„Dortmunder U“ im Disco-Rausch: Ausstellung feiert den legendären Club „Studio 54″

Rose Hartman (American, born 1937): Zu Pferde zelebriert Bianca Jagger am 2. Mai 1977 ihren 27. Geburtstag im Studio 54. Auf dieser Aufnahme nicht zu sehen: Ein nackter Mann hielt die Zügel. (Black and white photograph. Courtesy of the artist. © Rose Hartman)

Hört sich doll an: Premiere hatte die Schau in New York, in Toronto fiel sie wegen Corona aus, jetzt ist sie in Dortmund zu sehen – und sonst nirgendwo. Es geht um die legendäre Clubdisco „Studio 54″, deren verbliebene Essenzen nun im „Dortmunder U“ wiederbelebt werden sollen.

Die seinerzeit weltberühmte Kult-Disco an der 54. Straße in Manhattan gab es nur 33 Monate lang, zur Eröffnung im April 1977 kamen Celebrities wie Frank Sinatra, Cher oder auch Donald Trump. Bis zur Schließung im Februar 1980 wogten dort schräge, schrille und rauschhafte Partys mit Stars und Sternchen sonder Zahl. Zu nennen wären beispielsweise Glamour-Gestalten wie Mick und Bianca Jagger, Andy Warhol, Liz Taylor, Michael Jackson, Grace Jones oder Liza Minnelli.

Ausstellungsansicht mit Mode-Beispielen: „Studio54: Night Magic“ (Foto: Roland Baege)

Schrille Mode zur Selbstinszenierung

Stop! Wir müssten nahezu die gesamte damalige Prominenz nennen. In der Ausstellung geben 14 Seiten maschinenschriftliche Gästelisten der Eröffnungs-Nacht eine ungefähre Vorstellung. Sinnlich weitaus eindrucksvoller sind die glitzernden, schillernden Modebeispiele, die damals der Selbstinszenierung auf die Sprünge halfen. Viele Originale aus privaten Kleiderschränken finden sich da, aber auch getreulich Nachgeschneidertes und Entwurfsskizzen. Angesichts etlicher Fotografien oder typischer Relikte und Reliquien (z. B. von Andy Warhol himself gestaltete Eintrittskarten) mag man gleichfalls schwelgen. Es geht ums (Nach)-Erleben, nicht so sehr um eine kritische Würdigung, die eh reichlich verspätet käme. Allerdings darf nicht verschwiegen werden, dass der Club 1980 wegen Steuervergehen schließen musste und die Betreiber in den Knast kamen.

Christian Piper (German, born 1941) for Fiorucci (Italian, founded 1967): Poster zur Eröffnungs-Nacht im Studio 54, 1977. (Printed color poster. Courtesy of The Estate of Antonio Lopez and Juan Ramos)

Die vom renommierten Brooklyn Museum reich bestückte, von Matthew Yokobosky kundig kuratierte Ausstellung ist natürlich keine gewöhnliche Vitrinenschau, sondern setzt einiges in Gang, um die Atmosphäre jener frühen, wilden Disco-Zeiten aufleben zu lassen – beispielsweise mit zahlreichen Lichteffekten, mit den tanzbaren Hits jener Jahre, Bühnenbildern oder einem Rundum-Erlebnis im „360-Grad-Fulldome“. Besucherinnen und Besucher sollen Tanzlust verspüren und sodann – wenn irgend möglich – in die örtliche Clubszene ausschwärmen, die sich gerade wieder aufzurappeln beginnt.

„Unglaublich divers“ muss es sein

Das „Studio 54″ bestand zwar nur recht kurz, hatte aber weit reichende Lifestyle-Auswirkungen, es stand und steht also für ein gehöriges, in gewissen Kreisen global wirksames Stück Kulturgeschichte. Damals war’s nicht leicht, an den Türstehern vorbeizukommen, für die Dortmunder Disco-Schau braucht’s nur eine (nicht ganz billige) Eintrittskarte – und schon geht es rein ins kuratierte Vergnügen, das als „Night Magic“ umschrieben wird.

Ron Galella (American, born 1931): New York City, Studio 54, „Grease“-Premieren-Party, Andy Warhol und Grace Jones, 1978. (Courtesy of the artist. © Ron Galella)

Jede nachfolgende Zeit liest aus Phänomenen wie dem „Studio 54″ ihre eigenen Schwerpunkte heraus. Die deutsche Ko-Kuratorin Christina Danick, die gemeinsam mit Yokobosky und Stefan Heitkemper (Leiter des „U“) die über 450 Exponate aufs Dortmunder Format gebracht hat, schwärmt mit einer gängigen Formel unserer Tage davon: „unglaublich divers“ sei diese Ausstellung. Alle Leute könnten ihr etwas entnehmen, die Älteren sich in ihre Disco-Jahre zurückversetzen, die Jüngeren mit eigenen Club-Erfahrungen vergleichen. Mode- und Popmusikfans würden ebenso angeregt wie Liebhaber künstlerischer Fotografie. Nicht auf einzelne Stücke komme es hierbei an, sondern auf die Gesamtheit der Atmosphäre. Yokobosky spricht schlichtweg von „Mood“. Und diese Stimmung sollte eben jede(r) selbst erfahren.

„Hedonistisches Paradies“

Tatsächlich war das „Studio 54″ Katalysator und Ausdruck einer damals zeittypischen Befreiung – mit Langzeitwirkung. Normen und Zwänge waren weitgehend aufgehoben: Wenn Leute irgendwie zu den Schönen, Schrillen und Reichen gehörten oder zu ihnen passten, spielten Herkunft, Hautfarbe oder sexuelle Orientierung im Club keine Rolle. Nicht zuletzt die Schwulenkultur, seinerzeit noch längst nicht so ausgeprägt wie heute, erhielt hier neue Impulse.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, Dortmund setze mit dieser Schau (oder besser: Show) mal wieder alles auf eine populäre Karte – wie 2018/19 mit der in Sachen Besucherandrang und Einnahmen denn doch enttäuschenden „Pink Floyd“-Ausstellung. Doch Kulturdezernent Jörg Stüdemann (er nennt das Studio 54 ein „hedonistisches Paradies“) dämpft allzu hochfliegende Erwartungen. 10.000 Besucher(innen) wären in Ordnung, alles darüber hinaus erfreulich. Allerdings wisse man noch nicht, ob Corona mit der Delta-Mutante einen Strich durch die ganze Rechnung machen werde.

Zusätzlich zur Schau im „U“ werden einige Dortmunder Clubs vom Hartware MedienKunstVerein (HMKV) mit medienkünstlerischen Aktionen bespielt. Unter dem Titel „hello again“ steuert der HMKV auf seiner 2. Ebene im „U“ überdies Impressionen zur lokalen Clubszene bei. Zum umfangreichen Begleitprogramm gehören ferner Cocktail-Mixabende oder DJ-Workshops.

Guy Marineau (French, born 1947): Pat Cleveland on the dance floor during Halston’s disco bash at Studio 54, 1977. (Photo: Guy Marineau / WWD / Shutterstock)

Eine Bühne für den nächtlichen Exzess

Befragt, warum gerade das nicht gar so glamouröse Dortmund die Ausstellung ausrichte, sagt Matthew Yokobosky, die allermeisten Museen wollten sich nicht auf eine solche mutimediale Darbietung einlassen, die der reinen Kunst-Lehre kaum entspreche. Das Dortmunder U sei eine rühmliche Ausnahme. Yokobosky will ja auch keinen Tingeltangel anrichten, sondern eine Synthese aus musealer Würde („dignity“) und aufregenden („exciting“) Elementen. Großen Wert legt er auf zeit- und kulturgeschichtliche Authentizität.

Zwei Jahre haben allein Yokoboskys Recherchen und rund 100 Interviews mit Zeitzeugen gedauert, dabei habe er allmählich herausbekommen, wo die (nunmehr 85) Leihgeber zu finden waren. Der erfahrene Museumsmann erinnert daran, dass das „Studio 54″ in einem vormaligen Opernhaus eingerichtet wurde. Die Menschen tanzten auf der Bühne, in jeder Nacht konnte eine andere Szenerie zur Selbstdarstellung entstehen. Der exzessiven Phantasie waren in diesem Fegefeuer der Eitelkeiten kaum Grenzen gesetzt. Der Ausstellung zum Trotz: Diese Zeiten kommen nicht wieder. Es kommen andere.

„Studio 54: Night Magic“. 26. Juni bis 17. Oktober 2021 im „Dortmunder U“, Leonie-Reygers-Terrasse, 44137 Dortmund. Geöffnet Di, Mi, Sa, So 11-18, Do/fr 11-20 Uhr. Montags geschlossen. Normalticket 18,90 €, ermäßigtes Feierabendticket 11,90 €.

www.studio54.dortmunder-u.de

 




Wie Werte entstehen und schwinden – „Kunst und Kapital“ im Lehmbruck-Museum

Afrikanischer Schrottsammler in Griechenland - Filmstill aus Stefanos Tsivopoulos: "History Zero" (2013), Film in drei Episoden (© Künstler, Kalfayan Galeries und Prometeogallery di Ida Pisani)

Afrikanischer Schrottsammler in Griechenland – Filmstill aus Stefanos Tsivopoulos: „History Zero“ (2013), Film in drei Episoden (© Künstler, Kalfayan Galeries und Prometeogallery di Ida Pisani)

Künstler haben manchmal so ihre Schliche, um die gängigen Praktiken des Kunstmarkts zu unterlaufen.

Mal wird nur ein wenig origineller Stempel als Signatur verwendet, so dass der Wert des zugehörigen Werkes auf einmal zweifelhaft ist. Mitunter wird gleich gezielt dafür gesorgt, dass keinerlei oder wenigstens kein einmaliges oder bleibendes Objekt vorhanden ist, an das sich zählbare Wertschöpfung knüpfen könnte.

Um solche (teilweise vertrackten) Strategien dreht sich im Duisburger Lehmbruck-Museum die Ausstellung des Akzente-Festivals. „Hans im Glück – Kunst und Kapital“ handelt davon, wie wir den Dingen Wert beimessen – auch über den Kunstmarkt hinaus, auf dem derlei Wertzuschreibungen oft vollends irrational sind.

In Grimms Märchen „Hans im Glück“ geht es bekanntlich darum, dass ein junger Mann anfänglich Gold eintauscht und nach und nach immer geringere Werte erzielt, was aber nicht beklagenswert erscheint, sondern als Befreiung von einer Last. Eine schöne, herzige Utopie der Loslösung vom schnöden Mammon. Und so hält auch die Duisburger Ausstellung hie und da Ausschau nach Tauschwerten jenseits des Geldes. Am sinnfälligsten gelingt dies Hans-Peter Feldmann, der auf runden Tabletts kleine Weizenfelder angelegt hat, die gleichsam vor den Augen der Besucher staunenswert wachsen und eine ungeheure Energie ohne sonderliches Kapital ahnen lassen.

Es herrscht aber nicht rundum Verweigerung. Selbst die Fluxus-Künstler der 60er und 70er Jahre (in der Ausstellung vertreten: Robert Filliou, Daniel Spoerri, Ben Vautier, Dieter Roth) wollten von ihrem Tun leben und haben Auflagenkunst (Multiples) hergestellt, die sich dann doch leidlich verkaufen ließ. Allerdings widersprachen sie damit bereits dem Unikat-Gedanken. Überhaupt wehrten sie sich mit oft ausgeklügelt hintersinnigen Arrangements gegen den Fetischcharakter der (Kunst)-Ware. Ohne gewisse Widersprüche ist auf diesem Spannungsfeld schwerlich zu operieren.

Apropos Widersprüche, die aber auch zu Übereinstimmungen gerinnen können: Daniel Spoerri blendete „ärmliche“ Kunstmaterialien und schieren Luxus ineins, als er einen Filzanzug à la Beuys zusammen mit einem Designeranzug à la Cardin in Goldfolie präsentierte. Um die Wirrnis der Werte zu steigern, tauschte er die Vornamen aus und nannte die Herren Pierre Beuys und Joseph Cardin. Wobei zu sagen wäre, dass Beuys’ Schöpfungen einen finanziellen Vergleich mit Cardin durchaus bestehen würden. Aus dem Ärmlichen erwuchs Reichtum…

Handel und Wandel, ganz konkret und zugleich spielerisch: Die Deutsch-Japanerin Takako Saito hat einen ganzen Shop im Museum aufgebaut, den „You and me shop“, in dem man sich zur Kunst ernannte Objekte zusammenstellen und erwerben kann. Auch ein Dutzend Duisburger Künstler darf auf Saitos Wunsch hierbei mitwirken, ohne dass Galeristen von den Verkäufen (allesamt unter 50 Euro) profitieren.

Slowenische Künstlergruppe IRWIN: "Golden Smile" (Fotografie, 2003) (© Courtesy of Galerija Gregor Podnar, Foto: Tomas Gregorič)

Slowenische Künstlergruppe IRWIN: „Golden Smile“ (Fotografie, 2003) (© Courtesy of Galerija Gregor Podnar, Foto: Tomas Gregorič)

Das slowenische Künstlerkollektiv IRWIN, das jede individuelle Schöpfung und Signatur ablehnt, enthüllt mit einigem Witz die oft irrsinnige Preisfindung für Kunstwerke. In der dreiteiligen Arbeit „Namepickers“ wird eine Kreation der berühmten (und somit besonders teuren) Marina Abramovic durch Kopie und Ent-Persönlichung sukzessive im Wert geschmälert. Ohne Überhöhung und ohne Aura, so zeigt sich, schwindet gleichsam das Kapital der Kunst. Und gar vieles ist ohnehin nur lächerliches Blendwerk, wie das IRWIN-Lächelbild mit gebleckten goldenen Zähnen vor Augen führt.

Renommierte Gegenwartskünstler sind an der gleichwohl übersichtlichen Duisburger Schau beteiligt. Felix Droese, Katharina Fritsch, Per Kirkeby und Wolf Vostell stillen ein etwaiges Bedürfnis nach Namedropping. Der griechische Biennale-Teilnehmer Stefanos Tsivopoulos ruft in einer beziehungsreichen Videoinstallation die Krise in seinem Heimatland auf. Die gleichfalls Biennale-erprobten Rumänen Alexandra Pirici und Manuel Pelmus wählen das Mittel der Performance, um der Kunst die materielle Basis zu nehmen und sie flüchtig zu machen wie vergängliches Theater. Da gibt’s nichts zu kaufen.

Salvador Dalí: "Kopf Dante" (1964), Bronze, grünlich patiniert, vergoldete Silberlöffel auf Marmorsockel (Lehmbruck Museum, Duisburg - © VG Bild-Kunst, Bonn / Foto: Britta Lauer)

Salvador Dalí: „Kopf Dante“ (1964), Bronze, grünlich patiniert, vergoldete Silberlöffel auf Marmorsockel (Lehmbruck Museum, Duisburg – © VG Bild-Kunst, Bonn / Foto: Britta Lauer)

Sehr weit haben sie sich somit von älteren Positionen der Moderne entfernt. Salvador Dalís Dante-Kopf, geschmückt mit vergoldeten Löffeln als Lorbeer, ist – verhaltener Ironie zum Trotz – ein eitles Sockel-Kunstwerk par excellence. Und auch Andy Warhols Waschmittel-Box („Brillo“) verdoppelte einst ja nur den götzenhaften Warencharakter; eine damals in jedem Wortsinne blendende Idee, die man freilich nicht endlos variieren sollte. Durchaus bemerkenswert, dass eine Arbeit von Man Ray heute zeitgemäßer wirkt als Warhols Warenzeichen.

Übrigens passen nicht alle Exponate so recht zum Thema der Ausstellung. Manches (zumal die schon öfter gezeigten Stücke aus Eigenbesitz) wird eher notdürftig in den Kontext gezwängt. Man muss schon sehr umständlich erklären, warum Skulpturen von Otto Pankok oder Wilhelm Lehmbruck („Bettlerpaar“) in diesen Zirkel gehören sollen.

„Hans im Glück – Kunst und Kapital“. Lehmbruck Museum, Duisburg (Friedrich-Wilhelm-Straße 40). Ab Samstag, 8. März (Eröffnung 16 Uhr) bis 22. Juni. Geöffnet So 11-18, Mo/Di nach Absprache, Mi 12-18, Do 12-21, Fr/Sa 12-18 Uhr.
Weitere Infos: www.lehmbruckmuseum.de




„Andy Warhol Pop Artist“ im Schloss Oberhausen

Andy Warhol 1981. Foto: Thomas Hoepker/Magnum Photos

Andy Warhol 1981. Foto: Thomas Hoepker/Magnum Photos

Campbell’s Suppendosen, Mao in Fehlfarben und die unvermeidliche Marilyn Monroe: Was wissen wir eigentlich noch nicht über Andy Warhol, den bekanntesten Pop-Künstler des 20. Jahrhunderts? Eine klug konzipierte Ausstellung in der Ludwiggalerie im Schloss Oberhausen „Andy Warhol Pop Artist“ zeigt neue Facetten aus Leben und Werk des Multitasking-Genies.

Dass Warhol zunächst als Grafiker begann und für die Werbung arbeitete, ist den Kunstfreunden geläufig. Doch dass die Stilikone mit der Silberlocke, die mit ihrer New Yorker Factory Kunst als Kollektiv-Leistung in serieller Produktion auf den Markt warf, in allen Phasen des Schaffens immer wieder angewandte Gebrauchsgrafik auf Auftrag schuf, gerät in Oberhausen sehr augenfällig in den Blick: Im Obergeschoss ist beispielsweise eine umfangreiche Sammlung von Plattencovern zu bestaunen. Das erste stammt von 1949 und illustriert im Stil der Zeit Prokofievs „Alexander Nevsky“. Das Highlight ist hier selbstverständlich die berühmte Banane auf dem Cover von „The Velvet Underground & Nico“ 1967, witzigerweise ist sie hier auch in geschälter Version ganz nackt und rosa zu sehen. Denn die berühmte Frucht war als Abziehbild konzipiert, der Fan konnte den Aufkleber entfernen und die Banane „entkleiden“.

Um den Raum zu bestücken, hat die Ludwiggalerie extra einen Aufruf an Fans gestartet, dem Museum ihre Warhol-Cover zu schicken. „Die Resonanz war riesig“, erklärt Kuratorin Meike Allekotte. „Die geschälte Banane beispielsweise stammt von einem Plattenladen in Essen. Den Besitzern war zunächst gar nicht bewusst, welch seltenes Exponat sie damit beisteuern können.“

Als Volontärin hat Allekotte in Oberhausen die Chance bekommen, die Warhol-Schau eigenständig zu betreuen – im Kunstbetrieb wohl eher eine Ausnahme. Doch das Vertrauen von Direktorin Dr. Christine Vogt hat sich absolut gelohnt; in Zeiten eines entfesselten Kunstmarktes steuert die Lugwiggalerie mit der Reflexion auf den Künstler und Marketing-Strategen Warhol eine kunsthistorische Betrachtung auf den Beginn dieser Entwicklung in den 60er Jahren bei.

Andy Warhol war nicht zuletzt ein großer Plagiator, Rechtsstreitigkeiten in Urheberfragen gab es zuhauf. Seine berühmten „Flowers“ entlehnte er einer Werbefotografie für Kodak. Die Fotografin bekam dann lange Zeit Tantiemen. Auch aus der Klassik klaute er hemmungslos: Die Venus kupferte er von Botticelli ab, aber sich selbst kopierte er ebenso gerne. In der Ausstellung hängt sein Beuys-Porträt neben einer Negativ-Version mit Diamant-Staub – als Neuauflage für reiche Sammler gedacht.

Auf der Trash-Promotion-Tour, Foto: Edition Leo Weisse/Galerie Krätz, 2012

Auf der Trash-Promotion-Tour, Foto: Edition Leo Weisse/Galerie Krätz, 2012

Andy Warhol beinahe privat kann man auf der zweiten Etage kennenlernen. 1971 auf Promotiontour für seinen Film „Trash“ reist Andy mit der Crew durch Deutschland. Ernsthaft, blass, fast schüchtern sieht er auf den Fotos von Leo Weisse aus, wie er vor Schloss Neuschwanstein im Schnee steht. Auf einem Bild trägt der Künstler eine Plastik-Duschhaube, um die Silberlocke vor den Flocken zu schützen.

Selbstverständlich darf auch Marilyn nicht fehlen: Im Erdgeschoss bilden die bunten Drucke der Filmikone das Entrée in den Raum mit der sogenannten Todes-Serie, denn sie entstanden kurz nach dem Tod der Diva. Hier hängen auch der „Elektrische Stuhl“ und die Künstlermappe zur Ermordung John F. Kennedys, die Warhol anhand von Pressefotos und Agenturmeldungen gestaltet hat.

Ja, und die Suppendosen gibt es auch zu sehen, gleich am Eingang, neben einem poppigen Goethe-Porträt. „Wenn man darüber nachdenkt, ist ein Kaufhaus eine Art Museum“, hat Andy Warhol gesagt. Die Ware als Fetisch – Andy wusste, wie das funktioniert.

19. Januar-18. Mai 2014, www.ludwiggalerie.de




Alles ist schön – besonders das Geld / Ein Phänomen des Zeitgeistes: Heute vor 20 Jahren starb der Pop-Künstler Andy Warhol

Von Bernd Berke

Der Kerl war ziemlich unfassbar, und er gibt bis heute Rätsel auf. Eine verstörend maskenhafte Erscheinung war diese bleiche männliche Diva – mit starkem Hang zu Kommerz und Glamour, doch auch zum düsteren Inferno des Lebens. Heute vor 20 Jahren ist der legendäre Pop-Künstler Andy Warhol nach einer Gallen-Operation gestorben – unter letztlich ungeklärten Umständen.

Der vormalige, schon gegen Ende der 50er Jahre gut bezahlte Werbegrafiker hat nach 1960 gar vieles in die Kunst eingeschleust, was vorher nicht drin war. Vor allem: blanke Reklame-Ästhetik, grelle Konsum-Fetische. Und eine „coole“ Haltung, wie man sie vorher kaum gekannt hatte. Nicht nur die Kunst, auch die Gestalt des Künstlers hat sich mit ihm noch einmal schillernd gewandelt. Gelegentlich hat Warhol gar das Menschenbild überschritten und sich zum quasi maschinellen Phänomen stilisiert.

Glorienschein für die banale Welt der Waren

Bevor die Linke sich anschickte, den „Konsum-Terror“ zu geißeln, glorifizierte Warhol die banale Warenwelt mit Serienbildern von Campbell’s-Suppendosen, Cola-Flaschen und Dollarnoten, die unter seiner Hand zu Ikonen der Zeit wurden. Ehe liebreizend harmlose Hippies von befriedeten Blumenwelten träumten, vervielfältigte er 1963 ungeniert schockierende Pressefotos von Unfällen und Selbstmördern ins Riesenhafte. Und wo andere mal vorsichtig Haschisch probierten, kursierten in Warhols kaputten Kreisen ganz selbstverständlich die harten Drogen.

Andy Warhol hat sich und seine Kunst vermarktet wie niemand zuvor. Ja, er hat just Geschäfte als Kunstform gepriesen. Zitat: „Ein gutes Business ist die faszinierendste Kunst überhaupt.“ So könnte auch ein Börsen-Guru reden. Joseph Beuys behauptete, jeder Mensch könne ein Künstler sein. Warhol postulierte: „Alles ist schön.“

Anything goes – auch schon mit Videotechnik

Klingt ja wirklich tolerant, kann aber geradewegs auf Verächtlichkeit und auf fürchterliche Nivellierung hinauslaufen. Alles gilt dann gleichermaßen viel oder wenig. Warhol ist Vorläufer einer so genannten Postmoderne, die sich um ästhetische Wertigkeiten und Hierarchien nicht mehr bekümmert: Anything goes. An der Spitze des Zeitgeistes betrieb er seine Sache so multimedial, wie es seinerzeit nur irgend möglich war. Auch die Videotechnik hat er als einer der ersten Künstler genutzt. Hätte er das Internet schon gekannt, so hätte er es wohl entscheidend mitgeprägt.

In seiner New Yorker „Factory“ (Fabrik) jedenfalls, wo sich Durchgeknallte jeder Sorte unter seinem Leitstern ausleben durften, entstanden nicht nur Siebdruck-Bilder (Porträt-Motive von Monroe bis Mao) wie am Fließband. Hier tobte sich die von Warhol geförderte Rockformation „Velvet Underground“ (Lou Reed, John Cale, Nico & Co.) im Stroboskop-Gewitter aus. Warhol schuf das berühmte Bananen-Cover der finster charismatischen Gruppe.

Monströse Filme aus der „Factory“

Im Umfeld der „Factory“ entstanden monströse Filme wie etwa „Empire“ – ein achtstündiger, starrer Kamerablick auf das Empire State Building. Oder wüste Streifen mit schäbigem Porno-Touch wie „Flesh“, „Trash“, „The Chelsea Girls“ und „Blue Movie“. Es war Warhol keinesfalls wurscht, was diese chaotische Werkstatt ausstieß. Alles musste am Ende seinen Stempel tragen. Trotz allem Laissez-faire ließ er in diesem Punkt nicht mit sich spaßen. Er galt als „Kontrollfreak“.

Wie ein Vampir, der das Leben aussaugt, fotografierte Warhol alles und jeden mit seiner Polaroid-Sofortbildkamera (damals eine avancierte Apparatur), am liebsten freilich Prominenz wie etwa Brigitte Bardot oder Bianca Jagger, die er auch bei den berüchtigten Partys im New Yorker „Studio 54″ um sich scharte. Denn da witterte er stets schon den Duft des Geldes, das diese Bilder einbringen würden. Er verlangte (und bekam) alsbald um die 30 000 Dollar für jedes Porträt.

Apropos: Die Preise für seine Werke haben jüngst noch einmal enorm zugelegt. Ein Mao-Bildnis von 1972 erzielte kürzlich in New York den Rekordpreis von 17,4 Millionen Dollar. Solche Zahlen hätten Warhol sicherlich gefallen.

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ZUR PERSON

Eltern aus der Slowakei

  • Warhol wurde am 6. August 1928 als Andrej Warhola in Pittsburgh (USA) geboren.
  • Seine Eltern waren slowakische Einwanderer.
  • Mit 21 zog er nach New York, wurde Werbegrafiker und zeichnete für Magazine wie „Glamour“, „Vogue“ oder „Harper’s Bazaar“.
  • Seine erste Ausstellung als Künstler hatte er 1962 in einer Galerie in Los Angeles. Er zeigte Bilder von Campbell’s-Suppendosen.
  • 1963 gründete er die „Factory“ in New York.
  • 1968 schoss die radikale Frauenrechtlerin Valerie Solanas auf Warhol. Er wurde lebensgefährlich verletzt.
  • Später vermarktete er jene Bilder, die durch die Schüsse durchlöchert worden waren .. .

 




Wenn jede Kunst es mit der anderen treibt – Wuppertaler Pop-Institut zeigt in Hamburg Ausstellung über Andy Warhol und „Velvet Underground“

Von Bernd Berke

Hamburg/Wuppertal. Unter der Decke schweben Cassetten-Recorder mit Kopfhörern, beim Aufschlagen eines Buches entfaltet sich eine dreidimensionale Suppendose aus Papier. Fotos zeigen ekstatisch verzerrte Gesichter im Stroboskop-Gewitter, Platten und Plakate animieren zu Rockmusik-Räuschen, es laufen bizarre Filme und Videos. Wohin sind wir denn da geraten? In die ehrwürdige Hamburger Kunsthalle.

Die große Andy Warhol-Ausstellung vor Jahresfrist in Köln war ein Publikumsrenner. In der Euphorie fiel aber kaum auf, daß ein wichtiger Werkaspekt des berühmten Pop-Künstlers total vernachlässigt wurde: seine intensive Beziehung zur Rockszene. Warhol wollte gar, auch weil er auf diesem Feld erhöhte Öffentlichkeit sowie Geschäfte witterte, mit seinen Künstlerkollegen Claes Oldenburg und Jasper Johns selbst eine Rockband gründen, die freilich ein Flop wurde. Seine Zusammenarbeit mit der rockgeschichtlich höchst bedeutsamen Gruppe um Lou Reed und John Cale, „The Velvet Underground“, wurde dann Legende. Genau diesem Thema widmet sich jetzt in der Hamburger Kunsthalle eine Ausstellung, die als NRW-Export gelten kann und später u. a. nach Köln wandern soll. Die Exponate stammen überwiegend aus dem Wuppertaler Institut für Popkultur („InPop“), einer bundesweit einmaligen Forschungs- und Sammlungs-Stelle.

Es ist eine Ausstellung der Kreuz- und Quer-Verbindungen, deren Knäuel letztlich nur mit Hilfe des Katalogs entwirrbar ist. „Pop goes Art“ (Pop-Musik nähert sich der Kunst) heißt der Titel, er würde auch umgekehrt stimmen: „Art goes Pop“. Noch verzwickter wird die Sache, weil Warhol und „Velvet Underground“ sich Ende 1965 im Zeichen der amerikanischen „expanded cinema“-Bewegung kennenlernten, so daß auch noch das — im Bann von LSD-Erfahrungen — auf Grenzüberschreitung und Bewußtseinserweiterung gerichtete Avantgarde-Kino ins Spiel der Medienvielfalt kommt. Durch die Person John Cale spielten schließlich Einflüsse von dessen Lehrmeister John Cage, also der fortgeschrittenen „E-Musik hinein. Salopp könnte man sagen: Da trieb es jede Kunst fröhlich mit jeder anderen.

Geradezu kultischen Charakter bekam die Mixtur 1966 mit der von Warhol, Velvet & Co. realisierten MultimediaShow „The Exploding Plastic Inevitable“, die u. a. minimalistische Filmtechniken, Diaprojektion und ohrenbetäubende Musik zu einer irrwitzigen Melange verquickte. Die kommerzialisierte Verschmelzung von Pop und PopArt markiert dann jene Ikone der 60er Jahre, Andy Warhols änzüglich-phallisches Bananen-Cover für die LP „The Velvet Underground & Nico“.

Uwe Husslein (31), Leiter des Wuppertaler Pop-Instituts, der in der Hamburger Kunsthallen-Phonothek einen idealen Partner für die Ausstellungspremiere sieht, will zweierlei erreichen: „Rock-Schauen wie diese könnten neue Besucherschichten ins Museum locken“. Andererseits öffne der Name Warhol wie ein Zauberwort dem Rock die Türen etablierter Museen und rücke diese Musik als ernstzunehmendes Kulturphänomen in den Blick.

Trotz des eingangs erwähnten Aufwands läßt die Schau natürlich nur einen Hauch der Aufbruchstimmung aus den 60er Jahren verspüren. Um solchem Mangel abzuhelfen, gehört zum Rahmenprogramm auch eine multimediale (und drogenfreie) „Rausch-Party“ mit der Ruhr-Rock-Siegerband „Rausch“ aus Köln. Ganz spontan im Hier und Jetzt will man dann womöglich den Geist wiederaufleben lassen, der einst Warhol und die „Velvets“ bei ihren Shows beseelte.

„Pop Goes Art“. Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall, direkt am Hauptbahnhof. Bis 3. Februar 1991. Katalog-Box mit Mini-CD, Luftballon usw. 45 DM.