Was Passanten zu hören bekommen – und was die Wissenschaft daraus machen könnte

Alltäglicher kann Alltag nicht sein: Als ich dieser Tage zu Fuß unterwegs war, ist es mir mal wieder aufgefallen: Da kamen mir u. a. zwei Leute entgegen und ich schnappte en passant einen winzigen Gesprächsfetzen auf: „…das, was er zum Leben hat…“ Da ging es also, um es ganz trocken zu sagen, offenbar um den eher dürftigen Sozialstatus eines Freundes oder Bekannten.

Wir könnte ja auch versuchen, die Wolken zu kämmen... (Foto: Bernd Berke)

Ebenso gut könnten wir auch versuchen, die Wolken zu kämmen… (Foto: Bernd Berke)

Die nächsten Leute unterhielten sich anscheinend über Städte, denn es hieß: „Wuppertal liegt ja auch nicht höher.“ Gleich darauf kam ich an zwei älteren Damen vorbei, die plaudernd bzw. tratschend an der Straßenecke standen. Und wieder war im Vorübergehen eine sekundenkurze Äußerung zu verstehen. Die eine sagte zur anderen: „Da ist auch Alkohol im Spiel…“ Es wäre sehr indiskret gewesen, an dieser Stelle weiter lauschen zu wollen.

Nun stelle ich mir vor, man hätte mit Hilfe vieler Mitarbeiter(innen) Hunderte, ja Tausende und Abertausende solcher „Zufalls“-Äußerungen gehört und gesammelt. Und zwar jeweils nicht als Quasi-Ethnologe oder gar Hobby-Spion mit gezücktem Stift, sondern eben als Passant, so unabsichtlich und unauffällig wie nur irgend möglich; zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten, in verschiedenen Gegenden, in verschiedenen Milieus und in den hierzulande – sagen wir – 20 gängigsten Sprachen.

Was würde man erfahren? Je mehr beiläufig erhaschte Sätze, Halbsätze und Ausrufe man beisammen hätte, umso vielfältiger, vielleicht auch genauer (oder immer diffuser?) wäre wohl das anwachsende Sprach-Bild, das man von dieser Gesellschaft erhielte. Es wäre also vielleicht kein reiner Zufall mehr, sondern hätte durchaus Substanz.

Aber wer wollte die Inhalte ermessen? Man müsste die Fülle ja erst einmal sortieren. Und dabei ginge womöglich die Spontanität so mancher Äußerung verloren.

Die Frage wäre auch, ob die Aussagekraft bereits nachließe, wenn man überhaupt willentlich und systematisch sammelte. Und wer sollte sich über die schließlich halbwegs aufbereiteten Resultate beugen? Soziologen oder Psychologen? Politikwissenschaftler? Schriftsteller und Künstler? Ein Querschnitt durch alle Berufe? Mit all ihren verschiedenen Meinungen und Ansätzen? Dann würden die Ergebnisse wiederum zerfasern. Und man müsste Kongresse ausrichten, auf denen alle in verschiedenen Jargons reden.

Ferner würde der pure Wortlaut längst nicht ausreichen. Auch Tonfall, Mimik und Gestik müssten auf irgend eine Weise „objektiv“ (haha!) erfasst und gespeichert werden, was selbstverständlich gegen den Datenschutz und überhaupt gegen den menschlichen Anstand verstieße.

Wahrscheinlich habe ich noch etliche weitere Probleme vergessen. Aber es reicht schon. Die Grenzen zur Absurdität werden sichtbar.

Wisst ihr was? Ich glaube, wir sollten auf die Forschungsförderung verzichten und das ambitionierte Projekt doch lieber bleiben lassen. In diesem Sinne: Legt euch wieder hin!




Rätsel des Alltags (6): Katzenumriss

Die Reihe der rätselhaften Phänomene reißt nicht ab. Diesmal führt sie dazu, dass auch hier – wie so oft in „sozialen Netzwerken“ – so genannter Katzen-Content auftaucht. Aber wie geheimnisvoll!

Die Sache ist die: Am denkbar profanen, freilich durch Helge Schneider kulturell erhobenen, ja geradewegs geadelten Ort, einem Katzenklo also, hat sich im Katzenstreu ein deutlicher Katzenumriss abgezeichnet. Mehr Katze geht nicht. *

Katzenbild macht die Katze froh. (Foto: BB)

Katzenbild macht die Katze froh. (Foto: BB)

Unverkennbar die Ohren und der etwas übergewichtige Korpus. Wenn das keine Katze ist, fress‘ ich Whiskas.

Nun aber zum Eigentlichen, Hintergründigen, das sich unsere Schulweisheit nicht träumen lässt: Es schwören alle menschlichen Wesen, die Zugang hatten, sie hätten einen solchen Umriss nie und nimmer absichtlich gezeichnet. Aber wie kann einem so etwas zufällig unterlaufen, ohne dass man es merkt? Ist es denn die Möglichkeit?

Nach etwas Gründeln und Grübeln beschleicht einen wie auf Katzenpfoten die Frage: Sollte etwa unser Kater Freddy beim Sch… eine Art Selbstbildnis verfertigt haben? Daher also das scharrende Geräusch? Ist dieser kreative Kater seiner eigenen Gestalt derart bewusst, dass…?

Hier erschaudern wir und schweigen fürderhin. Denn hier rühren wir offenbar an die tiefsten Mysterien.

Denkt mal drüber nach. Gerade am Aschermittwoch.

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* Nur gut, dass dies kein Hörfunkbeitrag ist, sonst würde noch jemand verstehen: „Meerkatze geht nicht“, hehe.

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Die bisherigen Rätsel des Alltags: Stöpsel-Spuk (1), Brezelschwund (2), Problemkasse (3), Spinnenkleber (4) und Das Ungeheuer von Topf Ness (5)




Das neue Kurz-Sprech: „Kann das Müll?“

Vor einigen Tagen überraschte ich mich und meine Familie mit einer für alle ungewöhnlichen Frage: „Kann das Müll?“ Die Präposition „in“ und den Artikel „den“ hatte ich einfach geschlabbert, unbeabsichtigt, unbewusst. „Und so sprichst Du als Germanist“? empörte sich meine Gattin. Ja. Leider.

Verliert offenbar weiter an Einfluss: der Duden.

Verliert offenbar weiter an Einfluss: der Duden.

Werbung und Alltagshören hat wohl doch größeren Einfluss auf unser Sprechen als die Schulerziehung in Kindertagen. „So muss Technik“ schallt es uns – grammatisch falsch – aus dem Fernseher entgegen, und neulich in der Bahn von Düsseldorf nach Hagen hörte ich einen Jugendlichen in sein Handy rufen: „Nach Schule lauf isch Elberfeld“.

Spätestens seit dem Linguisten Noam Chomsky wissen wir aber, dass unvollständiges oder vom Soziolekt geprägtes Sprechen den gleich großen Kommunikationswert haben kann wie die gerühmte Hochsprache. Man muss sich nur von Vorurteilen befreien. Sprache ist immer in Bewegung, und was letztlich die Mehrheit der Sprachnutzer anwendet, das wird sich irgendwann auch als richtig durchsetzen. Da kann die Duden-Redaktion noch so sehr dagegen ankämpfen.

Übrigens hatten schon die alten Römer ein ähnliches Problem: Der gute Cicero, ein gebildeter Mann, ließ sehr gern Wortteile oder Hilfsverben weg und quält mit dieser Vorliebe noch heute so manchen Lateinschüler. „Lern isch Vokabeln später“, sagt sich der Kurz-Sprecher dann.