Die Druckware trotzt den Silberscheiben – Skeptische Töne zum Auftakt der 49. Frankfurter Buchmesse

Von Bernd Berke

Frankfurt. Probleme an allen Fronten des Buchmarktes: Die Umsätze wachsen bei weitem nicht mehr so üppig wie vor Jahresfrist. Die Europäische Kommission droht die für kleinere Verlage lebenswichtige Buchpreisbindung aufzuheben und damit den Lesestoff so zu behandeln wie jede beliebige andere Ware. Zudem bereiten das Hin und Her um die Rechtschreibreform sowie die immer schmalbrüstigeren Ankaufsetats öffentlicher Bibiliotheken Kopfzerbrechen – und das „Gespenst der Globalisierung“ erhebt gleichfalls sein schauriges Haupt.

Skeptische, ja stellenweise furchtsame Töne bestimmten gestern die Pressekonferenz zum Auftakt der 49. Frankfurter Buchmesse. Selbst das Geschäft mit elektronischen Publikationen, seit 1993 in die weltgrößte Bücherschau integriert, entwickelt sich nur im Kriechgang. Hatten Experten Anfang der 90er Jahre für die Jetztzeit einen satten Marktanteil von rund 20 Prozent vorhergesagt, so sind es nun tatsachlich gerade mal zwei bis drei Prozent.

Auch solche ernüchternden Zahlen lassen sich – mit etwas rhetorischem Geschick –freilich rasch ins Positive wenden. Gerhard Kurtze, Vorsteher beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels, gestern in Frankfurt: „Das Buch hat sich als erstaunlich vital erwiesen“, sprich: Die gute alte Druckware hat dem Angriff der Silberscheiben (CD-Roms) und der virtuellen Text-Attacke aus dem Internet tapfer getrotzt.

Immerhin: Im deutschen Buchhandel ging’s zuletzt noch sanft aufwärts (1,7 Prozent Umsatzplus), aber die Konjunkturflaute wird nun (mit Verzögerung im Vergleich zu anderen Branchen) auch hier spürbar. Im Vorjahreszeitraum konnte man nämlich noch mit vier Prozent Steigerung prunken.

Appelle für den Erhalt der Preisbindung

In anderen Ländern sieht es sehr uneinheitlich aus: Die USA erleben beispielsweise einen Boom beim Bücherverkauf, in Frankreich und Italien weisen die Kurven hingegen nach unten. Der Buchmesse selbst geht’s unterdessen prima. Sie kann – fast schon Routine – abermals anschwellende Größe vermelden. Genau 9587 Aussteller sind diesmal in Frankfurt dabei – etwa 300 mehr als im letzten Jahr. Die stolze Steigerung hat man besonders osteuropäischen Verlagen zu verdanken. Dort scheint das zarte Pflänzchen des Buchgeschäfts allmählich wieder zu gedeihen. Daß die weltweit erzeugte, am Main präsentierte Titel-Produktion von rund 311 000 auf etwa 306 000 abgeschmolzen ist, läßt sich wohl verschmerzen.

Geradezu händeringend sind die Appelle an die EG-Kommission in Brüssel, die bewährte Buchpreisbindung doch um Himmels Willen beizubehalten. Andernfalls könnten wenige große Handelsketten mit knallhart kalkulierter -Billigware den ganzen Rahm abschöpfen, was wohl den Tod zahlreicher kleiner und mittlerer Verlage nach sich ziehen dürfte. Angesichts solcher Befürchtungen traf es sich gut, daß EG-Kommissionspräsident Jacques Santer gestern abend zur Messeeröffnung erschien. Man wird ihm einiges über den Segen der festgelegten Ladenpreise zugeflüstert haben.

Portugal ist der Schwerpunkt

Messedirektor Peter Weidhaas konnte auf erste Auswirkungen des diesjährigen Messeschwerpunkts Portugal verweisen: Insgesamt lägen in Deutschland nur 105 portugiesische Buchtitel übersetzt vor. Davon aber seien allein 40 in diesem Jahr herausgekommen, vermutlich aufgrund des Frankfurter Impulses. Mit rund 300 großen und kleinen Portugal-Veranstaltungen, die bis tief in die deutschen Regionen reichen, setzt man zudem auf Breitenwirkung. Hoffentlich kein Strohfeuer.

Weidhaas, der das Buch ein „Überlebensmittel“ und unabdingbar für „Zukunftsfähigkeit“ nannte, ermunterte dazu, nicht nur dem Hauptstrom der Messe zu folgen, sondern ruhig auch mal Unscheinbares und Kurioses aufzusuchen. Kein schlechter Vorschlag.

49. Frankfurter Buchmesse. Bis 20. Oktober (nur Samstag/Sonntag fürs breite Publikum, ansonsten für Fachbesucher). Tageskarte 10 DM, für Fachbesucher 25 DM.




Ausblick ins Wunderbare – Neues Programm im Dortmunder „Luna“-Varieté

Von Bernd Berke

Dortmund. Wohin nimmt man Besuch von außerhalb mit, wenn man zeigen will, daß Dortmund eine „richtige Großstadt“ ist? Vielleicht ins Westfalenstadion. Doch es ist nicht immer Samstag, und Borussia-Karten sind rar. Na, dann eben in die Westfalenhalle. Oder aber: ins Variété „Luna“! So etwas hat beileibe nicht jede Gemeinde. Und dort gibt’s jetzt auch noch ein knackfrisches Programm.

„Live aus dem Luna“ lautet das Motto. Allabendlich kommen sogar die Typen eines (aktiven) Fernsehsenders, der die Show ausstrahlt und aufgekratzte Stimmung verlangt. Zwei schrille Regie-Helferinnen zeigen dem Publikum auf Täfelchen, was zu tun ist: „Applaus total!“ oder „Ausflippen!“ Wie es bei manchen echten Sendern eben so zugeht.

Das Variété hat gut spotten. Denn die Konkurrenz solcher TV-Mätzchen braucht man nicht zu fürchten. Die Zuschauer haben hier alles ganz nah vor Augen. Und nebenbei liegt das Genre auch im Trend des internationalen Theaters, das sich immer mehr circensische Elemente einverleibt.

Was also gibt es live zu sehen? Zum Beispiel das „Duo Nico“ aus Prag. Der junge Mann nimmt einen Dolch in den Mund und balanciert Trinkgläser auf dieses Messers schmaler Schneide. Wenn er den Dolch Spitze auf Spitze mit einem Schwert setzt und mit den wackligen Waffen gefährlich herumturnt, stockt dem Publikum der Atem. Seine Partnerin zeigt später, wie irrwitzig sie Dutzende von fluoreszierenden Hula-Hoop-Reifen kreisen lassen kann. Schön fürs Auge, hart für die Hüfte.

Triumph über die läppische Schwerkraft

Die beiden „Perris“ aus Rom führen Balanceakte an den Grenzen der Physik vor. So überaus schräg „klebt“ die Artistin droben an der Leiter, daß einem ein Sturz viel wahrscheinlicher vorkommt als das Gelingen. Toller Triumph über die scheinbar läppische Schwerkraft.

Für die komische Note sorgen – neben dem Berliner Conférencier Michael Genähr, der mit trockenem Charme durchs Programm führt – diesmal die „Stepinskis“. Die zwei Damen werden als VHS-Kursteilnehmerinnen aus Sprockhövel vorgestellt, kommen aber in Wahrheit auch von der Spree und sind natürlich alles andere als blutige Anfängerinnen. Bei ihren Stepptanz-Nummern gucken sie so begnadet blöd aus der Wäsche, daß man fast vergißt, wieviel Können in ihrer Darbietung steckt.

Fürs Übersinnliche sorgt der Bühnenzauberer Patrick Droude aus Paris. Sein Auftritt mit morbidem Beigeschmack ist ästhetisch so ausgeklügelt, daß er auch einen Weltstar „magischen“ Theaters wie Robert Wilson begeistern müßte. Eine Metallkugel, die wundersames Eigenleben entwickelt, und eine kerzengerade im Raume schwebende Frau – sie erscheinen nicht wie bloße Tricks, sondern wie Ausblicke ins wahrhaft Unerklärliche.

Übrigens: Zu einem Nonsens-Quiz werden jeweils zwei Leute aus dem Publikum auf die Bühne geholt. Bei der Premiere hat’s auch mich erwischt. Doch davon kein Wort mehr.

Luna-Varieté. Dortmund-Hombruch. Harkortstraße 57 a (Tel. 0231 / 77 31 96). Bis 29. Juni, Mi-Fr 20.00 Uhr, Sa 20 und 23 Uhr, So 15 und 19 Uhr.