Im Bett mit Karl Marx – „Die Verkündigung oder: Friedrich, du bist ein Engel“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Der olle Karl Marx räkelt sich im Ehebett. Neben ihm liegt seine liebe Frau. Sie erdrückt ihn mit ihrer Fürsorge, sie hält ihn dauernd vom Schreiben und – na, sowas! – vom Fremdgehen ab. Und wenn seine Feder doch mal kratzt, ruft sie gleich; .„Was schreibst du da?“ Bedauernswerter Marx? Im Gegenteil.

„Die Verkündigung oder: Friedrich, du bist ein Engel“, jetzt in Wuppertal als deutsche Erstaufführung zu sehen (Regie: Hans-Christian Seeger), zeigt uns Karl Marx zwei, Stunden lang im Nachtgewand, doch nicht im Büßerhemd: Dieser Mann ist, ganz ungebrochen, ein Patriarch, der mit Frau und Geliebter nach männlichem Belieben umspringt.

Autor Milan Uhde ist, politisch besehen, kein Geringer. Er ist tschechischer Parlamentspräsident. Die Handlung seines Stückes fußt auf einer durch die Forschung weitgehend verbürgten Episode: Marx (der im Stück – Scherz, laß nach! – „Karl-Max“ heißt) schwängerte anno 1850 im Londoner Exil seine Haushälterin Helene Demuth (im Stück: Leni), während sein Eheweib, die kränkelnde dreifache Mutter Jenny (hier: Beni), im Nebenzimmer schlief. Genosse und „Geldesel“ Friedrich Engels übernahm offiziell die Verantwortung für das Malheur – nicht aber für das Kind, das flugs weggegeben wurde, sprich: Außen hui mit Befreiung der Arbeiterklasse, drinnen pfui mit sexistischer Unterdrückung. Sozialisten als bürgerliche Unholde. Merke: Das konnte ja nichts werden mit der Utopie, wenn sie schon so begonnen hat.

Traumspiel mit schauriger Komik

Milan Uhde ist zu klug, um diese mißliche Geschichte einfach nachzuerzählen. Er hat ein Traum- und Schauerspiel mit komödiantischen Zwischentönen geschrieben, bei dem sich Leni verzweifelt in der Themse ertränkt und später als Wiedergängerin in Marx‘ verstaubter Armutsbude herumgeistert. Auch erwürgt Marx seine Frau, weil sie einige Manuskripte verbrannt hat. Diese Tat wird ebenfalls von Engels bemäntelt und bleibt folgenlos. Die herzlichste Umarmung des ganzen Abends ist denn auch keine zwischen Mann und Frau, sondern jene männerbündische zwischen Marx und Engels, als die frohe Botschaft vom Generalstreik in der Zeitung steht.

Marx, durch die jüngste Geschichte eh schon ausgezogen bis aufs Hemd, wird noch einmal ganz intim bloßgestellt, einmal schwenkt er gar wie ein Dorftrottel den Nachttopf. Hier und da ist das halbwegs komisch. Aber: War das denn wirklich noch nötig?

Immerhin gibt’s recht schmackhaftes Rollenfutter, angesiedelt irgendwo zwischen Hauptmannschem Ernst und Loriot-verwandter Komik. Viel mehr als die Wuppertaler wird man aus dem Stück wohl nicht herausholen können. Denn sie machen das allesamt recht gut: Gerd Mayen als väterlich sich gebender Märchenerzähler und Lügenbold Marx, mit gelegentlichen Vulgär-Ausbrüchen; Rena Liebenow als praktisch-lebenskluge Ehefrau, aber auch Nervensäge, die sein Theoriegebäude im Nu zerbröseln läßt; Franz Trager als nicht nur vom Rationalismus trunkener Engels und schließlich Andrea Witt als das Liebesgespenst Leni.




An der Grenze zur Klamotte – Friedrich Wolfs „Koritke“

Von Bernd Berke

Wuppertal. „Kunst ist Waffe!“ Mit Stücken, die dieser Parole zu Bühnenwirksamkeit verhelfen sollten, war Friedrich Wolf (1888-1953; das Programmheft verrät so gut wie nichts über ihn) einer der meistdiskutierten Arbeiter-Schriftsteller der Weimarer Republik.

Wolf, im Brotberuf Arzt, ab 1928 Mitglied der KPD, schrieb nach expressionistischen „Oh-Mensch“-Anfängen Agitprop-Stücke immer reineren Wassers. In Wuppertal, wo man jetzt Wolfs „(Die Zeche zahlt) Koritke“ (Regie: Dieter Reible) ausgrub, kam freilich ein grundbiederes Stück auf die Bühne. Arbeitertheater hart an der Grenze zur Klamotte.

Allerdings hat bereits der Text deutliche Schwächen, so zum Beispiel die aus heutiger Sicht überaus dick aufgetragehe Symbolik des Oben und Unten, die überdies um Begriffe wie „Blut“ und „Licht“ kreist. Sprachlich steht dazu ein abgehackter Telegrammstil in seltsamem Kontrast.

Inhaltlich dreht sich alles um Mia, die mit Vater Koritke und Stiefmutter in einem Kellerloch haust. Doch dann wird sie allenthalben „entdeckt“: Fabrikdirektor Lomm (wie sich später herausstellt: Mias eigentlicher Vater) will aus ihr eine propere Chefsekretärin machen; der Student Miltiz jubiliert über ihre tänzerische Begabung, mit der sie gewiß „hinauf ans Licht“ kommen werde; Koritke und die Industrielle Lis Benz schließen sich ihm an. Ein jeder will sie nach seinem Bilde formen.

Doch halt! Erst kommt, frei nach Brecht, das Fressen, dann die Kunst. Die Tanzausbildung kostet Geld, und das ist bei Direktor Lomm zu holen: Vom Platin-Diebstahl bis zum Mordversuch – fortan ist der Mann seiner Habe und seines Lebens nicht mehr sicher. Am Schluß bleibt jedoch Koritke auf der Strecke.

Wo immer Wolf Zähne (sprich: Klassenverhältnisse) zeigt, da hat man sie ihm in Wuppertal „gezogen“. Einzig Norbert Kentrup als muskulöser Proletarier, der sich als Rausschmeißer und Ringer verdingt, ließ etwas von den Triebkräften ahnen, die auch Friedrich Wolf bewegt haben mögen. Kentrup setzte Wolfs Forderung, das Theater solle auch „Muskelentladung, Akrobatik, Gymnastik“ sein, überzeugend um und gab auch verhaltenere Szenen intensiv. Während Andrea Witt als „Die Koritkin“ und Gerd Mayen als Direktor Lomm solide spielten, war Noemi Steuer mit ihrer zentralen Rolle nach meiner Ansicht überfordert.

Ob Rena Liebenow (hier als Industrielle Lis Benz) sich danach drängt, Boulevardstil zu spielen, ob die Regie es ihr abverlangte oder ob sie gar nicht anders kann – sie selbst mag es am besten wissen. Zu diesem Stück paßt es jedenfalls nicht – ihr stets verbindliches Lächeln, das vielleicht „Ist ja alles halb so schlimm“ besagen soll. Dazu Alexander Pelz als Student Miltiz. Nun ja. Ob er Jubel oder Trauer mimt, man weiß jedenfalls sofort genau, was gemeint ist. Weniger Nachdruck wäre mehr. Franz Träger als Filmregisseur trat so auf, wie Klein Mäxchen sich früher einen solchen vorgestellt hat.

Die Bühneneinrichtungen (Peter Werner) verrieten immensen Aufwand, sie huldigen wenigstens keinem platten Abbildungs-Naturalismus. Zwar getreulich nachgebautes Interieur zeigend, werden sie doch so hingestellt, daß keine falsche Illusion aufkommt. Rundum bleibt die Bühnentechnik sichtbar.

Der Beifall, mächtig angeheizt von strategisch verteilt sitzenden „Freunden des Hauses“, war beinahe frenetisch. Als das Regie-Team sich auf der Bühne zeigte, ertönten auch vereinzelte Buh-Rufe.




Halbherzig: „Ada und Evald“ von Monika Maron in Wuppertal uraufgeführt

Von Bernd Berke

Wuppertal. Monika Maron DDR-Autorin, Jahrgang 1941, hat ein Prosastück geschrieben, einige Mono- und Dialoge hineinverwoben und das Ganze ..Ada und Evald. Ein Stück“ genannt. Wuppertals Bühnen nahmen das Titelanhängsel „Ein Stück“ wörtlich und brachten „Ada und Evald“ als Uraufführung.

Schon im Vorfeld dieses Ereignisses hatte es Auseinandersetzungen gegeben. Schauspieldirektor Dieter Reible zog, unzufrieden mit erreichten Resultaten, die Regie-und Bühnengestaltung an sich, die Premiere mußte verschoben werden. Man ahnt nun, wo die Probleme gelegen haben könnten. Das „Stück“ ist eher zum Lesen geeignet, es wirkt im Theater deplaziert.

Schriftstellerin Ada (Andrea Witt) liebt den Schriftsteller Evald (Michael Wittenborn), weil der sich ihr entzieht. Evald übertüncht seine innere Leere, indem er Weltschmerz- und Geniephantasien nachhängt. Ada will, „daß etwas passiert“, will Leben und Hoffnung, Evald werden hingegen alle Weltübel zum Anlaß für Texte, die er sich abringt. Beziehungs-Elend also, die Frau vornehmlich Opfer. Zwei (von Schauspielern dargestellte) Wachsfiguren spiegeln als „zweite Ichs“ das Titelpaar wider.

In einer mehrfach aufgegriffenen Kneipen-Szene erscheint ein Herr „X“ (Bernd Kuschmann), der den Humanismus für tot erklärt und düster über „Schuld und Geschichte“ palavert. Angeblich soll DDR-Dramatiker Heiner Müller bei dieser Figur Pate gestanden haben. Er wird’s verwinden. Ferner treten auf: die Figur „Suizi“ (Franz Träger), in Ada verliebter Selbstmordkandidat, ein versoffener Prediger (Johannes Schütz), geschwätzig das Weltende zum Neubeginn erklärend und – Berliner „Pflanze“ – die Malerin Clairchen (Rena Liebenow mit dem meisten Applaus), die in einer naturmagischen Szene mit einem Baum vermählt wird.

Das Stück hat einige lichte Momente, doch vielfach fallen nur sprachlich kraftlose Gedankenbröckchen und ausgelaugte Bilder ab. Unsäglich erscheint mir jene gereizte Szene über geraubte Wörter: „Freiheit, Sehnsucht, Hoffnung, Glück. Wir hol’n die gestohlenen Wörter zurück“, heißt es mehrfach im Chor. Dazu Ringelpiez mit Anfassen. Das provozierte höhnischen Beifall auf offener Szene.

Einige starke Einfälle (zu Beginn auf erhöhter, rundum schwarz verhangener Bühne eine Szene „in Breitwandformat“) können den insgesamt halbherzigen Zugriff der Regie nicht verhüllen. Ob dieser Text überhaupt mit Theatermitteln greifbar ist – diese Frage konnte die Uraufführung noch nicht befriedigend beantworten.

Monika Maron, über die das Programmheft sträflicherweise nichts mitteilt, und das Ensemble nahmen einen eher höflich zu nennenden, den schauspielerischen Leistungen angemessenen Durchschnittsbeifall entgegen.