Als Zukunftshunger die Künstler erfaßte – Bilder in der deutschen Revolution 1918/19

Von Bernd Berke

Recklinghausen. „Was kann die Revolution der Kunst geben, was kann die Kunst der Revolution geben?“ Im Zeichen dieser Doppelfrage steht die große Ausstellung der Ruhrfestspiele. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ lautet der etwas irreführende Titel. Doch es geht hier nicht um die Französische Revolution.

Exponate, die sich auf die Umwälzung von 1789 beziehen, dürften derzeit fast restlos ausgeliehen sein. So konzentrierte sich Dr. Anneliese Schröder in der Kunsthalle Recklinghausen auf fünf Künstlergruppen im Umfeld der (gescheiterten) deutschen Revolution 1918/19.

Dies kann man aus der Ausstellung ableiten: Ganz anders als die Oktoberrevolution in der Sowjetunion, haben die Umsturzversuche in Deutschland die Kunst zwar mit Zukunftshunger aufgeladen, kaum aber auf den Stil der Künstler eingewirkt. Zwar gab es eine Flut von drangvollen Manifesten und beinahe siegestrunkenen Architektur-Entwürfen für kristalline „Kathedralen der Zukunft“ (Motto: „Glas macht dem Menschen Mut“), doch wich der Stilpluralismus nicht etwa einem revolutionären Einheitsstil. Gemeinsame Gesinnung ja, gemeinsame Ausdrucksformen nein – das wäre die Formel.

Die Vielfalt blieb – auch innerhalb der Künstlergruppen. Eine gewisse Ausnahme bildeten die „Rheinischen Progressiven“ (Gert Arntz, Heinrich Hoerle, F. W. Seiwert u. a.), bei denen Tendenzen zu kollektivem Stil und Thematik erkennbar sind. Sie richteten ein Hauptaugenmerk auf Automatismen, die die Industriewelt den menschlichen Körpern aufprägt. Doch findet sich in dieser Abteilung auch eins der ganz seltenen Beispiele für die direkte Darstellung eines Revolutions-Themas, und das auch erst am Punkt des Niedergangs: Margarete Kubickas Bilder zu den Morden an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.

Der „Arbeitsrat für Kunst“ (Berlin, ab 1919 – Hermann Finsterlin, Hans Scharoun, Bruno Taut u. a.), schon in der Namensgebung an Arbeiter- und Soldatenräte angelehnt und mit der „Novembergruppe“ verwoben (Max Pechstein, Walter Dexel, Rudolf Belling), setzte sich die Kunst-Utopie des „Glücks der Masse“ zum Ziel. Eher das reale Unglück der Massen in Gestalt bedrückenden Arbeiter-Elends spricht aus Bildern der „Dresdner Sezession Gruppe 1919″ um Conrad Felixmüller.

Interessant an der mit berûhmtesten Namen glänzenden Abteilung „Bauhaus Weimar“ (kleinere Arbeiten von Klee, Feininger, Kandinsky, Schlemmer) ist besonders, daß man sie hier im Kontext zeitgleicher Strömungen sieht. Das Bauhaus hatte zwar zunächst manche Berührungspunkte mit der Revolution, wurde aber später zu einer Art Design-Werkstatt im Sinne formal fortschrittlich denkender Industrieller.

Aus dem Rahmen fällt der Raum, der „Dada Berlin“ (Heartfield, Grosz, Hannah Höch) gewidmet ist. Hier wird ein Elan spürbar, der respektlos mit allem umspringt und dabei in ästhetische Regionen vordringt, die anderen nicht mehr zugänglich sind. In diesem Kreis wurde denn auch die einzige genuine Kunst-Erfindung jener Jahre geboren: die Foto-Collage.

Zwar sind nicht durchweg Spitzenstücke zu sehen, doch wäre das auch bei einem Ausstellungsetat von nur 200 000 DM – angesichts heutiger Versicherungssummen – beiweitem zu viel verlangt. Die Schau vermittelt jedenfalls intensives Zeitklima.

Und schon kursieren Ideen, den Ruhrfestspiel-Ausstellungen einen Zweijahres-Turnus zu verordnen. Dann könnte man „klotzen“ und noch mehr Aufwand in die Vorbereitung stecken. Doch gehört nicht eine alljährliche Ausstellung zu den Festspielen wie ein Fisch ins Wasser?

Kunsthalle Recklinghausen: Ab heute bis 18. Juni. Tägl. 10-18 Uhr; Katalog 20 DM.




Rhythmen der Arbeit und der Kunst

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Eigentlich soll, so müßte man meinen, der Mensch sich die Welt mittels Arbeit nach seinen Bedürfnissen zurichten. Doch die Geschichte verlief größtenteils anders: Die Arbeit richtete sich „ihren“ Mensehen zu. Nach ihrem – natürlich letztlich von Menschen bestimmten – Rhythmus hat er sich zu strecken.

Immer wieder haben sich bildende Künstler dieses Themas angenommen. Kein Wunder, da „Rhythmus“ ja auch eine künstlerische Kategorie und also bildkräftig ist. Daran konnten denn auch die Ruhrfestspiele über kurz oder lang kaum vorbeigehen. Über 100 bildnerische Beispiele zahlreicher Stilrichtungen und Kunstmedien (Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen, kinetische Objekte, Karikaturen und Fotos) zur Entwicklung von „Arbeit und Rhythmus“ (Titel) präsentieren die Festspiele nun in der Kunsthalle Recklinghausen. Das Thema ist gut gewählt, die Auswahl schlüssig, die Beispiele schlagkräftig.

Diesmal können Anneliese Schröder und Brigitte Kaul, die die Auswahl besorgten, sogar mit einer kleinen Sensation aufwarten. Erstmals sind die 1928 entstandenen acht „Überlebensfriese des arbeitenden Menschen“ (vom Dortmunder Bernhard Hoetger) komplett zu sehen. Sie zeigen die Beugung des Körpers durch Arbeit und Überlebenskampf von der Jugend bis ins Greisenalter.

Der rote Faden der geschichtlichen Entwicklung ist auch jener der Ausstellung: Immer genauer und unerbittlicher werden die Arbeitsrhythmen, immer enger wird der Bewegungsradius des Menschen. Es beginnt mit der Landarbeit (Bilder u. a. von Schmidt-Rottluff und Emil Nolde), die ersichtlich mit Selbstverwirklichung zu tun hatte, da sie den Einsatz eigener Körperkraft erforderte. Das verführt manche Künstler dazu, diese Arbeit zu idealisieren und zu heroisieren. Spätere Künstler, so vor allem George Grosz („Wo die Dividenden herkommen“, 1928), sehen die Sache weit kritischer. Für die beiden gegensätzlichen Auffassungen finden sich jeweils zahlreiche Belege in der Ausstellung, die übrigens auch Frauenarbeit (Wäscherinnen, Haushalt) nicht ausspart.

Immer deutlicher bilden sich im Lauf der Zeit die Rhythmen derArbeit heraus. Künstler gestalten sie zu massenhaft reproduzierten Mustern, bis hin zur seriellen Darstellung. Thomas Bayrle entwirft ein solches Muster, das erst bei näherem Hinsehen aus lauter Automobilarbeitern besteht und bei noch näherem Hinsehen die Kopfumrisse des Arbeits-Herren, in diesem Falle des Fiat-Chefs Agnelli, erahnen läßt. Immerwährende Gefahr: Je prägnanter die Muster und Rhythmen, desto größer die Gefahr der scheinbar .„interesselosen“ Ästhetisierung. Schließlich setzt sich die maschinelle Organisation durch. Künstler wie Fernand Léger gewinnen auch diesem Prozeß Utopie ab. Es wird aber auch vielfach Erschrecken spürbar, so etwa in Hannah Höchs „Gewächse“ (1928), einem naturwidrigen Garten aus zahllosen Maschinenteilen.

Arbeit im Bergbau und in der Stahlindustrie (letztere aus purer Farblust auch schon mal pointillistisch dargestellt) nehmen breiten Raum ein. Doch die Ausstellungsmacherinnen haben sich den Blick nicht verengen lassen. Das Spektrum umfaßt auch Bereiche wie die Arbeit im Hafen, im Schlachthof (Bilder von Corinth u. a.) und reicht bis zur Knopfdruck-Tätigkeit am Computerbildschirm. Peter Freeses mathematisch-penible Vermessung und Nachbildung des Terminalmensehen, dessen Persönlichkeit in den Großrechner eingegeben wird, führt sie vor Augen. Apropos Bildschirm: Im Eingangsbereich der Kunsthalle soll man per Computer-Game „durchspielen“, wie ein Bergarbeiter seine Familie anno 1903 durchbringen mußte. Weiterer themenbezogener Einfall: eine Stempeluhr, mit der jeder Besucher abmessen kann, wie lange er in der Ausstellung war.

„Arbeit und Rhythmus“. Kunsthalle Recklinghausen (gegenüber dem Hauptbahnhof). Bis 12. Juli. Mo-fr 10-18 Uhr, Wochenenden/Feiertage 11-19 Uhr.