Beispiel Dortmund: Mit Karstadt schwinden auch Erinnerungen

Ansicht des Dortmunder Karstadt-Kaufhauses – im August 2016. (Foto: Bernd Berke)

Betrübliche Nachricht: Mitte 2023 und Anfang 2024 sollen 52 Warenhäuser der Galeria Karstadt Kaufhof GmbH schließen; darunter am 31. Januar 2024 das Karstadt-Warenhaus in Dortmund, nachdem Jahre zuvor schon der örtliche Kaufhof aufgeben musste, von anderen Anbietern gar nicht mehr zu reden. Damit wird für viele alteingesessene Menschen in Dortmund auch eine (Kindheits)-Erinnerung verblassen.

Die Älteren kennen das Haus an der zentralen Innenstadt-Kreuzung Hansastraße/Westenhellweg noch als „Althoff“. So hieß das Haus bis in die frühen 1960er Jahre. Theodor Althoff hatte den Vorläufer im Jahr 1904 eröffnet – damals eine veritable Sensation. Das größte Kaufhaus in Westfalen (5000 Quadratmeter Verkaufsfläche) beschäftigte rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, als allererstes deutsches Warenhaus führte es auch Lebensmittel.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, in den 1950er und 60er Jahren, blühte der gründlich umgestaltete Konsumtempel wieder auf. In jenen Jahrzehnten strömten vor allem samstags ungemein viele Menschen aus dem Sauerland und der sonstigen Umgebung nach Dortmund, das in Sachen Einkauf wirklich eine Metropole war. Der Westenhellweg, so bestätigten über Jahrzehnte hinweg immer wieder Passanten-Zählungen, zählte zu den besucherstärksten Meilen in ganz Deutschland – vor allem just wegen der Warenhäuser Karstadt, Kaufhof, Hertie oder Horten. Deren große Jahre sind bekanntlich längst vorbei.

Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, in denen Karstadt tatsächlich nahezu ein Vollsortiment vorgehalten hat. Eine Tierhandlung gehörte beispielsweise ebenso dazu wie eine Möbel-Etage – und zahllose Angebote mehr. Damals gab es noch Fahrstuhlführer, die alle Stockwerke abklapperten und auf den entsprechenden Höhen Worte wie „Damenoberbekleidung“ oder „Kurzwaren“ geradezu weihevoll aussprachen. Als Kinder mochten wir die Rolltreppen allerdings noch lieber, auf den Stufen konnte man schön Unsinn machen. Natürlich war die Spielzeugabteilung das Ziel unserer Sehnsüchte.

Gefühlt war Karstadt – neben der Reinoldikirche – stets das absolute Zentrum Dortmunds. Man möchte sich lieber gar nicht ausmalen, was künftig aus der City werden soll. Hoffentlich keine Ansammlung von Ramschläden, wie am angrenzenden Ostenhellweg schon vielfach üblich. Gefragt sind jetzt – mehr denn je – Leute mit Phantasie und Fortune, die die Stadtmitte neu und anders entwickeln. Natürlich nicht nur in Dortmund, sondern auch in allen anderen betroffenen Städten.

Gar nicht zu vergessen: Rund 160 Karstadt-Beschäftigte verlieren allein in Dortmund ihre Jobs, bundesweit dürften es nahezu 5000 sein. Ihnen kann man nur wünschen, dass sie bald anderweitige und möglichst mindestens gleichwertige Anstellungen finden.

Apropos. Die blanke Wut kann einen packen, denkt man ans Gebaren des österreichischen Milliardärs und Groß-Investors René Benko, der 2014 über seine Holding Signa den Warenhauskonzern übernommen hatte. Hernach verzichteten Gläubiger auf Abermillionen, die Karstadt und Kaufhof (später fusioniert zu „Galeria“) ihnen schuldeten. Vor allem aber wurden, wie so oft in derlei Fällen, immense Summen an Steuergeld für eine Rettung der Warenhauskette aufgewendet. Man kann es nachlesen: 680 Millionen Euro sollen es gewesen sein. Alles weitgehend vergebens verschleudert. Man wüsste gern, wieviel Benko eigentlich selbst investiert hat. Nicht wenige Beobachter glauben, dass es ihm von Anfang an nicht um die Warenhäuser als erfolgreiche Verkaufsstätten, sondern schlichtweg um die Top-Immobilien in Citylagen gegangen sei.

Insgesamt ist jetzt wohl das Ende von 52 Häusern besiegelt, 77 (vielfach in mittelgroßen Städten) sollen bleiben. Schließungs-Beispiele in NRW: Ende Januar 2024 wird neben Dortmund das Karstadt-Haus in Essen schließen, außerdem trifft es hier u.a. Düsseldorf (Schadowstraße), Krefeld, Mönchengladbach und Wuppertal. Bereits Ende Juni 2023 machen höchstwahrscheinlich folgende Filialen im Westen dicht: Duisburg, Gelsenkirchen, Hagen, Siegen, Leverkusen, Neuss und Paderborn.

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Da dies nun einmal (auch und vor allem) ein Kulturblog ist, gibt’s hier als Nachtrag noch eine historische Lese-Empfehlung zum Thema:

Emile Zola: „Das Paradies der Damen“ (aus dem Klappentext der Fischer-Taschenbuchausgabe: „Der erste Kaufhausroman der Weltliteratur… Einzigartiger Schauplatz dieses verführerischen Romans ist die elegante und schillernde Welt eines Pariser Kaufhauses aus dem 19. Jahrhundert. Tout Paris oder zumindest die Damen der Gesellschaft erliegen dem verlockenden Angebot einer rauschhaften Konsumwelt.“ – Es waren halt ganz andere Zeiten.)

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Nachtrag am 25. Mai 2023

Überraschende Wende: Karstadt in Dortmund soll jetzt doch erhalten bleiben. Das berichten u. a. Ruhrnachrichten und WDR.

 




Frühling für Hitler: Musical „The Producers“ nach Mel Brooks als rasanter Spaß in Hagen

Einmal eine große Nummer im Showbiz sein: Davon träumt der Buchhalter Leo Bloom (Alexander von Hugo) im Musical „The Producers“ nach einem Film von Mel Brooks. (Foto: Björn Hickmann)

Achtung, bitte anschnallen, fasten seat belts. Hier geht die Post ab, hier geht’s um Geld und Glamour und die Grenzen des guten Geschmacks. Das Theater Hagen startet mit dem Musical „The Producers“ durch, als wolle es einen Rekord für das schnellste Bühnenspektakel der kommenden fünf Spielzeiten aufstellen. Diesen überdrehten Spaß wird so schnell niemand überholen.

„Frühling für Hitler“ war der deutsche Titel der Vorlage, eine Filmkomödie von Mel Brooks aus dem Jahr 1968. Das Musical erzählt die Geschichte vom Broadway-Produzenten Max Bialystock , den der Erfolg verlassen hat. Sein Buchhalter Leo Bloom bringt ihn auf eine Idee, wie er durch Betrug wieder zu Geld kommen kann. Gemeinsam wollen sie das schlechteste Musical aller Zeiten auf die Bühne bringen, um danach mit den Investorengeldern nach Rio de Janeiro durchzubrennen.

Vom Glück verlassen: Max Bialystock (Ansgar Schäfer), ehemals König des Broadway, hat keinen Erfolg mehr. (Foto: Björn Hickmann)

Das passende Stück dafür kommt von dem Alt-Nazi Franz Liebkind, der nicht ahnt, dass sein geliebter Führer auf der Bühne zur Witzfigur wird. Aber auch die Produzenten dieser gezielten Geschmacklosigkeit werden überrascht. Denn der vermeintlich sichere Flop wird für Satire gehalten und löst Begeisterungsstürme aus.

Max Bialystock (Ansgar Schäfer, l.) und Leo Bloom (Alexander von Hugo) wollen sich mit Investorengeldern vom Acker machen. (Foto: Björn Hickmann)

Regisseur Thomas Weber-Schallauer inszeniert das als Achterbahnfahrt, bei der man kaum zu Atem kommt. Das temporeiche Spiel, das Timing der schlagfertigen Dialoge, die beinahe comichafte Zeichnung der Figuren und die vor nichts Halt machende Persiflage sind köstlich ungeniert und von hoher handwerklicher Perfektion. Die Veralberung des Dritten Reichs kitzelt das Zwerchfell zu hysterischem Lachen. Der Alt-Nazi Franz Liebkind mit seinem verschissenen Taubenschlag voll national gestimmter Vögel ist einfach unerträglich gut (Richard van Gemert quatscht sich im breiten Bayerisch um Kopf und Kragen).

Alle Abteilungen des Hauses unterstützen die Regie wie geschmiert. Ein Rädchen greift da ins andere: die schwungvolle und charmante Choreographie von Riccardo De Nigris, die das Jahr 1959 zitierenden Kostüme von Yvonne Forster, die Beleuchtung von Hans-Joachim Köster, die den Glamour des Showbiz ebenso sichtbar macht wie den grauen Alltag. Fantastisch gut gelingen die Szenenwechsel, die so fließend zwischen Traum und Wirklichkeit changieren, dass man sich manches Mal die Augen reibt.

Chor, Ballett und Ensemble hätten für ihren Einsatz glatt eine Verdoppelung der Gage verdient. Ansgar Schäfer (Max Bialystock) und Alexander von Hugo (Leo Bloom) werfen sich ins Getümmel, dass die Verletzungsgefahr nicht fern scheint. Schäfer gibt den Broadway-König als alternden, aber machtbewussten Macho. Alexander von Hugo hängt sich bei ihm ein: ein Hänfling der endlich auch einmal groß rauskommen möchte.

Die schöne Ulla (Emma Kate Nelson) will unbedingt die Hauptrolle spielen. (Foto: Björn Hickmann)

Die schwule Entourage des Regisseurs setzt herrlich arrogante Kontrapunkte (Florian Soyka als Roger de Bris und Matthias Knaab als Carmen Ghia). Und dann ist da noch die blonde Schwedin Ulla, die auf die Hauptrolle scharf ist. An dem Pseudo-Schwedisch, mit dem Emma Kate Nelson sich durch den Abend radebrecht, würde mancher sich gewiss die Zunge verstauchen. Das Philharmonische Orchester Hagen stimmt unter der Leitung von Steffen Müller-Gabriel großstädtischen Big-Band-Sound an und setzt mit Zitaten von Richard Wagner und Anklängen an die Nationalhymne satirische Akzente.

Am Ende strebt niemand vorzeitig zur Garderobe. Alle stehen, jubeln, feiern die Produktion mit Klatschmärschen. Die fiktiven Kritiken, die Max Bialystock mit wachsender Verzweiflung vorliest, treffen letztlich ins Schwarze: „Es war hanebüchen, es war anstößig, es war beleidigend, und wir haben jede Minute genossen“.

(Der Text ist zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen. Informationen unter www.theaterhagen.de, Karten: Tel 02331/207-3218.)