„Polizeiruf“ rund um einen Kindergarten: Die Hölle der ehrgeizigen Eltern

Wenn ein „Polizeiruf“-Krimi schon „Kinderparadies“ heißt, dann kann man ziemlich sicher sein, dass er gleichsam mitten in die Hölle führt. Und so war es dann auch.

Man lernte einen Kreis pädagogisch versierter Eltern aus der gehobenen Mittelschicht kennen, die ihren eigenen, höchst ambitionierten Kindergarten betrieben. Ganz klar: Sie alle wollten nur das Allerbeste für ihre Kinder, die hier im zarten Alter von zwei, drei oder vier Jahren schon mit chinesischer Sprache, klassischer Musik und Theater wie Shakespeares „Sommernachtstraum“ vertraut werden sollten.

Die kleine Lara (laut Besetzungsliste Doris Marianne Müller - in Wahrheit Edwina Kuhl, Tochter von Annika Kuhl und Leander Haußmann) wurde fast zur Hauptdarstellerin. Hier bekommt sie vom Kommissar einen Teddy. (© BR/EIKON Süd GmbH/Barbara Bauriedl)

Die kleine Lara (laut Besetzungsliste Doris Marianne Müller – in Wahrheit Edwina Kuhl, Tochter von Annika Kuhl und Leander Haußmann) wurde fast zur Hauptdarstellerin. Hier bekommt sie vom Kommissar einen Teddy. (© BR/EIKON Süd GmbH/Barbara Bauriedl)

Lauter psychische Wracks

Das war ziemlich dick aufgetragen, wenngleich es gewisse Vorbilder in der Wirklichkeit gibt. Mit entsprechender Zerstörungslust wurden solche idyllischen Lebenslügen in diesem Film (Regie: der theatererfahrene Leander Haußmann) ebenso genüsslich wie gründlich demontiert. Statt liebevoller Eltern lernte man einige psychische Wracks kennen, die einander in Hass und Eifersucht verfolgten.

Das mag sich recht schematisch anhören, doch die Frage ist, wie so etwas gespielt wird. Und da muss man sagen: Es war – bis in die Nebenrollen hinein – darstellerisch überwiegend exzellent. Angefangen vom Münchner Kommissar Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) bis hin zu den Elternrollen (u. a. Annika Kuhl, Johannes Zeiler, Markus Brandl). Filmisch erging man sich vielfach in bloßen Andeutungen und Impressionen, so dass sich mancher Sachverhalt nur nach und nach zusammensetzte – wie ein Mosaik. Es war schon ein besonderes Stück Fernsehen, keineswegs alltäglich.

Momente der Hoffnung

Letzten Endes konnten einem alle Figuren zutiefst leid tun, allen voran natürlich die Kinder, die unter den furchtbar deformierten Erwachsenen zu leiden hatten. Doch selbst die Täterin, die unglaublich brutal zu Werke gegangen war, war ein solch erbarmungswürdiges Häufchen Elend…

Die insgesamt ziemlich niederziehende Milieustudie beschränkte sich gottlob nicht nur auf bitteren Ernst, sondern nahm sich auch Zeit für einige parodistische Momente und ein paar Lichtblicke. So beispielsweise, als die versammelten Kripo-Spurensicherer im Gefolge des Kommissars „Heile heile Gänschen“ brummelten, um die kleine Lara zu beruhigen. Die wurde so etwas wie die heimliche Hauptperson des ganzen düsteren Dramas, indem sie auf sehr anrührende Weise ein Stück Hoffnung verkörperte. Als Vater einer gerade vierjährigen Tochter weiß ich erst recht, was ich da sage.

Der Beitrag ist zuerst bei www.seniorbook.de erschienen.




Apokalypse mit Abwasch – Leander Haußmann inszeniert die Uraufführung von Edward Bonds „Das Verbrechen des Einundzwanzigsten Jahrhunderts“

Von Bernd Berke

Bochum. Links kauert eine Ruine. Auf schräger Holzplanke kann man bis auf einen beengten Platz balancieren. In dessen Mitte steht ein wackeliger Tisch, rechts erhebt sich windschief ein notdürftig gezimmerter Verschlag als kaum menschenwürdige Behausung. Das wie für alle restlichen Zeiten unwandelbare Elendsquartier (Bühnenbild: Franz Havemann) ist Schauplatz eines Endzeit-Spiels.

Der Brite Edward Bond (64) läßt sein Stück „Das Verbrechen des Einundzwanzigsten Jahrhunderts“ anno 2090 spielen. Die Welt besteht weithin nur noch aus Schutt und Asche, eine brutale, fürchterlich anonyme Militärmacht kontrolliert die abgeriegelten Bezirke. Von den Tätern erfährt man nichts Näheres, man schaut nur den Opfern eine Weile beim Vegetieren zu.

Das Drama, jetzt unter Regie von Leander Haußmann in Bochum uraufgeführt, stößt uns ins „Säuberungsgebiet“, in dem versprengte Flüchtlinge umherirren und um die letzten kargen Wasser- und Nahrungs-Reserven kämpfen. Man muß nicht 91 Jahre vorausdenken, um derlei Verhältnisse zu imaginieren…

Auch die Sprache ist nur noch Ruine

Bond, der seine Stücke gern wortkarg betitelt („Sommer“, „Gerettet“), verwendet auch hier eine Sprache, die vielfach aus Ein- oder Zweiwortsätzen besteht. Mit hervorgeschnappten Wortbrocken beginnt der anfängliche Disput um einen Becher Wasser, den Grig (Ralf Dittrich) von Hoxton (Margit Carstensen) erfleht. Nicht nur die Häuser, auch die Sätze sind Ruinen. Und menschliches Verhalten ist zurückgestutzt auf elementare Antriebe des bloßen Überlebenswillens. Die Figuren  nehmen einander durch Witterung wahr, sie erschnuppern die vermutlich gefährliche Gegenwart der anderen.

Der Abend hangelt sich zuweilen zäh über manche Leerstellen hinweg – und wahrscheinlich gibt das Stück auch nicht mehr her. Bond bastelt sich seine apokalyptische Vision aus Versatzstücken zurecht. Es treten keine „Charaktere“ auf, sondern wandelnde Chiffren der Katastrophe. Auch gibt es keine erzählbare Entwicklung, keinen Fortgang. Alles ist schon zu Beginn ausweglos und bleibt so. Es beschleicht einen das Gefühl, man habe solche Befunde bei Samuel Beckett schon wesentlich konsequenter und gültiger gestaltet gesehen. Und Sätze wie „Wir rammeln die Sterne vom Himmel“ hätte der Ire nicht im Traum benutzt.

Mit Bond betreten wir gar einen vergleichsweise gemütlichen Flecken im Niemandsland. Immer wieder sehen wir, wie aus einem Kanister (mit komfortabler Zapf-Vorrichtung) Waschtage und Geschirrspülen bestritten werden. Fehlt nur das Bügeleisen. Der Alltag, wie bruchstückhaft auch immer, geht selbst in dieser Zivilisations-Wüste unterm öden Bildschirm-Himmel irgendwie weiter. Oder sollte gerade in solcher „Normalität“ am Ende aller Geschichte der eigentliche Schrecken bestehen?

Zwei weitere Personen betreten die Szene: Grace (Annika Kuhl) will ihre vermeintliche Mutter Hoxton steinigen. Und der als Schmerzensmann geradezu auftrumpfende Kriminelle namens Sweden (Andreas Pietschmann), der seinen Kontroll-Chip aus dem Leibe geschnitten hat und deshalb von der Armee des Augenlichts beraubt wird, ersticht buchstäblich blindlings die beiden Frauen. Nach finaler Selbstamputation wankt er auf blutigen Beinstümpfen.

Eifriges Theater der Grausamkeit

Derlei morbide Akte wirken hier wie willkürlich schockierende „Zugaben“, die fast ebenso gut unterbleiben könnten. Es ist, als hätte Bond mit seinem Theater der Grausamkeit der kürzlich verstorbenen Sarah Kane (ihr ist der Text gewidmet) nacheifern wollen. Und es scheint so, als vollführe Sweden seine Morde vor allem deshalb, weil er merkt, daß er diese Frauen braucht (als Pflegerinnen, Wegweiserinnen, Huren), sie ihn hingegen nicht. Es ist nicht zum Aushalten.. .

Von wegen „Bochumer Spaß-Theater“. Sie können auch anders: Sieben erbärmliche Heullaute, ausgestoßen in einem klinisch weißen Raum, verhallen am Schluß. Die Darsteller stehen alles Klagen tapfer durch. Doch die Apokalypse haben sie über weite Strecken nur behauptet, selten aber zutiefst gezeigt.

Dennoch unbändiger Premierenjubel des Haußmann-Fanclubs. Ob das Abo-Publikum auch so reagieren wird, darf bezweifelt werden.

 




Zerrüttung und Wahn – einst und jetzt / Uwe Dag Berlin inszeniert Hauptmanns „Einsame Menschen“ in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Was tun diese drei Frauen denn bloß? Sie schlagen um sich, als wollten sie ungute Träume wie lästige Insekten verscheuchen, dann reden sie wirr verhuscht aneinander vorbei, beziehungslos vor sich hin. Das soll also der Beginn von Gerhart Hauptmanns Stück „Einsame Menschen“ (1890) sein? In Bochum, wo jetzt Uwe Dag Berlin das Drama inszenierte, glaubt man’s anfangs kaum.

Geräumiges Landhaus am Müggelsee bei Berlin. Hierhin hat sich der Philosoph Johannes Vockerat (Martin Olbertz) samt Gattin Käthe (Annika Kuhl) und Baby zurückgezogen, um sein denkerisches Werk zu verrichten. „Sich einmummeln“ nennt die biedere Käthe das – in eher schaurigem als wohligem Vorgefühl. Und es wird ja auch nichts draus. Kaum taucht die Studentin Anna (Annemarie Knaak-Tiefenbacher) als Gast des Hauses auf, ist die Ruhe hin, und das Herz wird schwer. Johannes verliebt sich, sozusagen erst in ihren freien Geist, dann überhaupt in die Frau. Der Rest ist schlimmste Familien-Zerrüttung, Selbstmord, Wahnsinn.

Am Anfang toben und tollen sie durch den Text

In Bochum taumeln diese Menschen oft in größtmöglicher Distanz dahin. Manchmal brauchen sie gar Ferngläser, um die anderen noch wahrzunehmen. Furchtbar vereinzelte Leute eben. Wenn gegen Schluß des langen Abends ein Titel der Gruppe „Ton Steine Scherben“ („Alles, was uns fehlt / Ist die Solidarität“) aus den Lautsprechern dröhnt, so klingt das wie bittere Wahrheit, trostloser Hohn und hohle Phrase zugleich.

Ein gar finsteres und sprachlich schroffes Stück, das freilich in Bochum zunächst hell bis grell aufleuchtet. Vor roten Tapeten, zwischen umgestürzten Stühlen und unterm bezeichnenden Bildnis zweier Wissenschafts-Patriarchen (Bühnenbild: Hamster Damm) werden weite Teile der ersten Hälfte verjuxt, man tobt und tollt durch den Text.

Mit manisch wiederholten Gesten, von denen sie ganz beherrscht werden, stürmen die Figuren nach und nach die Bühne. Sie brüllen sich was von den Seelen. Groteske Witzfiguren. Hauptmann, so fürchtet man, wird zum Gaglieferanten fürs frei improvisierende Slapstick-Theater degradiert. Sehen und staunen im Kicher-Kabinett, vor allem die Manner sind ziemlich gaga: Der alkoholgierige Pastor (Heiner Stadelmann) würgt am Hals einer Weinflasche, die er zu tief in den Mund eingeführt hat.

Fein gesponnenes Verhältnis des Stoffs zu unserer Gegenwart

Johannes‘ Vater schnarrt immer mechanisch „Tja-Tja“ und ist so wenig bei Sinnen wie sein grüblerischer Sohn, der sich auch schon mal jaulend in den Teppich einwickelt.

Mag sein, daß es bei all dem mächtigen Proben Spaß gegeben hat, dessen Reste zur Premiere nur noch nicht ganz abgeschüttelt sind. Denn es entwickelt sich ja ganz anders. Die dreieinhalbstündige Inszenierung ergeht sich zunehmend in leiseren Momenten; sie spürt nun, da der Trubel gemindert ist, wirklich aufmerksam dem Schmerz der Personen nach und gewinnt frappierend an Nuancenreichtum. Und zwar auf zeitgemäße Weise: Aufgefächert werden nicht nur die Leiden der Eifersucht, sondern auch gesellschaftliche Zwänge („Frauenfrage“, wie man seinerzeit sagte).

Man merkt durchaus, daß der Text mittlerweile historisch ist, aber die Inszenierung legt – aufs Ganze gesehen – recht behutsam Schichten neueren Erlebens darüber. Ohne Jahrzehnte des Selbsterfahrungs-Kults, politischer Revolten oder auch die Tics der Computer-Generation wäre sie so nicht denkbar. Respekt vor dem Ensemble, das mehrere zeitliche Ebenen und Gefühlslagen sinnfällig überblenden kann!

Und so wird Hauptmanns letztlich doch nicht verkaspert, sondern in ein fein gesponnenes Verhältnis zu unserer Gegenwart gesetzt. Manche sagen, daß Theater genau dazu da seien. Der frenetische Beifall prasselte lang.

Termine: 5., 18., 23. und 26. Dezember. Karten: 0234/3333-111.




Zimmerschlacht nach Lust und Laune – Jürgen Kruse inszeniert Andreas Marbers „Rimbaud in Eisenhüttenstadt“

Von Bernd Berke

Bochum. „Blöööd ist es auf der Welt zu sein / Sagt die Biene zu dem Stachelschwein.“ Welch eine Gaudi, wenn diese Schläger-Verballhornung auf der Bochumer Kammerspiel-Bühne gegrölt wird. Mittendrin ruft Intendant Leander Haußmann, der sich als „Rimbaud in Eisenhüttenstadt“ (Regie: Jürgen Kruse) diesmal auch Titeldarsteller-Ehren gönnt, ins Publikum: „Und nun alle! Auch die Kritiker, die sollen ihre Stifte mal loslassen!“ Von wegen.

Rimbaud also. Dieser „wilde“ französische Dichter (1854-1891), dem schon früh die Lyrik nicht mehr genügte und den es hinaustrieb ins Unbedingte. Sodann ausgerechnet Eisenhüttenstadt, aus dem Boden gestampfte Industrieansiedlung der früheren DDR, Inbegriff genormter Enge zwischen Plattenbauten. Mit solch gegensätzlichen Gewürzen hat Andreas Marber (Jahrgang 61, Hausdramaturg in Bochum) sein Stück abgeschmeckt. Jürgen Kruse setzt den Text mit allen erreichbaren Mitteln und im wegwerfenden Gestus aggressiven Angewidertseins unter Dampf.

Es wird – zumal vor der Pause – im Publikum oft gelacht, freilich vielfach kopfschüttelnd, wenn sich etwa Rimbaud Kokain via Staubsaugerrohr in die Nase zieht oder das Überraschungsei einen Präser enthält. Sachen gibt’s…

Stilsicher versiffte Behausung

Die gut dreistündige Zimmerschlacht (hoher Sudelfaktor mit Bier- und Blutspritzern) spielt sich in der stilsicher versifften Einraum-Behausung Rimbauds ab. Dieser ostdeutsche Anarcho-Rebell der Nach-Wendezeit, der auf die reichen Westler schimpft und „vergossene Worte“ des Ostens bewahren will, lebt an seiner Endstation. Mit allen hat er Streit: Die „Süddeutsche Zeitung“ mochte seine zynische Hymne auf Michael Jacksons Kinderschändungen nicht abdrucken. Und in der Stadtbücherei hat man ihm Hausverbot erteilt, als er dort entnervt das „Kochbuch der Anne Frank“ verlangte…

Nun tänzelt auch noch sein schwuler Gespiele Dr. Martin Wolf (Komödiant von Gnaden: Torsten Ranft) aus dem evangelischen Predigerseminar zu Wittenberg herbei, um sich im lachhaften Jargon der Selbsterfahrung von Rimbaud zu trennen – vage Reminiszenz an die historische Dichter-Liebe zwischen Rimbaud und Paul Verlaine, außerdem Gelegenheit zu derben Antiklerikal-Scherzchen („Sinn-Hode“ statt „Synode“).

Derweil irrt Rimbauds hirnkranke Frau mit Namen Vera Vernunft (Annika Kuhl) umher und produziert kleine Sprechopern der Vergeßlichkeit: „Oh, oh, oh – Weil, weil, weil…“ Ihre weitgehend stumm-verzweifelte Rolle wird in Erinnerung bleiben.

Zwischen Aufwallung und Achselzucken

Später gesellt sich eine Kammerjägerin (Henriette Thimig) hinzu, früher bei der Stasi, die auf anderer Ebene mit der „Schädlingsbekämpfung“ fortfährt. Auch wankt hin und wieder eine Riesen-Ratte über die Bühne. Schließlich erscheint ein Mann im weißen Kittel (Marquard Bohm), den man angesichts all dessen erwarten durfte. Als Vera kurzerhand aus dem Fenster springt, brüllt Rimbaud wie am Spieß, doch plötzlich verstummt er und holt sich ein Pils aus dem Kühlschrank.

Derlei willkürliche Abfolge von Aufwallung und Achselzucken bildet ein Grundmuster. Theater nach dem schieren Lustprinzip: Wo Jürgen Kruse „Bock“ hatte, hat er rotzig etwas hin-inszeniert. Zuweilen hat das gleichsam dreckigen Charme.

Leander Haußmann muß wenig Filigranarbeit leisten, er kann sich just austoben mit gehörigem Talent zur Raserei. Die gesamte Darbietung folgt quasi der Rimbaud’sehen Chaos-Regel. Sie könnte jederzeit enden, aber auch immer so weitergehen.

Natürlich öffnet Jürgen Kruse wieder den Plattenschrank. Er beweist exzellenten Spürsinn für starke Rock-Titel und absolut schräge Schläger. Das ganz andere Musiktheater im Revier.

Im nicht frenetischen Beifall ertönten auch Buhrufe.

Termine: 29. Mai, 18. Juni. Karten: 0234/3333-111.