Jede Menge Licht: Der Dortmunder Filmemacher Adolf Winkelmann wird 75

Adolf Winkelmann vor dem „Dortmunder U“, auf dem seine Film-Installationen laufen. (Foto: Roland Gorecki / Dortmund Agentur)

Sagen wir mal so: Adolf Winkelmann war so klug und weitsichtig, praktisch zeitlebens in Dortmund zu bleiben. In Städten wie Berlin oder Hamburg hätte er sich anfangs wohl gegen viele durchsetzen müssen, hier aber ist er sozusagen gleich singulär hervorgetreten und hat zeitig etwas gegolten. Von hier aus, in der „unaufgeregtesten Großstadt der Republik“ (wie die „Zeit“ mal schrieb), konnte er nach und nach bundesweit bekannt werden. Noch dazu dürfte sein Hiersein stets eine Herzensangelegenheit gewesen sein.

Von nichts kommt nichts: Der Mann, der an diesem Samstag (10. April) 75 Jahre alt wird, verfügt – ganz gleich, an welchem Ort – natürlich über technische und kreative Begabungen, die längst reiche Früchte getragen haben und zu großen Verdiensten angewachsen sind. Dortmunds Kulturdezernent Jörg Stüdemann würdigt ihn so: „Adolf Winkelmann ist ein herausragender Filmemacher, Ausbilder und als Künstler ein Glücksfall für Dortmund“, kurzum: „einer unserer wichtigsten Kulturbotschafter“. Wohl wahr. Wer, wenn nicht er? Wo doch andere große Söhne der Stadt – Peter Rühmkorf, Martin Kippenberger, Norbert Tadeusz usw. – anderswo ihren Weg gemacht haben.

Mit „Die Abfahrer“ (1978) und „Jede Menge Kohle“ (1981) hat Adolf Winkelmann sozusagen d i e authentischen Ruhrgebietsfilme jener Jahre gedreht, gleichermaßen komödiantisch wie präzise und zeitgemäß in der sozialen Beschreibungskraft. Gewiss keine Glorifizierung der Gegend, aber doch Liebe zur Region und ihren Menschen mitsamt allen Brüchen und Verwerfungen. Auch heute noch, beim Wiedersehen, haben diese frühen Filme Bestand. Das Kultpotenzial ist unverwüstlich, legendär zudem das Repertoire an schnoddrig-coolen Haltungen und Sprüchen Marke Revier, allen voran der Klassiker: „Es kommt der Tag, da will die Säge sägen.“

Es folgten kaum minder prägnante Streifen wie „Super“ (1984), „Peng! Du bist tot!“ (1987), „Der Leibwächter“ (1989) und das um den Revierfußball kreisende Werk „Nordkurve“ (1993). 2016 reichte Winkelmann mit der Romanverfilmung „Junges Licht“ (Vorlage von Ralf Rothmann) einen weiteren, alsbald ebenfalls preisgekrönten Ruhrgebietsfilm nach, der im Dortmund der 1960er Jahre spielt und höchst eindringlich die Kinder- und Jugendjahre eines Bergarbeitersohnes schildert. Wenn man so will, ist es eine Vorgeschichte zu den „Abfahrern“ und zu „Jede Menge Kohle“. Und es ist ein grandioser Heimatfilm der ganz anderen Art, der sich einfach „richtig“ anfühlt. Zwischendurch kam – neben etlichen anderen Produktionen – die bewegende und bestürzende Pharma-Skandalchronik „Contergan“ (ARD-Zweiteiler, 2007) heraus.

Mehrfach erhielt der Regisseur den Deutschen Filmpreis, auch der Grimmepreis blieb kein Einzelstück. Aber wir wollen nicht alle Trophäen aufzählen und nur noch kurz erwähnen, dass er 2003 zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Filmakademie gehörte.

Wenn man sich noch einmal vor Augen führt, welche Darsteller(innen) in Winkelmanns Filmen zu sehen waren, so weiß man, dass er mit seinem soliden Können und seinen Stoffen einige der Besten überzeugt hat. Die Skala reicht – um nur wenige Beispiele zu nennen – von Hermann Lause und Martin Lüttge über Günter Lamprecht und Gottfried John bis zu Matthias Brandt, August Zirner und Peter Fitz. Sogar in Nebenrollen (!) traten Größen wie Hannelore Hoger und Ulrich Wildgruber auf. Und selbstverständlich hatte die unvergessene Tana Schanzara mehrmals einen Ehrenplatz im Winkelmann-Kosmos.

Über alle Kinofilme hinaus, hat Winkelmann in Dortmund ein weithin sichtbares Zeichen seines Wirkens setzen können: Zum Ruhrgebiets-Kulturhauptstadtjahr 2010 entwarf er – als Krönung fürs „Dortmunder U“ – die „Fliegenden Bilder“, eine bei Tag und Nacht aufleuchtende Film-Installation hoch droben auf der ehemaligen Brauerei. Seine Arbeit steigert die Aura des ohnehin schon imposanten Dortmunder Wahrzeichens. Inzwischen gehören 150 Filme zum Bestand, darunter Szenen mit meterhohen Tauben (quasi die Wappentiere des einstigen Reviers), schwarzgelber Kickerseligkeit oder schäumendem Bier, doch auch Kreationen, die über regionale Befindlichkeiten hinausweisen. Außerdem gibt es zuweilen tagesaktuelle Bezüge. Um all das fortzuführen, nahm die nicht gerade übermäßig reiche Stadt richtig Geld in die Hände: Ende 2020 wurden die mit rund 6000 LEDs ausgestatteten Lamellen ersetzt und die Technik wurde runderneuert. Kostenpunkt dafür: 2,6 Millionen Euro. Aber wer will da kleinlich sein? So gut wie alle Auto-, Rad-, Bahn- oder Busfahrenden und alle Passantinnen, die seit 2010 in der Dortmunder Innenstadt aufgekreuzt sind, kennen diese Schöpfung aus Licht.

(Nicht nur) das Revier im Visier: Adolf Winkelmanns neues Buch im Verlag Henselowsky Boschmann.

Soeben neu erschienen ist Adolf Winkelmanns Buch „Die Bilder, der Boschmann und ich“ im Bottroper Verlag Henselowsky Boschmann (176 Seiten, 14,90 Euro): Im Gespräch mit dem Verleger Werner Boschmann erzählt Adolf Winkelmann über sein Leben und seine Kunst; eine ausführliche Retrospektive und eine längst nicht nur anekdotische Einführung ins Werk, an der man künftig schwerlich vorbeikommen wird.

Wer darauf wetten sollte, dass Winkelmann gebürtiger Dortmunder sein muss, hätte verloren. Der Filmemacher ist zwar durch und durch von dieser Stadt geprägt, er wurde aber am 10. April 1946 im sauerländischen Hallenberg am Rand des Rothaargebirges geboren. Als er etwa drei Jahre alt war, zogen seine Eltern in die größte Stadt Westfalens: Adolf Winkelmann wuchs in unmittelbarer Nähe zur Dortmunder Union-Brauerei (Jahrzehnte später just das „Dortmunder U“) auf, machte sein Abitur am hiesigen Helmholtz-Gymnasium und studierte von 1965 bis 1968 an der damaligen Werkkunstschule Kassel. Dort muss ihn das Heimweh ergriffen haben, denn danach zog er wieder nach Dortmund und blieb der Stadt treu. Hier hat er rund 40 Jahre lang als Professor für Film-Design an der Fachhochschule gelehrt und dabei Generationen von Filmschaffenden in Feinheiten des Metiers eingeweiht.

Die Stadt Dortmund erinnert in einer Geburtstags-Würdigung an Winkelmanns ersten Experimentalfilm, der vor fast 54 Jahren in Kassel entstanden ist und der da lakonisch heißt: „Adolf Winkelmann, 9.12.1967  11 h 54″. Der Filmemacher, damals 21 Jahre jung, habe größere Irritationen ausgelöst, als er sich beim Spaziergang selbst filmte. Sollte er damit gar das Selfie miterfunden haben?




Das Revier im Paket: Adolf Winkelmanns Ruhrgebiets-Filme im Kino und auf DVD

Der legendäre Spruch aus "Jede Menge Kohle". (Grafik: Winkelmann / Turbine Medien)

Der legendäre Spruch aus „Jede Menge Kohle“. (Grafik: Winkelmann / Turbine Medien)

Witz, Gefühl und Lebensechtheit hat der berühmte Kritiker Hellmuth Karasek Adolf Winkelmann 1981 im „Spiegel“ für den Film „Jede Menge Kohle“ attestiert. Komplimente, die sich auf die gesamte Ruhrgebiets-Trilogie des Regisseurs ausweiten lassen. Sie kommt jetzt, technisch frisch poliert und mit einigem Bonus-Material, passend zum 70. Geburtstag Winkelmanns (10. April), noch einmal in Dortmund ins Kino und in einer DVD-Box auf den Markt.

Wenn man (wie ich) 1978 geboren wurde, hat man zwar das „Entstehungsdatum“ mit den „Abfahrern“ gemein, hat aber gleichwohl den ursprünglichen Kult um die drei Ruhrgebietsfilme von Adolf Winkelmann nicht live miterlebt. Umso erstaunlicher ist es, wie wenig die Distanz zu der Zeit und ihrem Lebensgefühl der Rezeption schadet: Gerade bei den Abfahrern erstaunt die Frische, die Unverbrauchtheit und Authentizität des Films.

Die Geschichte der drei arbeitslosen Jugendlichen, die aus Langeweile den Lkw einer Möbelspedition klauen und so planlos wie vergnügt in die Nacht fahren, um skurrile Abenteuer zu erleben, hat einen so situativen Witz und eine Lässigkeit, wie man sie vielen deutschen Filmen nur wünschen kann.

Der Dortmunder Winkelmann hat schon in diesem Film einen Blick für kleine Perlen des Ruhrgebietsalltags – und das, ohne die Region und ihre Menschen für einen billigen Gag zu verkaufen. Die Musik von den Schmetterlingen – die übrigens eigentlich eine österreichische Band waren und sich in das Ruhrpott-Idiom einfach hineinsangen (mit dem Titelsong „Wir sind die Gang von Johnny Vermessen“) geht einem tagelang nicht mehr aus dem Ohr.

Klischees ohne Schablonen

Das Talent, Klischees zwar zu thematisieren, aber nie ins Schablonenhafte oder Zynische zu überführen, prägt auch „Jede Menge Kohle“: Der Bergmann Katlewski, der unter Tage von Recklinghausen nach Dortmund läuft, um vor seinem alten Spießerleben mitsamt gescheiterter Ehe und hohen Schulden zu fliehen, erinnert an die Tragik mancher Figur aus der Hochliteratur. Und trotzdem gibt es genügend Szenen, die gerade durch die präzise Beobachtung und die Lust an der Anarchie besten absurden Humor entfalten. Inhaltlich wirkt „Jede Menge Kohle“ wie eine Fortschreibung der Abfahrer. Tatsächlich sagt Adolf Winkelmann, dass er nichts schlimmer fände, als sich zu wiederholen: „Ich fühle mich nur wohl, wenn ich nicht gefangen bin in Konventionen.“

Technisches Neuland

Deswegen wollte er nach seinem kleinen, ‚dreckigen‘ Erstlingswerk nun einen Streifen drehen, der „technisch Neuland war: Alles, was nicht ging und noch keiner gemacht hatte, wollten wir schaffen.“ Seinen Tonmann Hans Peter Kuhn stellte er vor die Herausforderung, Dolby Stereo im Originalton aufzunehmen – ein Verfahren, das laut Winkelmann kein Spielfilm danach mehr genutzt habe. Was Dolby für Ton, war damals Cinemascope für das Bild: Winkelmann und sein Kameramann David Slama fuhren eigens nach London zu dem Panavision-Hersteller Samuelson, um ein Problem zu lösen. Denn unter Tage durften sie nur ohne Elektrizität drehen, wegen des Funkenflugs. „Die kamen dann tatsächlich mit einer Art Schuhkarton aus Blech aus ihrem Museum wieder und statteten ihn extra für uns mit dem Objektiv aus“, berichtet Winkelmann.

Eine Spur Verrücktheit

Geschichten wie diese hält die neue Box von Turbine Medien im Bonus-Material bereit: Interviews, Drehortbesuche, Fotografien ermöglichen einen Blick auf die drei Filme, der ein Gefühl von Aufbruch, Unkonventionalität und einer Spur Verrücktheit hinterlässt – verbunden mit der Frage, ob Ähnliches in dem überregulierten Filmgeschäft heute überhaupt noch realisierbar wäre.

Mit dem dritten Film im Bunde schließlich vollzieht Adolf Winkelmann einen harten Bruch: Zeigte er die schrägen, unheldenhaften Protagonisten bis dato mit einem liebevollen Blick, ändert sich in „Nordkurve“ Ton und Perspektive drastisch. In diesem Film, bei dem sich viele kleine, menschliche Tragödien rund um den Kulminationspunkt, das Fußballspiel, ereignen, wird der Zuschauer mit Gewalt, Suff, Sex konfrontiert. Enthemmte Menschen sind da zu sehen, offen brutal auf der Fanseite, verschlagen und noch viel skrupelloser auf Manager-Ebene. „Unser Ziel war es, jede einzelne Figur bis auf die Haut nackt auszuziehen“, sagt Winkelmann.

Alles auf einmal

Alle drei Filme sind jetzt, am Freitag, 8. April (20 Uhr), in der Dortmunder „Schauburg“ (Brückstraße 66 – Tel.: 0231 / 95 65 606) zu sehen. Adolf Winkelmann und einige Schauspieler bzw. Beteiligte sind anwesend. Die Veranstaltung ist bereits ausverkauft. Die DVD-Box mit der Ruhrgebietstrilogie kommt ebenfalls am 8. April heraus.

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Und hier noch eine kurze Impression: https://www.youtube.com/watch?v=lqycf2CugnI

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P. S.: Transparenz ist uns immer wichtig. Also sei’s offen gesagt: Revierpassagen-Autorin Nadine Albach moderiert den erwähnten Winkelmann-Abend in der Dortmunder „Schauburg“. Deshalb hat sie sich intensiv mit seinem Werk befasst.

 




Winkelmanns Theaterreise ins Dortmunder U

Sebastian Graf, Luise Heyer und Axel Holst in Winkelmanns Reise ins U. Foto: Birgit HupfeldDie Geschichte des Dortmunder U als Kreativzentrum ist bislang keine ruhmreiche: Erst das ewige Hin und Her um das Konzept, bevor die Fördergelder überhaupt flossen, dann zahlreiche Teileröffnungen, steigende Baukosten, Verzögerungen und das Gefühl, es noch immer mit einer Baustelle zu tun zu haben.

Regisseur Adolf Winkelmann („Contergan“) steckte dank seiner „Fliegenden Bilder“, die nun direkt unter dem goldenen U leuchten, mittendrin im Chaos – und hat seine schrägen Erfahrungen nicht nur in ein Buch, sondern auch in sein erstes Theaterstück gegossen. „Winkelmanns Reise ins U“ feierte im Dortmunder Schauspiel Uraufführung.

Nach den vielen Skandalen um das Dortmunder U wäre vieles möglich gewesen: Ein trockener Einblick in die Wirklichkeit, eine bitterböse Abrechnung, auch eine Selbststilisierung. Es spricht für Adolf Winkelmanns Humor, dass er selbst von einem „erfundenen Tatsachenbericht“ spricht, der sich irgendwo zwischen realen und fiktiven Absurditäten aufhält.

Die Satire tropft nur so aus jeder Szene, als der Künstler Winkelmann (großartig naiv gespielt von Axel Holst) und sein Filmteam ihrer Heimatstadt für den neuen Kreativturm ein filmisches Kunstwerk schenken wollen, das über den Dächern der Stadt leuchten soll. So viel arbeitsame Kreativität ist der Stadtverwaltung und ihrem Senator (Andreas Beck) unheimlich, die vor allem eines will: Finanzkräftige Investoren mit inhaltsleeren Wortwolken („Europäischer Kreativwirtschaftspott“) ködern und den Ruhm dafür einstreichen. Während also Winkelmann ein immer fantastischer werdendes Abenteuer erlebt, mit goldenen Filmstreifen und einer Unterstadt, in der Dortmund gegen seinen Untergang kämpft, baut die Stadt seine Kunst mit einem Krankenkassengebäude zu.

Regisseur Winkelmann macht nicht den Fehler, nur schwarz-weiß zu (über)zeichnen: Den grauen Stadtverwaltern, die jeden Vorgang genehmigt wissen wollen und ihren Lieblingssatz („Das kommt jetzt nicht ins Protokoll“) vor sich hertragen, steht ein chaotisches, überfordertes, konzeptloses Filmteam gegenüber. Seiner Sozialisation trägt Winkelmann durch starke Bilder, die gelungene Verschränkung von Video und Spiel und die filmisch kurzen Szenen Rechnung.

„Winkelmanns Reise ins U“ funktioniert auf mehreren Ebenen: Für jene, die die Protagonisten rund um den U-Turm kennen, sind ihre Bühnenkarikaturen ein herrlich amüsantes Fressen (vor allem, weil einige im Publikum sitzen) – auch deutlich zugespitzter als in seinem Buch. Das Stück aber ist auch eine liebevoll-kritische Bespiegelung des Ruhrgebiets und seiner Selbstzweifel. Und es bietet sich an als satirische Parabel auf das Gipfeltreffen von Kultur und Verwaltung, Kreativität und Bürokratie, wie es sich überall ereignen könnte.

Die Vision für das U ist am Ende grausig: Wegen zu hoher Betriebskosten wird es für die Öffentlichkeit gesperrt und von dem sich mit klugen Dienstplänen befassenden „Amt für Angelegenheiten des Dortmunder U“ besetzt.

(Dieser Text ist zuerst in der Westfälischen Rundschau erschienen).

Foto: Birgit Hupfeld