Bahn frei für das Akkordeon: Gespräch mit der Folkwang-Professorin Mie Miki, Trägerin des neuen Opus Klassik Preises

Mie Miki. Foto: Marco Borggreve

Konzertprogramme für Essen und Duisburg zusammengestellt: Mie Miki. (Foto: Marco Borggreve)

Das Akkordeon rückt in den Mittelpunkt: Vom 30. November bis 4. Dezember finden am Folkwang Campus Essen-Werden sowie am Folkwang Campus Duisburg fünf Konzerte, ein Meisterkurs, Workshop, Vortrag und der Folkwang Akkordeon Wettbewerb für Studierende der Folkwang Akkordeonklassen statt.

Das Programm zusammengestellt hat Mie Miki, Professorin für Akkordeon und Prorektorin für künstlerische Exzellenz an der Folkwang Universität der Künste. Miki wurde im Oktober mit dem neuen Opus Klassik Preis ausgezeichnet, der nach dem Scheitern des Echo-Klassik als unbelasteter Nachfolgepreis gegründet wurde. Ausrichter des Preises ist der neu gegründete Verein zur Förderung der Klassischen Musik e.V., in dem Labels, Veranstalter, Verlage und Personen aus der Klassik-Welt vertreten sind. Mie Miki erhielt den Preis als „Instrumentalistin des Jahres“ für ihr Album „Das wohltemperierte Akkordeon“. Unser Gastautor Robert Unger sprach mit der in Japan geborenen Akkordeonistin.

Frage: Frau Miki, wann haben Sie mit dem Spielen des Akkordeons begonnen?

Mie Miki: Ich bekam zum zweiten Geburtstag ein Toy-Piano von meinen Eltern geschenkt. Ich war anscheinend so begeistert, dass ich immer wieder versuchte, auf diesem Piano Kinderlieder zu spielen. Daher plante meine Mutter, mir ein Klavier oder eine Geige zu geben. Doch mein Vater wollte auf keinen Fall ein Instrument wählen, das man später studieren und mit dem man professionelle Musikerin werden kann. Der Grund: Seine Schwester wollte Konzertpianistin werden, und eine solche harte Jugend wollte er mir ersparen. So bekam ich mit vier Jahren das Akkordeon und Unterricht bei Herrn Ban in Tokyo.

Sie wurden mit dem Opus Klassik in der Kategorie „Instrumentalistin des Jahres (Akkordeon)“ ausgezeichnet. Welchen Stellenwert hat dieser Preis für Sie?

Mie Miki: Natürlich einen hohen! Ganz besonders, weil es sich um eine Einspielung von Johann Sebastian Bachs „Das Wohltemperierte Klavier“ handelt.

Das Besondere an Bach

Bachs Werk scheint für Sie eine besondere Rolle einzunehmen. Wie kam es zu dieser Vorliebe?

Mie Miki: Nach fünf Jahren intensiver Vorbereitung bin ich endlich an einem Punkt angelangt, wo ich mich entscheiden konnte, diese Auswahl aus dem „Wohltemperierten Klavier“ auf dem Akkordeon aufzunehmen. Doch eigentlich begann mein Lernweg zu diesem Werk bereits vor 40 Jahren in meinem Klavierstudium bei Bernhard Ebert in Hannover. Für kein anderes Stück meines Repertoires habe ich jemals so viel Zeit gebraucht, bis ich es vortragen konnte, obwohl ich die „technischen“ Schwierigkeiten in Bezug auf den Notentext nicht auf der höchsten Ebene einstufe. Denn diese Musik ist mit ihren Präludien und Fugen sehr klar und übersichtlich in der Architektur, und die 24 Tonarten bilden eine harmonische Vollständigkeit.

Dann, an einem Sommertag in Tokyo, hatte ich plötzlich das Gefühl, alles zu verstehen und alles zu können! Ich weiß nicht, woher dieses Gefühl so plötzlich, aber mit großer Zuversicht zu mir kam, doch von diesem Zeitpunkt an begann ich, mit Freude, Respekt und Leidenschaft zu üben. Meine Erkenntnis dazu ist: Diese Stücke sind in ihrer Schönheit, ihrem Zauber, in Überraschung und Abenteuer so differenziert dicht und vieldimensional komponiert, dass der Interpret immer wieder etwas Neues entdecken kann. Somit funktioniert ein Übe-Plan leider wenig und ich ergab mich für meine Arbeit der Zeitlosigkeit. Deshalb hat es so lang gedauert.

International erfolgreiche Akkordeon-Klasse

Sie haben den originalen Fingersatz des „Wohltemperierten Klaviers“ für Ihre Aufnahme genommen.

Mie Miki: Das moderne klassische Akkordeon hat in beiden Händen Einzeltöne, und der Tonumfang ist fast so groß wie beim Klavier, daher kann man Literatur für Tasteninstrumente genau in ihren Originaltexten wiedergeben. Es hat lange gedauert, bis der Notentext mein Instrument erreichte, und mein Instrument die Musik erreichte. Es wird nicht bearbeitet, denn nur so kann man vergleichen, wie unterschiedlich die Klangergebnisse sind, ob beim Cembalo, Klavier oder Akkordeon.

Beim Label BIS erschienen: Mie Mikis Akkordeon-Aufnahme von Bachs "Das wohltemperierte Klavier". Cover: BIS Records

Beim Label BIS erschienen: Mie Mikis Akkordeon-Aufnahme von Bachs „Das wohltemperierte Klavier“. (Cover: BIS Records)

Was bedeutet es für Sie, an der Folkwang Universität das Akkordeon-Spiel zu unterrichten?

Mie Miki: Ich habe im Jahr 1981 die Akkordeonklasse gegründet. Damals waren einige Studenten sogar älter als ich, aber mit großer Hoffnung und viel Leidenschaft habe ich versucht, auch durch das Unterrichten dieses in der Klassik jüngste Instrument noch mehr zu erforschen. Inzwischen habe ich eine international sehr erfolgreiche Klasse mit vielen Preisträgern. Viele von mir ausgebildete Studenten sind weltweit Professoren und Dozenten geworden.

Seit 2013 sind Sie auch Prorektorin für künstlerische Exzellenz. Was zeichnet für Sie die Folkwang Universität aus? Welche Wünsche und Ziele haben Sie für die Entwicklung der Universität?

Weltweit eine der interessantesten Kunsthochschulen

Mie Miki: Die Umgebung prägt entscheidend die Entwicklung eines jeden Künstlers. Wer Musik studiert, hat oft nicht genügende Möglichkeiten, die mannigfaltigen Aspekte der Kunst „außerhalb der Musik“ mitzuerleben. Ob Theater oder Tanz, Physical Theatre oder Musical, Fotografie oder Design, hier an der Folkwang Universität der Künste mit den Standorten Essen-Werden, Essen Nord Zollverein, Duisburg, Bochum und Dortmund kann sich jeder Musiker in einem wunderbar kreativen Arbeitsklima entwickeln und eigene Zukunftsvisionen gewinnen. Für mich als Musikerin bedeutet es sehr viel, in welcher Umgebung ich lebe und junge Musiker ausbilde. Die Folkwang Universität ist für mich eine der schönsten und interessantesten Kunsthochschulen der Welt.

Haben Sie im Ruhrgebiet eine Heimat gefunden?

Mie Miki: Als Musiker kennt man, glaube ich zumindest, mehrere Aspekte von „Heimat“. Meine erste Heimat ist Tokyo, wo ich geboren bin, aber das Ruhrgebiet gehört auf jeden Fall auch zu meiner Heimat.

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Die Aufnahme „Das wohltemperierte Akkordeon“ von Mie Miki ist bei BIS Records mit der Nummer BIS-2217 erschienen.

Das Programm der Akkordeonwoche findet sich hier: https://www.folkwang-uni.de/en/home/hochschule/news/vollanzeige/news-detail/folkwang-akkordeonwoche-mit-hochkaraetigen-gaesten-1/




„Carmen“ auf dem Akkordeon: Ksenija Sidorova mag’s unterhaltsam im Konzerthaus Dortmund

Flinke Finger auf dem Akkordeon: Ksenija Sidorova ist "Junge Wilde" im Konzerthaus Dortmund. Foto: Phil Tragen

Flinke Finger auf dem Akkordeon: Ksenija Sidorova ist „Junge Wilde“ im Konzerthaus Dortmund. Foto: Phil Tragen

Ksenija Sidorova ist eine Virtuosin auf ihrem Instrument. Die flinken Finger finden sicher ihren Weg – technisches Können paart sich mit großer Leidenschaft. Hinzu kommt ein untrügliches Gespür für eindrucksvolles Klangfarbenspiel. Die Passion der lettischen Solistin gilt dem Akkordeon.

Im Konzerthaus Dortmund hat sie nun als „Junge Wilde“ virtuos für dieses Instrument Partei ergriffen – einerseits, denn andererseits sind die „Carmen“-Arrangements, die sie mit einem fünfköpfigen Ensemble offeriert, heftig ins seichte Unterhaltungsfach abgerutscht. Zu wenig ist das für ein ernst gemeintes „Projekt“, wie sie dieses Konzert selbst beschreibt.

„Junge Wilde“: Das Format, 2006 von Intendant Benedikt Stampa ins Leben gerufen, ist längst zu Publikums Liebling gereift (450 Abos, etwa 1000 Besucher pro Konzert). Es bietet eben jungen Solisten ein Podium, die am Beginn einer internationalen Karriere stehen. Sie dürfen ungewöhnliche Programme im Gepäck haben, oder eben auch, wie Ksenija Sidorova, Instrumente, die nicht gerade zum klassischen Kanon gehören. Die Zuhörer sind allemal dankbar für Überraschungen und besondere Formate. Dass etwa die Solistin den Abend in englischer Sprache moderiert, mag ein Bruch mit den eingefahrenen Regeln des Konzertbetriebs sein. Gleichwohl werden die verbindenden Worte wohlwollend goutiert.

Alles beginnt mit der Malagueña des kubanischen Komponisten Ernesto Lecuona, ein nicht ganz unbekanntes Stück, das schon der Pianist Arcadi Volodos wirkmächtig in die Klaviertasten gegerbt hat. Sidorova setzt indes nicht auf virtuoses Muskelspiel, sondern vielmehr auf kantable wie rhythmische Gestaltung dieses spanischen Volkstanzes. Und präsentiert uns damit gewissermaßen das Rohmaterial dessen, was sich in Georges Bizets „Carmen“ in stilisierter Form wiederfindet. Gegenüberstellungen dieser Art, in stetem Wechsel, wären gewiss reizvoll gewesen. Doch das, was Sidorova und ihre Mitstreiter als Improvisationen benennen, sind überwiegend nur schlappe Potpourris.

Hinzu kommt, dass Alejandro Loguercio (Violine) keinen großen Ton ins Spiel bringen kann, während Michael Abramovich (Klavier) sich oft zu sehr in den Vordergrund musiziert und Reentko Dirks (Gitarre) im Ensemble eher untergeht. Ja selbst das Akkordeon bleibt bisweilen blass. Immerhin setzt Roberto Koch am Bass gewichtige Fundamente, schafft Itamar Doari hier und da perkussiven Klangzauber. Weit besser, authentischer als alle Bizet-Ableitungen klingen ohnehin die eingestreuten Stücke Astor Piazzollas. Sehr atmosphärisch etwa des Komponisten „Café 1920“ für Violine, Akkordeon und Bass.

Insgesamt ein eher unbefriedigender Abend, weil’s richtig wild und rhythmisch zupackend, munter und nachgerade parodistisch erst mit der Zugabe wird: Wenn das Ensemble durch das Torero-Lied aus „Carmen“ jagt, dieser aufgeblasene Opernmacho also gewissermaßen als Schaumschläger dargestellt wird, ist der brausende Beifall des Publikums wirklich verdient.