Lebenszeit fast ohne Spur – Internet: Anfänger-Erfahrungen mit dem angeblichen Medium der Zukunft

Von Bernd Berke

Hallo 1999, hallo Zukunft! Da fragt man sich mal wieder, wohin es uns treiben wird in den nächsten Jahren. Viele Propheten sagen: ins Netz. Als wären wir ein Fischschwarm. Gemeint ist natürlich das Internet(z). In den letzten Wochen hatte der Verfasser dieser Zeilen das Vergnügen, seine ersten Surf-Übungen auf den weltweiten Computerwellen zu absolvieren.

Wenn man sich die Sache selbst beibringen will, rudert man erst einmal hilflos im Datenmeer herum – bis man sich Handbücher oder Zeitschriften zulegt und Adressen gezielt anwählt. Wenn schon, denn schon: CIA, Weißes Haus (wo man Clintons Katze „Socks“ mit dem Mauszeiger streicheln darf). Schon bald ist man ziemlich herumgekommen. Weit über 300 Millionen „Web“-Seiten soll’s inzwischen geben. Da müßte man lange leben, um alle betrachten zu können…

Mein „Provider“ verkauft den Zugang zum Internet wie eine Droge. Anfangs bekommt man 50 Freistunden geschenkt (wobei immer noch lokale Telefonkosten anfallen), die man aber binnen vier Wochen hinter sich bringen muß. Also steigt man gleich mit stundenlangen Sitzungen ins virtuelle Geschehen ein. Und natürlich hofft der Anbieter, daß man diesen Rhythmus beibehält oder gar noch süchtig steigert.

Solche Surf-Orgien wecken gemischte Gefühle. Während man online ist (so heißt das nun mal), kann einen gelegentlich Euphorie erfassen, denn man meint ja, man käme sekundenschnell in jeden Weltwinkel hinein, um sich jede denkbare Information oder Unterhaltung abzuholen. Alles scheint verfügbar. Tatsächlich kann man hier Dinge recherchieren, an die man sonst schwerlich herankommt.

Schwätzchen mit und ohne Lotsen

Nach einer Session schlägt die Begeisterung aber mitunter ins Gegenteil um. Dann wird einem schon mal bewußt, daß beim Surfen eine ganze Menge Lebenszeit draufgeht, und zwar nahezu spurlos. Vom Geld nicht zu reden.

Irgendwann treibt man sich auch in den sogenannten Chat-Gruppen herum. Manche werden von Aufsichtspersonal (Lotsen) moderiert und im zivilisierten Zaum gehalten, andere von den Mitgliedern frei bestimmt. Dort geht’s m äußerst freimütig zur verbalen Sache; diesseits und jenseits gesetzlicher Linien.

Kulturkritiker haben diese Plauderzirkel mit dem Dorfbrunnen von anno dazumal verglichen. Man versammelt sich grüppchenweise und schwatzt Zeile für Zeile drauflos, wobei ganz eigenartige Schreibweisen entstehen. Vom Duden hat man sich hier verabschiedet.

Gern behilft sich die Netzgemeinde mit Abkürzungen, die dem Anfänger rätselhaft erscheinen, „lol“ etwa steht für „laughing out loud“ und bedeutet, daß man laut lacht. Außerdem gibt’s jene „Emoticons“, die Gefühle mit Zeichen ausdrucken sollen. Wer Lächeln signalisieren will, hackt diese Kombination aus Klammer, Strich und Doppelpunkt in die Tasten, die man mit zur Seite gelegtem Kopf erkennt 🙂

Solange man will, bleibt man beim Plausch anonym, denn jede(r) tritt in der Regel mit selbstgewählten Alias-Namen in Erscheinung. Oft verbergen sich hinter Frauennamen just Kerle. Virtuelle Travestie. Die Herren werden ihre Absichten haben. Überhaupt möchte man lieber nicht wissen, was in manchen Quatschgruppen durch elektronische Post (e-Mail) an Text- und Bild-Dateien hin- und hergeschoben wird…

Man kann nur spekulieren, ob sich Umgangsformen der Zukunft nach gewissen Chat-Gewohnheiten richten werden. Schreibt hier einer etwas, was einem nicht paßt, so kann man ihn oder die gesamte Gruppe einfach ins Nichts wegklicken. Ganz reibungslos.




Das Wahre ist einfach – Eric Clapton gastierte in der ausverkauften Dortmunder Westfalenhalle

Von Bernd Berke

Dortmund. Oft ist das Einfache wirklich das Wahre: Ein Mann, eine Gitarre, ein Song. Das genügt. Als Eric Clapton im Mittelteil seines Dortmunder Konzerts solo auf der Bühne sitzt und auf der Akustik-Gitarre einen klaftertief geerdeten Blues anstimmt, sind die Menschen im ausverkauften Rund der Westfalenhalle 1 spürbar ergriffen.

„Verweile doch, du bist so schön“, möchte man mit Goethes „Faust“ zu solchen Augenblicken sagen. Allerdings mag man nicht alle Momente derart innig ins Herz schließen. Sicher: „Slowhand“ Clapton steht eine exzellente Begleitband zur Seite, zeitweise sind – er selbst eingerechnet – vier Gitarristen, zwei Keyboarder, dreiköpfiger Damenchor und Drummer gleichzeitig im Einsatz. Doch eben deshalb klingen manche Kompositionen eine Spur zu pompös.

Wunderbar sanft schwingen sie anfangs ein, doch jeweils gegen Schluß versteigt sich mancher Titel in nahezu symphonische Aufgipfelungen. Eine gewisse Pein für Blues- und Rock-Puristen.

Doch dieser kleine Einwand schmälert Claptons formidable Leistung kaum. Sobald er zu seinen unvergleichlichen Soli ansetzt, ist man eh hin und weg. Wo andere Gitarristen um halb so komplizierte Läufe ihr Macho-Gehampel veranstalten und schmerzhaft das Gesicht verzerren, steht Clapton just entspannt da und spielt das Ding einfach herunter. Fast unglaublich.

Der Sound ist diesmal perfekt abgemischt

Mit den zwei neueren Titeln „My Father’s Eyes“ und „Pilgrim“ steigt er ein und hat das Publikum (auch ohne animierende Ansagen) ziemlich schnell im Griff. Obgleich ein Weltstar wie nur wenige, vermeidet er alle Starallüren. Sein Auftritt beginnt pünktlich, kann sich gut zwei Stunden lang ohne Pause entfalten und bleibt stets unprätentiös. Hier muß nichts künstlich aufgemotzt werden.

Mehr noch: Claptons menschlich-musikalischer Kontakt zur Band „stimmt“ aufs Haar, man merkt das an Blicken und Gesten. Und auch der Draht zum Toningenieur muß bestens sein, denn der Sound ist so perfekt abgemischt, daß man jeden einzelnen Ton glasklar vernimmt. Vor ein paar Jahren, als Clapton zuletzt hier gastierte, war das noch anders. Da wurde gelegentlich wild übersteuert.

Der Ablauf ist dramaturgisch durchdacht und wohldosiert. Zwischendurch gönnt uns Clapton immer wieder seine Hits: „Layla“, „Tears in Heaven“, „Cocaine“, „Crossroads“ (aus uralten „Cream“-Zeiten). Und bei „Wonderful Tonight“ schmelzen die letzten Bedenken gegen etwaige Gefühlsduseleien dahin. Da denkt man eben innig ans Liebste und schweigt fein still. Nein, die Halle hat diesmal nicht „gekocht“, wie es bei heftigen Tanzorgien manchmal heißt. Aber sie hat sozusagen sanft geglüht. Das ist mehr.

Und Claptons Singstimme? Die ist nun mal kein genuines Blues-Organ, doch er hat auch hier das Optimum aus seiner Begabung herausgeholt. Hin und wieder klingt er nun wirklich „schwarz“. So soll es sein.




„Ich bin kein Brandstifter“: Gespräch mit Martin Walser – über seinen Roman und seine Friedenspreis-Rede

Von Bernd Berke

Dortmund. Mit seinem Roman „Ein springender Brunnen“ hat Martin Walser (71) einen grandiosen Erfolg erzielt. Lesepublikum und Presse waren beeindruckt von dieser stark autobiographisch geprägten Geschichte einer Dorf-Kindheit in der NS-Zeit.

In die politische Diskussion geriet Walser durch seine am 11. Oktober gehaltene Frankfurter Rede zur Friedenspreisverleihung des Deutschen Buchhandels, in der er sich gegen allzu eingefahrene Wege der „Vergangenheitsbewältigung“ und gegen die „Instrumentalisierung von Auschwitz für gegenwärtige Zwecke“ wandte. Daraufhin warf ihm Ignatz Bubis (Zentralrat der Juden in Deutschland) „geistige Brandstiftung“ vor. Jetzt las Walser im Dortmunder Harenberg City-Center (Mitveranstalter: Westfälische Rundschau und Buchhandlung Krüger) aus seinem Roman. Bei dieser Gelegenheit sprach die WR mit ihm.

Haben Sie mit derart barschen Reaktionen auf Ihre Frankfurter Friedenspreis-Rede gerechnet?

Martin Walser: Natürlich nicht. Mit so etwas kann man nicht rechnen. Solche Wörter können einem ja vorher nicht einfallen, mit denen man da beworfen wird. Wenn mich jemand als „geistiger Brandstifter“ bezeichnet, dann ist das seine Sache. Ich kann das gar nicht kommentieren, weil ich es auch nicht verstehen kann. Und mich mit Rechtsradikalen wie Frey und Schönhuber zu vergleichen, weil die angeblich „auch nichts anderes sagen“… Da habe ich ein anderes Sprachverständnis.

Sind Sie verbittert?

Walser: Verbittert nicht, aber entsetzt. Ich bin doch kein Dauerobjekt für Beleidigungen! Zum Glück gab es ja auch unendlich viele andere Reaktionen, so wie noch nie. Das Thema hat sich noch lange nicht erledigt. Die Affäre wird in der Entwicklung dieses Themas in diesem Land eine Wirkung haben – welche, das bleibt abzuwarten.

Ihr Roman ist fast durchweg begeistert aufgenommen worden. Waren Sie erstaunt?

Walser: Mh. Das darf mich nicht erstaunen. Es hat mich unheimlich gefreut. Ich habe noch nie so rasch so viele briefliche Leser-Reaktionen bekommen. Ich war mir ja beimSchreiben des Romans eines gewissen Risikos bewußt. Es hat mich gerührt, daß die meisten meine Auffassung teilen, daß man auf diese Art über „damals“ schreiben kann.

Ein paar wenige Rezensenten haben moniert, Sie hätten die Schrecken des NS-Regimes nicht erwähnt.

Walser: Ja. Das ist absurd. Dieses NS-Regime kann auch auf andere Weise vorkommen, ohne daß das Stichwort „Auschwitz“ fallen muß. Wer das zu einem Pensum macht, zu einer Pflichtaufgabe, der muß damit rechnen, daß er nur Lippenbekenntnisse bekommt. Die meisten haben aber begriffen, daß in meinem Text die NS-Zeit präsent ist, so wie sie aus der Perspektive des Kindes Johann präsent sein konnte.

Was bedeuten Lesereisen für Sie? Eher eine Last oder eine Chance, vom Publikum etwas zu bekommen?

Walser: Ich mache solche Reisen vielleicht zu oft. Ich werd s sicher nicht mehr sehr lange machen, aber diesmal schon noch. Ich probiere den Text eben gerne in Sälen. Man weiß ja nie so genau, wie die Leute reagieren. Ich hatte es mir diesmal sehr schwer vorgestellt. Meine bisherigen, oft neurotischen Romanhelden habe ich pointiert dargeboten. Das hat den Leuten eingeleuchtet, da haben sie sich wiedererkannt. Jetzt hab ich diesen fünfjährigen Johann im Jahr 1932. Da war ich nicht so sicher, ob das überhaupt vorzulesen ist. Doch es geht, sehr gut sogar. Ich muß sagen: Die Leute in diesem Land sind einfach fabelhaft. Da redet man immer vom Fernsehen – und dann kommen Abend für Abend viele hundert Menschen zu den Lesungen und hören zu und reagieren unheimlich lebendig. Toll! Es gibt noch eine literarische Gesellschaft. Das hat kein bißchen abgenommen. Wer das Gegenteil behauptet, hat keinen Kontakt mit der Wirklichkeit.

Vielleicht sind Sie eine rühmliche Ausnahme?

Walser: Nein, nein. Drei meiner vier Töchter schreiben ja auch. Sehr verschieden voneinander – und keine wie ich. Eine von ihnen schreibt sogar viel schöner, poetischer und schwieriger als ich. Und doch macht sie bei Lesungen ähnlich gute Erfahrungen.

Eine erstaunliche Familie. Haben Sie Ihre Töchter Johanna, Alissa und Theresia als Kinder zum Schreiben angehalten?

Walser: Um Gottes Willen, nein. Nicht einmal zum Lesen. Es ist halt so gekommen. Außerdem ist die Sache nicht so heiter, wie sie klingt: Ich kenne den Preis des Schreibens. Man schreibt nicht, weil es einem gut geht. Im Gegenteil.

Eigentlich wollten Sie ja keine Interviews mehr geben.

Walser: Nun ja, diese Kommentierungs-Funktion wird einem „über“ – daß man immer seine eigenen Sachen auslegen soll. Im Gegensatz zum Interview kommt beim Roman keine bestimmte Meinung heraus. Ein Roman bewegt sich schwebend und landungsscheu…