Die Natur des Menschen erkunden – Programm der Ruhrtriennale

Auch diesmal eine zentrale Spielstätte der Ruhrtriennale: die Bochumer Jahrhunderthalle. (Foto: © Jörg Brüggemann)

Rühmen ist eine Kunst, auf die sich nicht alle verstehen. Ganz anders heute bei der Programm-Pressekonferenz zur Ruhrtriennale, die streckenweise geradezu schwärmerisch verlief. Das überwiegend weibliche Leitungsteam um die Intendantin Barbara Frey ließ nach und nach sämtliche am Festival beteiligten Künstlerinnen und Künstler hochleben. Darüber wurden die geplanten 90 Minuten arg knapp.

Intendantin und Sparten-Leiterinnen gingen überdies einfach mal davon aus, dass die Kreativen doch sicherlich samt und sonders allseits bekannt seien. Nun, für ausgesprochene Triennale-Afficionados und dito Habitués mag das wohl zutreffen. Oder eben für die Macherinnen selbst. Ich möchte hingegen wetten, dass nicht ausnahmslos alle Medienschaffenden sofort bei allen Namensnennungen gänzlich im Bilde waren. Aber was soll’s. Manche Vorhaben klingen wirklich vielversprechend, andere beim ersten Hinhören etwas gewöhnungsbedürftig. Oder halt „interessant“; ganz nach dem offenherzigen Motto: „Dann lasst doch mal sehen!“

Vom 10. August bis zum 23. September werden an 12 Orten in den Städten Bochum, Duisburg, Essen und Dortmund (Rachmaninow-Projekt „Abendlob und Morgenglanz“, ab 16. Augustin in der Zeche Zollern) insgesamt 34 Produktionen und Projekte gezeigt, darunter fünf Uraufführungen. Vielfach handelt es sich – wie bei der Ruhrtriennale üblich – um Mischformen („Kreationen“) zwischen Schauspiel, Musiktheater, Tanz, Performance und sonstigen Künsten. Auch der Film kommt diesmal (im Bochumer „Metropolis-Kino“) deutlicher zu seinem Recht als sonst. Noch mehr Zahlen? Bitte sehr: Alles in allem wird es 113 Veranstaltungen geben, der recht ordentliche Jahresetat beträgt rund 16 Millionen Euro.

Nun aber gilt’s der Kunst, notgedrungen anhand von wenigen Beispielen:

Die Eröffnungspremiere (10. August, Kraftzentrale im Landschaftspark Duisburg-Nord) inszeniert Barbara Frey selbst. Als Koproduktion mit dem Wiener Burgtheater, aber zuerst im Revier zu sehen, steht William Shakespeares immer noch und immer wieder wunderbar rätselvoller „Sommernachtstraum“ auf dem Spielplan. Barbara Frey sieht das im zauberischen Wald angesiedelte Stück in inniger Verknüpfung mit dem zentralen Festival-Themenkreis: Was ist die Natur des Menschen und wie behandelt dieses seltsame Wesen die Natur um sich herum? Es gehe bei Shakespeare um alles: Kunst, Natur, Macht, Eros und Traum. Kein leichtes Unterfangen also, aber wohl ein reichlich lohnendes. Übrigens habe der weltberühmte Dramendichter auch schon Angst um die Natur gekannt. Schon zu seiner Zeit seien großflächig Wälder abgeholzt worden.

Inszeniert den „Sommernachtstraum“ als Eröffnungs-Premiere: Ruhrtriennale-Intendantin Barbara Frey. (Foto: © Daniel Sadrowski)

Die größte Musiktheater-Poduktion heißt „Aus einem Totenhaus“ (Premiere am 31. August, Jahrhunderthalle Bochum) und stammt vom Komponisten Leoš Janáček. Seine Vorlage waren Fjodor Dostojewskis „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“, in denen der Schriftsteller seine Leiden im sibirischen Arbeitslager geschildert hat. Die mit rund eineinhalb Stunden Spielzeit ziemlich kurze Oper wird von Dmitri Tcherniakow in Szene gesetzt. Das Publikum soll sich dabei durch eine finstere Gefängniswelt bewegen, die Trennung zwischen Bühne und Parkett werde aufgehoben. Zuschauer würden den Mitgliedern des Ensembles beispiellos nah kommen, heißt es. Zuschauerinnen natürlich auch. Durchgängiges „Gendern“ ist im Triennale-Team versiert ausgeübte Pflicht.

Zumindest indirekte Bezüge zur industriellen Ruhrgebiets-Vergangenheit hat das Musiktheater-Vorhaben mit dem Titel „Die Erdfabrik“ (ab 11. August, Gebläsehalle, Duisburger Landschaftspark). In der Auftragsproduktion, realisiert von dem Komponisten Georges Aperghis und dem Schriftsteller Jean-Christophe Bailly, sollen sich Bergbau-Minen als metaphorische Orte erweisen. Drunten, im tiefsten Dunkel, verwirre sich die gewöhnliche Ordnung der Welt, hier müssten Ur-Ängste überwunden werden, wie Barbara Eckle ausführt, die Leitende Dramaturgin fürs Musiktheater der Triennale. Zugleich habe der Gang in die Tiefe mit unvordenklichen Zeitschichten zu tun, die Kohle lagere dort seit vielen Millionen Jahren.

Eine besondere Tanzproduktion verspricht „Skatepark“ der Dänin Mette Ingvargtsen zu werden, die sich von sozialen „Choreographien“ der Skateboard-Community herleitet und selbige künstlerisch aufbereitet (ab 12. August, Jahrhunderthalle Bochum). Bei den Konzerten ragt u. a. ein „Schlagzeug-Marathon“ (26. August, PACT Zollverein in Essen) heraus, beispielsweise mit Billy Cobham und Mohammed Reza Mortazavi. „Play Big“ (ab 21. September, Jahrhunderthalle Bochum) heißt ein groß gedachtes und in jeder Hinsicht raumgreifendes Zusammentreffen von Sinfonieorchester, Chor und Bigband, bei dem es zu gleitenden oder auch kontrastreichen Übergängen zwischen E-Musik und U-Musik kommen dürfte.

Mit dem dritten Teil dieser Ruhrtriennale endet vertragsgemäß die Intendanz der Schweizerin Barbara Frey, die vordem u. a. das Schauspielhaus in Zürich geleitet hat. Die Journalistenfrage, womit sie wohl in hiesigen Breiten in Erinnerung bleiben werde, mochte sie aus nachvollziehbaren Gründen nicht beantworten. „Lassen wir es offen.“

Durchzählen unnötig: Wir haben hier selbstverständlich nur einen Bruchteil der Produktionen nennen können. Der ganze große „Rest“ steht im gedruckten Programmheft und auf der Homepage des Festivals. Der Vorverkauf hat bereits begonnen, er läuft seit heute (27. April). 34.000 Tickets sind im Angebot, bis zum 4. Juni gibt es einen „Frühbuchungs-Rabatt“ von 15 Prozent. Und nun bitte hier entlang:

www.ruhrtriennale.de

 




Pläne im Museum Folkwang: Digitale Abenteuer, Ideen für Krisenzeiten

In der digitalen Welt: Rafaël Rozendaal „much better than this, 2006″, Multimedia-Installation, Times Square, New York City, 2015. (© Rafaël Rozendaal / Upstream Gallery, Amsterdam)

Das Jubiläumsjahr neigt sich dem Ende zu: Essens Museum Folkwang besteht seit 100 Jahren und hat den Anlass vielfältig begangen, u. a. mit der opulenten Kunstschau „Renoir, Monet, Gauguin“, aber auch mit etlichen Festivitäten und Aktionen im Stadtgebiet, worauf Folkwang-Direktor Peter Gorschlüter besonderen Wert legt – ebenso wie auf Nachhaltigkeit, die sich neuerdings in Photovoltaik auf den Flachdächern des Museums manifestiert.

Derart viel „Wumms“ (sagt man heute manchmal so) wird es 2023 wohl nicht geben können. Derweil erfordert es einige Phantasie, um sich Details zum einen oder anderen Projekt überhaupt vorzustellen.

Da wäre etwa eine Ausstellung des Niederländers Rafaël Rozendaal (21. April bis 20. August 2023), der in New York lebt und als Digital-Künstler von sich reden macht. Als eines der ersten Institute wagt sich das Museum Folkwang dabei aufs Terrain der „NFT“-Kunst, die sich aus der ihrerseits nicht leicht zu begreifenden Blockchain-Technologie herleitet und sich noch im Pionierstadium befindet.

Die Abkürzung NFT steht für „Non Fungible Token“ (ungefähr: „nicht austauschbare Wertmarke“) und bezeichnet digitale Dateien, denen vertragsähnliche Merkmale implementiert werden, so dass die entsprechenden Kunstwerke nicht frei im Netz schweben, sondern als Besitz existieren, der eindeutig zugeordnet werden kann. Einstweilen klingen die Pläne etwas kryptisch, so werden im Museum „Transit-Räume“ eingerichtet. Lassen wir uns überraschen, was sich hinter all dem verbirgt und wie es zu vermitteln ist. Thomas Seelig vom Folkwang-Leitungsteam (Spezialgebiet: fotografische Sammlung) findet jedenfalls, dass sich die Museen zur aufkommenden NFT-Kunst positionieren sollten, es betreffe ja auch die Zukunft ihrer Sammlungs-Tätigkeit. Wir werden sehen.

Henri Matisse: „Icare“ (Ikarus), Blatt 1 aus dem Portfolio „Jazz“ (1947), Druckgrafik, 42 x 65,5 cm (© Succession H. Matisse / VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Beinahe konventionell mutet demgegenüber eine Ausstellung an, die wiederum mit drei berühmten Künstlernamen umschrieben wird: „Chagall, Matisse, Miró – Made in Paris“. (1. September 2023 bis 7. Januar 2024). Aber was heißt in diesem Kontext schon konventionell? Diese und andere Künstler erprobten seit Beginn des 20. Jahrhunderts ebenfalls neuartige Strategien, die ihrer Zeit voraus waren. Es geht um Mappenwerke, Editionen und Künstlerbücher, deren Urheber auf weite Verbreitung (Fernziel: „Kunst für alle“) abzielten. Im Vordergrund steht Druckgraphik, die u. a. durch Zeitschriften in hohen Auflagen verbreitet wurde. Herausragende Beispiele sind Henri Matisse mit seiner Scherenschnitt-Mappe „Jazz“ oder Marc Chagall mit einem Zyklus um die antiken Gestalten „Daphnis und Chloé“. In jenen Jahren wurden, zumal in Paris, immer mehr auf künstlerische Druckgraphik spezialisierte Werkstätten gegründet, die unternehmerisch arbeiteten und Gewinn anstrebten. Vereinzelt existieren sie bis heute. Auch dieser Aspekt soll ausführlich dargestellt werden.

Die vielleicht aufwendigste Ausstellung des nächsten Jahres erfordert wiederum Vorstellungsvermögen, sie heißt „Neue Gemeinschaften“ (ab 24. November 2023) und blickt zurück auf utopische Lebensentwürfe in den Künsten und sozialen Bewegungen der letzten 120 Jahre. Vielleicht sind ja Energien zu entdecken, die auch in der heutigen Krisenzeit Impulse geben können. Es erhebt sich also die gewaltige Frage, wie wir künftig leben wollen, ohne den Planeten weiter zu zerstören.

Der Reigen beginnt mit frühen Lebensreform-Ideen (Stichwort Kolonie Monte Verità) im erhofften Einklang mit der Natur. Ferner geht es um die kristalline Bauweise der Architektur-Gruppierung „Gläserne Kette“ in den 1920er Jahren, um die Hippie-Kultur der späten 1960er Jahre, um „Afro-Futurismus“ und um Überwindung des Menschen-Zeitalters („Anthropozän“). Ganz recht: Was all das zu bedeuten habe, wird sich – so oder so – wohl erst vollends in der Ausstellung zeigen können. Die Pläne klingen nach geistigem Abenteuer und nach tastender Suche.

Übrigens wird auch noch in diesem Jahr eine bemerkenswerte Ausstellung eröffnet: Am 2. Dezember beginnt im Museum Folkwang eine Retrospektive zu Helen Frankenthaler (1928-2011), die als eine Leitfigur der Farbfeldmalerei und des Abstrakten Expressionismus gilt.

Weitere Infos, auch zu Plänen der fotografischen Abteilung:
www.museum-folkwang.de

P. S.: Und wie wappnet sich das Museum gegen Attacken mit Kartoffelbrei und sonstigen Substanzen? Mit Taschenkontrollen – und mit weiteren Maßnahmen, die man nicht öffentlich ausposaunt. Außerdem, so heißt es, stehe man im vertrauensvollen Dialog mit Klima-„AktivistInnen“.