Künstler ahnen die Katastrophe

Für die Ausstellung „1937 – Perfektion und Zerstörung” ist die Bielefelder Kunsthalle bis an die Grenzen des finanziell Machbaren gegangen. Wenn nicht mindestens 100 000 zahlende Besucher kommen, dürften (trotz erheblicher Sponsoren- und Stiftungsmittel) die künftigen Spielräume sehr eng werden.

Rund 420 Werke aus weit über 100 Museen der Welt bietet man auf, um das Umbruchsjahr 1937 im Spannungsfeld zwischen Ästhetik und Politik zu erkunden.

Es war das Jahr, in dem die NS-Machthaber die infame Ausstellung „Entartete Kunst” zeigten, mit der sie die gesamte Avantgarde diffamieren wollten. Am 19. Juli 1937 begann die schändliche Schau mit beschlagnahmten Bildern in München. Dort und an weiteren Stationen zog sie bis 1941 rund 2 Millionen (!) Besucher an. Sicherlich waren viele Verblendete darunter. Doch manche kamen auch, um ein letztes Mal große Kunst zu sehen – vor den gänzlich finsteren Zeiten.

1937 war auch das Jahr, in dem die Bombardierung der spanischen Stadt Guernica (durch die deutsche „Legion Condor”) einiges vom Schrecken des späteren Weltkrieges ahnen ließ. Picassos Guernica-Bild ist berühmt geworden, in Bielefeld sieht man Vorstudien dazu, neben weiteren malerischen Protesten gegen das Massaker. Der Weltenbrand hatte begonnen.

Die ambitionierte, dicht gehängte Schau (in der Einzelwerke bisweilen fast untergehen) beginnt freilich mit Einzelbeispielen für – Nazi-Kunst. Trefflich beschreibt Museumschef Thomas Kellein ein monströses Aktbild im heroischen Stil: „Das sind eigentlich keine Frauen, sondern Soldaten mit Brüsten.” Sinnleeres Heldenpathos verströmt auch die Skulptur „Prometheus” von Arno Breker. So sah er also aus, der damals diktatorisch verfügte bildnerische Zeitgeist. Ebenso uninspiriert wie verkrampft.

Bilder aller ernst zu nehmenden deutschen Künstler jener Zeit künden hingegen von Bedrückung, wenn nicht von apokalyptischen Visionen. Carl Hofers „Mann in den Ruinen” (1937) nimmt gar schon die Trümmerzeit vorweg. Überhaupt haben Maler wie etwa Grosz, Radziwill, Barlach oder Oelze („Erwartung”) so ziemlich alles Unheil kommen sehen. Bestürzende Belege für die seismographischen Kräfte wahrhaftiger Kunst. In Bielefeld vermeidet man es, Exilkünstler gegen „innere Emigranten” (z. B. Nolde) auszuspielen. Sie alle haben gelitten.

Die Ausstellung wartet überdies mit Querschnitten des Jahres 1937 aus verschiedenen Ländern auf. Beispiel Italien: Im Gefolge des technikgläubigen Futurismus herrschte dort fliegerische Begeisterung, verquickt mit Kriegslüsternheit. Viele Maler buhlten um die Gunst des Diktators Mussolini, sie wurden tatsächlich kaum behelligt. Die Breite der Ausdrucksmöglichkeiten blieb somit größer als in Deutschland.

Ganz anders in der Sowjetunion. Glückliche Familie begrüßt Panzer mit rotem Stern. Groteskes Flugzeug firmiert als „Schrecken der Lüfte”. Maler priesen Stalin auf ungemein peinliche Weise. Vielen hat es nichts geholfen. Sie wurden später trotzdem von Stalins Schergen umgebracht.

In den USA, wo damals zwei Millionen arbeits- und obdachlose Tramps unterwegs waren, setzte sich seinerzeit eine betont sozialkritische Malerei und Fotografie durch. Sogar ein frühes Bild des nachmaligen Tropfenbild-Künstlers Jackson Pollock bezieht realistisch Stellung.

Weitere Themen der Schau: die Politisierung des Surrealismus (Max Ernst, Magritte), die Fotografie zwischen Dokumentation und Propaganda. Schließlich der Aufbruch der Konstruktivisten – auf schmalem Grat zwischen geometrischer „Unschuld” und fataler Realitätsferne.

INFO/HINTERGRUND:

Im Vorfeld der von den Nazis erzwungenen Schau „Entartete Kunst” (1937) gab es in den Reihen der NSDAP Uneinigkeit über den kulturellen Kurs.
Propagandaminister Goebbels traute den Expressionisten zu, eine „deutsche” Kunst im NS-Sinne zu liefern.
Hitler lehnte diese Auffassung jedoch barsch ab – und setzte sich durch. Expressionistische Kunst wurde mit anderen Strömungen der Moderne verfemt und aus deutschen Museen entfernt.

Die Ausstellung: „1937. Perfektion und Zerstörung”. Bis 13. Januar 2008. Kunsthalle Bielefeld, Artur-Ladebeck-Straße 5. Täglich 11-18, Mi 11-21, Sa 10-18 Uhr. Eintritt 7 €, Katalog 32 €.




Vor 50 Jahren: Nazis stellten die Moderne an den Pranger / Zur Ausstellung „Entartete Kunst“ von 1937

Von Bernd Berke

Wieder einer jener schandbaren Gedenktage, von denen wir Deutschen aus eigener Schuld so viele haben: Am 19. Juli 937, vor genau 50 Jahren, wurde in den Münchner Hofgartenarkaden die Hetz-Ausstellung gegen die damals so genannte „Entartete Kunst“ eroffnet. Mit dieser Veranstaltung, die 730 Werke von 112 Kunstlern umfaßte, denunzierten die Nazis die gesamte Moderne der Kunst. Die Namen der damals an den Pranger gestellten Künstler lesen sich heute als ,,Ehrenliste“: Barlach, Beckmann, Chagall, Corinth, Dix, Ernst, Feininger, Grosz, Kandinsky, Kirchner, Kokoschka, Lehmbruck, Macke, Marc, Nolde, Picasso seien nur stellvertretend genannt.

Die Auswahl (sprich: entschädigungslose Beschlagnahme in Museen und bei Privatsammlern) besorge – im Auftrag des früh gescheiterten Möchtegern-Malers Hitler – der damalige Präsident der .„Reichskammer der Bildenden Künste“, Adolf (,,Meister des Schamhaars“) Ziegler, der sich vor allem mit erbarmungslos kitschigen Aktbildern hervorgetan hatte. Von solcher Art waren denn auch die Bilder, die – zeitlich parallel – im Münchner ,,Haus der deutschen Kunst“ den mißliebigen ,,Modernen“ als Beispiel vorgehalten wurden.

Rund zwei Millionen sahen die Wanderausstellung in München, Berlin, Leipzig, Düsseldorf und Frankfurt. Die NS-Machthaber karrten selbstverstandlich ganze Schulklassen oder BDM-Gruppen an die Ausstellungsorte. Allerdings: Nicht alle Besucher verspürten jenen propagandistisch geschickt aufgestachelten Haß auf jegliches Unbekannte und Verstörende, der sich manchmal auch darin entlud, daß Bilder in der Ausstellung bespuckt wurden. Gar mancher kam jedoch aus (heimlicher) Liebe zu diesen Kunstwerken und nutzte damit die fiür lange Zeitletzte Gelegenheit, sie in Deutschland öffentlich zu sehen.

Zunachst hatte es noch Tendenzen gegeben, den Expressionismus als ,,nordische Kunst“ für NS-Zwecke zu vereinnahmen. Propagandaminister Joseph Goebbels besaß privat einige Bilder yon Emil Nolde, den auch seine Parteimitgliedschaft hernach nicht vor Aussonderung bewahrte. Es setzte sich die breitere Strömung durch: die Kampfansage an alle Kunstrichtungen, die nicht einem verlogenen Klassizismus huldigten, mithin an die gesamte Moderne, besonders nachdrücklich aber an offen sozialkritische Kunst wie die eines Otto Dix und eines George Grosz.

Seele des Kleinbürgers zum Kochen gebracht

Nach der infamen Wanderschau, die die Kunstwerke bewußt lieblos und möglichst nachteilhaft prasentierte, sie aber sicherheitshalber noch mit höhnischen Kommentaren versah, wurden zahllose Werke verfemter Kunstler am 30. Juni 1939 bei einer Auktion im schweizerischen Luzern zu Spottpreisen verschleudert; ein Großteil davon ist deshalb heute in Großbritannien oder den USA zu finden. Bereits im Marz 1939 hatte man auf dem Hof der Berliner Hauptfeuerwache noch kürzeren ProzeB gemacht: Tausende von nicht genehmen Kunstwerken wurden dort verbrannt.

Verfolgung und Vernichtung aller ernstzunehmenden Kunst, mit Ausstellungs- oder gar Malverbot einsetzende Drangsalierung von Künstlern bis hin zur Ermordung, kamen natürlich nicht aus heiterem Himmel. Das Regime nutzte die Entfremdung breiter Schichten von der modernen Kunst, es nutzte tiefsitzende Vorurteile, die schon in der wilhelminischen Kaiserzeit gepflanzt warden waren. Die Seele manches zu kurz gekommenen Kleinbürgers mußte nur noch zum Kochen gebracht werden – und darauf verstand man sich im .„Dritten Reich“. NS-Maßnahmen gegen Künstler begannen auch nicht etwa erst 1937, sondern schon 1933 – in Reden Hitlers, die bereits sehr deutliche Drohungen enthielten, aber auch ganz konkret, z. B. mit der Schließung des ,,Bauhauses“ schon im Jahr der „Machtergreifung“.

Wozu diese Erinnerungen? Wir sind doch weit weg von jenen Zeiten, haben zahllose neue Museen gebaut, die damals verfemten Bilder erzielen Höchstpreise und die großen Ausstellungen sind überlaufen… Jedoch: Hat es in unserer Republik etwa keine Ausfälle und Ausschreitungen gegen Kunst gegeben (Beuys, Serra, Vostell usw.)? Und: Wer versichert uns, daß die jüngst erhobene Forderung, .„endlich wieder“ Nazi-Kunst in unseren Museen zu zeigen, nicht eines Tages aggressiver, mit gefährlicheren Argumenten und emflußreicheren Fürsprechern vorgebracht wird?