Zum Tod von Brigitte Kronauer – eine Impression aus dem Herbst 2005

Ein großer Verlust für die deutsche Gegenwarts-Literatur: Die in Essen geborene Schriftstellerin Brigitte Kronauer ist mit 78 Jahren gestorben. Hier noch einmal eine kurze Impression von einer Lesung in Dortmund. Es war im November 2005. Brigitte Kronauer hatte kurz vorher den Büchner-Preis erhalten:

Brigitte Kronauer im November 2013 im Düsseldorfer Heine-Haus. (Wikimedia Commons: Udoweier / Link zur Lizenz:https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Brigitte Kronauer am 13. November 2013 im Düsseldorfer Heine-Haus. (Wikimedia Commons: Udoweier / Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Von Bernd Berke

Dortmund. Erst seit wenigen Tagen ist Brigitte Kronauer (64) Trägerin des Büchner-Preises. Mit derlei höchsten Weihen versehen, war sie jetzt zu einer Lesung der Dortmunder Reihe „Kultur im Tortenstück“ zu Gast.

Man darf die Veranstaltung im Harenberg City-Center getrost als Rarität bezeichnen. Wie die Autorin im persönlichen Gespräch sagt, scheut sie vor längeren Lesereisen aus guten Gründen zurück. Sich dermaßen öffentlich preiszugeben, vertrüge sich nicht mit dem innigen Wunsch, die eigene Wahrnehmung der Welt in Ruhe reifen zu lassen.

Kronauer liest u. a. aus dem soeben bei Klett-Cotta erschienenen Sammelband „Feuer und Skepsis – Einlesebuch“. Auch hat sie ihr Reclam-Bändchen „Die Tricks der Diva“ bei sich. Dass sie in dieser gelben Heftreihe erscheint, ist ein Signal: Achtung, Klassikerin der Gegenwart! Sehr gepflegte Sprache! Bei ihrem Vortrag scheint hin und wieder die Lehrerin durchzuschimmern, die die gebürtige Essenerin einst (bis 1974) gewesen ist. Also lauscht man brav.

Deuten auf eine Art Klassikerstatus hin: Texte im Reclamheft. (© Reclam)

Deuten auf eine Art Klassikerstatus hin: Texte im Reclamheft. (© Reclam)

Manchen Kritikern galt sie zu Zeiten als „abgehoben“ und weltabgewandt. So ziemlich das Gegenteil ist der Fall. Alltägliches Frauendasein, Tiere, Natur, Kinder – sind das etwa entlegene Sujets? Sie greift zunächst mitten ins Leben hinein, wendet es freilich um und um, legt feinmaschige Sprachnetze darüber.

Es öffnen sich somit Blicke in andere Sphären des Bewusstseins, durch die Ritzen gewohnter „Wirklichkeit“ hindurch: Man vernimmt in Dortmund eine schwermütige und doch trostreiche Kindheitserinnerung über existenzielle Hilflosigkeit vor einer allzu üppigen Portion Griesbrei. Eine Kindergarten-Geschichte handelt von verwöhnten, sündhaft teuer herausgeputzten Sprösslingen piekfeiner Mütter. Gleichsam als „Untote“ geistern die vordem so goldigen Kleinen schließlich umher. Ein nobles Viertel in Kronauers Wohnort Hamburg bildet hierfür die Folie.

Eine weitere Passage spielt auf der Frankfurter Buchmesse, wo eine glamouröse Filmschönheit ihre gehabten Liebschaften öffentlich ausbreitet. Hier gleitet die Perspektive aus der vermeintlich banalen Außenansicht ins Innenleben. Aber geht es dort wesentlich reicher zu? Ein kurzer Absatz der Natur-Ekstase, für den Kronauer sich beim Dortmunder Publikum vorab entschuldigt („Es dauert auch nur eineinhalb Minuten“), klingt denn doch gar nicht so exzessiv. Nein, abgehoben schreibt sie nicht, sondern durchaus erdnah; behutsames Entschweben inbegriffen.

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Der Text stand am 14. November 2005 in der Westfälischen Rundschau.




Von Luxus, Lust und Melancholie – Düsseldorfer Kunstsammlung NRW wartet mit famoser Matisse-Ausstellung auf

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Picasso ist in Deutschland leichter zu zeigen. Denn das Werk von Henri Matisse (1869-1954) wurde hierzulande häufig als bloß „bürgerlich dekorativ“ abqualifiziert. Das Urteil war wohl auch durch nationale Rivalitäten mit Frankreich getrübt. Jedenfalls haben sich hiesige Museen bis in jüngere Zeit mit Ankäufen zurückgehalten.

Umso erstaunlicher ist, was Düsseldorf nun aufbietet: Die Kunstsammlung NRW hat eine immense Fülle von Matisse-Werken zusammengetragen – dank guter Kontakte zu den großen Museen der Welt. Sollte der Ansturm dem Anlass entsprechen, so könnte das Haus gar logistische Probleme bekommen.

Wie bei Schauen dieses Formats üblich, will man nicht nur imposant anhäufen und gängige Meinungen bestärken, sondern just „Legenden“ in Frage stellen, die sich um Matisse ranken. Der Franzose, so behaupten die Ausstellungsmacher, sei längst nicht nur der schwelgerische Prophet eines „Goldenen Zeitalters“ und eines kunstvoll schönen Gleichgewichts gewesen. Nein, sein Werk zeuge vielfach auch von Instabilität und Gebrochenheit.

Weite Teile der Dauersammlung mussten weichen. Das Oeuvre von Matisse erstreckt sich somit über drei Etagen. Dennoch konzentriert man sich vorwiegend auf Interieurs (also Innenräume, Zimmer) und Frauenbildnisse aus allen Schaffensphasen – von der noch traditionell akademisch bestimmten Themenfindung bis hin zu flächig komponierten, fast musikalisch freien Formen.

Besessen vom weiblichen Leib

Matisse muss besessen gewesen sein vom weiblichen Leib, doch auch inspiriert von durchgeistigten Valeurs erotischer Ausstrahlung. Das „Ewigweibliche“ durchtränkt jede Faser der Bilder. Es ergießt sich über die Dinge, durchströmt die Räume, teilt seine Geheimnisse vorzugsweise mit Tieren oder Blumen – doch nie mit männlichen Wesen, den Künstler freilich ausgenommen.

Vielfältig sind die immer neuen Reize der Bildstrategien: Mit raffinierten Spiegeleffekten setzt Matisse manche Frauen und Räume entgrenzend in Szene. Oder er spielt subtil auf den Blick des Kunstbetrachters an, indem er ein Mädchen versonnen ins Goldfischglas schauen lässt.

Überhaupt scheinen all diese Frauen, ob nun Berufsmodelle oder engere Gefährtinnen des Künstlers, ganz in sich selbst und ihre Träumereien versunken. In überaus aparten Farbmischungen und oft überraschenden, zuweilen kühnen Perspektiven lässt Matisse etwa die zahllosen Leserinnen erglühen. Im Bann ästhetischer Moden malt er reihenweise hingegossene Odalisken. Das Wort meinte ursprünglich weiße Sklavinnen im orientalischen Harem orientalischen Harem. Hier aber sind es träge, laszive Heroinen, die von zeitloser Lust und Luxus künden.

Anfangs mögen manche Bilder auch schockiert haben. Doch natürlich ergeben sich daraus denn doch höchst dekorative Schauwerte; zumal im Spätwerk, wo sich der Drang zu ungeahnten Formen besänftigt. Auch spürt man – anders als etwa bei Pablo Picasso und so vielen anderen – von den Katastrophen des 20. Jahrhunderts in diesen Bildern kaum einen Hauch.

Es ist jener Art von erlesener Schönheit, die sich vor den Übeln der Zeit ins gepflegte Interieur zurückzieht – zwischen Klavier, edle Bücher und kostbare Möbel. Allerdings weht auch ein wenig Melancholie durch diese spätbürgerliche Welt. Doch diese Bilder können allen Streit und Gram der Tage überstrahlen.

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Größte Schau seit langem

• Die Düsseldorfer Matisse-Schau ist seit 1970 die größte in Europa und seit 1930 die größte in Deutschland. Sie umfasst 90 Gemälde, 80 Zeichnungen und 25 Skulpturen.

• Umfangreich auch das Rahmenprogramm. Beteiligt: Filmmuseum und Institut Français.

• Ausstellung in der Kunstsammlung NRW, Düsseldorf, Grabbeplatz: 29. Oktober 2005 bis 9.Februar 2006. Geöffnet: tägl. außer Mo 10-20 Uhr. Eintritt 10 Euro, Katalog 25 Euro.




Die magischen Momente – Werkschau von Gerhard Richter in der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Mal stellt dieser Künstler acht gigantische verglaste Bildtafeln hin, die als graue Monumente vor dem Betrachter aufragen, lockend und abweisend zugleich. Dann wieder versammelt er gleich „4096 Farben“ (Titel) kästchenweise auf einem einzigen Bild.

Überhaupt hat der wandelbare Gerhard Richter (72) fast das gesamte Gelände der heutigen Mal-Möglichkeiten ausgeschritten. Seine Retrospektiven gleichen daher ästhetischen Wechselbädern. So auch jetzt in der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW.

Dem „Kunst-Kompass“ zufolge ist Richter der gefragteste (und wohl auch teuerste) aller lebenden Künstler. Düsseldorf bereitet nun einen Bilderschmaus mit 120 Arbeiten, beginnend mit den 1960er Jahren. Seit einer Werkschau in der Bonner Bundeskunsthalle (1993) hatte keine deutsehe Richter-Ausstellung ein solches Volumen.

Gezielt verwischte, flirrende Landschaften

Der gebürtige Dresdner, der vor seiner Flucht in den Westen (1961) verhasste Pflichtübungen im Sozialistischen Realismus absolvieren musste, malt seit Mitte der 60er Jahre vielfach an den Grenzlinien des Sichtbaren. Grandiose Beispiele finden sich im Düsseldorfer Raum mit Richters gezielt verwischten, flirrenden Landschaften. Vergebens will man sein Auge „scharf stellen“ – und betrachtet die Vexierbilder somit ungemein intensiv.

Eigentlich unscheinbare, fernab gelegene Gegenden („Landschaft bei Hubbelrath“) hat Richter mit Vorliebe aufgesucht, um ihnen unversehens eine besonders magische Aura zu verleihen. Selbst banale Motive wie ein „Besetztes Haus“ entfalten hier transzendente Kraft. So, als könne an solchen Orten jederzeit das Ungeahnte geschehen.

Als Katalog-Abbildungen erscheinen derlei Gemälde wie nahezu fotorealistische Wiedergaben. Doch vor den Originalen bemerkt man dann doch sanfte Spuren der Machart, des Pinselschwungs, der verhaltenen Emotion. Gleichfalls verwischte Menschen-Darstellungen („Frau mit Kind“, „Zwei Liebespaare“) wirken mit ihren feinen Grauwert-Abstufungen wie vage Blitzlichter der Erinnerung. Es sind schmerzhaft vergängliche Momente, oft durchsetzt mit grotesker Mimik und Gestik. Da grinsen sozusagen die Fratzen und Phantome des „Jetzt“.

Eintauchen in die Eruptionen greller Farben

Gegenständlichkeit und Abstraktion, Gläubigkeit und Skepsis vor dem Bilde sind bei Richter keine Gegensätze, er driftet zwischen den Polen hin und her, offenbar regellos und frei: „Ich weiß nicht, was ich beim Malen tue“, hat er einmal gesagt. Doch die Hängung seiner Ausstellungen plant er penibel im voraus.

Die Dramaturgie der Düsseldorfer Schau (weitere Stationen: München, Japan) ergeht sich in Kontrasten. Da gibt’s meditative Raumfluchten in allen glatten, körnigen oder schlierigen Ausprägungen von Grau, Schwarz, Weiß. Oder man verliert sich in vakuumartigen Zuständen einer gleißenden Schneelandschaft, eines vollkommen leeren Zimmers.

Dann aber taucht man auf der nächsten Etage in ungeheure Emptionen der grellsten Farben ein. Hier wird auch schon mal der schiere Verlauf eines einzigen Pinselstrichs zum tragenden Thema und zuweilen zum mitreißenden Ereignis.

Mit neuesten Werken wie dem Riesenformat „Strontium“ (9 mal 9 Meter) erkundet Richter quasi mikroskopische Weiten der Biologie, Chemie und Physik. Serielle Wiederholungsmuster kommen dabei ins Spiel. Sieht es so im Kern aller Schöpfung aus? Oder schaut uns da die reine, polierte Oberfläche an?

Kunstsammlung NRW (K 20), Düsseldorf, Grabbeplatz. 12. Februar bis 16. Mai. Di-Fr 10-18, Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt 6,50 Euro, Katalog 29 Euro.