Festivals im Ruhrgebiet: Ohne Motto geht es selten

Die neuen Programmhefte von Klangvokal (li.) und den Ruhrfestspielen, versehen mit den jeweiligen Leitworten. (© Klangvokal – Ruhrfestspiele)

Unter welchen Leitworten stehen unsere Kulturfestivals? Das wäre doch mal ein feines Aufsatzthema. Wir aber belassen es bei wenigen aktuellen Beispielen aus dem Revier – und liefern die Links zu den reichhaltigen Programmen.

So ein Festspiel-Motto könnte beispielsweise auf Provokation aus sein, es könnte sich bewusst kryptisch oder sperrig geben oder einen flammenden Appell enthalten. Und was der Möglichkeiten mehr sind.

Die jetzt und demnächst beginnenden Festivals im Ruhrgebiet haben sich anders entschieden. Das Motto, unter dem „Klangvokal“ ab morgen (11. März) in Dortmund antritt, lautet schlicht und einfach „Vertrauen“. Eine ähnliche Gefühlsqualität rufen die Ruhrfestspiele wach, die für die Spielzeit ab Anfang Mai „Haltung und Hoffnung“ verheißen, was man – wie eine Kippfigur – momentweise als „Halt und Hoffnung“ lesen kann. Beruhigend und getragen klingt auch das Schlüsselwort beim Klavier-Festival Ruhr (ab 30. April), es lautet „Lebenslinien“.

Wollte man schon hier in Deutungsversuche einsteigen, so wäre vielleicht ein Ansatz, dass in diesen krisenhaften Zeiten zwischen Pandemie und Ukraine-Krieg offenbar seelischer Balsam gefragt ist.

Natürlich passen nicht alle Motti (und erst recht nicht alle einzelnen Programmpunkte) ins Schema. So verzichten die Duisburger „Akzente“ (ab 11. März), die zuletzt unter den allseits anschlussfähigen Worten „Glück“ und „Mauern“ stattgefunden haben, diesmal ganz auf ein verbales Signal und stellen kurzerhand ein Ausrufezeichen voran, um die Rückkehr nach Corona anzuzeigen: „!“

Ob die Ruhrtriennale (erst ab 11. August) sich ein wortwörtliches Zeichen geben wird, muss man einstweilen abwarten – mindestens bis zur Programmvorstellung am 28. April.




Bei den Duisburger Akzenten inszeniert Michael Thalheimer Kleists „Penthesilea“ so puristisch wie blutig

Bisse und Küsse – Penthesilea (Constanze Becker) und Achill (Felix Rech) im Liebesspiel. (Foto: Birgit Hupfeld)

Langsam schiebt sich der Vorhang nach oben, langsam gibt er den Blick frei auf die große Schwärze, die sich matt erhellt und einen Bühnenboden offenbart, der schräg und steil in Dreiecksform nach oben ragt. Dort droben, in der Weite des Raumes, hockt ein Paar, verschlungen in blutiger Pietà-Pose. Es ist ein schaurig-schönes, schreckliches Bild, umfangen von Stille – weiter nichts. Es erzählt vom Ende des Achill in den Armen Penthesileas. Es demonstriert zudem die Wirkmacht des Purismus auf dem Theater. Dafür steht, wie wohl kaum ein anderer, der Regisseur Michael Thalheimer. Das karge Bühnenkonstrukt baute Olaf Altmann.

Sprachlicher Ausdruck, Gestik und Mimik beherrschen die Szene. Hier gilt’s der Konzentration auf das Wesentliche. Thalheimer hat „Penthesilea“, Heinrich von Kleists grausame Tragödie, 2015 im Schauspiel Frankfurt (Main) herausgebracht, unter Verwendung der originalen Blankverse. Der Text jedoch erfuhr Kürzungen, die Zahl der Personen ist auf drei geschrumpft. So dass sich alles Geschehen auf Penthesilea (und Achill) fokussieren kann. Was sonst noch fehlt, vermisst kein Mensch: Video, Ausstattungsplunder, aufgekratzte, wichtigtuerische Aktualisierung. Die Deutung war jetzt beim Theatertreffen der Duisburger „Akzente“ zu erleben – ein Glücksfall.

Das Eingangsbild der Inszenierung zeigt das Ende des Dramas, ist Symbol für den grausamen Tod Achills, zerfleischt von der Amazonenkönigin Penthesilea. Wir sehen zwei Kontrahenten, die sich bis aufs Blut bekämpften, denen auf dem Schlachtfeld um Troja nur ein winziges Zeitfenster der Liebe eröffnet wurde. Küsse fielen, aber auch Bisse – sie hatten einander zum Fressen gern. Tragisch nur, dass die Königin am Ende wahnhaft zur Kannibalin wird. Was Wunder, schrieb doch Kleist zu seinem Stück, darin liege „der ganze Schmutz zugleich und Glanz meiner Seele“.

Constanze Becker (Penthesilea) und Josefin Platt (Frau) auf Distanz. Foto: Birgit Hupfeld

Constanze Becker (Penthesilea) und Josefin Platt (Frau) auf Distanz. (Foto: Birgit Hupfeld)

Aus diesem Zustand des Wahns leitet Michael Thalheimer rückblickend die Geschichte der Penthesilea ab, die sich, wie die Mutter es prophezeite, und gegen die Gesetze ihres Volkes, den Achill als Gegner und Opfer aussucht, als Erzeuger ihres Nachwuchses, um des Fortbestandes der Amazonen willen.

Liebe ist hier eigentlich nicht vorgesehen, sondern nur Nutzen: Nach der Zeugung muss der Mann das fremde Land wieder verlassen. Hier jedoch kommt alles anders. Im Kampf bleibt Achill der Sieger, doch Penthesileas Blick hemmt ihn, sie zu töten. Sie erliegt bloß einer Ohnmacht, später wird ihr suggeriert, sie sei die eigentliche Gewinnerin des Duells gewesen. Als der Schwindel aufliegt, schwört sie Rache. Zur finalen Schlacht indes kommt Achill, aus Liebe, nur mit leichter Waffe. Das hat die erwähnten blutigen Folgen. Wie sagt Penthesilea, bevor sie sich den Tod gibt? „So war es ein Versehen. Küsse, Bisse … wer recht von Herzen liebt, kann schon das Eine für das Andre greifen“.

Kleist selbst sah sein Stück, 1808 vollendet, als schwer aufführbar. Er nutzte die Elemente der Mauerschau und des Botenberichts, um von Schlachten zu erzählen, die auf der Bühne nicht zu zeigen waren. In Thalheimers Frankfurter Regie ist dafür vor allem die großartige Josefin Platt zuständig, deren Rolle als „Frau“ bezeichnet wird, die uns den Fortgang der Handlung erläutert, die zugleich Vertraute der Königin und Ratgeberin des Achill ist. Im weißen Gewand wirkt sie würdevoll und beherrscht, nur manchmal scheint sie die Last des Krieges und seiner Umstände niederzudrücken.

Das Anfangs- und Schlussbild, eine blutige Pietà. (Foto: Birgit Hupfeld)

Constanze Becker wiederum changiert als Penthesilea gekonnt zwischen Heldinnenpathos, wahnhafter Verwirrung und somnambuler Zurückhaltung. Ihr gegenüber demonstriert Felix Rech (Achill) kriegerische Kraft, bisweilen aber auch scheue Unterwürfigkeit. Der hohe Ton der Sprache, den das Paar in klarer Diktion zelebriert, hält beide von Lautstärke-Exzessen ab. Selbst Penthesileas Schreie der Verzweiflung sind stilisiert und lenken unser Augenmerk auf die innere Befindlichkeit. So oft auch im Text von Raserei die Rede ist, so oft gibt hier gespenstische Stille den Ton an. Und Thalheimer erweist sich einmal mehr als Meister der Psychologisierung.

Was dem Stück durchaus angemessen ist. Kleists Umgang mit Liebe, Schmerz und Tod, seine Darstellung von im Unterbewusstsein lodernden Leidenschaften, die sich den Weg auf die Ebene des Handelns bahnen, sowie Kleists Zeichnung zweier Liebender, die jegliche Staatsräson außer Acht lassen, war im preußischen Biedermeier des angehenden 19. Jahrhunderts ungeheuer modern.

Die Uraufführung der „Penthesilea“, die also bereits auf die Themen der Psychoanalyse verweist, fand denn auch erst 1876 statt. Aber sie hat bis heute ihre Kraft nicht verloren. Michael Thalheimers grandiose Regie diente dabei der Profilschärfung.




Telekom-Fehler seit über einem Monat: Millionen Mailausdrucke ohne Ä, Ö, Ü und ß…

Gerade mal wieder mit der Telekom-Hotline gesprochen. Eines meiner Hobbys, dem ich recht häufig fröne; zähneknirschend frönen muss, um genau zu sein. Weil immer mal wieder etwas schief läuft.

Worum geht’s jetzt? Seit einiger Zeit kann ich meine t-online-Mails nicht mehr richtig ausdrucken. Es fehlen dann alle Umlaute, jegliche Akzente und das ß, die in der empfangenen Mail auf dem Bildschirm zu sehen sind. Doch im Ausdruck sind die Zeichen verschwunden. Im Deutschen wahrlich keine Kleinigkeit, im Französischen z. B. ebenfalls nicht. In jedem Falle ärgerlich.

Screenshot-Ausschnitt des Telekom-Mailprogramms

Screenshot-Ausschnitt des Telekom-Mailprogramms

Es liegt nicht etwa am Drucker, es nützt auch nichts, Einstellungen im Mailprogramm zu ändern, nein, die Telekom muss offen zugeben: Es liegt an ihren zentralen Servern. Das heißt: Alle Telekom-Mailkunden sind betroffen. Es dürften also viele Millionen sein, die sich seit Wochen mit diesem Fehler plagen.

Nun sind sie bei der Telekom gewiss Tag und Nacht fieberhaft zugange, um den peinlichen Fehler zu beheben?

Wohl weniger.

Schaut man in einschlägige Hilfeforen, so haben die Probleme bereits vor dem 13. Mai begonnen. Und welchen Rat erhalten die Kunden, die online um Hilfe nachsuchen? Ich zitiere aus der höchst unbefriedigenden Antwort des „Telekom hilft Teams“ auf eine just am 13. Mai gestellte Kundenanfrage:

„Bei dem von Ihnen beschriebenen Sachverhalt handelt es sich um einen bekannten Fehler, der seit kurzem auftritt. Er wird mit einem der nächsten Updates behoben – zurzeit kann ich noch keinen konkreten Termin nennen und bitte daher um Ihre Geduld.“

Inzwischen haben wir Mitte Juni und sie vertrösten einen bei der Hotline immer noch mit den gleichen Sprüchen auf „eines“ der nächsten Updates. Derweil zahlt man ihnen Monat für Monat seinen Obolus. Aber man ist ja nur Bestandskunde, den die Telekom sicher im Sack zu haben glaubt.

Klar, der Typ von der Hotline hat irgendwie recht: Man kann den Mail-Inhalt definieren, kopieren, in ein anderes Programm einsetzen und dann ausdrucken. Doch welch ein Umstand wäre das. Blöde Bemerkungen übers papierlose Büro möchte ich jetzt gleichfalls nicht hören. So manches Schriftstück braucht man eben als Ausdruck. Auch anno 2016.




Kulturfestival baut am „europäischen Haus“ mit – Programmschwerpunkt der Duisburger „Akzente“

Eigener Bericht

Duisburg. (bke) Das Bild vom „gemeinsamen Haus Europa“ erfreut sich großer Beliebtheit. Man kann es ja auch herrlich und fast endlos ausschmücken – notfalls bis hin zur Türklinke. „Unser Haus Europa“ lautet denn auch das Motto der 14. Duisburger „Akzente“. Zielvorgabe durch Duisburgs Kulturdezernenten Dr. Konrad Schilling: Man wolle politische Visionen mit kulturellem Sinn füllen.

Hochkarätige Politiker werden das Kulturfestival am 22. April eröffnen: der Präsident des Europäischen Parlaments und einer der Kammervorsitzenden des Obersten Sowjet. Die Schirmherren heißen Hans Dietrich Genscher und Johannes Rau – und sozusagen als „guter Geist“ über allem schwebt Michail Gorbatschow, der die Formel vom „gemeinsamen Haus“ ersann.

Nachgezeichnet werden soll das – so Kulturdezernent Schilling – „unverwechselbare Eigenprofil“ eines Kontinents, der (zumindest geistesgeschichtlich) auf den Vorrang der Ratio setzte. Zurück zu den Wurzeln dieser abendländischen Vernunft wird eine Aufstellung im Duisburger Niedenheinischen Museum führen: „Kreta – das Erwachen Europas“ werde, so die Veranstalter, mit raren Exponaten glänzen, die zum Teil noch nie außerhalb Griechenlands gezeigt wurden. Es sei überhaupt die erste deutsche Ausstellung zur Hochkultar der Minoer, die gleichsam den Grundstein zum europäischen Hause gelegt haben.

Das Theaterprogramm der „Akzente“, die bis zum 25. Mai dauern werden, umfaßt elf Inszenierungen, darunter allerdings keine Novität, sondern lauter Gastspiele erprobter Aufführungen. Hier sind allenfalls eineinhalb Stockwerke des Europa-Hauses erkennbar, drehen sich doch sämtliche Inszenierungen um die alten Griechen (Sophokles, Aristophanes, Euripides) sowie um Adaptionen griechischer Stoffe in Deutschland (Kleist, Hölderlin, Hans Henny Jahnn). U. a. werden Aristophanes‘ „Lysistrate“ in Henri Hohenemsers Augsburger Einrichtung, Jahnns „Medea“ in Manfred Karges Kölner und Werner Schroeters Düsseldorfer Ausdeutung sowie Sophokles‘ „Aias“ in Frank Castorfs Basler Version zu sehen sein. Aus Mülheim kommt Roberto Ciullis Regiearbeit „Die Bakchen“ nach Euripides. Auch ein DDR-Theater ist dabei: Das Staatsschauspiel Dresden zeigt Kleists „Penthesilea“.

Neben Vorträgen und Kongressen, in deren Verlauf europäische Visionen entwickelt werden sollen, zählt ein Tanzfestival der europäischen Jugend zum „Akzente“-Programrn. Rund 110 Jugendliche aus zehn Ländern werden gemeinsam die mittelalterliche Liedersammlung „Carmina Burana“ tänzerisch einstudieren. Außerdem wird das Heldenepos „Beowulf“ Grundlage einer Choreographie sein – gleichfalls als Beispiel fürs europäische Mittelalter. Schließlich kündigt der „Förderverein Deutscher Kinderfilm“ eine mit 30 Streifen bestückte „Kinderfilmreise durch Europa“ an.




Duisburg als Vorreiter beim Kulturaustausch mit der DDR – Bilanz nach dem „Akzente“-Festival

Von Bernd Berke

Duisburg. Einen gewaltigen „Bammel“ hatten alle Beleiligten vor dem Duisburger Kulturfeslival „Akzente“. Bei einer bisher beispiellos vielfältigen West-Präsentation von DDR-Kultur hätte ja so vieles „schiefgehen“ können. Doch gestern, nach vollbrachten Taten, konnten Duisburgs Kulturdezernent Konrad Schilling und seine Mitstreiter hörbar aufatmen.

„Kein einziger Flop“ (Schilling) sei ihnen unterlaufen, die Besucherzahl von 73 000 könne sich hören lassen, und praktisch alle Veranstaltungen seien von hoher Qualität, ja meist richtig „aufregend“ gewesen. Schilling zitierte bei seiner Bilanz den DDR-Kulturminister Hoffmann, der gesagt habe, dies sei „ein Festival des Lernens“ gewesen – für beide Seiten.

Die insgesamt rund 110 Veranstaltungen, die – vom Deutschen Theater Ost-Berlin bis hin zu Autoren wie Christa Wolf – zahlreiche „Einblicke“ (FestivaI-Untertitel) in die Kultur des zweiten deutschen Staates ermöglichten, brachten auch zahlreiche „informelle Kontakte“ mit sich. Wie Duisburgs Oberstadtdirektor Richard Klein gestern befriedigt feststellte, haben solche Begegnungen bleibende NachWirkungen. Klein zeigte sich vom Verlauf des gesamten Festivais „überwältigt“.

Kulturdezernent Schilling ließ anklingen, daß Duisburg den Ruhm nicht ganz allein ausschöpfen wolle. Man habe dermaßen viele und wichtige Kontakte in die DDR geknüpft, daß auch andere (Revier-)Städte davon profitieren könnten. Freilich müsse festgehalten werden, daß Duisburg im Kulturaustausch mit der DDR eine Vorreiterrolle gespielt habe. Das Akzente-Festival sei dabei lediglich ein Höhepunkt. Im Grunde vollziehe sich hier ein langer, tiefgreifender Prozeß, gleichsam das langsame Wachstum eines „zarten Pflänzchens“, dessen erstes Aufkeimen man in Duisburg gesehen habe. Ein erfreulichesÄnzeichen sei zum Beispiel,daß man eine Duisburger Ausstellung mit DDR-Leihgaben durch ein schlichtes Telefonat mit dem DDR-Kulturministerium habe verlängern können. So etwas sei vor einem halben Jahr noch ganz undenkbar gewesen,

Auch für das nächste Akzente-Festival im Jahr 1988 erwarten die Duisburger eine starke Beteiligung von DDR-Künstlern. Im nächsten Jahr soll das Schwerpunktthema „Die Kulturleistungen des deutschsprachigen Judentums“ lauten. Der Rat der Stadt muß die Planung noch bestätigen.

Duisburg als „Eisbrecher“ im west-östlichen Kulturbetrieb – so könnte auch die Schlagzeile für die zweite Großunternehmung lauten, die gestern im Rathaus der Revierstadt bilanziert wurde. Die Rede ist vom Gastspiel der „Deutschen Oper am Rhein“ (Duisburg/Düsseldorf) und der Duisburger Sinfoniker in Moskau. Die Sowjets hätten den Klangkörper aus Duisburg geradezu enthusiastisch gefeiert, hieß es dazu. Das Orchester aus dem Ruhrgebiet habe sich vor einem verwöhnten und daher kritischen Publikum selbst übertroffen.