Durcheinander bei Anne Will: Laschet und die Lockerung

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet in der Talkshow von Anne Will (Screenshot aus der ARD-Sendung)

Das war wohl nicht gerade der allerfeinste Zug des NRW-Ministerpräsidenten  Armin Laschet. Als er bei Anne Will (ARD) mit seinen Argumenten für eine abgewogene „Lockerung“ der Corona-Maßnahmen etwas in Bedrängnis geriet, tat er was?

Er schob einen Gutteil der Verantwortung auf die Kommunen. Sie (und nicht das Land) hätten rasch für ausreichend Desinfektionsmittel in den Schulen sorgen müssen, um deren reibungslose Öffnung zu ermöglichen. Auch hätten sie (also die Städte) in den letzten Jahren ihre Gesundheitsämter ausbluten lassen. Statt dessen hätte „seine“ Schulministerin Yvonne Gebauer Desinfektionsmittel beschafft und rundum angeboten, obwohl dies wirklich nicht ihre Aufgabe sei.

Laschet, dem der Ruf vorauseilt, vielleicht etwas zu locker für Lockerungen einzutreten (Kanzlerin Merkel hat wohl auch ihn gemeint, als sie sagte, manche gingen dabei „zu forsch“ vor), wird morgen gewiss die eine oder andere vergrätzte Antwort von Stadtspitzen  oder Landräten aus NRW und anderen Gegenden bekommen. Zuletzt hatten sich manche der hiesigen (Ober)-Bürgermeister just über Wirrnis bei der Landesregierung beschwert. So deutet einer auf den anderen. Bringt uns das weiter?

Ähnlich kontrovers und kakophon ging es auch in Anne Wills ARD-Talkshow zu, bei der stellenweise mal wieder arg viel durcheinander geredet wurde. Christian Lindner (FDP) unterstellte Annalena Baerbock (Grüne) dies und jenes, die wiederum hielt ihm vor, er plädiere für Lockerungen als puren „Selbstzweck“. Es waren hie wie da durchsichtige Zuweisungen. Der jüngst etwas in den politischen Windschatten geratene Lindner empörte sich über willkürlich erscheinende Entscheidungen wie jene, dass Auto- und Möbelhäuser in etlichen Bundesländern unterschiedlich behandelt würden. Er plädierte für gezieltes regionales Eingreifen, sobald sich irgendwo ein exponentielles Wachstum an Corona-Fällen zeigen sollte. Ansonsten seien Lockerungen „verantwortbar“.

Während Baerbock die sozialen und psychischen Probleme vor allem in Schulen, Kitas und Altenheimen verortete, redete Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach (SPD) vor allem aus ärztlicher und virologischer Sicht. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er bislang gar keine Lockerung zugelassen. Unterstützung bekam er von der aus München zugeschalteten Christina Berndt, Wissenschaftsredakteurin der Süddeutschen Zeitung und Biochemikerin. Laschet hingegen machte seinem Ärger über manche Virologen Luft, die einander nicht nur widersprächen, sondern auch hin und wieder ihre Beurteilungs-Kriterien änderten. Es erweckte den Eindruck, als könne man sich da auf nichts mehr verlassen. Auch Lindner hieb in diese Kerbe.

Und Anne Will? Mal schauen, wie oft sie das Corona-Thema noch abhandeln wird. Es will einem fast scheinen, als hätte sie sämtliche Virologen und sonstigen Experten schon zu Gast gehabt. Davon abgesehen, kann sie es einfach nicht lassen, in jeder Ausgabe politische Personalien hervorlocken zu wollen – auch nicht, wenn es noch so aussichtslos und läppisch ist. Überdies kann man über ihre nachdrücklich vertretene Auffassung, das Hygienekonzept der Fußball-Bundesliga sei geradezu beispielhaft, wirklich heftig diskutieren. Karl Lauterbach ereiferte sich denn auch darüber, dass laut Konzept bei Erkrankung eines Spielers dessen Mannschaft trotzdem weitermachen dürfe. Zudem wird man ernsthaft fragen dürfen, ob es zu vermitteln ist, dass die Liga für ein paar Spielrunden mindestens 25.000 Corona-Tests verbrauchen wird. Wie sich seit Wochen zeigt, gibt es halt wahrlich Wichtigeres als maßlos überbezahlten Profi-Fußball.

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P. S.: Abermals habe ich auch bei mir festgestellt, was für viele TV-Zuschauer gelten dürfte und eigentlich ein „alter Hut“ ist: Man achtet bei derlei Talks zwangsläufig nicht nur auf das Gesagte, sondern gar sehr auch auf Stimmlage, gestische Marotten und Details der Kleidung. Man muss sich jedenfalls schon sanft zwingen, derlei Äußerlichkeiten überhaupt nicht in Rechnung zu stellen, wenn Argumente abgewogen werden. So ist Fernsehen. Oft ziemlich irreführend.

P.P.S.: Auf was man sonst noch achtet, wenn man’s ein bisschen mit der Sprache hat: Es war eine Ausgabe mit drei Harren mit L (Laschet, Lauterbach, Lindner) und zwei Damen mit B (Baerbock, Berndt). Ob das etwas zu bedeuten hat?

P.P.P.S.: Wenn ich meinen heutigen Beobachtungen im Freien trauen darf, hat bei manchen Mitbürgern bereits allzu viel „Lockerung“ Einzug gehalten. Angst vor einer „zweiten Welle“ der Pandemie scheint vielfach keineswegs handlungsleitend zu sein. Verantwortungsloser Tiefpunkt war eine ca. 15 Leute umfassende, eng gedrängte Gruppen-Zusammenkunft mit dem Ziel, eine große Mauer zu besprühen. Da überlegt man dann schon, ob man nicht die Behörden alarmieren soll.

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Nachtrag – Es war so sicher wie das Amen in der Kirche:

WAZ-Titelschlagzeile vom 28. April




Schulz ist aufgestanden – Wow!

Du meine Güte! Was für ein Gerödel und Gemöhre um so gut wie nichts!

Hä? Worum geht’s? Na, um den Mega-Aufreger bei Anne Will. SPD-Mann Martin Schulz ist doch wirklich und wahrhaftig für etwa eine Minute (???) aufgestanden und dann plötzlich durchs Bild gelaufen, um sich wieder hinzusetzen. Wow! Muss nun die Zeitgeschichte umgeschrieben werden? Müssen alle Rückblicke auf 2018 neu geschnitten werden?

Schulz‘ einigermaßen müßige und wohlfeile Klage just in besagter Sendung, es werde (medial) viel zu viel über Personen und nicht genug über Sachfragen geredet, wurde postwendend bestätigt, nachdem er sich kurz erhob und seinen Platz verließ.

Aufgeregt stoppten einige Medien anhand der Aufzeichnung mit, wie lange Schulz abwesend war (Sendeminute 49:30 bis 51:05). Auch spekulierten sie, was ihn wohl zu diesem ungeheuren Schritt veranlasst haben möge… Manche wussten dann auch schon Bescheid. Hinter dem Horizont (sprich: der Bezahlschranke) ging’s weiter: „Lesen Sie mit BILDplus, warum Schulz die Sendung kurzzeitig verlassen musste…“

Soll ich Euch was sagen? Mir ist es schnurz. Ob nun sein Smartphone zur Unzeit vibriert hat, ob er halt mal austreten oder sich schnäuzen musste, ob sein Mikro oder sonstwas locker war, ist absolut nicht der Rede wert.

Ansonsten frage ich mich ohnehin, warum ich mir den Talk mal wieder angetan habe. Mit allem Komfort: mit einer höchlich empörten AKK, die den Ruf ihres Saarlandes mit Klauen und Zähnen gegen Anwürfe des Wirtschaftsjournalisten Gabor Steingart verteidigte; mit einem FDP-Kubicki, der zu allem nur feixte; mit einer Anne Will, die genüsslich verkündete, die Zeit der „alten weißen Männer“ (*gähn*) sei auch in den einstigen Volksparteien vorüber. Ach!

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P. S.: Um die schier unerträgliche Spannung aufzulösen, gebe ich nachträglich das investigative Recherche-Ergebnis des Portals web.de weiter. Sie haben im Büro Schulz nachgefragt, wo es hieß, der Chef sei nur kurz auf Toilette gewesen. Irre, nicht wahr? Um nicht von Pieselgate zu reden…




„Das TV-Duell“ – und wer war jetzt „besser“?

Du meine Güte, wie hoch ist „Das TV-Duell“ zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück schon seit Wochen eingeschätzt worden! Ganz so, als hinge das Schicksal der Nation davon ab. Zumindest soll der Ausgang der Bundestagswahl am 22. September angeblich wesentlich von dieser Begegnung beeinflusst werden.

Ja, wo sind wir denn? Kann es sein, dass sich die Fernsehleute manchmal gar zu wichtig nehmen und dass andere ihnen dabei auf den Leim gehen? Die Aussicht auf rund 15 Millionen Zuschauer schien nicht nur Günther Jauch zu berauschen, der für die ARD den Countdown vor der eigentlichen Sendung und hernach die Talkshow zum Thema moderierte. „Das TV-Duell“, das praktisch alle Parteien außer CDU und SPD ausblendete, wurde zeitgleich von ARD, ZDF, RTL, Pro 7 und Phoenix übertragen. Die mediale Aufregung ist kaum zu ermessen.

Angela Merkel, Peer Steinbrück. (Foto: © ARD/Max Kohr)

Angela Merkel, Peer Steinbrück. (Foto: © ARD/Max Kohr)

Angela Merkel begann ungewohnt nervös

Die Gefahr bei dieser Sendeform ist, dass die Optik am Ende stärker zählt als jedes noch so treffende Argument. Auch täuscht der Eindruck, es handle sich hier um eine Frage des persönlichen Zweikampfs, über den wahren Sachverhalt demokratischer Wahlen hinweg. Naja, geschenkt. In die körpersprachliche Analyse wollen wir hier nicht einsteigen. Das überlassen wir anderen.

Aber lassen wir uns mal versuchsweise auf die Vorgaben ein. Wer war denn jetzt „besser“? Nun, das wird jede Zuschauerin und jeder Zuschauer für sich entscheiden wollen. Tatsache ist, dass Frau Merkel anfangs ungewohnt nervös wirkte und sich einige Male sprachlich verhaspelte. Eigentlich kein Wunder, bei diesem immensen Druck. Doch in dieser Hinsicht fing sie sich schon bald – und erst recht im Laufe der 90 Minuten. Mehrfach fiel auf, dass sie keinerlei kritische Gegen- und Zwischenfragen zulassen mochte, sondern stets geradewegs und manchmal beinahe blindlings darüber hinweg redete. Zudem verfiel sie wieder vielfach in den Tonfall des begütigenden Einlullens.

Peer Steinbrücks trockener Humor

Ihre hauptsächliche Verteidigungslinie bestand praktisch durchweg darin, dass sie mahnte, Deutschland nicht schlecht zu reden. Vieles habe ihre Regierung getan, doch vieles sei auch noch zu tun. Es war, als wollte sie anfügen: Alles wird gut. Nun lasst uns doch bitte in Ruhe weitermachen. War das nicht hin und wieder ein wenig dürftig?

Peer Steinbrück gab sich naturgemäß etwas angriffslustiger: Der Stillstand unter der Regierung Merkel müsse endlich aufhören. Hie und da klang Steinbrück auch etwas belehrend. Allerdings wirkte er – für meine Begriffe – wirtschaftlich kompetenter und zeigte sich in mancher Detailfrage besser im Bilde. Insgesamt hatte er einen recht guten Abend und lief phasenweise sogar zu einer Art Hochform auf.

Ob freilich seine Wesensart beim Wahlvolk ankommt, ist eine ganz andere Frage. Sein trockener Hanseaten-Humor ist nicht unbedingt mehrheitsfähig. Und bei der Frage, ob Politiker genug verdienen, kam er denn wider Willen doch ins Schwimmen, indem er strikt jede Aussage zum Thema verweigerte. So geht’s ja nun auch nicht. Man möchte lieber nicht wissen, wie viele Zuschauer an der Stelle bitter aufgelacht haben.

Stefan Raab fügte sich ins Ritual ein

Angela Merkel ließ sogar eine veritable Nachricht vom Stapel. Sie sagte, mit ihr werde es (entgegen dem Druck der Seehofer-CSU) keine Pkw-Maut geben. So klar hat sie das bisher noch nie gemacht. Erbärmlich hingegen ihre spürbaren Wissensdefizite beim Thema NSA-Spionage und Datenschutz. Lesen US-Geheimdienste etwa deutsche E-Mails mit? Merkels Einlassung: „Es kann sein…“

Die Fragestelleri(innen) - von links: Peter Kloeppel, Maybrit Illner, Anne Will und Stefan Raab. (Foto: © ARD/Max Kohr)

Die Fragesteller(innen) – von links: Peter Kloeppel, Maybrit Illner, Anne Will und Stefan Raab. (Foto: © ARD/Max Kohr)

Und wie waren die TV-Leute? Die vorab heiß diskutierte Personalie, dass der zuweilen rustikale Entertainer Stefan Raab als Fragesteller für Pro 7 antrat, erwies sich zu 99 Prozent als harmlos. Er fügte sich weitgehend ins Ritual und ins übrigens allzu enge Korsett aus Proporz und Sekundenmessung. Lediglich in der Gestik gab er sich ein wenig anders. Seine Fans werden das nicht sonderlich cool gefunden haben. Aber was soll’s.

Die Deutungshoheit der Fußballspieler

Ansonsten darf man dankbar sein, dass der selbstgefällige Frank Plasberg n i c h t zum Team zählte, sondern die derzeit besten Talkerinnen Maybrit Illner (ZDF) und Anne Will (ARD) zum Zuge kamen, die ihre Sache insgesamt nicht schlecht machten. Peter Kloeppel von RTL fiel demgegenüber ab. Seine Frage an Angela Merkel, ob ihr Peer Steinbrück nicht leid tue, war sogar richtig daneben. Um das Mindeste zu sagen.

Und jetzt muss noch jemand erklären, warum ARD und ZDF in ihren anschließenden Diskussionsrunden mit Paul Breitner und Christoph Metzelder jeweils einen Fußballspieler aufgeboten haben. Haben Kicker jetzt einen Teil der politischen Deutungshoheit an sich gezogen oder sollte es ein populistisches Zugeständnis sein?

Der Beitrag ist zuerst bei www.seniorbook.de erschienen