppertal auf keinen Fall abseits stehen, meint Roland Mönig, Direktor des Von der Heydt-Museums. Sein Haus hat sich ein spezielles, bislang nur selten beleuchtetes Thema ausgesucht, nämlich Fotografien, die Ute Klophaus (1940-2010) von Aktionen des Joseph Beuys (1921-1986) aufgenommen hat.

Rund 230 Arbeiten umfasst die von Antje Birthälmer kuratierte Schau. Bemerkenswerte Traditionslinie: Schon die erste Einzel-Präsentation Beuys’scher Arbeiten in einem Museum hatte es anno 1953 in Wuppertal gegeben. Beuys‘ Vita, findet der Verleger und Kunstsammler Lothar Schirmer, aus dessen Fundus die allermeisten der gezeigten Fotos stammen, sei mit Ute Klophaus‘ Geburtsstadt Wuppertal geradezu „verknotet“ gewesen.

Ute Klophaus: Selbstporträt. (Fotografie: Ute Klophaus, Bromsilberabzug auf Papier, schwarzweiß, Risskanten rechts und unten / Courtesy Sammlung Lothar Schirmer / © Nachlass Ute Klophaus)

Es muss schon ein besonderes, zuweilen kompliziertes Verhältnis gewesen sein zwischen dem nach und nach immer berühmteren Künstler und der künstlerisch hochbegabten Fotografin. Schon seit der ersten Begegnung (am 5. Juni 1965), beim legendären 24-Stunden-Happening in der Wuppertaler (!) Galerie Parnass, muss Ute Klophaus sogleich in Beuys‘ Bann geraten sein. Fortan folgte sie ihm – wann immer es ging – auf Schritt und Tritt. Eine symbiotische Beziehung? Nun ja. Wie auf einer „Hasenjagd“ sei sie sich dabei gelegentlich vorgekommen, hat sie gesagt. Hat sie derweil andere Themen versäumt? Müßige Frage.

Der Künstler fühlte sich verfolgt

Beuys seinerseits fühlte sich auf Dauer wohl nicht nur geschmeichelt, sondern auch schon mal verfolgt. Manchmal ist es ihm zu viel geworden mit der Nachstellung. Dann hat er sie, wie es heißt, ziemlich harsch angeraunzt; vielleicht auch deshalb, weil sie hinter die Fassade seiner sonstigen medialen Wirkung vorzudringen vermochte? Auf manchen Bildern macht sie ja geradezu die spirituellen Energieströme sichtbar, die dabei geflossen sein dürften. Eigentlich unheimlich.

Nochmals die Aktion „Titus/Iphigenie“, 29.5.1969, Frankfurt/Main (Fotografie: Ute Klophaus, Silbergelatine-Abzug, hochglänzend, Risskante oben). Von der Heydt-Museum, Wuppertal (© Nachlass Ute Klophaus / © für das Werk von Joseph Beuys: VG Bild-Kunst, Bonn, 2021)

Betrübt war Ute Klophaus, wenn Beuys sie (absichtlich?) von seinen Aktions-Plänen nicht unterrichtete, als hätte er sie abschütteln wollen. So geschehen im Vorfeld seiner Performance „Titus/Iphigenie“ im Frankfurter Theater am Turm (1969). Dorthin fuhr sie nicht etwa auf Einladung, sondern aufgrund einer seltsamen Eingebung. Sie ahnte, dass er etwas vorhatte und kam ihm auf die Spur. So fotografierte sie doch noch seinen höchst bildwirksamen Auftritt mit einem weißen Pferd. Umstände und Resultat haben hier wie auch häufig sonst eine mystische Dimension. Es ließe sich mit Fug fragen, wieviel Mystifikation hierbei im Spiel sein könnte.

Auch einige andere Künstler waren an solchen Aktionen beteiligt (z. B. Nam June Paik, Charlotte Moorman, Wolf Vostell), doch Ute Klophaus scheint sich immer fast nur auf Joseph Beuys konzentriert zu haben. Die damaligen Entfaltungen der Kunst im Gefolge der Fluxus-Bewegung waren Neuland, waren eine Herausforderung auch an die Fotografie. Und heute? Sind Lichtbilder nahezu die einzigen Relikte, die von den Aktionen geblieben sind.

Keine Dokumentation, sondern subjektive Eindrücke

Weitgehend chronologisch folgt die Ausstellung den von Klophaus festgehaltenen Beuys-Aktionen über rund 20 Jahre hinweg – von 1965 bis 1986. Die Fotografin hat sich innerlich stets dermaßen intensiv auf die Vorführungen eingelassen, dass sie höchst eingängige Bildformeln entwickeln konnte, die dem Geist der Aktionen zu entsprechen scheinen. Doch nicht als Dokumentation wollte sie ihre Aufnahmen verstanden wissen, sondern als Zeugnisse subjektiver Betrachtung. Auf solche Weise hat sie mit ihren Bildern die öffentliche Wahrnehmung der Beuys’schen Aktionskunst wesentlich mitbestimmt. Überschreitung und Transformation waren Merkmale seiner Kunst, sie wiederum transformierte sein Tun kongenial in ein anderes Medium. Sie war so etwas wie sein Gegenüber, doch keinesfalls eine Gegnerin.

Gesichtsmaske aus Blattgold, Goldstaub und Honig: Joseph Beuys bei seiner Aktion „wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“, 26. November 1965, 20 Uhr, zur Eröffnung der Beuys-Ausstellung „…irgend ein Strang…“ in der Galerie Schmela, Düsseldorf, Hunsrückenstraße 16-18 (Fotografie: Ute Klophaus, Bromsilberabzug auf Papier, schwarzweiß, Risskante unten) – (Courtesy Sammlung Lothar Schirmer / © Nachlass Ute Klophaus / © für das Werk von Joseph Beuys: VG Bild-Kunst, Bonn, 2021)

Nur mal als Beispiel für Beuys‘ oft rätselhafte Handlungen in Raum und Zeit: Die Aktion „wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ (November 1965 in der Düsseldorfer Galerie Schmela) war unter anderem gedacht als Versuch einer Synthese europäischen und asiatischen Denkens. Ute Klophaus hat derlei Vorgänge nicht einfach abgebildet, sondern durch Nachbearbeitung, Grobkörnigkeit, Zulassen des Zufalls, nah herangeholte Details, bewusst gesetzte Schadhaftigkeiten oder gezielte Schlieren und Verwischungen auf eine andere, durchgeistigte Ebene gehoben.

Ersichtlich „aus der Zeit gerissen“

Kennzeichnend sind zumal die sichtbaren Risskanten der Fotos, die die Szenen als „aus dem Zeitfluss herausgerissen“ markieren, woraus sich der Titel der Schau herleitet. Anders als ein Film, der all die vielen Momente „dazwischen“ erfassen, aber vielleicht auch ineinander verschwimmen lassen würde, erscheint der Einzelmoment in den Fotografien bedeutsam, ja bisweilen monumental, überlebensgroß: wie innig Beuys‘ sich an ein Fettkissen anschmiegt, wie priesterlich er bei seiner Iphigenie-Aktion die Orchesterbecken zu schlagen sich anschickt… Und bei all dem gar nicht zu vergessen: Schwarzweiß-Fotografie, wenn sie so gehandhabt wird, stand und steht immer noch für die wahrhaft bleibenden Augenblicke.

Ein interessanter Aspekt der Fotografien sind übrigens auch die gelegentlich am Rande auftauchenden Aktions-Besucherinnen und Besucher. Ihrer ansichtig, meint man etwas vom Aufbruch der mittleren und späten 1960er Jahre gewahr zu werden. Welch eine Ahnung des Kommenden: ganz nebenbei, ohne Posen, völlig unaufdringlich.

„Aus der Zeit gerissen“. Joseph Beuys: Aktionen – fotografiert von Ute Klophaus. 1965-1986. Sammlung Lothar Schirmer. Von der Heydt-Museum, Wuppertal, Turmhof 8. Vom 19. September 2021 bis 9. Januar 2022. Geöffnet Di-So 11-18 Uhr, Do 11-20 Uhr, Mo geschlossen. Katalog 32 Euro. Eintritt Erwachsene 12 Euro, ermäßigt 10 Euro, Familie 24 Euro.

www.von-der-heydt-museum.de




Ein großes Versprechen: Der 26jährige Patrick Hahn tritt sein Amt als GMD in Wuppertal an

Patrick Hahn und das Sinfonieorchester Wuppertal. (Foto: Uwe Schinkel)

Ein spannender Tag für Wuppertal. Man spürt es im Publikum. Erwartungsfroh strömen die Menschen in die Historische Stadthalle. Das Foyer füllt sich wie früher. „Was für ein Zeichen des Aufbruchs“, freut sich Wuppertals Oberbürgermeister Uwe Schneidewind.

Nach eineinhalb Jahren Corona-Pandemie ist der glanzerfüllte Saal der Stadthalle wieder einmal voll besetzt. 1.200 Menschen erwarten den neuen Generalmusikdirektor Patrick Hahn zu seinem Antrittskonzert. Und auf dem Podium harrt das volle Orchester.

Patrick Hahn ist erst 26 Jahre alt und der jüngste GMD im deutschsprachigen Raum. Mit 19 stand er in Budapest zum ersten Mal vor einem großen Profi-Orchester; inzwischen hat er eine stattliche Liste vorzuweisen, die vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks über das Gürzenich-Orchester Köln und die Düsseldorfer Symphoniker bis zu den Wiener Symphonikern reicht – eingeschlossen Dirigate an der Bayerischen Staatsoper München, wo er mit Kirill Petrenko zusammengearbeitet hat.

Der neue Wuppertaler GMD, Patrick Hahn. (© Gerhard Donauer C&G Pictures)

Als „Shooting Star“ gehandelt, hat Hahn neben seinem Wuppertaler Engagement noch weitere Posten angenommen: Er ist Erster Gastdirigent und künstlerischer Berater beim Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra und übernimmt die neu eingerichtete Position eines Ersten Gastdirigenten beim Münchner Rundfunkorchester, wo er die neue Spielzeit am 10. Oktober mit dem 1. Sonntagskonzert und Viktor Ullmanns Kammeroper „Der Kaiser von Atlantis“ eröffnet.

In Wuppertal will Hahn sechs von zehn Abo-Konzerten und zwei Opern pro Spielzeit dirigieren. Eine Menge Verpflichtungen; ob der neue Stern am Dirigentenhimmel sie mit jugendlicher Energie alle zu erfüllen weiß, wird die Zukunft erweisen. Die Stadt hat erst einmal mit seinem Engagement einen Coup gelandet und die Wuppertaler haben den jungen Mann mitsamt dem Orchester mit herzlich langem Beifall begrüßt.

Dokument des Ehrgeizes

Hahn, in Graz geboren, stellt sich mit einer Hommage an einen der bedeutendsten österreichischen Komponisten der Moderne und einer Huldigung an die Alpen vor. Anton Weberns „Sechs Stücke für Orchester“ op. 6 sind ungeachtet ihrer Kürze und Transparenz eine diffizile Herausforderung für Orchester und Dirigent. Bei Richard Strauss‘ „Eine Alpensinfonie“ liegt die Sache umgekehrt: Da sind Länge und Opulenz zu bewältigen. Doch die Fülle saftiger Akkorde und das Leuchten des Instrumentierungsglanzes darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei aller üppigen Pracht eine ausgefeilte Balance der klanglichen Hierarchien vonnöten ist, sollen die Alpen nicht im dicken Nebel der orchestralen Fülle versinken, sondern ihre Gipfel klar und strahlend präsentieren.

Strauss‘ Alpensinfonie wird an diesem Abend zum Dokument des Ehrgeizes. Dieser junge Mann will viel, und er hat das Zeug, alles zu erreichen. Das zeigt sich in exemplarischen musikalischen Bildern, die ja oft als bloß illustrative Naturschilderungen missverstanden werden, tatsächlich aber eine Reflexion auf den Kosmos der Strauss’schen Form- und Klangvorstellungen sind. Hahn wählt den passenden Ansatz, wenn er die Musik nicht allzu illustrativ auffasst, wenn er sich darum bemüht, die breite Malerei („Auf dem Gipfel“ – „Vision“) nicht pastos aufzutragen, wenn er im Gebrodel von Sturm und Blitzen das Orchester – manchmal allerdings vergeblich gegen die Spiellust ankämpfend – vor platten Effekten zu bewahren sucht, wenn er das Gebimmel auf blumigen Almwiesen und das Duljöh der Holzbläser mit Mahler’scher Ironie übertreiben lässt.

Harte Arbeit bis zum Gipfel

Aber auf der anderen Seite spürt man deutlich, dass Dirigent und Orchester noch nicht beieinander angekommen sind. Die Routine im positiven Sinne fehlt. Der mystische, dem „Rheingold“ abgelauschte Beginn, der aller Strauss’schen Anti-Transzendenz Hohn spricht, bleibt (noch) brüchig. Der Aufschwung des Sonnenaufgangs gerät laut, nicht strahlend. Auf dem Weg zum Gipfel arbeiten sich Hahn und sein neues Orchester vorwärts, lassen so manche Schönheit unbeachtet, verlieren sich im Getümmel, das den Musikern willkommene Gelegenheit bietet, loszulegen, statt die raffinierten Strauss-Abmischungen durch eiserne Disziplin der klanglichen Balance einzuholen. Diese Alpenwanderung ist ein großes Versprechen, aber noch keine Erfüllung.

Mit exquisiten Klangmischungen haben es Hahn und das Sinfonieorchester Wuppertal auch in Anton Weberns Orchesteraphorismen zu tun, die wie so manche in Sprache gefassten Sinnsprüche höchste Prägnanz mit scheinbar improvisatorischer Spontaneität verbinden. Patrick Hahn steuert die transparente Luzidität, die kammermusikalische Finesse dieser vorbeihuschenden Miniaturen an. Die Soli aus den Reihen der Sinfoniker, etwa des neuen Konzertmeisters Nicolas Koeckert, sind brillant. Die riesige Geräuschwalze des „Trauermarsches“ (Nr. 4) gelingt aufmerksam kalkuliert. Bei Webern sind wir dem Einlösen des Versprechens schon sehr nahe.

Marlis Petersen, 2014 in Bellinis „La Straniera“ in Essen, als Alban Bergs „Lulu“ in Wien, München und New York gefeiert, als „Ophélie“ in Ambroise Thomas‘ „Hamlet“ gerühmt, als Aribert Reimanns „Medea“ in Wien ausgezeichnet, gehört zu den schlankstimmigen Strauss-Interpretinnen. In den „Vier letzten Liedern“ in Wuppertal kann sie ihren Ruf nur schwer verteidigen. Zum straff geführten, klanglich aber unspezifischen Orchester setzt sie sich mit kopfigem Vibrato, dünner Höhe und klangloser Tiefe nicht durch, lässt ihren Sopran nicht frei strömen und in den herrlichen Legati Samt und Leuchtkraft missen. Dem gespannten Ton fehlt die Flexibilität zur Gestaltung. Ein seltsamer Eindruck der jüngst gekürten bayerischen Kammersängerin, deren „Salome“ von der Kritik als fulminante, atemberaubend fesselnde Charakterstudie gefeiert wurde. Mag sein, dass ihr „weißliches, nicht sinnliches Timbre“ (Manuel Brug) für die raffiniert-kindliche Prinzessin passend ist, für Strauss‘ Weltabschied taugt es nicht.

Patrick Hahn ist am Sonntag, 19. September, und Montag, 20. September 2021 erneut am Pult des Sinfonieorchesters Wuppertal zu erleben. Als Solist begrüßt er den in Wuppertal bereits mehrfach gefeierten Cellisten Alban Gerhardt, der die Hebräische Rhapsodie „Schelomo“ von Ernest Bloch im Gepäck hat. Außerdem im Programm: „In the Beginning“ , das letzte Werk des 2016 verstorbenen finnischen Komponisten Einojuhani Rautavaara, und – passend zum 125. Todestag von Anton Bruckner – dessen Vierte Sinfonie.

Tickets sind erhältlich online unter www.sinfonieorchester-wuppertal.de oder telefonisch unter (0202) 563 7666. Es dürfen nur getestete, genesene oder geimpfte Personen die Konzerte besuchen.




Starker Auftakt: Neues Frauenteam des BVB gewinnt im allerersten Punktspiel gleich 8:0

Olé, hier kommt der BVB, und zwar das Frauenteam (zum Schlussapplaus). (Foto: Bernd Berke)

Also, davon muss nun auch einmal berichtet werden: Der ruhmreiche BVB hat jetzt (endlich, endlich!) ein Fußball-Frauenteam, das heute gleich fulminant in den Punktspielbetrieb eingestiegen ist – mit einem 8:0-Heimsieg gegen den BV Brambauer.

So drückend überlegen waren die BVB-Damen, dass Brambauer nur ganz selten gerade mal über die Mittellinie kam und im gesamten Spiel keine einzige Torchance hatte.

Wir reden von der Kreisliga A, in der die brandneue BVB-Formation startet, um sich vielleicht und hoffentlich von Saison zu Saison hochzuarbeiten. Kreisliga? Nun ja. Immerhin 1625 Zuschauerinnen und Zuschauer waren ins altehrwürdige Stadion „Rote Erde“ gepilgert – mehr als zu jedem Frauen-Bundesligaspiel dieses Wochenendes. Okay, die Karten wurden zum Auftakt verschenkt. Doch es wären wohl nicht viel weniger Leute gekommen, wenn die Tickets beispielsweise 5 Euro gekostet hätten.

Der starken Leistung zollten auch die BVB-Bundesligaspieler Mats Hummels und Marcel Schmelzer ihren Respekt. Nach dem Schlussjubel stellten sie sich mit den Fußballfrauen zum Gruppenbild auf.

Hier die Namen der Torschützinnen: Zabell (2), Heim (2), Glänzer, Goosmann, Lau, Klemann. Sie und ihre Mitspielerinnen wird man sich – zumindest in und um Dortmund – merken müssen. Wenn ich aus der bemerkenswerten frauenschaftlichen Geschlossenheit eine Spielerin hervorheben sollte, so wäre es Kapitänin Lisa Klemann, die in jeder Szene ganz und gar auf Höhe des Geschehens war und zuweilen drei oder vier gegnerische Akteurinnen beschäftigte. Bravo!

P. S.: Was generell mal wieder auffiel beim Frauenfußball, lässt sich eher aus der Verneinung heraus beschreiben: keine allzu ruppigen Szenen, keine offenkundigen Machtkämpfe, kein albernes „Markieren“ von Fouls. Na, und so weiter.

Auch die Bundesliga-Spieler Mats Hummels (Mitte) und Marcel Schmelzer (links) gratulierten den BVB-Frauen. (Foto: Bernd Berke)




Reisen durch ein fantastisches Universum: Vor 100 Jahren wurde Stanislaw Lem geboren

Als Science-Fiction-Autor wollte er sich nicht gerne bezeichnen lassen, aber auf diesem Feld hat sich Stanislaw Lem einen unsterblichen Namen gemacht. Vor 100 Jahren, am 12. September 1921, im damals noch polnischen Lemberg geboren, hat er originelle Werke voll Humor und visionärer Kraft geschrieben, die laut Wikipedia in 57 Sprachen übersetzt und über 45 Millionen Mal verkauft wurden.

Die Werke von Stanislaw Lem erscheinen im Suhrkamp-Verlag, so auch der Roman „Die Stimme des Herrn“. (Cover: Suhrkamp Verlag)

Zu seinen bekanntesten Büchern zählt der Roman „Solaris“, der drei Mal verfilmt und von Michael Obst, Detlev Glanert und Dai Fujikura auch zum Opernstoff erkoren wurde. Stanislaw Lem hatte gerade begonnen, Medizin zu studieren, als die Deutschen in Lemberg einmarschierten. Während des Krieges gelingt es ihm, seine jüdische Herkunft zu verschleiern; er arbeitet als Mechaniker und Schweißer für eine deutsche Firma. Bis auf Vater und Mutter wurde seine Familie Opfer des Holocausts. Wehrmacht und Rote Armee, Sowjets und Deutsche: Die Erfahrung willkürlicher Gewalt und der zerstörerischen Katastrophe der Besatzungszeit in Polen prägten ihn.

1946 zieht er aus seiner nun sowjetisch besetzten Heimat nach Krakau und studiert weiter. Da er sich weigert, im Abschlussexamen Antworten im Sinne der stalinistischen Ideologie zu geben, fällt er durch und geht, da er nicht als Arzt arbeiten kann, in die Forschung.

In dieser Zeit beginnt seine schriftstellerische Arbeit. 1946 erscheint in einer Zeitschrift „Der Mensch vom Mars“. Lem spricht darin bereits Themen an, die in späteren Werken bedeutsam werden sollten: Das Wesen vom Mars ist eine Kombination aus einem organischen Gehirn und einer atomgetriebenen Maschine, ungeheuer fremdartig, ohne Gefühl und Empathie, aber nicht bösartig. Die Menschen, die es untersuchen, haben jedoch kein Interesse an der Persönlichkeit des Außerirdischen; es gelingt ihnen keine dauerhafte Kontaktaufnahme.

Unbegreiflich andersartige Intelligenz

Diese Unfähigkeit, mit unbegreiflich andersartigem Leben, mit unverständlicher Intelligenz umzugehen, ist auch in „Solaris“ ein bestimmendes Thema. Dort umfließt ein riesiges Wesen wie ein Ozean einen ganzen Planeten. Ewig alleine, versucht es, mit den Menschen in Kontakt zu treten, die es entdeckt haben und die seit Generationen versuchen, das offenbar denkende Plasmameer zu erforschen. Lem verweigert sich in diesem wie in anderen Romanen einfachen Lösungen, aber die offen bleibende, dennoch sehr bewegende Begegnung des Psychologen Kelvin mit dem Wesen deutet den utopischen Moment eines Kontakts an.

Mit dem in viele Sprachen übersetzten Roman „Die Astronauten“ gelingt Lem 1951 ein Erfolg, der es ihm ermöglicht, als freischaffender Autor zu leben. Das Buch erschien drei Jahre später in der DDR auf Deutsch als „Der Planet des Todes“. Eine Expedition zur Venus entdeckt dort die Reste einer aggressiven Zivilisation, die sich selbst vernichtet hat, bevor sie ihren Plan, alles Leben auf der Erde auszulöschen, in die Tat umsetzen konnte. „Wesen […], die sich die Vernichtung anderer zum Ziel setzten, tragen den Keim des eigenen Verderbens in sich – und wenn sie noch so mächtig sind“, schreibt Lem über sein Buch, das er später selbst als „naiv“ bezeichnet hat.

Nachdenken über technologischen Fortschritt

Aber die gesellschaftlichen Probleme und Visionen, die Lem auch in Romanen wie „Eden“ (1959) oder dem Zukunfts-Szenario „Fiasko“ (1986) in fantastische Welten überträgt, fesseln den Leser und lassen über die Folgen unseres zivilisatorischen und technischen Fortschritts nachdenken. Lem nimmt schon früh etwa mögliche Folgen neuer Kommunikationstechnologien in den Blick. Über die Epoche der Neuro- und Gentechnologie und die Verbindung von Mensch und Maschine sagt er in einem Interview kurz vor seinem Tod 2006: „Wir stehen am Anfang einer Epoche, vor der mir ein bisschen graut.“

Stanislaw Lem hat es virtuos verstanden, ungewöhnliche philosophische Fragen, Probleme der technologischen Entwicklung und kühne Gedankenexperimente in seine Art von „Science Fiction“ einzubeziehen. Doch er ist auch Autor von geradezu prophetischer Sachliteratur wie der „Dialoge“ (1957) oder der „Summa technologiae“ von 1964, in der er sich bereits mit „virtual reality“ und Nanotechnik beschäftigt.

Zwischen 1982 und 1988 lebt Lem nicht im krisengeschüttelten Polen, sondern als hochgeachteter Autor in Berlin und Wien. Seine Kurzgeschichten, Anthologien und Romane finden in den siebziger und achtziger Jahren in beiden Teilen Deutschlands breite Resonanz, so etwa die „Robotermärchen“, der „Futurologische Kongress“ oder „Der Unbesiegbare“. Figuren wie der Raumfahrer Ijon Tichy, der Pilot Pirx oder die beiden skurrilen Robot-Konstrukteure Trurl und Klapaucius bevölkern sein Universum, in dem Humor und Satire nicht zu kurz kommen, aber auch – wie in der Erzählung „Terminus“ – bisweilen eine kaum zu fassende, unheimliche Atmosphäre entsteht, die Lem selbst so beschreibt: „Obwohl in dieser Erzählung keine Gespenster vorkommen, sind sie dennoch da.“

Persönliche Empfehlungen? Unheimlich und faszinierend zugleich, wie in „Der Unbesiegbare“ unscheinbare, harmlose Maschinenteilchen zu einer unüberwindlichen Macht zusammenwachsen. Höchst amüsant und geistreich, wie in den „Robotermärchen“ ein Elektrodrachen besiegt wird. Wen heute bei „Alexa“ oder „Siri“ im smart durchdigitalisierten Home leises Unbehagen befällt, sollte unbedingt mit der dümmsten vernunftbegabten Waschmaschine der Welt Bekanntschaft schließen. Immer wieder ins Nachdenken führend, wie fremdartig Lem außerirdisches (intelligentes) Leben erfindet und beschreibt, etwa in „Solaris“. Und eine bittere Abrechnung mit der menschlichen Fähigkeit zum Guten wie zum Bösen ist „Die Stimme des Herrn“, spröde zu lesen, aber ein Buch, das den Verstand fliegen lässt.




Der Traum von Bayreuth: Festspiel-Inspirationen für Aalto-Chorsänger Wolfgang Kleffmann

Keine Ruhepause für Wolfgang Kleffmann nach der Rückkehr von den Bayreuther Festspielen: Einen Tag nach der letzten Vorstellung von Wagners „Meistersingern“ war er bereits morgens auf dem Weg zur Probe im Aalto-Theater.

Wolfgang Kleffmann singt seit 2003 im Essener Aalto-Chor und seit 2005 im Bayreuther Festspielchor. (Foto: Werner Häußner)

Nach Wagner steht nun Verdi an: Der Chor des Essener Opernhauses bereitet sich auf die Wiederaufnahme von „Rigoletto“ am 12. September vor, in einer „semikonzertanten“, von Sascha Krohn eingerichteten Form. Tianyi Lu, aus Shanghai stammend und in Neuseeland groß geworden, steht als Gastdirigentin am Pult. Sie ist die Gewinnerin des internationalen Sir Georg Solti Dirigentenwettbewerbs 2020. Die Titelrolle singt der isländische Bariton Ólafur Sigurdarson, als Rigolettos Tochter Gilda ist Tamara Banješević in ihrem Rollendebüt zu erleben. Im Chor der Höflinge, die willig jede Bosheit ihres Herrn, des Herzogs von Mantua (Carlos Cardoso), mitmachen, singt Wolfgang Kleffmann im Tenor.

Szene aus Verdis „Rigoletto“ am Aalto-Theater Essen, mit Tamara Banješević und Carlos Cardoso. (Foto: Saad Hamza)

Für die Festspiele hat der Sänger gerne auf Urlaub verzichtet: Bayreuth hat ihn gepackt, seit 2005 singt er dort im Chor. „Wagner erschüttert, wenn man dafür empfänglich ist“, bekennt er. Auch wenn es pathetisch klingt: Wagner hat das Leben von Wolfgang Kleffmann verändert. Ein Besuch der „Walküre“ entfachte die Wagner-Begeisterung. Nach zehn Jahren Praxis als Zahnarzt in Eschweiler begann er mit 33 Jahren noch ein Gesangsstudium, das er in Maastricht abschloss. Sein Ziel von vornherein: Singen im Chor. Der Wunsch erfüllte sich 2003, als er seine erste Stelle im Chor des Aalto bekam. Da blieb es nicht bei der Liebe nur zu Wagner. Die Opern Giacomo Puccinis oder ein Werk wie Giuseppe Verdis „Don Carlos“ sprechen den Sänger ebenso an.

Singen in Gemeinschaft

Das Singen in Gemeinschaft hat ihn schon als Jugendlicher interessiert. Kleffmann erinnert sich an ein prägendes Erlebnis, das wieder mit Wagner zu tun hat: „Ich hörte eine alte Platte meines Vaters, so eine Sammlung berühmter Chöre. Beim Pilgerchor aus dem ‚Tannhäuser‘ musste ich weinen.“ Was lag also näher als der Versuch, als professioneller Sänger beim Bayreuther Festspielchor zu landen? „Beim Vorsingen habe ich gedacht, ich hätte alles in den Sand gesetzt“, erinnert er sich. „Ich bin mit Tränen in den Augen nach Hause gefahren“. Aber zu seiner Überraschung kam die Zusage: 2005 durfte er anfangen. Der Traum hat sich erfüllt.

Seither ist er mit nur einer Unterbrechung jedes Jahr dabei. Schmerzlich war der Ausfall im letzten Jahr, durch Corona bedingt. Kleffmann ärgert sich: „Weder Chor noch Orchester haben eine Ausgleichszahlung erhalten, weil unsere Verträge, die seit März fertig ausgehandelt waren, noch nicht unterzeichnet waren.“ Er findet das für die Ensembles als „Rückgrat der Festspiele“ schlichtweg beleidigend. „Viele Kollegen sind durch den Ausfall ihrer Einkünfte unglaublich unter Druck geraten“.

Als der Chor geteilt werden musste

Bei den Festspielen 2021 stand der Chor vor einer nie dagewesenen Situation: Die knapp 140 Sängerinnen und Sänger wurden geteilt: Die Hälfte sang im Chorsaal, die andere Hälfte spielte stumm auf der Bühne. „Wir sitzen in einer Art Telefonzelle aus durchsichtigem Material und singen. Der Ton wird direkt ins Festspielhaus übertragen. Das funktioniert hervorragend, und ich bin gar nicht unglücklich. Denn es tut gut, sich einmal ausschließlich auf die musikalische Arbeit zu konzentrieren.“

Im Rückblick auf 16 Jahre Bayreuth erinnert sich Kleffmann an manche unvergessliche Zeit, so die Arbeit mit Christoph Schlingensief, ein „unheimlich sympathischer Typ“. An den „Parsifal“ Stefan Herheims, einen Höhepunkt seines Sängerlebens. Oder an den „Tannhäuser“ von Tobias Kratzer: „Ein Regisseur, bei dem alles durchdacht ist.“ Musikalisch ist für ihn die Zusammenarbeit mit Christian Thielemann ein Erlebnis, aber er schätzt auch Semyon Bychkov: „Er führt mit den Händen, hochmusikalisch.“

Inspirierend ist für Kleffmann auch, an der Seite berühmter Sängerkollegen wie Georg Zeppenfeld zu stehen: „Ein so bescheidener Mensch und ein Sänger, bei dem alles stimmt.“ Oder Tenöre wie Piotr Beczała und Klaus Florian Vogt als „Lohengrin“ zu erleben. So nimmt Wolfgang Kleffmann, der bald wieder seine Fußball-Jugendmannschaft in Bredeney trainiert, aus Bayreuth willkommene Impulse für die tägliche Arbeit am Aalto-Theater mit. Und hofft, im nächsten Jahr wieder dabei zu sein, wenn sich der Vorhang für die neue „Ring“-Inszenierung von Valentin Schwarz hebt.




Schloss Cappenberg: Nach langer Schließung kehrt bald wieder Leben ein

Schloss Cappenberg in Selm, erbaut ab Mitte des 17. Jh. auf dem Gelände des im Dreißigjährigen Krieg zerstörten ersten deutschen Prämonstratenserstiftes Cappenberg. Im Bild das 1708 vollendete Hauptgebäude, ab 1816 im Besitz des Freiherrn vom Stein (1757-1831). (Foto: LWL)

Gleich heraus mit der guten Nachricht: Vermutlich ab März, jedenfalls ab Frühjahr 2022 wird endlich wieder Ausstellungsleben ins Schloss Cappenberg (Selm, Kreis Unna) einkehren. Das altehrwürdige Gemäuer war seit rund fünf Jahren fürs Publikum geschlossen. Es ist draußen wie drinnen gründlich renoviert worden.

Rund 4,5 Millionen Euro hat das ganze Unterfangen gekostet. Der Hausherr, Graf Sebastian von Kanitz, hat den Löwenanteil finanziert. Je etwa 600.000 Euro, zusammen also 1,2 Mio. Euro, haben der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und der Kreis Unna beigesteuert. Sie werden weiterhin als Mieter (Vertrag vorerst bis 2035) jeweils Teile des Schlosses für Ausstellungen nutzen. LWL-Verbandsdirektor Matthias Löb und Landrat Mario Löhr zeigten sich jetzt bei einer Begehung sehr angetan vom rundum aufpolierten Zustand der weitläufigen historischen Immobilie. Zwischenzeitlich waren die etwas komplizierten Verhandlungen mit Graf Kanitz ins Stocken geraten, doch das hat sich längst gegeben.

Skizze zur künftigen Gestaltung der Ausstellung über den Freiherrn vom Stein – hier die geplante Präsentation zum Arbeitszimmer des preußischen Reformers. (Grafik: © Space 4)

Nicht nur der Bau hat sich teilweise gewandelt, auch die Inhalte ändern sich. Völlig neu gestaltet der LWL seine Schau über den preußischen Reformer Freiherr vom Stein, der von 1816 bis zu seinem Tod 1831 auf Schloss Cappenberg gelebt hat. Weitaus lebendiger als bisher soll’s künftig in seinem Altersruhesitz zugehen, bloß keine öde Vitrinen-Darbietung. Via Audioguide soll quasi der Freiherr vom Stein höchstselbst die Besucherinnen und Besucher „abholen“, durch die Gemächer führen und dabei aus seinem Leben und Wirken erzählen. Für die Räumlichkeiten hat man typisches Mobiliar jener Zeit ausgewählt – ohne behaupten zu können und zu wollen, es habe dem Freiherrn höchstpersönlich gehört. LWL-Direktor Löb über die nachwirkende Bedeutung des Freiherrn: „Ohne ihn keine preußischen Provinzen, ohne ihn kein Westfalen in den heutigen Grenzen und ohne ihn kein Landschaftsverband.“

Während der LWL mit der Stein-Schau rund 500 Quadratmeter im Obergeschoss bespielt, wird der Kreis Unna im Erdgeschoss die Reihe seiner kunst- und kulturgeschichtlichen Sonderausstellungen im Schloss fortsetzen. Zigtausend Gäste kamen bis 2016 jährlich aus nah und fern zu solchen Ereignissen. Im nächsten Jahr will man an die Erfolgsgeschichte anknüpfen.

Auf dem Balkon des Cappenberger Schlosses: der Hausherr (Graf Sebastian von Kanitz, Mitte) und seine Mieter, LWL-Verbandsdirektor Matthias Löb (rechts) sowie Mario Löhr, Landrat des Kreises Unna (links). (Foto: Bernd Berke)

Doch noch sind die Raumfluchten leer. Graf von Kanitz, über Generationen hinweg ein Nachfahre des Freiherrn vom Stein, gab jetzt einen Einblick in den Stand der Renovierungen, die noch nicht völlig abgeschlossen sind. Hie und da sieht es noch so provisorisch aus, wie es bei derlei baulichen „Ertüchtigungen“ halt der Fall ist.

Doch das allermeiste zeigt sich schon in neuer Pracht. So sind die Balustraden des Balkons mit seinem wunderbaren Fernblick komplett erneuert worden. Im Sonnenlicht dieses Tages schimmert eine helle Fassade. Im Luckner-Saal sind die vermutlich aus den 1950er Jahren stammenden Wandmalereien zum Jahreszeiten-Zyklus farblich restauriert worden. Etliche Parkettböden wurden mit Rücksicht auf historische Gegebenheiten behutsam erneuert. Neue Heiz- und Sicherheitstechnik kommt unsichtbar hinzu. Es gibt jetzt einen Fahrstuhl (Stichwort: Barrierefreiheit) und ein zusätzliches Eichenholz-Treppenhaus, die historische Treppe bleibt derweil natürlich erhalten. Wer hier hinauf oder hinab geht, gerät geradezu zwangsläufig ins feierliche Schreiten.

Impression aus dem Luckner-Saal: eines der restaurierten Wandbilder zu den vier Jahreszeiten. (Foto: Bernd Berke)

Bei allen Maßnahmen haben die Leute vom Denkmalschutz gehörig mitgeredet. Graf von Kanitz übertreibt wohl kaum, wenn er sagt, jeder neue eingebaute Lichtschalter sei eigens besprochen worden. Erst recht müssen geschichtliche Details wie die Stuckdecken bewahrt werden, die hie und da ein wenig bröckeln. Für all das waren und sind Dutzende Fachfirmen am Werk und Gewerk.

Schloss Cappenberg ist nicht zuletzt ein bedeutsames Monument westfälischer Klosterbaukunst. Das einstige Chorherrenstift aus dem 12. Jahrhundert war ursprünglich eine Schöpfung des Prämonstratenser-Ordens, gar die früheste ihrer Art auf deutschem Boden, die freilich im Dreißigjährigen Krieg zerstört wurde. Ab Ende des 17. Jahrhunderts erfolgte die Neuerrichtung der Klostergebäude im Geiste des Barock.

Mit der Wiederbelebung des Schlosses im Jahr 2022 wird man zugleich ein gewichtiges Jubiläum begehen können: Vor dann 900 Jahren, anno 1122, war hier das erwähnte Prämonstratenserkloster gegründet worden. Epochal passendes Cappenberger Ausstellungsprojekt für September 2022: eine Würdigung zum 900. „Geburtstag“ des Stauferkaisers Friedrich I. „Barbarossa“.

Mit Schloss Cappenberg und dem nicht weit entfernten Schloss Nordkirchen (kühne Bezeichnung: „Westfalens Versailles“) kann die Region auch überregional prunken. Und das alles am Rande des Ruhrgebiets.

Weit geht der Blick ins Westfalenland – vom Balkon des Cappenberger Schlosses. (Foto: Bernd Berke)




Eine Frau leitet künftig das Aalto-Theater: Merle Fahrholz wechselt aus Dortmund als Intendantin nach Essen

Stellte sich bei einer Pressekonferenz vor: Dr. Merle Fahrholz, ab der Spielzeit 2022/23 Intendantin des Aalto-Theaters und der Essener Philharmoniker. (Foto: Werner Häußner)

Zum ersten Mal werden das Essener Aalto-Theater und die Essener Philharmoniker von einer Frau geleitet: Merle Fahrholz, bisher stellvertretende Intendantin und Chefdramaturgin an der Oper Dortmund, folgt zu Beginn der Spielzeit 2022/23 Intendant Hein Mulders nach, der die Leitung der Oper Köln übernimmt.

Ein Arbeitsausschuss des Aufsichtsrats der TuP (Theater und Philharmonie Essen GmbH) hatte die 38jährige promovierte Musikwissenschaftlerin in einem „straffen und intensiven Prozess“ – so der Essener Kulturdezernent Muchtar al Ghusain – aus über vierzig Persönlichkeiten aus der nationalen und internationalen Opernszene ausgewählt. Die einstimmige Entscheidung bedeutet auch, dass die Philharmonie Essen künftig eigenständig geleitet wird.

Fahrholz, in Bad Homburg geboren, war nach dem Studium als Dramaturgin an den Theatern in Biel-Solothurn (Schweiz), Heidelberg und Mannheim tätig. Erfahrungen auch im Bereich der Kulturvermittlung sammelte sie bei den Berliner Philharmonikern, der Semperoper Dresden, der Metropolitan Opera New York und bei einem interkulturellen Händel-Projekt in Serbien. Ferner arbeitete sie mehrfach an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis, so etwa mit den Universitäten Heidelberg, Zürich und dem Forschungsinstitut für Musiktheater der Uni Bayreuth. 2015 promovierte sie in Zürich über den Komponisten Heinrich August Marschner. Mit Merle Fahrholz tritt in Essen eine „neue Generation von Führungskräften“ an, die „wissenschaftliche Sorgfalt mit hohen Anforderungen an künstlerische Projekte verbindet“, so die Vorsitzende des TuP-Aufsichtsrats, Barbara Rörig.

In Dortmund war Fahrholz ab 2018 an der Konzeption eines ehrgeizigen Spielplans beteiligt, der u.a. Raritäten wie Daniel François Esprit Aubers „Die Stumme von Portici“ vorgesehen hatte, aber durch die Corona-Pandemie weitgehend nicht realisiert werden konnte. In der laufenden Saison betreut sie u.a. die moderne Erstaufführung von Gaspare Spontinis „Fernand Cortez oder Die Eroberung von Mexiko“ (Premiere 7. April 2022) und die Ausgrabung von Ernest Guirauds unvollendeter, von Camille Saint-Saëns fertiggestellter Oper „Frédégonde“ (Premiere 20. November 2021).

Das Aalto-Theater in Essen wird künftig zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer Frau geleitet. (Foto: Werner Häußner)

Da die Essener Spielzeit 2022/23 bereits vorgeplant ist, werde sie ihren Spielplan ab 2023 in „ausgewogener Programmatik“ gestalten, gab sie bei einer Pressekonferenz im Aalto-Theater bekannt. Neben die Klassiker des Repertoires sollen unbekannte, für die heutige Gesellschaft mit ihren Ausprägungen und Bedürfnissen relevante Werke verschiedener Epochen treten, die „einen neuen Blick verdienen“.

Schwerpunkt auf Komponistinnen

Fahrholz plant einen Komponistinnen-Schwerpunkt auf der Opernbühne und im Konzert. Dabei werde es um zeitgenössische Komponistinnen gehen, sagte Fahrholz. Aber auch aus vergangenen Jahrhunderten gebe es viele Werke von Frauen zu entdecken. Nicht zu kurz kommen solle die sogenannte leichte Muse. „Die Oper spricht Emotionen an. Ihr geht es um das Mitfühlen und im besten Fall das Ausleben von Emotionen“, so Fahrholz. „Ich lege Wert auf das Erzählen von Geschichten“. Für eine „Vielfalt der Ästhetik“ plant sie mit verschiedenen Regiehandschriften von in Essen bekannten Persönlichkeiten, aber auch mit neuen Gesichtern aus der Regieszene.

Unter dem Schlagwort „Open up“ möchte Merle Fahrholz mit künstlerischen Projekten Essen entdecken und sich gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern intensiv mit ihrer Stadt auseinandersetzen. Ein zentrales Anliegen sei dabei der Ausbau der Arbeit mit und für Kinder und Jugendliche. Die Zukunft des Theaters, über die jetzt gesprochen werden müsse, sieht Fahrholz auch in partizipativen Projekten, die es zu einem „Brennglas von Sehnsüchten, Wünschen und Utopien“ machen. Das Aalto-Theater solle sich zu einem Ort des Begegnung und des sozialen Miteinanders entwickeln, an dem sich alle willkommen fühlen.




Coup zur Saison-Eröffnung: Bayreuther Festspielorchester in der Philharmonie Essen

Christine Goerke, Klaus Florian Vogt und – im Hintergrund – Andris Nelsons in der Philharmonie Essen. (Foto: Sven Lorenz)

Dieser Aufbruch hat es in sich: Vierfach geteilte Violinen in ätherischem Pianissimo, vier einzelne Geigen, ein ständig gefordertes An- und Abschwellen des Tones in kleinräumiger Dynamik. Ein auf Richard Wagner spezialisiertes Orchester wie dasjenige der Bayreuther Festspiele sollte mit der fragilen Faktur des „Lohengrin“-Vorspiels versiert umgehen. Sollte.

Tatsächlich tritt die silbrige Klangfläche nicht wie von Ungefähr in den Bereich hörbaren Klangs, sondern beginnt, wie oft in der Wagner-„Provinz“, zu laut, zu körperlich – und auch zu brüchig. Andris Nelsons am Pult mag sich in der Essener Philharmonie noch so sehr bemühen: Der Zug der Dynamik hatte Fahrt aufgenommen und war nicht mehr zu bremsen. Der Einsatz der Bläser: kein Gänsehaut-Moment. Das Hinzutreten der Hörner: ein fast unmerkliches Ausbreiten feinsten Samts. Die Blechbläser: kein Ereignis, es sei denn, man zählt die zögerlich gehaltenen Töne der Posaunen als solches.

Kein Ruhmesblatt für ein Orchester, das sich in Bayreuth ausschließlich der Musik des „Meisters“ widmet. Aber auch des Dirigenten Anteil war nicht eben auf dem Niveau des publizistisch befeuerten Ruhmes: Nelsons Tempo flackert zunächst, die von Angaben zur Dynamik und von teils riesigen Bögen gegliederte Phrasierung wirkt nicht zielgerichtet, ohne innere Spannung. Man hört, was man bei Wagner auf keinen Fall wahrnehmen sollte: wie die Musik „gemacht“ ist. Zauber? Geheimnis, gar Ergriffenheit? Ach wo. Aber dafür einen gellenden Beckenschlag, von einer viel zu massiven Klangwalze nicht vorbereitet. Und am Ende Sentiment in bröselnd langsamer Phrasierung nebst präzis platziertem Huster aus der Galerie mitten hinein ins milde Pianissimo-Licht: Holla, wir sind wieder da!

Magische Momente, sensible Abmischung

Dieses Einstiegs ungeachtet ist das Orchester aus Bayreuth ein hochklassiger Klangkörper und hat Andris Nelsons ein charismatisches Geheimnis, das ihn zu den führenden Dirigenten seiner Generation macht. Und daher konnte es nicht so weitergehen: In den folgenden Highlight-Auszügen aus „Lohengrin“ finden sich die Musiker zusammen; in Vorspiel und Karfreitagszauber aus dem „Parsifal“ gelingen magische Momente, weit aufgespannte Bögen, sensible Abmischung des Klangs. Nelsons bevorzugt ein „modernes“ Wagner-Bild, also keine raunend ungefähr einsetzende Klänge, sondern klare Schnitte; kaum organisch pulsierende Tempi, sondern eher den Kontrast von extrem langsamem Auskosten und verzögerungslosem Fortschreiten. Seltsam aber, dass er aus der Auffächerung des Klangs keinen Zauber gewinnt, dass er beim einen oder anderen Bläser (Trompete!) keinen markanteren Ton einfordert. Dennoch: Diese „Parsifal“-Auszüge waren der Höhepunkt des knapp dreistündigen Konzerts.

Andris Nelsons. (Foto: Sven Lorenz)

Ob es eine gute Idee war, den zweiten Teil mit dem „Walkürenritt“ einzuleiten, mag man bezweifeln. Mit mechanischen Rhythmusfloskeln unterlegt, donnern die Wellen der reitenden Walküren einher, das Blech schlägt mit frohem Grimm Fortissimo-Schneisen in die Phalanx der Streicher, deren stürzend chromatische Skalen im dröhnenden Messing ertrinken. Eine Dramaturgie der Dynamik ist nicht erkennbar: Wo es schon beim ersten Höhepunkt kaum lauter geht, nützt beim zweiten auch die Tuba nichts mehr. Dass Lärm wiederum Lärm erzeugt, ist ein altes Mittel, Beifall zu entfesseln: Die Philharmonie schreit auf, der Applaus brandet, Begeisterung bricht sich Bahn. Nach Subtilitäten wird da nicht mehr gefragt.

Leider ging der Balsam, der in „Siegfrieds Rheinfahrt“ zunächst die Ohren zu heilen schien, rasch zur Neige. Nelsons kostet das Motivgeflecht bis zur Neige in seliger – und bisweilen verschleppt phrasierter – Langsamkeit aus, auf Disziplin in der Dynamik achtet er dabei weniger. Die Posaunen kennen bis zum Schlussgesang der Brünnhilde offenbar nur eine Lautstärke; der Trauermarsch aus der „Götterdämmerung“ wälzt sich breit, mit ausladend süffigem Klang dahin, aber ohne die ergreifende Schärfe, die ihm ein Dirigent wie Michael Gielen zu geben verstand. Das ist, wie leider so manches Mal bei Nelsons, üppig-luxuriöses Volumen, adrett hergerichtet, aber ohne tiefere Berührung verströmend.

Entspanntes Singen, leuchtender Klang

Unter solchen Bedingungen hat Christine Goerke kaum eine Chance. Sie versucht, die letzten Worte der Brünnhilde aus der „Götterdämmerung“ entspannt zu singen, sauber zu artikulieren, nicht mit dramatisch überschrieenem Aplomb aufzuladen. Das gelingt ihr, soweit ihr das Orchester eine Chance lässt. Was sie kann, wird sie 2023 im nächsten Bayreuther „Ring“ beweisen; einstweilen bleibt der Eindruck, einen Sopran gehört zu haben, der sich weder durch angestrengt flackerndes Vibrato noch durch gestaute und druckvolle Töne Geltung verschaffen muss.

Zum Star des Abends avanciert Klaus Florian Vogt mit den – im Programm seltsamerweise als „Arien“ betitelten – Auszügen aus „Lohengrin“ und „Parsifal“. Er hat, was die Italiener „squillo“ nennen, die Fähigkeit, den Ton konzentriert und voluminös, aber ohne Kraftmeierei in den Raum zu projizieren. Sein Timbre, das nicht dem geschmäcklerischen Streben nach baritonaler Grundierung entspricht, passt zur transzendentalen Erscheinung des Gralsritters, entspricht auch der Naivität Parsifals. Dabei setzt er in „Höchstes Vertrau’n“ kraftvoll leuchtenden Klang ein, „Glanz und Wonne“ von Lohengrins Herkunft spiegelt er in abgesicherter, strahlender Höhe. Nahe am Wort gestaltet er die Gralserzählung: Das sorgsam gestaltete Piano-Leuchten der Stimme für die himmlische Taube überzeugt ebenso wie die veränderte Farbe des Wortes „Glaube“. Mit „Mein lieber Schwan“ gelingt Vogt ein Musterbeispiel verhalten-wehmutsvollen Singens; der Einsatz der Mezzavoce ist ohne jede Verkünstelung locker und unverfärbt.

Jubel in der Philharmonie. Schon die Begrüßung des Orchesters zu Beginn ist mehr als ein herzliches Willkommen, mehr als die Antwort auf den Ruf der Truppe aus dem „mystischen Abgrund“. Mehr auch als der Dank des nun – trotz Schachbrett-Besetzung – gut gefüllten Hauses, nach eineinhalb Jahren ausgedünnter Reihen, wieder ein Publikums-Feeling zu genießen. Und mehr als eine Anerkennung für den Coup von Intendant Hein Mulders, zur Eröffnung seiner letzten Spielzeit das Bayreuther Orchester – zwischen Köln. Paris und Riga – an die Ruhr geholt zu haben. Man meint, die Erleichterung zu spüren. Und die Freude: Die Strahlen des Klanges vertreiben die Nacht, zernichten der Viren erschlichene Macht.