Alle Dinge neu erfinden – Hagener Osthaus-Museum präsentiert Allan Wexler und Milly Steger

Von Bernd Berke

Hagen. Im KarI-Ernst-Osthaus-Museum ist jetzt ziemlich viel im Eimer. Nicht im übertragenen, sondern im wörtlichen Sinne. Denn dem US-Künstler Allan Wexler hat es nun einmal dieser vermeintlich simple Alltagsgegenstand angetan. Er spielt nahezu alle Gedankenbilder durch, die vom Wasserbehälter angeregt werden können.

Es ist, als wollte Wexler (geboren 1949) die Dinge der Welt von Grund auf noch einmal neu überdenken und behutsam umbauen. Da fängt man am besten mit den einfachsten Objekten an. Wexlers schier unerschöpfliche, mit Sanftmut umgesetzte Vorstellungskraft läßt also den Eimer viele, viele Zustände durchlaufen, gleichsam auf Probe. Ganz so, als folge er mit ironischem Sinn dem berühmten Brecht-Satz „Er hat Vorschläge gemacht…“

Es gibt hier Eimer mit und ohne Ausgußtülle, es gibt welche aus Holz, aus Gips, manchmal von herkömmlicher Statur, dann wieder umgeformt: zum Trichter, zur Tröte, zur Wanne. Überhaupt sind es die meisten dieser Eimer leid, gewöhnliche Exemplare zu sein. Diesen kann man zu viert tragen wie eine Sänfte, jener mutiert zum überdimensionalen Meßbecher, ein dritter verbirgt sich im Rucksack, ein vierter unter dem Hut. Und so weiter.

Wexler, von Haus aus Architekt, durchstreift die verwaisten Felder zwischen angewandter und freier Kunst. Seine Modelle könnte man nachbauen, beispielsweise jenes theoretisch riesenhafte Aquädukt, das die gesammelten Wassermassen in einen einzigen – nun ja – Eimer leiten soll.

Liebenswert umständlich

Überhaupt wirken viele Gedanken und Formfindungen Wexlers liebenswert umständlich bis abwegig. Der schnurgerade Weg wäre eben nicht der Königsweg der Phantasie. Und die Schrullen von heute sind oft die Ideen von morgen. Auch Schirme und allerlei Flaschen kommen bei Wexler zum Einsatz, um das offenbar kostbare Nass aufzufangen, zu sammeln und zu bewahren. Sein „Gemeinschaftsbrunnen“ sieht ganz so aus, als sollte er nicht nur ein Grundbedürfnis befriedigen, sondern auch ungeahnte Gemeinschaft zwischen den Menschen stiften; wie denn überhaupt derlei herzliches Bemühen um Wassergewinnung auch politisch-soziale Hintergedanken wecken kann.

In der ersten Etage wechselt Wexler die Gegenstände, im Prinzip aber nicht die überaus experimentierfreudige Produktionsweise. Nun widmet er sich mit nicht nachlassender Detailfreude den Stühlen und Tischen. Auch ihre formalen (Un)-Möglichkeiten werden durchgespielt. Wie ißt man auf einem ganz und gar schrägen Tisch? Man legt passende Keile unter die Teller, dann stehen wenigstens die gerade. So tummelt sich Wexler in den Winkeln der Welt und erfindet sie neu.

Die Frau mit der Kraft eines Büffels

Einen denkbar starken Kontrast zu solchen Versuchen setzt die zweite neue Osthaus-Ausstellung. Sie umfaßt rund 50 plastische Arbeiten von Milly Steger (1881-1948), die lange Zeit in Hagen gelebt und dieser Stadt anno 1911 auch einen handfesten Kunststreit beschert hat, als sie vier überdimensionale nackte Frauenfiguren aufs Theater setzte.

„Die Grenzen des Frauseins aufheben“ heißt, ein wenig pathetisch, diese Schau. Gemeint ist, daß man weiblichen Wesen zu Beginn Beginn des Jahrhunderts weder das räumliche Denken noch die physische Kraft zutraute, um Skulpturen zu schaffen. Milly Steger aber setzte sich in der Männerdomäne derart durch, daß Else Lasker-Schüler sie lyrisch als „Büffelin an Wurfkraft“ pries. Die Skulpturen-Auswahl vermittelt ein uneinheitliches Bild. Mal kommt Milly Steger Zeitgenossen wie Barlach oder Lehmbruck an Ausdruckskraft nah, dann wieder verschwimmen die Züge ihrer Figuren ins gar zu Gefällige.

Karl-Ernst-Osthaus-Museum, Hagen (Hochstraße 73 / 02331 / 207 31 38). Ausstellungen Allan Wexler (Katalog 32 DM) und Milly Steger (Katalog 30 DM), jeweils ab heute bis zum 1. November. Di-So 11-18, Do 11-20 Uhr.




Baukasten des Alltags – Allan Wexler in Hagen

Von Bernd Berke

Hagen. Hier steht ein Plastikbecher, dort liegen hunderte von Zahnstochern. Und nun kommt einer auf diese Idee: Wie bastele ich aus den Hölzchen Halterungen für das unscheinbare Trinkgefäß?

Abenteuerlich komplizierte und komische Konstruktionen kommen dabei heraus, wenn sich der Amerikaner Allan Wexler der Aufgabe annimmt – bis hin zum abstrusen Türmchen, in dessen Zinnen majestätisch der Becher ruht.

Die Sache hat ihren Witz, aber beileibe nicht nur das. Wexler, ein Grenzgänger zwischen Architektur, Design und freier Kunst, macht mit seinen Phantasie-Bauten Alltagsdinge fremd und damit auf kuriose Art bewußt. Seine Hagener Ausstellung ist eine bemerkenswerte Deutschland-Premiere.

Zwar hat der Mann Architektur studiert, aber praktisch nie ein Haus entworfen, das dann auch gebaut wurde. Ein Hauptgrund, so sagt er, war die Protest-Stimmung zur Zeit des Vietnamkrieges. Ihm und seinen Freunden sei es damals eben nicht um Auf bau gegangen, sondern um neue Denk-Konzepte, mithin um „Abriß“ des Herkömmlichen.

Also nimmt er, bis heute, die Dinge lieber mit Lust auseinander. Beispielsweise eine Kaffeemaschine, die er säuberlich in alle Einzelteile zerlegt hat und in einer Art Baukasten präsentiert – mitsamt der fotografischen Anleitung, wie man den Apparat in 51 Arbeitsschritten wieder zusammenfügen kann. Seine kleinen hölzernen Modelle von Häusern oder Badezimmern wären auch in Baugröße schwerlich bewohnbar, sie gehören ins Reich der Freiheit. Da ist mal das Innere nach außen gestülpt, da wuchern winzig witzige Details, da finden sich an allen Ecken und Enden kleine Überraschungen. Das weckt Entdeckerfreude beim Betrachter, und auch der Künstler scheint seinen Spaß gehabt zu haben.

Ersparen wir uns das Schwerdenkertum über Dekonstruktion und Postmoderne – Richtungen, mit denen Wexler spielerisch umgeht – und schauen wir uns lieber noch seinen Eßtisch an. Der steht auf einer schiefen Ebene, alle Tassen und Teller würden rutschen oder umkippen, hätte nicht Wexler mit lauter untergeschobenen Keilen und mit Hilfe von Wasserwaagen das Ganze wieder notdürftig ins Lot gebracht. Welch eine brüchige, fragile „Normalität“!

Allan Wexler. Osthaus-Museum, Hagen (Hochstraße 73). 2. Okt. bis 21. Nov. Di, Mi, Fr und Sa/So 11-18, Do 11-20 Uhr. Katalog 30 DM.