„Was für ein Jahr!“ (Gesammelte Grußformeln, 2020er Corona-Edition) – Auch die Revierpassagen wünschen zu den Festtagen alles Gute!

Statt des Baumschmucks und/oder Feuerwerks… (Foto: Bernd Berke)

Freimütig zugegeben: Grüße zu Weihnachten und zum Jahreswechsel sind kein leicht zu absolvierendes Genre; ganz gleich, ob nun im Chefsprech (Grundmuster: Vieles ist geschehen, vieles bleibt noch zu tun – aber wir werden es schaffen, wenn sich alle ins Zeug legen) oder im sanftmütigen Achtsamkeits-Jargon.

Schauen wir uns doch in prägnanten Auszügen mal ein paar notgedrungen floskelhafte Beispiele aus aktueller Verfertigung an (siehe Quellen am Schluss des Beitrags), vorwiegend aus dem Kulturwesen der Ruhrgebiets-Region – und zwar ohne den hochmütigen Anspruch, es besser zu können. So beginnen die Texte nach der jeweiligen Anrede:

„…ein ereignisreiches Jahr geht zu Ende…“

„Ein bewegendes Jahr neigt sich dem Ende.“

„Ein turbulentes Jahr neigt sich dem Ende zu…“

„…ein bewegtes Jahr geht zu Ende.“

„Dieses Jahr war wirklich eine Herausforderung.“

„2020 war für uns alle ein Jahr der besonderen Herausforderungen.“

„…was für ein Jahr!!!“

„…2020 war ein besonderes Jahr.“

„…am Ende eines schwierigen, von Einschränkungen und Verlusten geprägten Jahres…“

„…vor genau einem Jahr haben wir auf ein tolles und ereignisreiches Jahr zurück geschaut und waren voller guten Mutes…“

„…blickt zurück auf ein Jahr, das von besonderen Begegnungen geprägt war – trotz der Ausnahmesituation.“

„Durch Corona hat sich Vieles verändert.“

„2020 war ein Jahr, das allen sehr viel abverlangt hat – im Privaten wie im Beruflichen.“

„…üblicherweise geben wir mit diesen Zeilen einen munteren Überblick über das vor uns liegende neue Halbjahr. Doch die vergangenen Monate haben…“

„…uns steht ein ereignisreiches Jahr bevor…“

Als Reaktion auf viele dieser Jahreswechsel-Formeln würde sich das entwaffnende Loriot’sche „Ach was“ eignen, das ja eh universell anwendbar ist. Doch natürlich folgen auf die einleitenden Floskeln jeweils kurze Jahresbilanzen und Ausblicke mit klugen, kreativen und kultivierten Gedanken zum verfließenden 2020.

Möge uns 2021 weniger Anstrengungen und Verdruss bereiten. Und vergesst nicht: Trump ist fast schon weg – und der Impfstoff ist unterwegs!

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Die Zitate (selbstverständlich ohne direkte Zuordnung) stammen aus Grußbotschaften von (alphabetische Reihenfolge):

DASA Arbeitswelt Ausstellung, Dortmund
Deutscher Chorverband
Deutscher Journalistenverband (DJV)
Gustav-Lübcke-Museum, Hamm
HMKV – Hartwarte Medien Kunst Verein, Dortmund
Kunsthalle Bremen
Kunsthalle Recklinghausen
Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund
Museum Ostwall im Dortmunder U
Regionalverband Ruhr, Essen
Ruhrfestspiele, Recklinghausen
Ruhr Museum, Essen
Schauspiel Dortmund
Spiegel online, Hamburg
(Die) Zeit, Hamburg

(Zitatliste wird noch bis zum Jahreswechsel ergänzt)




Goethe-Institut: Corona-Probleme und Abkehr vom bloßen Kulturexport

Warum nicht dabei sein, wenn die Jahrespressekonferenz des Goethe-Instituts schon per Livestream gesendet wird? Sonst hat man sich gegen Jahresende stets in Berlin versammelt, die Anreise aus dem Revier war gar zu aufwendig. Aber so, wenn das Ganze frei Haus aus der Münchner Goethe-Zentrale kommt? Na, klar. Doch hat es sich auch gelohnt?

Neue Präsidentin des Goethe-Instituts: Carola Lentz. (Foto: Goethe-Institut/Loredana La Rocca)

Wie man’s nimmt. Es war eine jener Pressekonferenzen, die oft und gern mit der Formel „…zog positive Bilanz“ überschrieben werden. Doch eigentlich stimmt das diesmal nur sehr bedingt, denn selbstverständlich hat auch hier Corona die Agenda diktiert. Und da hat man denn doch zwangsläufig Verluste eingefahren, insbesondere bei den Deutsch-Sprachkursen in aller Welt, die meist keine Präsenzveranstaltungen mehr waren.

Boom der Online-Sprachkurse

Wie Goethe-Generalsekretär Johannes Ebert sagte, wurde im Gegenzug eine exorbitante Steigerung bei den Online-Sprachkursen erzielt. Die Zahl der Teilnehmenden schnellte um rund 500 Prozent  auf etwa 62.000 hoch. Das war wohl nur möglich, weil das Goethe-Institut sehr zeitig eine digitale Strategie verfolgt hatte. Damit wurden die Defizite zwar nicht vollends kompensiert, doch immerhin gemildert: Vom eigens aufgespannten „Rettungsschirm“ über 70 Millionen Euro, den der Bund „wegen Corona“ fürs Goethe-Institut bereitstellte, musste bislang nur ein geringer Teil in Anspruch genommen werden. Dazu muss man wissen, dass das Institut mit seinen 157 Niederlassungen in 98 Ländern etwa ein Drittel seines Jahresbudgets selbst erwirtschaftet, nämlich rund 145 Millionen Euro. Geschäftsführer Rainer Pollack hatte dazu noch viel mehr Zahlenmaterial parat, das wir hier nicht im Detail ausbreiten können.

Weltweite Netzwerke knüpfen

Generalsekretär des Goethe-Instituts: Johannes Ebert. (Foto: Martin Ebert)

Sprachkurse sind nur eine, wenn auch zentrale Aktivität des Goethe-Instituts. Hinzu kommt der allgemeine Kulturaustausch im globalen Maßstab, inbegriffen auch die Bildung von nachhaltigen Netzwerken, die in und nach Pandemie-Zeiten Bestand haben sollen.

Die neue Goethe-Präsidentin Prof. Carola Lentz, die derzeit an einem Buch zur Geschichte des Instituts arbeitet, skizzierte als Leitlinie, dass man zusehends über den bloßen Kulturexport hinausdenke – just in Richtung weltweiter Netzwerke, die auch zivilgesellschaftliche und im weitesten Sinne politische Fragen aufgreifen sollen. Generalsekretär Ebert ergänzte weithin übliche Stichworte wie Diversität und Teilhabe sowie Generalthemen wie Klimawandel, Rassismus und Migration – Signale, wie sie wahrscheinlich in etlichen, doch nicht in allen Partnerländern bereitwillig aufgegriffen werden.

Zuhören wird immer wichtiger

Allgemein gilt, dass man sich nicht nur in anderen Ländern bemerkbar machen will, sondern zunehmend beachten will, was Kulturschaffende und sonstige Bewegungen in all diesen Ländern zu sagen und zu zeigen haben. Zum Kulturexport soll sich also ein Kulturimport gesellen.

Ein beispielhaftes Projekt stellte die live zugeschaltete Anisha Soff vom Goethe-Institut in Nairobi (Kenia) vor. Dort arbeitet man mit einheimischen Künstlerkollektiven seit Jahren Lücken der kenianischen Museen auf, die vor allem entstanden sind, weil „wahnsinnig viele“ (Soff) Objekte aus Kenia in Museen der westlichen Welt gehortet, aber vielfach nie gezeigt werden. Oft sei deshalb nicht einmal klar, was sich überhaupt wo befinde. Erste Schneisen ins Dickicht der Unzugänglichkeit will man mit einer Objekt-Datenbank schlagen, die mittlerweile 32.000 Stücke umfasst. Es wird noch weiter gesammelt, allerdings dürfte sich im Laufe der Zeit immer dringlicher die Frage nach Restitution (Rückgabe an afrikanische Museen) stellen. Kein gänzlich konfliktfreies Thema.

Im nächsten Jahr das 70. Jubiläum

Im nächsten Jahr steht ein bedeutsames Jubiläum an: Am 8. August 2021 jährt sich die Gründung des Goethe-Instituts zum 70. Mal. Man darf wohl annehmen und hoffen, dass dies im angemessenen Rahmen begangen werden kann, wie denn überhaupt der Institutsbetrieb sich ganz allmählich normalisieren dürfte. Auch das Außenministerium, dem das Institut vertraglich verbunden ist, wird sich die Jahrestags-Gelegenheit zur kulturellen Repräsentation mutmaßlich nicht entgehen lassen.

 

 




Das Motto „Macht und Mitgefühl“ passt immer: Ruhrfestspiele 2020 holen bewährte Produktionen nach Recklinghausen

Szene aus Anne Teresa De Keersmaekers Choreographie „Rain (live)“. (Foto: Anne Van Aerschot / Ruhrfestspiele)

„Macht und Mitgefühl“ lautet das Motto der diesjährigen Ruhrfestspiele, und das kann einfach nicht falsch sein. Egal, was folgt, die Überschrift paßt immer. Doch da Festival-Chef Olaf Kröck nun sein Programm präsentierte, wissen wir es genau. In summa sind es 90 Produktionen, die in 220 Veranstaltungen vorgeführt werden, in 13 Abteilungen von Schauspiel bis Kabarett. Vieles ist naturgemäß recht klein (die Kleinkunst zum Beispiel), und deshalb richten wir den Blick weitaus lieber auf das Große im Programm, traditionell also das Theater.

Lars Eidinger als Peer Gynt (Foto: Christiane Rakebrand / Ruhrfestspiele)

Einiges aus Berlin

Fünf hochwertige Produktionen hat man allein in Berlin eingekauft: Yasmina Rezas „Drei Mal Leben“ und Peter Handkes „Selbstbezichtigung“ beim Berliner Ensemble, René Polleschs „Number Four“ und Cervantes’ „Don Quijote“ beim Deutschen Theater, Ibsens „Peer Gynt“ (oder das, was davon noch übrig blieb) bei der Schaubühne. Jenen Peer Gynt, um kurz dabei zu bleiben, gibt der Bühnen-Exzentriker Lars Eidinger in einem Einpersonen-Projekt des ebenfalls recht exzentrischen Künstlers John Bock. Das wird lustig. Und „Don Quijote“ geht in einer Fassung von Jakob Nolte als Zweipersonenstück mit Ulrich Matthes und Wolfram Koch über die Bühne.

Szene aus „Tao of Glass“ von Philip Glass und Phelim Mc Dermott. (Foto: Tristram Kenton / Ruhrfestspiele)

Philip Glass

„Deutschlandpremiere“ immerhin darf unter zwei Produktionen stehen: „Tao of Glass“ entsteht als Koproduktion mit dem Manchester International Festival und befaßt sich irgendwie mit Kreativität; Phelim McDermott und Philip Glass werden als Väter dieser Produktion genannt, und da Letzterer ein weltberühmter Schöpfer von Minimalmusik ist, sehen wir der Sache mit Interesse entgegen.

Peter Brook

Außerdem ist Peter Brook wieder mit von der Partie. Zusammen mit Marie-Hélène Estienne hat der 95-Jährige, wie im Vorjahr auch, für das Théâtre des Bouffes du Nord in Paris ein Stück verfaßt. „Why?“ heißt es, fragt nach Sinn und Grund für das Theater und wird, so viel ist sicher, von der großen Peter-Brook-Fangemeinde hymnisch gepriesen werden. Premiere schließlich, das paßt jetzt ganz gut hier hin, hat ein „Zerbrochener Krug“ vom Schauspiel Hannover. Man sieht: Das Motto „Macht und Mitgefühl“ trifft es immer.

So oder so ähnlich soll es in der Recklinghäuser Kunsthalle demnächst aussehen: „Womb Tomb (Thema Active), 2015″ von Mariechen Danz. (Foto: Paula Winkler / Courtesy: Mariechen Danz und Wentrup Galerie / Ruhrfestspiele)

Mariechen Danz

Beim Tanz fällt die Choreographie „Rain (live)“ von Anne Teresa De Keersmaeker ins Auge, die seit einiger Zeit schon in der Hamburger Kampnagel-Fabrik gesehen werden kann.

Genderneutral

Drei Produktionen des Festivals, eine davon vom Rapper Robozee, variieren Strawinskys „Le sacre du printemps“, und die Bildende Kunst in der Recklinghäuser Kunsthalle kommt von Mariechen Danz, die sehr ansprechend Körper und Räume in Beziehung setzt. Übrigens glaube ich fest, daß der Name der Künstlerin ein Künstlername ist, der sich vom karnevalistischen (und politisch ganz bestimmt höchst unkorrekten) Befehl „Marieche, danz“ (hochdeutsch: (Funken-) Mariechen, tanz!) ableitet. Ist bestimmt ironisch gemeint, sonst hätten Kröck und die Seinen diese Künstlerin nicht einladen dürfen, war ihre Programmvorstellung doch bis weit über die Grenzen der Peinlichkeit hinaus von dem Bestreben geprägt, „genderneutrale“ Sprache mit besonderer Berücksichtigung der weiblichen Wortformen zu pflegen.

Mehr Unverwechselbarkeit wäre schön

„Kinder- und Jugendtheater“, „#Jungeszene“ (mit Hashtag), „Neuer Zirkus“, „Figurentheater“ und mit Einschränkungen „Für alle“ – viele Abteilungen wenden sich dezidiert an ein junges Publikum, was für sich genommen nicht zu kritisieren ist.  Weitere künstlerische Ansprüche des Festivals sind allerdings kaum auszumachen. Hier wurde zusammengekauft, was gut und teuer, meistens aber auch nicht ganz taufrisch ist.

Eigenproduktionen gibt es nicht, die Kooperationen sind eher finanzielle Beteiligungen. Etwas mehr Unverwechselbarkeit würde den Ruhrfestspielen nicht schaden. Immerhin aber bleibt der Trost, daß man demnächst nicht immer nach Berlin (oder nach Bochum) fahren muß, um gutes Theater zu sehen.

www.ruhrfestspiele.de




Erfüllte Weihnachten und einen ersprießlichen Jahreswechsel wünschen die Revierpassagen!

Weihnachtlichen Schnee überm Dortmunder U gibt's derzeit nur in der Glaskugel. (Foto: Bernd Berke)

Weihnachtliches Schneegestöber überm „Dortmunder U“ gibt’s derzeit nur in Wunschträumen – oder in der Glaskugel. (Foto: Bernd Berke)

Es ist doch tatsächlich schon wieder so weit. Das Jahr neigt sich. Und zwar seinem Ende zu. Unterdessen wirft 2020 seine Schatten. Und zwar voraus. Wer hätte das gedacht?

Wir begehen die bevorstehenden Feiertage und dito den anstehenden Jahreswechsel mit einem putzigen Stückchen Ruhrgebiets-Kitsch – oder wie man das abgebildete Werk nun angemessen bezeichnen soll. Das Lichtbild zeigt als Schneekugel zweierlei Weihestätten: unter der Kuppel das „Dortmunder U“ und im Sockel Umrisse des Westfalenstadions, das wir auch heute und in Zukunft nicht anders nennen mögen. Da hätten wir also den Kulturtempel und den Fußballtempel.

In diesem und in manch anderem Sinne wünschen die Revierpassagen ihren Leserinnen und Lesern schöne, möglichst entspannte, erfüllte oder auch – je nach Glaubensrichtung – gesegnete Weihnachtstage und sodann einen ersprießlichen Jahreswechsel. Bitte bleibt und bleiben Sie uns gewogen.

Und weil nicht alle Menschen „frohe“ Weihnachten verbringen können, so sollen die Unglücklichen, die Trauernden und Geschwächten in diesen Tagen und Wochen Kraft und Hoffnung schöpfen, so gut es eben geht.