Chinas Raubbau an der Natur – Fotografien von Lu Guang im Bergbau-Museum Bochum

Gespenstischer Anblick: Als Ersatz für Rinder und Schafe, die es dort immer weniger gibt, stellte die Bezirksregierung auf dem Weideland Horqin Tierplastiken auf. (Aufgenommen in Holingol, Innere Mongolei, April 2012 – Photograph © Gu Luang – Contact Press Images)

Das Deutsche Bergbau-Museum in Bochum will sich jetzt und mittelfristig (vorerst „in der nächsten Dekade“) vermehrt ökologischen Themen widmen. Das kündigte Museumsleiter Prof. Stefan Brüggerhoff heute geradezu pflichtschuldigst an. Nah am waltenden Zeitgeist, griff er dabei auf Worte wie „Anthropozän“ (gegenwärtiges Zeitalter, in dem der Mensch die Erde gar zu gründlich verändert) und Nachhaltigkeit zurück. Da dürfte er richtig liegen.

Mit techniklastigen Darstellungen zur Geschichte des Kohleabbaus im Ruhrgebiet ist es also längst nicht mehr getan. Das Bochumer Ausstellungs-Institut, so Prof. Brüggerhoff weiter, sei schließlich nicht von ungefähr eines von bundesweit acht Leibniz-Forschungsmuseen (zuständig für Geo-Ressourcen), ziele mithin aufs Allgemeinere, wenn nicht aufs Globale. Da kommt die Ausstellung „Black Gold and China“ mit Fotografien des Chinesen Lu Guang gerade recht, der seit Jahrzehnten geradezu investigativ mit der Fotokamera verfolgt, wie Landschaften in seiner Heimat vor allem für den Kohleabbau zutiefst verwundet und verpestet werden. Das betrifft letztlich den ganzen Erdkreis, denn rund 50 Prozent der weltweiten Kohlegewinnung fallen in China an. Die Schadstoffe verbreiten sich grenzenlos.

Der Fotograf Lu Guang, im Mai 2006 in Peking. (© Fundang Sheng – Contact Press Images)

Rund 100 Farb- und Schwarzweißfotografien von Lu Guang (Jahrgang 1961) sind in Bochum ausgestellt, erstmals außerhalb von China. Kuratorin Sandra Badelt sagte, eine Ausstellung dieses Fotokünstlers habe ihr schon 2018 vorgeschwebt, als sie sich um die Stelle am Bergbau-Museum beworben hat. Folglich hat sie Kontakt zum späteren Ko-Kurator aufgenommen, dem US-Amerikaner Robert Pledge (Editorial Director bei Contact Press Images, New York/Paris), der just dabei war, ein Buch über Lu Guang herauszubringen. Sie konnten aus Zigtausend Bildern auswählen, die der Fotograf in den letzten 22 Jahren aufgenommen hat.

Manche Fotografien massenhaft rauchender Schlote kommen einem aus früheren Revier-Zeiten „irgendwie“ bekannt vor, doch hat das Desaster offenbar noch einmal ganz andere, ungleich gigantischere Dimensionen. Tatsächlich kann einen beim Anblick vieler Fotografien kaltes Grausen erfassen. Dass vor industrieller Kulisse keine echten, sondern nur noch künstliche Schafe stehen, bringt die rabiate Naturzerstörung auf einen bildlichen Begriff. Auch hierbei kann man sich ans Ruhrgebiet von (vor)gestern erinnert fühlen: Lu Guang zeigt hin und wieder von Schwerstarbeit ausgemergelte Bergarbeiter, die direkt mit ihrer Gesundheit bezahlen, während andere Menschen mittelbar von den Folgen des Raubbaus ereilt werden.

Ohne unken zu wollen, fragt man sich beklommen, ob Lu Guangs schonungsloser Blick auf die ökologischen Verhältnisse von offiziellen Stellen in China goutiert wird. Seine Fotografien zeugen nicht nur von technischer Könnerschaft und ästhetischem Vermögen, sondern wohl auch von Courage.

„Black Gold and China. Fotografien von Lu Guang“. Deutsches Bergbau-Museum, Bochum, Erweiterungsbau, Am Bergbaumuseum 28. Vom 10. Dezember 2021 bis zum 17. April 2022 (verlängert bis zum 24. April 2022). Geöffnet Di-So 9.30 bis 17.30 Uhr, Mo geschlossen. Eintritt 3 Euro. Katalog 40 Euro. Weitere Hinweise (auch zu den gültigen Corona-Regeln) auf der Homepage: 

bergbaumuseum.de

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P. S.: Wir würden in den Revierpassagen gern weitere Foto-Beispiele zeigen, sind aber in diesem Falle als Online-Medium rechtlich gehalten, nur ein einziges Bild plus Porträt des Fotografen zu veröffentlichen.

 




Vokale Spitzenklasse: Händels Oratorium „Theodora“ mit Joyce DiDonato in der Philharmonie Essen

Joyce DiDonato als Irene in Georg Friedrich Händels
„Theodora“ in der Philharmonie Essen. Foto: Sven Lorenz

Wien, Paris und am Ende Essen: Die Philharmonie war Endstation einer Fünf-Städte-Tournee von Orchester und Chor „Il Pomo d’Oro“ unter Maxim Emelyanychev und einer luxuriös besetzten Solistenriege, an ihrer Spitze Mezzosopran Joyce DiDonato. Nach dreidreiviertel Stunden erlesener Musik von Georg Friedrich Händel gab es begeisterungsfrischen Jubel.

Joyce DiDonato, die zuletzt im Juni dieses Jahres mit einem Lied- und Arienabend in Essen zu Gast war, präsentiert sich diesmal ähnlich vollendet in der Kunst, die Affekte und Subtilitäten der Vokalmusik des 18. Jahrhunderts zu gestalten. In Händels „Theodora“ geht es nicht um Koloraturenprunk und den Rausch jäher Leidenschaften. Das 1750 uraufgeführte Oratorium beschreibt das Martyrium einer standhaften jungen Frau in der diokletianischen Christenverfolgung am Ende des dritten Jahrhunderts.

Händel erfindet dazu über weite Strecken eine intime, verinnerlichte, komplex durchgearbeitete, aber allen äußeren Effekten abholde Musik. Nicht das, was seine Zeitgenossen erwartet hatten: „Theodora“ war ein krachender, für Händel schmerzlicher Misserfolg. Er zählte die Geschichte mit ihrem düsteren Ausgang – Theodora und ihr Geliebter Didymus gehen „zerstört von unglücklicher Standhaftigkeit“ ihrer Hinrichtung entgegen – zu seinen besten Werken. Heute legt der historische Abstand einen Grund nahe: Händel nähert sich bereits der „Empfindsamkeit“ der nächsten Generation, schafft also ein „modernes“ Werk, das wohl die Erwartungen seines Publikums irritiert hat. Dass Händel eine christliche Heiligengeschichte zum Sujet gewählt hat, mag dazu zusätzlich beigetragen haben.

Brutale Staatsmacht, widerlicher Wohlstand

Was war die beklagte „Standhaftigkeit“? Theodora weigert sich, die verordneten Opfer für Jupiter zu leisten, und der römische Statthalter Valens erklärt klipp und klar alle, die den Staatskult – aus welchen Motiven auch immer – nicht mittragen können, zu Feinden des Kaisers. Theodora soll an den „üblen Ort, an dem Venus ihre Hof hält“ gebracht werden, als Prostituierte, wie Valens ohne Umschweife erklärt. Und sollte sie dort nicht fügsam sein, wisse er schon ein paar der schäbigsten seiner Gardisten, die mit lüsternem Vergnügen über ihre Züchtigkeit triumphieren werden. Er droht also mit einer Massenvergewaltigung. Ein Befreiungsversuch misslingt, weil Theodora nicht bereit ist, ihren Retter Didymus an ihrer Stelle sterben zu lassen.

In den Texten der 72 Nummern hat Librettist Thomas Morell nicht nur ein bemerkenswertes Plädoyer für die Gedanken- und Glaubensfreiheit eingestreut („Sollten wir nicht den frei geborenen Geist des Menschen frei belassen?“) und Gnade, Wahrheit und Liebe als Quell jeden Glücks qualifiziert. Er lässt auch indirekt Kritik an der staatstragenden Rolle der Religion zu – der König ist gleichzeitig Oberhaupt der anglikanischen Kirche –, und er stört die Idealisierung des römischen Imperiums, das die aufgeklärten politischen und philosophischen Geister der Epoche als Vorbild für das britische Empire sahen. In „Theodora“ ist die römische Staatsmacht barbarisch und brutal. Kaum auf Gefallen bei Händels Publikum dürfte auch die Attacke auf den Wohlstand gefunden haben: Irene, Theodoras Gefährtin erklärt „prosperity“ durch das Pathos der Musik unterstrichen zur Nährmutter widerlicher Leidenschaften und übler Neigungen.

In dieser wunderbaren Arie („Bane of virtue“) gestaltet Joyce DiDonato den Gegensatz von leerer Befriedigung und erfülltem Glück allein mit der Vielfalt ihrer stimmlichen Mittel: mit feinen Differenzierungen in der Dynamik, mit Akzenten durch die Farben der Töne, mit einem Spektrum von vibratoarmer Helle bis zu einem gesättigten, vital vibrierenden Leuchten. Damit ist sie den weißgekalkten, geradegezogenen, kopfverankerten Stimmchen, die oft als vorbildhaft „barock“ gepriesen werden, grundsätzlich überlegen. Ihre ausgereifte, den beschriebenen Idealen des Belcanto nahekommende Stimme verströmt jene kunstvolle Natürlichkeit, die mit leichter, aber substanzvoller Tonproduktion und unverkrampfter Emission vergessen lässt, wie viel Disziplin und Mühe dazu gehört, ein solches Niveau zu erreichen und zu halten.

Große Kunst, kontrolliert und reflektiert

Aber der Lohn ist süß: So kann DiDonato in der Arie „As with rosy steps the morn“ das rosige Morgenrot als Widerschein ewigen Lichtes in allen Piano-Schattierungen aufgehen lassen und mit einer schwebend-ätherischen Kadenz abschließen. Große Kunst, so kontrolliert und reflektiert gesungen wie aus dem inneren Impuls des Gedankens heraus gestaltet. Auch das Air „Defend her, Heav’n“, eigentlich ein Gebet um Beistand für die angefochtene Theodora, kleidet Joyce DiDonato in verhaltenen Klang, intensiviert mit diskretem Vibrato. In solchen Momenten zeigt auch der Dirigent Maxim Emelyanychev, wie er die Sänger atmend trägt statt sie in Tempo oder Metrum zu dominieren.

Debüt an der Met und bald Premiere an der Scala: Lisette Oropesa als Theodora in der Philharmonie Essen. Foto: Sven Lorenz

In der Titelrolle von Händels vorletztem Oratorium ist die in New Orleans geborene Lisette Oropesa zu hören. Sie debütierte bereits mit 22 Jahren an der Metropolitan Opera New York als Susanna in Mozarts „Nozze di Figaro“ und spannte ihre Karriere über die Scala (Verdis „I Masnadieri und jetzt Bellinis „I Capuleti e i Montecchi“) und Paris (Marguerite in Meyerbeers „Les Huguenots“) bis Covent Garden (Donizettis „Lucia di Lammermoor“). Im März/April 2022 soll sie – nach einem Zarzuela-Programm in Madrid – Konstanze und Lucia an der Wiener Staatsoper singen.

Oropesa hat eine dunkel getönte, sinnlich-füllige Sopranstimme, die man eher mit dem Belcanto des 19. Jahrhunderts als mit Händel verbindet. Aber schon ihre Auftrittsarie, in der Theodora der „flatt’ring world“ zugunsten von „Gottes Verheißung“ Adieu sagt, offenbart eine vorzügliche Beherrschung des Tons und ein schmelzend flutendes Timbre, das weniger der präzisen Artikulation von Händels Musik entgegenkommt als ihren sinnlichen Qualitäten. In der flehentlichen Bitte, die „Angels, ever bright and fair“ mögen sie vor der Schmach der Prostitution bewahren, entfalten sich die Vorzüge dieses Singens frei und faszinierend. Die edle, beherrschte Tongebung Oropesas lässt allerdings nicht vergessen, dass ihre auf Vokale konzentrierte Artikulation dem Text nicht entgegenkommt.

Glanzvoller Ton, unverkrampfte Höhe

Mit Michael Spyres steht als Septimius ein ausgewiesener Spezialist für die Epochenwende vom 18. zum 19. Jahrhundert auf dem Podium, der mit Rossinis „Otello“ (derzeit in Gelsenkirchen zu erleben) beim Festival „Rossini in Wildbad“ auf sich aufmerksam machte und seither neben dem Belcanto auch das französische Repertoire für sich erschlossen hat. Er agiert stimmlich nicht so geschmeidig wie Joyce DiDonato, hat aber in der sicher-unverkrampften Höhe, in einer glanzvollen Mittellage und in unerschütterlicher Geläufigkeit alle Voraussetzungen, um Händels Musik souverän zu gestalten.

Solches gelingt auch dem Bariton John Chest als mitleidlos zynischem Römer, auch wenn er eher eine robust feste Tonbildung pflegt. Counter Paul-Antoine Bénos-Djian als von Theodora bekehrter römischer Offizier Didymus zeigt in elaborierten Rezitativen, wie er mit seiner ausgeglichenen, elegant geführten Stimme den Inhalt der Worte in Musik fassen kann. In der Tiefe funkelt sie wie golddurchwirkter Brokat, in der Höhe leuchtet der unforcierte Ton wie schimmernde Seide. Nur einzelne dunkle Vokale lösen sich manchmal aus der Kontrolle und wirken unvermittelt heftig.

Die 16 Sängerinnen und Sänger des von Giuseppe Maletto geleiteten Chors versetzen mit bravouröser Phrasierung und lupenreiner Intonation in pures Entzücken. So war zu hören, warum Händel den Chor „He saw the lovely youth“, der mit Verweis auf den von Christus auferweckten Jüngling von Naim dem bevorstehenden Martyrium eine hoffnungsvolle Perspektive gibt, dem „Halleluja“ aus dem „Messiah“ vorgezogen hat. „Il Pomo d’Oro“, erst im Juni 2021 mit Händels „Oreste“ in der Philharmonie, bewegt sich unter der agilen Leitung Emelyanychews auf gewohntem Niveau und gleicht einige pauschal klingende Momente in Händels schweifendem Streichermelos mit spritziger Präsenz und akzentuiertem dramatischem Zugriff aus. Ein Abend der vokalen Spitzenklasse, wie er nicht häufig zu erleben ist.

Die Philharmonie Essen war auch Ort einer Live-Aufnahme des Händel-Oratoriums, die demnächst auf CD erscheinen soll.