Der wahre und der falsche Rembrandt: Heute vor 400 Jahren wurde der Maler geboren – Über Echtheit seiner Bilder wird gestritten

Von Bernd Berke

Rembrandt-Touristen bringen den Niederlanden in diesem Jahr ordentlich Umsatz. Allein Amsterdam rechnet mit gut 90 Millionen Euro Extra-Einnahmen durch etwa 430 000 zusätzliche Besucher. Der Maler selbst, der heute vor 400 Jahren geboren wurde, ist „natürlich“ verarmt gestorben. Das Klischee von der großen Ungerechtigkeit wäre also wieder mal erfüllt.

Eigentlich weiß man von Rembrandts Biographie nicht allzu viel. Doch gegen Ende seines Lebens hatte sich der damals schon berühmte Künstler derart verschuldet, dass eine Art Insolvenz-Liste über sein Restvermögen erstellt werden musste. Sie lässt einige Rückschlüsse auf den Lebensstil zu.

Experte Aernout Hagen vom Rembrandthuis hat die Misere des Mannes so erläutert: „Wenn er etwas sah, musste er es haben, notfalls auf Abzahlung.“ Folge des kostspieligen Hangs zu raren Schätzen aus Kunst und Natur: Er konnte sein 13 000 Gulden teures Haus nicht mehr abbezahlen, also wurde seine Habe verpfändet.

Dabei war die Auftragslage nicht übel. Rembrandt war ein gefragter Porträtist wohlhabender Leute, er galt in gewisser Weise sogar als ein „Star“ seines Metiers. Deshalb drängten auch viele Schüler in sein Atelier, obwohl ein halbes Jahr Unterricht bei ihm 50 Gulden kostete. Zum Vergleich: Das Durchschnittseinkommen betrug damals pro Jahr 300 Gulden.

Die Sache mit den Schülern bereitet heute arge Probleme. Denn viele Bilder, die man früher fraglos Rembrandt zugeschrieben hat, hat er wohl gar nicht selbst gemalt, sondern es waren Nacheiferer aus seiner Werkstatt. Sie rechneten es sich just zur Ehre an, wenn ihre Arbeiten den Seinen zum Verwechseln ähnlich sahen. Lernziel erreicht. Ritterschlag und Markenzeichen in einem: Rembrandt setzte dann seine Signatur hinzu, damit sich die Bilder besser verkaufen ließen.

Etwa 280 Gemälde sind wohl von seiner Hand – nach jetzigem Stand

So mussten Heerscharen von Kunsthistorikern den Bildern mit Röntgen- und Infrarot-Aufnahmen oder Stilkritik zuleibe rücken. Viele, viele Werke sind Rembrandt seither „abgesprochen“ worden. Etwa 280 Gemälde gelten als echt – bis zur Stunde.

Selbst der weltberühmte „Mann mit dem Goldhelm“ stammt höchstwahrscheinlich nicht von des Meisters eigener Hand. Früher waren die Menschen vielleicht vom großen Namen und vom schimmernden Gold geblendet, im Nachhinein fielen den Fachleuten handwerkliche Schwächen an dem Bild auf. Wenn man vom Rathaus kommt…

Rembrandts Gemälde, Zeichnungen und Radierungen wirken ungleich persönlicher und intimer und intimer als etwa die Werke eines Rubens. Tradierte Bildformeln, pathetisch auftrumpfende Gesten oder vordergründige Dramatik waren Rembrandt fremd. Auch die erdig-dunkle Farbpalette und das subtile Spiel mit Licht und Schatten gelten als typisch für seine Kunstauffassung. Das alles ist ja nicht falsch. Wie man sich trotzdem im Urheber irren kann, haben selbst Kenner schmerzlich erfahren müssen. Längst hat sich die Frage, wie es in Rembrandts Werkstatt zugegangen ist, als eigener Forschungszweig etabliert.

Wie in derlei Fällen üblich (Mozartkugeln etc.), gibt es jetzt auch wohlfeile oder kommerzielle Annäherungen an den Mythos Rembrandt. In Hollands Städten ist es Usus, „lebende Bilder“ nach seinen Gemälden zu stellen. Und heute soll im Amsterdamer Theater Carré ein Rembrandt-Musical herauskommen (Aufführungen bis Februar 2007). Dieser Produktion dürfte es kaum schaden, dass man wenig Konkretes aus dem Leben des Künstlers weiß. Da lässt sich’s trefflich spekulieren und kolportieren.

Rembrandt-Ausstellungen (Auswahl): 

Berlin, Kulturforum Potsdamer Platz: Ab 5. August „Rembrandt – ein Genie auf der Suche“ (bis 5. Nov.) / Kassel. Schloss Wilhelmshöhe: 34 Gemälde aus eigenen Sammlungen (noch bis 20. August) sowie Landschaftsbilder (bis17.Sept) / Amsterdam, Rijksmuseum: Alle Zeichnungen – Teil 1, 11. August bis 11. Oktober).

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LEBENSDATEN

Hochzeit, Todesfälle, Finanzruin

  • Rembrandt Harmenszoon van Rijn wird am 15. Juli 1606 in Leiden geboren.
  • Als er 14 ist, schreiben ihn die Eltern an der Uni ein. Er geht nicht hin, sondern wird Lehrling bei einem Historienmaler.
  • 1625 erstes Atelier.
  • 1631 Umzug nach Amsterdam.
  • 1634 Heirat mit Saskia von Uylenburgh. Drei Kinder aus dieser Ehe sterben jeweils kurz nach der Geburt.
  • 1642 Tod Saskias. Beziehung mit Kindermädchen Geertghe Dircx, die nach der Trennung ins Zuchthaus kommt – auf Rembrandts Betreiben hin.
  • 1649 Rembrandt lebt mit der Haushälterin Hendrickje Stoffels zusammen.
  • 1656 Finanzieller Ruin.
  • 1663 Tod Hendrickjes.
  • 1669 Rembrandt stirbt am 4. Oktober.
  • Hauptwerke: „Anatomiestunde des Dr. Nicolaes TuIp“ (1632), „Nachtwache“ (1642),„Die jüdische Braut“ (1667).

 




Sanftes Licht aus paradiesischen Gefilden – Amsterdamer Rijksmuseum präsentiert „Das Goldene Zeitalter“

Von Bernd Berke

Amsterdam. Wichtig ist nicht nur wie, sondern auch wo man lebt. Für einen Maler gilt dies wohl erst recht. Da gibt es beispielsweise diese Sache mit dem „Delfter Licht“, das sich unvergleichlich mild ausbreitet und alle Dinge in eigentümlich beruhigender Klarheit hervortreten lässt.

Wer weiß: Vielleicht wäre Jan Vermeer als Künstler ein ganz anderer geworden, hätte ihn nicht dieses Licht umhüllt und ihm die Welt vor Augen geführt. Er musste es „nur“ noch malen…

So ist denn in der famosen Amsterdamer Ausstellung „Der Glanz des Goldenen Jahrhunderts“ ein Kapitel eben jenem Delfter Phänomen gewidmet, dessen Wirkungen auch bei Künstlern wie Pieter de Hooch und Gabriel Metsu zu gewahren sind. Man schaue nur, wie sich dieses Licht, als fließe es aus paradiesischen Gefilden, in Vermeers Meisterwerk „Die Küchenmagd“ sanft über den Brotkorb ergießt. Man schaue und staune.

So wird es einem in dieser einmaligen Sonderschau zum 200jährigen Bestehen des Rijksmuseums öfter ergehen. Zu sehen sind aus aller Welt zusammengeführte Schätze des Goldenen Zeitalters der niederländischen Kunst, also aus dem 17 Jahrhundert.

In 23 sinnreich aufbereitete Abteilungen gliedert sich die Fülle der 200 prächtigen Exponate, darunter auch kostbare Alltagsgegenstände jener Ära wie etwa edles Mobiliar und funkelnde Trinkgefäße. Die relativ kurze Anreise nach Amsterdam lohnt sich aber vor allem wegen der meisterlichen Gemälde von Rembrandt, Frans Hals, Vermeer und anderen.

Abschied von der Harmlosigkeit

Gleich eingangs steht man vor zwei denkbar verschiedenen Darstellungen des Heiligen Sebastian. Während Joachim Wtewael anno 1600 den Märtyrer sogar im Moment des größten Schmerzes mit makellosem Leibe zeigt, erscheint er auf dem 1625 gemalten Bild von Henrik Ter Brugghen als Mensch aus Fleisch und Blut, den man mit Pfeilen übel zugerichtet hat. Lichtführung und Schattenwurf verleihen der Szene eine ungeheure Dramatik. Der Einfluss eines Caravaggio ist unverkennbar.

Es ist, als seien Strategien szenischer Dramatisierung an die Stelle religiöser Überhöhung getreten. Zur gekonnten Inszenierung zählt auch die Wahl des einzig richtigen Gipfel-Moments, beispielhaft zu sehen an Rembrandts „Raub der Europa“ (1632).

Hier also haben wir den Eintritt ins große Zeitalter der niederländischen Kunst, in dem sich nicht nur das Menschenbild ändert. Auch der allmähliche Übergang von idealisier- ten Phantasie-Landschaften zu realistischen Panoramen ist ein Thema der Ausstellung. Die Seestücke ergehen sich nicht mehr im unnatürlich lieblichen Spiel der Wellen, sondern schildern die volle, lebensbedrohliche Wucht der Meereswogen. Es sind Abschiede von der Harmlosigkeit.

Wirtschaftlich waren die Niederlande damals erstarkt. Wohl auch deshalb wurden sinnliche und weltliche Dinge, wurde die Aneignung der greifbaren Wirklichkeit zur größten Triebkraft der Künste. So raffiniert und täuschend echt wirken etwa manche Stillleben, dass man am liebsten in die Früchte hineinbeißen würde. Hier ist Genauigkeit eine Lust, dort ein Schock: Rembrandt gibt uns in „Die Anatomie des Dr. Tulp“ einen fast drastisch deutlichen Einblick ins Handwerk der Chirurgen – und eine Ahnung von der Vergänglichkeit allen Lebens.

Sinnlichkeit und Gier

So exakt die Abbilder erscheinen mögen, so tragen sie doch symbolische Fracht: Ein Hochzeitsporträt des Frans Hals (um 1622) lässt sich letztlich nur verstehen, wenn man weiß, welche Bedeutung die Pflanzen als Sinnbilder des Treuegelöbnisses haben.

Von berstender Sinnlichkeit, freilich auch von Gier künden die Genrebilder mit all den Huren, feuchtfröhlichen Zechern, Kupplerinnen und lüsternen Freiern. Doch es gibt auch die geläuterte Liebe: Welcher höhere Sinn und Edelmut waltet in Rembrandts Paarbildnis „Isaak und Rebekka“ („Die Judenbraut“, um 1665), dem Inbild lebenslanger Treue!

Amsterdam, Rijksmuseum (Stadhouderskade 42 / Tel. 0031/20 67 47 047). Bis 17. September. Tägl. 10-17 Uhr. Dt. Katalogbuch (Belser Verlag) 98 DM.




„Heldenhafte“ Industriearbeit in Pastellfarben – Bilder des Niederländers Herman Heyenbrock

Von Bernd Berke

Münster. Ausgesprochenes Mitleid hatte Herman Heyenbrock (1871-1948) mit dem Proletariat kaum. Eher bewunderte der niederländische Maler das „Heldentum“ der Industrie-Arbeiter, die alle bis dahin gekannten Schranken der Produktion überwanden.

Der Künstler hielt zu Beginn unseres Jahrhunderts Industrieszenen in Nord- und Westeuropa (Wales, Schweden, Ruhrgebiet) für die Nachwelt fest. Dabei machte er auch für einige Wochen in Hörde, dem heutigen Dortmunder Ortsteil, Station.

80 Heyenbrock-Bilder, darunter einige Ansichten der Hörder Hermannshütte aus der Zeit vor 1910, sind jetzt im Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster zu sehen (bis 9. Juni, Katalog 10 DM). Seit 1910 hat kein deutsches Museum eine solche Auswahl zusammentragen können. Insgesamt soll es 1200 Industriebilder von Heyenbrock geben.

Heyenbrock war Sohn eines Amsterdamer Bäckers. Sein Augenmerk richtete sich denn auch zunächst auf das Handwerk, etwa auf die Zigarrenherstellung (1898). Handwerkliche Fertigkeiten spürte er sodann auch im industriellen Prozeß auf. Da wird – vor allem in den frühen Serien über Bergbau – der einzelne Arbeiter hervorgehoben, sofern er eine Tätigkeit ausübt, die Fachwissen erfordert.

Im Lauf der Zeit spiegelt sich aber der Industrialisierungsfortschritt bei Heyenbrock darin, daß er Individuen zunehmend als Statisten vor kolossalen Maschinen darstellt. Hier ist er (vielleicht unfreiwillig) Realist.

Freilich konnte er seine grundsätzlich idealistische Prägung nicht verleugnen. Sein Fortschrittsoptimismus bleibt unverkennbar. Allerdings beschönigt er die Situation der Arbeiter nicht durch hohles Pathos. Höchstens setzt er hie und da ein paar impressionistisch-dekorative Spitzlichter oder Illuminationen auf. Generell aber stellt er die Kohle- und Hüttenreviere jener Zeit so verqualmt und rußig dar, wie sie eben gewesen sind. Man bekomme Staublunge, wenn man diese Bilder nur länger anschaue, soll einmal ein Betrachter gesagt haben.

Ein großer Künstler war Heyenbrock, der in Amsterdam als Gründer eines (1948 aufgelösten) „Museums der Arbeit“ eine Pioniertat vollbrachte, gewiß nicht. Man könnte ihn als getreulichen Dokumentaristen bezeichnen, der mit gestalterischem Anspruch zu Werke ging. Diesem Anspruch wurde er mit Pastellbildern eher gerecht als mit seinen weit selteneren Ölgemälden. In Pastell erzielte der an schnelle Auffassung und Wiedergabe gewöhnte Ex-Pressezeichner lebendigere Wirkungen.