Erstaunlicher Boom für Museen und Kunstmarkt – WR-Serie: Bilanz der 80er Jahre

Von Bernd Berke

Dortmund. Die Jahrzehnt-Bilanz der bildenden Kunst wäre unvollständig ohne einen Blick auf Museumslandschaft und Markt. Knappste Formel: Bei den Museen gab es einen Bau- und Besucher-Boom, auf dem Kunstmarkt einen Preis-Boom.

Viele Großstädte haben sich, auch im Sinne indirekter Wirtschaftsförderung, in den 80er Jahren ganze Museumszeilen oder Kunst-Viertel zugelegt; allen voran Frankfurt, die Stadt mit dem üppigsten Kulturetat der Republik. Köln imponierte mit dem Museum Wallraf-Richartz/Ludwig, Düsseldorf bekam den Neubau für die „Kunstsammlung NRW“. Auch zwischen Duisburg und Dortmund entstand praktisch in jeder Kommune ein neues Kunst-Domizil. Freilich bleiben Wünsche offen. So wartet Dortmund weiter auf einen Neubau für das Ostwall-Museum.

Die rege Bautätigkeit hat auch Orte der südwestfälischen „Provinz“ attraktiver gemacht. So erhielt Lüdenscheid ein ansehnliches Museum. Überhaupt darf man nicht vergessen, was sich da im Sauerland getan hat: Die Städtische Galerie Lüdenscheid oder auch das Hagener Osthaus-Museum verzeichneten in den letzten Jahren deutliche Aufwärtsentwicklungen. Wo in Lüdenscheid vor allem beharrliche Arbeit an einem Konzept abseits der Modeströmungen beeindruckte, war es in Hagen der belebende Schwung, mit dem der neue Museumschef antrat. Auch konnte man in Hagen (wie in Dortmund) den Sammlungsbestand durch Stiftungen wesentlich erweitern. Und auch das Cappenberger Schloß hat sich just in den 80er Jahren als gute Ausstellungsadresse etabliert.

Den großen Museen drohen auch schon Gefahren: Die Besucherströme waren manchmal kaum noch zu kanalisieren. Nicht wenige fürchten angesichts des Massenandrangs um den Bestand der Kunstwerke. Schadensträchtige Transporte durch alle Welt tun ein übriges. Tötet der „Betrieb“ die Kunst?

Alle Museumsleute klagen zu recht über ihre Ankaufsetats. Viele begeben sich notgedrungen auf die Suche nach Sponsoren. Die jeweils ca. 91 Mio. DM, die für Bilder von Van Gogh und Picasso gezahlt wurden, sind ja nur die Spitze des Eisbergs. Selbst Werke lebender Künstler bewegen sich mittlerweile in irrationalen, unerschwinglichen Preis-Regionen. Welche Kunsthalle heißt schon „Getty-Museum“ und kann da mithalten?

Sammler und Mäzene alten Schlages gibt es kaum noch. Statt dessen hat in den 80ern endgültig der Investor die Auktions-Bühne betreten, dem es nicht mehr auf die Kunst, sondem auf den Kitzel großer Zahlen ankommt. So herrschen denn Börsen-Gesetze, und manche Experten sagen auch hier schon einen „Schwarzen Freitag“ voraus.

Apropos Kunstmarkt: Auch die Künstler der DDR, bislang gegängelt, aber im Falle des Wohlverhaltens rundum abgesichert, werden sich – nach den rasanten Veränderungen in ihrem Land – wohl oder übel den Marktgesetzen beugen müssen. Wie die Kunstgeschichte lehrt, bedeutet das Segen und Fluch zugleich. Befreiung und Ausgesetzt-Sein liegen da dicht beieinander.

Übrigens haben wir allen Anlaß, uns künftig nicht mehr nur auf „Westkunst“ zu konzentrieren, sondern unseren Blick auf die Kunst Osteuropas zu richten. Allzu lange haben wir sie – teilweise erklärbar durch die Unsäglichkeiten des nun wohl „erledigten“ Sozialistischen Realismus – aus den Augen verloren.

(Wird fortgesetzt mit einem Theater-Rückblick)




Die „wilden“ Jahre waren schnell vorüber / WR-Serie: Bilanz der 80er Jahre – Kunst (1. Teil)

Von Bernd Berke

Dortmund. Vor Jahresfrist hielt ein Buch nicht weniger als 1000 Antworten auf die Frage bereit, was denn eigentlich Kunst sei. Im vielstimmigen Chor aus allen Epochen war praktisch jede denkbare Definition zu finden, Widersprüche Inbegriffen. Ähnlich verwirrend erscheint die Szene am Ende eines Jahrzehnts, in dem mit Beuys und Warhol zwei große Identifikationsfiguren starben: Ausgangs der 80er Jahre zeigt die bildende Kunst zahllose Gesichter. Beliebigkeit oder Pluralismus?

Bei jeder großen Überblicks-Ausstellung und jeder Messe gehört es zum guten Ton, über den „Trend zur Trendlosigkeit“ zu klagen. Darüber laßt sich fast so trefflich streiten wie über die seit Jahrhunderten beschworeine, ewige „Theaterkrise“.

Flugs sprangen jedenfalls Theoretiker mit allerlei Thesen von der sogenannten „Postmoderne“ bei, deren Wesen eben darin bestehe, daß nun alles möglich und alles Vergangene zitierbar sei. Die Geschichte als Selbstbedienungsladen – zumal für jene Architekten, die der funktionalen Kasten-Huberei in der „Bauhaus“-Nachfolge überdrüssig waren und sich nun zu einem historisierenden „Zuckerbäcker-Stil, wenn nicht zu Schlimmerem verstiegen.

In der Malerei war zumindest die erste Hälfte der Dekade vom frech-fröhlichen Draufgängertum der „Neuen Wilden“ beherrscht. Die documenta 1982 bekräftigte nur den Trend. Ohne Rücksicht auf Errungenschaften der Moderne gab man sich einer heftigen Ausdrucks-Kunst hin. Nicht weniger heftig waren die Versuche mancher Galeristen,diese Richtung durchzusetzen. Tatsächlich ging ein großes Aufatmen durch die Szene, und man frohlockte: „Es wird wieder gemalt!“

Zwischen Vielfalt und Beliebigkeit

War’s auch oftmals hingepfuscht, so war’s doch wenigstens gegenständlich – so dachten wohl viele und stillten ihren „Hunger nach Bildem“. Dieser Appetit hat nach der (oft als blutleer empfundenen) abstrakten Kunst vermutlich aufkommen müssen. Doch als im Gefolge der „wilden“ Welle der Expressionismus als der deutsche Beitrag zur Kunst dieses Jahrhunderts wiederentdeckt wurde, schwante doch manchem, daß der Vergleich vielfach zum Nachteil der Zeitgenossen ausfiel.

Seither konnten sich abstrakte, geometrische und konstruktive Formen der Kunst allmählich einige Nischen zurückerobern. Und mal ehrlich: Wer spricht heute noch von vordem gefeierten „wilden“ Szene-Stars wie etwa ter Hell, Salome oder Dokoupil? Um wie vieles lebendiger und dringlicher wirkt da doch noch das Alterswerk eines Mannes wie Emil Schumacher aus Hagen. Es wird wohl so kommen wie immer: Nur einige, die den „Wilden“ allerdings eher hilfsweise zugezählt wurden, werden „bleiben“. Vielleicht gehört Anselm Kiefer dazu, vielleicht auch A. R. Penck und wenige andere.

Im indirekten Gefolge der „Wilden“, die auch mit polithistorischen Bezügen eher sorglos umsprangen, kam es auch zu einer Entkrampfung und ideologischen Lockerung. Dies wiederum hatte teils heilsame, aber auch prekäre Wirkung: Es erzeugte z. B. ein seltsames Verlangen, Werke der NS-Kunst aufs Neue vorgeführt zu bekommen. Gibt es denn wirklich keine anderen Sorgen? Ich fürchte, diese Debatte ist auch 1990 noch nicht ausgestanden.

(Wird fortgesetzt)